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Madama Butterfly
Japanische Tragödie in drei Akten
Dichtung von Luigi Illica
Musik von Giacomo Puccini

in italienischer Sprache

Premiere im Staatstheater Saarbrücken am 13. Januar 2001



Homepage des Staatstheaters Saarbrücken
(Homepage)



Zeitlos-aktuelle Butterfly!

Von Sebastian Hanusa / Fotos von Klaus Baqué



Matthias Kaisers Puccini ist beides: Drama an den Bruchstellen des Interkulturellen und höchst individuelle Tragödie einer zum Scheitern verurteilten Liebe. In seiner konzeptionell gelungenen Madame Butterfly sind beide Elemente dramaturgisch schlüssig miteinander verbunden. Der Spagat der japanischen Gesellschaft zwischen Assimilation an den Westen und Wahrung der kulturellen Tradition ist in den knapp 100 Jahren seit Entstehung der Oper in seinem Kern unverändert geblieben, die Gefahr, eine eigene kulturelle Identität zu verlieren – soweit man das aus einer eurozentristischen Perspektive überhaupt sagen kann: Tücken aller interkulturellen Diskurse. Daher hat die Plazierung des Geschehens in einer annähernden Jetzt-Zeit nicht nur ihre "Berechtigung", sondern geht auch schlüssig im Gesamteindruck auf.

Szenenfoto Der Konsul (hier: Otto Daubner) und Pinkerton John Uhlenhopp) im Spannungsfeld zwischen modernem und traditionellem Asien-Bild

Wir sehen bei Kaiser eine disparate japanische Gesellschaft: Zur Hochzeit erscheinen nur noch Cio-Cio-San und ihre Dienerin Suzuki in traditioneller Kleidung, die Gäste tragen westliche Anzüge oder Kleider im Styling einer aktuellen Pop-Mode, die Szenerie befindet sich auf einem Hochhausdach. Dies, die Wolkenkratzer im Hintergrund, deuten an, nach welchem Muster das Geld verdient wird. Der blühende Kirschgarten ist aufgemalt auf dem Hintergrundprospekt fürs Hochzeitsphoto. Andererseits ist Butterfly eine nach dem Harakiri ihres Vaters entehrte Frau, die als Geisha ihren und den Lebensunterhalt ihrer Mutter verdienen muss, die endgültig gesellschaftlich geächtet wird, als sie, um Pinkerton nach den Sitten seines Landes ehelichen zu können, zum Christentum konvertiert.

Szenenfoto Butterfly (Barbara Gilbert) mit Sohn (Elisa Schmitt)

Während die Gesellschaft im unreflektiert und als selbstverständlich hingenommenen Gang des Alltäglichen befangen ist, erleidet die Verstoßene eine soziale Ortlosigkeit, die ihr eine Alternative zum gesellschaftlichen Normativ aufnötigt, implizit die zum Erkennen der Bedingungen des konkreten Seins gesellschaftlicher Zustände notwendige Distanz schafft. Erst jene, die auf dem Hochhausdach neben dem Abluftschacht der Klimaanlage oder, nachdem das Geld Pinkertons ausbleibt, in den Katakomben der Spiegelglastürme leben muß, wird aus einer aufgenötigten Distanz der Blick für die tatsächlichen Verhältnisse geöffnet; es erschließt die Möglichkeit einer individuellen Utopie aus der Not des Anders-Müssens.

Butterflys große Utopie wird die Liebe zum Fremden, deren Wesen sich durch ihre existenzielle Motivation weit über das Maß des Gewöhnlichen erhebt. Diese Utopie scheitert jedoch an der stupiden Oberflächlichkeit Pinkertons, seiner naiven Strahlemann-Mentalität; die Verheißung greift ins Leere, da er ihr in keinerlei Weise gerecht werden kann. Die Konstellation findet sich musikalisch in den vorsichtigen und intimen Klängen des Duetts Butterfly-Pinkerton. Sowohl Butterflys außergewöhnliche Liebesbereitschaft als auch ihre instinktive Unsicherheit bezüglich des Märchenprinzen - der musikalische Gestus des Duetts bricht sofort, als Pinkerton auf die Frage, ob man im Westen Schmetterlinge aufspieße dies mit einer fröhlichen Naivität bejaht – sie flögen sonst doch davon. Diese zweite große Tragödie Butterflys wiegt um so mehr, da sie sich individueller Fehler und nicht mehr gesellschaftliche Sanktion ist – das allein Selbstverantwortete schlägt mit ganzer Gewalt im Falle des Scheiterns auf die einzig Betroffene zurück. Andererseits ist das Harakiri am Schluss eine nicht mehr zu steigernde Bejahung des Ich - zugleich bewusster Entschluß zur Rückkehr in die kulturelle Tradition. Im Tod hat sich Butterfly endlich für sich, ist nicht mehr von der Welt angreifbar - der Suizid setzt daher auch nicht nur den Schlusspunkt, sondern kann auch als Frage verstanden werden: Am Ende löst Puccini die enge Verklammerung von Szene und Musik: Auf der Bühne ist alles vorbei und das Orchester spielt noch ein wenig weiter.

