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Die Soldaten

Oper in vier Akten von Bernd Alois Zimmermann
Libretto vom Komponisten

nach dem gleichnamigen Schauspiel von Jakob Michael Reinhold Lenz

in deutscher Sprache mit niederländischen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2h 30' (eine Pause)

Premiere im Muziektheater Amsterdam
am 3. Mai 2003
(rezensierte Auffürung: 10. Mai 2003)


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De Nederlandse Opera
(Homepage)
Welt in Schieflage

Von Stefan Schmöe / Fotos von Hans van den Bogaard


Die Soldaten hat bereits 1973 Michael Gielen in den (schmalen) Kanon der Opern aufgenommen, die vom 20. Jahrhundert übrig bleiben würden. Tatsächlich hat das Werk fast alle Voraussetzungen zum „Klassiker“: Eine zeitlos gültige Handlung auf der einen, eine bis an die Grenze des Ertragbaren gespannte Expressivität auf der anderen Seite. Einer weiteren Verbreitung steht nicht der musikalisch-inhaltliche, sondern der technische Aspekt entgegen, denn die monumentale Anlage mit riesigem Sänger- und Orchesteraufgebot ist für die allerwenigsten Häuser zu bewältigen (es scheitert bereits am fehlenden Platz für die Musiker). De Nederlendse Opera Amsterdam hat sich nun an das Werk gewagt, aber auf eine Neuinszenierung verzichtet und Willy Deckers 8 Jahre alte Dresdner Regiearbeit zurückggriffen. Das ist einerseits bedauerlich, da die Chance auf eine neue Sichtweise vertan ist; andererseits trifft Deckers mustergültige Inszenierung den Charakter der Oper absolut genau. Das bestätigt sich erneut in der Amsterdamer Aufführungsserie.


Vergrößerung Beginn einer Tragödie: Aus der Masse isoliert sich Marie, das Individuum ...

„Das, was mich vor allem zu den Soldaten geführt hat, ist der Umstand [...], wie in einer exemplarischen, alle Beteiligten umfassenden Situation Menschen [...], wie wir ihnen zu allen Zeiten begegnen können, einem Geschehen unterworfen sind, dem sie nicht entgehen können: Unschuldig schuldig.“ bemerkte Zimmermann zu seiner Oper. Decker verbildlicht diesen Aspekt durch einen schuhkastenförmigen Spielraum (Bühne und Kostüme: Wolfgang Gussmann), der magisch allem Zeitbezug enthoben über der tiefschwarzen Bühne schwebt und auf dem Höhepunkt der Katastrophe zur Seite wegkippt: Ein verstörender Theatercoup, der seinesgleichen sucht. Die Figuren sind fast gänzlich entpersonalisiert; die Soldaten kaum unterscheidbar eine dumpfe Masse, die wie Roboter militaristische Bewegungen exerziert. In gefährliches Rot gekleidet robben sie wie Reptilien an das Bürgermädchen Marie heran, um diese in den Strudel eines unaufhaltsamen sozialen Abstiegs bis zur Prostituierten zu treiben. Die klar strukturierten und deshalb die hochkomplexe Musik nicht überfrachtenden Bilder haben immer wieder schockartige Wirkung.


Vergrößerung

... Desportes öffnet ein Fenster zu einer vermeintlich besseren Zukunft ...

Der Verzicht auf historisches Ambiente, das nur in einzelnen Versatzstücken durchschimmert, untermauert den universellen Anspruch Zimmermanns. Im Eröffnungsbild sieht man eine Menschenmenge, die langsam auseinandergeht und dadurch ein Mädchen (Marie) in der Mite isoliert zurücklässt: Sozusagen die Kurzfassung der Tragödie. Im Schlussbild wird dieses Tableau wiederholt – die martialische Gesellschaft sucht in ewigem Kreislauf das nächste Opfer. Decker unterstreicht mit solchen Effekten, auch mit der klaren Farbgebung (Rot für die Soldaten, weiß für Marie, Gelb für die Gräfin de la Roche) die Monumentalität des Stückes, arbeitet aber auch in den Details mit wirkungsvoller Symbolik. Trotz der großen Gesten ist jede einzelne Bewegung durchdacht. In der Auseinandersetzung mit der Gräfin tritt Marie (die sich Hoffnungen auf den Sohn der Gräfin macht) dieser exakt gleich aufgetakelt gegenüber – um sich im Wortsinne demaskieren zu lassen.


Vergrößerung ... doch für die Soldaten ist sie nur Opfer ...

