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Musiktheater
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Norma
Tragedia lirica in zwei Akten
von Felice Romani

Musik von Vincenzo Bellini

In italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3h (eine Pause)

Premiere im Opernhaus Düsseldorf
am 16. Mai 2003


Homepage

Deutsche Oper am Rhein
(Homepage)
Denn sie wissen nicht, was sie tun

Von Thomas Tillmann / Fotos von Eduard Straub



Tout Düsseldorf hatte sich eingefunden, um einem weiteren Auftritt Alexandra von der Weths beizuwohnen, und Bellini heißt der Mann, der die Musik für dieses eher gesellschaftliche als künstlerische Ereignis beisteuerte, dem aber ansonsten in dieser Produktion relativ wenig Beachtung geschenkt wurde, sieht man davon ab, dass inmitten der zahlreich erschienenen Statisten einer dem Komponisten ähnlich sah.

Vergrößerung Norma (Alexandra von der Weth) betet zur Mondgöttin: "Casta diva".

Klangbeispiel Klangbeispiel: (MP3-Datei)


Die akustisch nicht eben vorteilhafte Bühne ist bereits geöffnet, wenn man den Zuschauerraum betritt. Das Auge fällt auf die Kunstblumen in Rottönen, die überall auf dem Boden verstreut sind, auf zahllose Lichter, die für Stimmung sorgen, auf einen Käfig, in dem ein halbes Dutzend Kinder eingesperrt sind, die sich bei Normas Auftritt erheben, den ganzen Abend lang präsent bleiben und erst kurz vor Normas Gang auf den Scheiterhaufen befreit werden, auf einen offenen Quader im Bühnenhintergrund, aus dem die Priesterin auftreten und in dem sie verschwinden wird, auf tief verschleierte Frauen in schwarz, die während der Sinfonia im Vordergrund eine überdimensionale keltische Triskele aus den Blumen formen (Bühnenbildnerin Barbara Rückert referiert im Programmheft über diese keltischen Zeichen, die häufig mit Formen von Menschen und Tieren kombiniert werden, was man im zweiten Teil zu sehen bekommt), aber auch an Frauen im heutigen Irak denken lassen:

Von einer ganz erschreckenden Aktualität ist Norma für Werner Schroeter, der den Konflikt zwischen Galliern und Römern, der die Vorlage für die Intrige der Oper bildet, im Gespräch mit Pressesprecherin Regine Müller als "nahezu deckungsgleich" mit dem Irak-Konflikt und der politischen Großwetterlage bezeichnet, sich aber "vordergründiger Aktualisierungen oder platter eins-zu-eins Parallelen" zu enthalten vorgenommen hatte. Das Zeitlose der Handlung wird in der durchaus gute Einzelideen aufweisenden, insgesamt aber zu viele Fragen offen lassenden Inszenierung vor allem durch die verschiedenste Epochen zitierenden Kostüme von Alberte Barsacq gespiegelt:

Unter den permanent pantomimisch die Handlung kommentierenden Chormitgliedern und Statisten finden sich allerlei bizarre, zum Teil übrigens präziser als die merkwürdig blassen Protagonisten gezeichnete Gestalten, aber auch einige moderne Müllfrauen, Bauarbeiter oder skurrile Hexenwesen, deren Aktionen freilich mitunter vom Handeln der Hauptfiguren allzu sehr ablenken und deren kollektives Arme Ringen einem ebenso sehr bald auf die Nerven geht wie die stilisierten, raumfüllenden Gesten der Solisten. Das Ganze wirkt wie eine merkwürdige Mischung aus passionsspielhaft-pathetischer Statuarik, restauriertem pseudokeltischem Ritus, überkommener Rampensteherei und ambitionierter Travestieshow mit Anklängen an Pina-Bausch-Stücke, wobei man sich eigentlich nur über den unsinnigen Schluss wirklich ärgert, wenn Pollione vorn auf der Bühne sitzen bleibt, während Norma im Feuer verschwindet (das hatten sich Librettist und Komponist wohl doch anders gedacht), ansonsten aber bloße Langeweile vorherrscht.

Wenn doch wenigstens die musikalische Seite erfreulicher gewesen wäre! Leider scheint es aber an der Rheinoper niemanden zu geben, der sich um die gerade für die Aufführung von Belcantoopern so wichtigen stilistischen Fragen kümmert. Bereits in der Sinfonia ließ John Fiore es mächtig knallen, wie seine Partiturdeutung sich überhaupt durch eine grundsätzlich martialische, dem derben Effekt verpflichtete, hochgradig unelegante Lesart "auszeichnete" und kaum ein Unterschied auszumachen war zu seiner Interpretation des Verismo-Doppels Cavalleria rusticana/Pagliacci vor einigen Monaten. Zudem brachte er die Musik, die "langen, langen Melodien", die Verdi so faszinierten, nicht zum Fließen, sondern auf Grund mangelnder Spannung und unzureichender Phrasierung immer wieder zum Stillstand (besonders die Rezitative gerieten unerträglich zerdehnt, gleichförmig bleiern und zudem wenig sängerfreundlich). Da nützten auch einige schöne Einzelleistungen im ansonsten unausgeglichen klingenden, blechdominierten, mit brachialer Lautstärke das Primat der menschlichen Stimme negierenden und durch klappernde Einsätze auffallenden Orchester wenig, zumal Fiore auch nicht die nötige Autorität besaß, Bühne und Graben den ganzen Abend lang zusammen zu halten.