Szenenfoto Harakiri auf dem Hochhausdach

Einen enormen Verdienst am Gelingen der Oper hatte die in sämtlichen Belangen überwältigende Barbara Gilbert als Butterfly. Stimmlich über jeden Zweifel erhaben und ohne dass man ihr eine Anstrengung angemerkt hätte, gestaltete sie die Partie faszinierend facettenreich und dicht, verband musikalischen Ausdruck und szenisches Spiel zu einer überzeugenden Einheit. In ihr fanden die oben genannten Aspekte der Rolle eine adäquate Entsprechung. John Uhlenhopp als Pinkerton bot eine überzeugende Darstellung als erotischer Abenteurer, der sich nicht nur den Erwartungen seiner exotischen Ehefrau, sondern auch so diverser anderer Dinge nicht bewusst ist. Mit grandiosen Selbstbewußtsein überhört er jede Mahnung Konsul Sharpless` und als er letztlich mit Butterflys Elend konfrontiert wird, verfällt er in uferloses Selbstmitleid. In der musikalischen Gestaltung erwies er sich als ebenbürtiger Partner von Barbara Gilbert, mitunter klang seine Stimme jedoch etwas angestrengt.

Neben der überzeugenden Frederique Sizaret als Suzuki wäre ganz besonders Guido Baehr als Konsul Sharpless zu erwähnen. Er verfügt über einen großen, absolut sauber geführten Bariton, der mit einem rundem und sehr flexiblem Timbre aufwarten kann. In der Rolle des amerikanischen Diplomaten sorgte er für die "dramaturgischen Entdeckung" des Abends: Der Konsul wird von Kaiser in einer gewissen Weise als paralleler Charakter zu Butterfly angelegt. Er erscheint als jener Diplomat, der aus der gesicherten Distanz seiner Position sich der japanischen Kultur genähert hat, von ihr gefangen ist, seine Kleidung ein wenig "japanisch" gestaltet, einen japanischen Fächer benutzt. Trotzdem ist er kein Japaner, gehört nicht dazu, steht in vergleichbarer Weise "daneben". Auch er befindet sich in jener Distanz, die den Blick auf sich selber und die eigenen kulturellen Bestimmungen erst erkennbar macht und hierüber ein bedingtes Verständnis der fremden Kultur gewährleistet. Andererseits hat er sich sein Schicksal aussuchen können, hat sich in seiner distanzierten Position sogar insofern gut eingerichtet, als das er aus ihr die Welt betrachten kann, ohne sich in deren Getriebe einmischen zu müssen. Daher ist er nicht in der Lage, Butterfly aus ihren hoffnungslosen Illusionen bezüglich der Treue Pinkertons zu befreien, auch seine Humanität hat sich aus der Welt zurückgezogen. Immerhin spürt er genug Verwandtschaft mit Butterfly, dass er sie besucht, sie finanziell etwas unterstützt, in Kaisers Interpretation schon zu Beginn das ganze Drama vorauszusehen scheint und mäßigend zu moderieren versucht.

Neben der gelungenen Inszenierung ist besonders die hervorragende musikalische Arbeit mit den Sängern bis in die Nebenrollen hinein - in Person des musikalischen Leiters Marcus Bosch - zu loben. Mit der Koordinierung zwischen Orchester und Bühne gab es zu Beginn einige Probleme; in den vielgliedrigen und gestenreichen Ensembles des ersten Akts waren viele Übergänge von seiten des Orchesters nicht wirklich exakt, die Ungenauigkeiten verschwanden jedoch im Laufe des Abends. Im Orchesterzwischenspiel zwischen zweitem und drittem Akt gelang eine vollkommene Rehabilitation.


FAZIT
Eine stimmige Inszenierung, die Puccinis Aktualität und hohe künstlerische Substanz aufzeigt. Und eine überragende Barbara Gilbert als Butterfly.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Marcus Bosch

Inszenierung
Matthias Kaiser

Bühne
Sebastian Stiebert

Kostüme
Angela C. Schuett

Choreinstudierung
Andrew Ollivant

Dramaturgie
Holger Schröder / Lars Vogel

Regieassistenz
und Abendspielleitung
Christian Carsten



Das Saarländische Staatsorchester
Der Opernchor des
Saarländischen Staatstheaters


Solisten

*Besetzung der Premiere


Cio-Cio-San
Barbara Gilbert

Suzuki
Fréderique Sizaret

Kate Pinkerton
Sabine von Blohm

B. F. Pinkerton
John Uhlenhopp

Sharpless
Guido Baehr*
Otto Daubner

Goro
Rupprecht Braun

Yamadori
Algirdas Drevinskas

Onkel Bonzo
Manfred Bertram

Yakusidé
Da Cheng

Kommissar
Antoniy Ganev

Cio-Cio-Sans Mutter
Sylvia Didam

Die Base
Hye-Sil Yoon

Die Tante
Yoshiko Osaka

Das Kind
Elisa Schmitt*
Julia Vogelsang


Weitere Informationen
Staatstheater Saarbrücken
(Homepage)




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