Die Simultanszenen, in denen Zimmermann mehrere Parallelaktionen gleichzeitig stattfinden lässt, nimmt Decker zurück und setzt ein Bild gegen die vielschichtige Musik. So bändigt er, was bei Zimmermann der Gefahr ausgesetzt ist, durch ein Übermaß der Mittel auseinander zu driften. So konzentriert sich die Regie im musikalisch dichtesten Moment ganz auf Marie und filtert die Essenz heraus. Decker hat anlässlich der Dresdner Premiere 1995 von einer Explosion der äußeren Mittel bei einer gleichzeitigen Implosion der Figuren gesprochen und setzt diesen Gedanken hier szenisch um.


Vergrößerung

... die Gräfin de la Roche macht ihr die Unüberbrückbarkeit von Standesunterschieden handgreiflich deutlich ...

Durch dieses abstrahierende und ordnende Regiekonzept kommt die Musik bestens zur Geltung. Der nicht eben kleine Orchestergraben des Amsterdamer Muziektheater platzt aus allen Nähten, wobei das Schlagwerk und die Jazzcombo auf Seitenlogen ausgelagert werden. Dirigent Hartmut Haenchen ist in erster Linie gefragt, den Riesenapparat des Nederland Philharmonisch Orkest zusammenzuhalten, und das gelingt ihm bravourös. Trotz mancher in ihrer Lautstärke fast schmerzhaften Klangballungen deckt er die Sänger nicht zu. Die schlagen sich wacker; aus dem durchweg guten Ensemble ragen Claudia Barainsky als Marie und Isoldé Elchlepp als Gräfin heraus.


Vergrößerung ... und zur Katastrophe kippt die Welt und gerät in gefährliche Schieflage.

Die greifbare Betroffenheit des sehr konzentriert zuhörenden und –sehenden Publikums zeigt, wie aktuell die Soldaten sind. So besehen ist die Oper beinahe altmodisch: In ihrem Anspruch, angesichts einer haltlosen Welt in Schieflage aufschreien zu müssen. Die Soldaten sind Bekenntnismusik, getragen von der Überzeugung, dass dieses Kunstwerk notwendig sei. Der Verzicht nicht nur auf jede ironische Brechung, sondern auch auf einen Distanz schaffenden „intellektuellen Überbau“ (nicht zu verwechseln mit der durch und durch intellektuellen Konzeption!) unterscheidet das 1958 – 60 komponierte Werk von fast allen anderen Opern des späten 20. Jahrhunderts und hat einen pathetischen, fast romantischen Einschlag – und verleiht ihm gleichzeitig einen Ausnahmerang. Der Amsterdamer Oper sei Dank, dies anhand Deckers grandioser Inszenierung noch einmal vorgeführt zu haben.


FAZIT

Eine brillante Aufführung unterstreicht die Ausnahmestellung dieser Oper nicht nur in der Musikgeschichte des 20. Jahrhunderts.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Hartmut Haenchen

nach einer Inszenierung von
Willy Decker

Einstudierung
Meisje Barbara Hummel

Bühne
Wolfgang Gussmann

Kostüme
Wolfgang Gussmann
Frauke Schernau

Chor
Winfried Maczewski

Licht
Friedewalt Degen

Choreografie
Troy Mundy



Chor und Statisterie

Nederlands Philharmonisch Orkest


Solisten

Wesener
Frode Olsen

Marie, Weseners Tochter
Claudia Barainsky

Charlotte, Tochter Weseners
Lani Poulson

Weseners alte Mutter
Hebe Dijkstran

Stolzius
Michael Kraus

Stolzius' Mutter
Anne Gjevang

Obrist
Marek Gasztecki

Desportes
Tom Randle

Pirzel
Eberhard Lorenz

Eisenhardt
Harry Peeters

Haudy
Jacek Strauch

Mary
Robert Bork

Drei junge Offiziere
Alex Grigorev
Brian Galliford
Terence Mierau

Gräfin de la Roche
Isoldé Elchlepp

Der junge Graf
Christian Baumgärtel

Andalusierin
Gwen Langenberg

Drei Fähnriche
Troy Mundy
Marco Gosselink
Sagi Amir Gross

Der Bediente der Gräfin
Brian Galliford

Der junge Fähnrich
Charles Hens

Der betrunkene Offizier
Mark Tevis

Drei Hauptleute
Henk Gunnemann
Frans Huijdts
Jan-Willem Baljet





Weitere Informationen
erhalten Sie von
De Nederlandse Opera
(Homepage)



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