Vergrößerung

Als Norma (Alexandra von der Weth) erfährt,
dass Pollione Adalgisa entführen will,
hat ihre Geduld ein Ende - sie fordert ihr Volk zum Krieg
gegen die Römer auf: "Troppo il fellon presume".

Ich will ehrlich sein: Als ich erfuhr, dass Alexandra von der Weth nach ihren zweifelhaften Bemühungen um Lucia und Violetta nun auch noch die Norma singen würde (eine Rolle also, von der etwa Frida Leider in ihrer Autobiografie schreibt: "Wer das Werk genau kennt, wird ermessen können, welch große Leistung die Rolle der Norma für eine junge Sängerin bedeutet." und von der nicht wenige behaupten, dass sie größere Anforderungen an die Interpretin stelle als Cherubinis Medea oder die letzte Brünnhilde!), hielt ich es schlicht für ein weiteres bizarres Gerücht aus ihrem mitteilungsfreudigen Umfeld. Aber ganz so erratisch wie befürchtet waren ihre Bemühungen um die Titelpartie dann doch nicht: Es gab schon einige wunderbare leise Töne in der Höhe zu bestaunen (die man freilich von einem lyrischen Sopran auch erwarten darf!), die dann aber auch in fast exhibitionistischer Manier zelebriert werden, so dass man fast von "veräußerlichten" Piani sprechen möchte, und im zweiten Aufzug steigerte sich die Künstlerin auch in interpretatorischer Hinsicht, wenngleich sie bis zum Ende auch szenisch nicht wirklich die Autorität für diese Rolle hatte (da hilft kein grimmiger Blick ins Publikum, kein Herumrutschen auf der Bühne, was manche mit hoher Rollenidentifikation verwechseln). Insgesamt aber ist mir die Stimme zu "blond", zu mädchenhaft, zu wenig gehaltvoll in der unteren Mittellage und Tiefe, zu wenig kraftvoll für längere Phrasen, was immer wieder Atmen an wirklich unpassenden Stellen nötig machte, zu unsauber auch in den verschmierten, unrhythmischen Koloraturen und den sowohl hinsichtlich der Intonation als auch des Timings unpräzisen absteigenden Skalen. Und offenbar hat die Künstlerin auch nicht verstanden, dass es nicht um das bloße Ausführen von Zierfiguren geht, sondern dass Koloraturen die jeweilige Gefühlslage der zu portraitierenden Figur unterstreichen sollen - dieses Ziel ist nicht erreicht, wenn "Trema per me, fellon" wie das Allegro in "Exsultate, jubilate" klingt! Alexandra von der Weth hat offenbar Aufnahmen der Callas, der Caballé und der Scotto gehört und manches abgelauscht, aber das Wesentliche hat sie nicht gelernt, nämlich aus Text und Musik eine wirkliche Interpretation zu entwickeln, ein Rezitativ und eine Arie zu formen (ein Blick in das gerade auch in deutscher Sprache im Henschel-Verlag erschienene, von John Ardoin herausgegebene Übungsbuch für Sänger "Maria Callas: Meine Meisterklasse", in dem die Quintessenz ihrer Kurse an der Juilliard School zusammengetragen ist, hätte da sicher weitergeholfen). Die reichlich unmotiviert interpolierten Spitzentöne sind dafür kein Ersatz, zumal sie inzwischen enorme Vorbereitung brauchen und dennoch merkwürdig dünn, spitz und gequetscht klingen, ein Resultat des Abdunkelns und Verbreiterns der Stimme, ein Phänomen zudem, das schon bei ihrer Lucia vor einigen Jahren auffiel und das Kendall Clark im Booklet zum Live-Mitschnitt einer Vorstellung in San Francisco vom 6. 10. 1972 mit Joan Sutherland in der Titelpartie wie folgt beschrieb: "We think of Norma as a role which should be taken on only when a soprano is at the peak of her vocal powers; if it is tried too soon it is believed that the effects on the voice will be ruinous." Und schließlich: Eine Norma grinst nicht ins Publikum und schwatzt nicht während des Beifalls nach dem ersten Duett mit Adalgisa.

Vergrößerung Die betrogenen Frauen (Alexandra von der Weth und Jeanne Piland) schließen Freundschaft fürs Leben: "Sì, fino all'ore estreme".

Man möchte nicht uncharmant sein, aber die "giovinetta", als die Norma ihre ja als jünger konzipierte Konkurrentin bezeichnet, ist Jeanne Piland wahrlich nicht, und es verwundert schon, dass man ihr Rollen wie Clairon und Carmen vorenthält, sie dann aber hintereinander als Santuzza und Adalgisa sowie zwei Tage nach dieser Premiere als Venus im Tannhäuser besetzt. Diese Adalgisa ist ein sehr spätes Mädchen, das gern am Boden kniet oder liegt, das ganze Leid dieser Welt im Gesicht trägt und eher wie Janaceks Küsterin als wie eine unerfahrene Druidenpriesterin im Gefühlschaos wirkt. Auch der Amerikanerin gelingen einige schöne, allerdings auch spürbar auf Publikumswirkung abzielende Effekte, besonders in der nach wie vor schönen Vollhöhe, aber die Stimme ist deutlicher schmaler geworden, besonders in der Mittellage, der Farbenreichtum, an den man sich vor allem in ihren Interpretationen französischer Mezzopartien erinnert, ist verschwunden, die Register sind auch nicht mehr richtig miteinander verbunden, die Koloraturen werden nicht mit der nötigen Präzision ausgeführt, und was nützen die permanent eingelegten Spitzentöne, wenn die angepeilte Tonhöhe nicht einmal wirklich erreicht wird? Immerhin, die beiden lyrischen Stimmen mischen sich gut, was für die Duette natürlich wichtig und wirkungsvoll ist; dass aber der Sopran am Ende des zweiten Duetts wie vorgesehen staccato, der Mezzo davon abweichend legato singt, hätte jemandem auffallen müssen.

Vergrößerung

Pollione (Gabriel Sadé) bedrängt seinen neuen Schwarm Adalgisa (Jeanne Piland),
ihm nach Rom zu folgen: "Vieni in Roma".

Viel Wirbel gab es um Gabriel Sadé, für dessen Engagement der Freundeskreis der Deutschen Oper am Rhein zusätzliche 75000 Euro "locker gemacht" hat (so beschrieb es die Rheinische Post am 14. Mai 2003), also ein knappes Drittel des Geldes, das man dem Opernhaus im Jahr zur Verfügung stellt - einmal mehr ist man irritiert über die inkompetent-bizarre Politik dieser Förderer, die offenbar nicht gelernt haben aus den Erfahrungen der letzten Saison, als man mit Catherine Malfitano auch einen prominenten Gast eingekauft hatte, der sich aber nicht in gewünschtem Maße in die gewiß diskutable Hilsdorf-Produktion der Tosca einfinden konnte und den Zenit ihrer Karriere deutlich überschritten hatte. Die angenehm dunkle, fast baritonal timbrierte Stimme, die natürlich grundsätzlich hervorragend zur Partie passt (Bellini selber bezeichnete den Tenor des Uraufführungssängers Donzelli als "harte Stimme mit einer tiefen Tessitura"), war am Premierenabend in der weit ausschwingenden, gestemmten oder nur angerissenen Höhe nicht im Fokus und verlor in dieser Lage erheblich an Farbe und Konzentration; der den Vertretern der Presse zugängliche Mitschnitt zeigt, dass das notierte (!) C in der Traumerzählung bereits in den Proben hochproblematisch war und trotz hörbaren Krafteinsatzes nicht korrekt erreicht wurde - in der Premiere ließ der Künstler es ganz aus, in der Szene mit Adalgisa musste man gar Kieksen und Räuspern in Kauf nehmen. Tobias Richters Entschuldigung nach einer verlängerten Pause, Herr Sadé habe im ersten Teil mit einer von den überall auf der Bühne verstreuten Kunstblumen ausgelösten Allergie zu kämpfen habt, erscheint mir wenig überzeugend: Erstens hätte dieses Problem doch wohl spätestens in der Generalprobe auffallen müssen, und zweitens war man doch sehr überrascht, den Künstler dann im zweiten Aufzug inmitten eben dieser Blumen sitzen und in diesen wühlen zu sehen, denn darauf zu verzichten, hätte die Inszenierung wohl kaum nachhaltig gefährdet. Und ich halte es auch nicht für ein Zeichen künstlerischer Seriosität, in der Endprobenphase dreimal an der Hamburgischen Staatsoper den Cavaradossi zu singen (3., 6. und 9. Mai), pardon.

Christophoros Stamboglis begann als Oroveso mit schönen Legatobögen und sorgfältig ausgeführter messa di voce, sein relativ leichter Bass hatte aber im Folgenden nicht das nötige Volumen, um sich durch das Orchester durchzusetzen und klang stellenweise wie markiert. Die Clotilde fand in Nassrin Azarmi eine darstellerisch wie deklamatorisch maßlos übertreibende Interpretin mit Santuzza-Allüren und unschönen Stimmresten, Jung-Hwan Lee vervollständigte mit seinem Minitenor als Flavio das Solistensextett. Einmal mehr war es keine Freude, dem Chor der Rheinoper zuzuhören, der es wieder an der gebotenen Synchronität fehlen ließ und in manchen Gruppen inzwischen einen wirklich unangenehm ältlichen Klang aufweist, den man einem dilettierenden Männergesangverein nolens volens nachsieht, nicht aber einem von Steuergeldern finanzierten, sich aus Profis zusammensetzenden Kollektiv.


FAZIT

Wie so häufig in der laufenden Spielzeit schlug einem auch bei dieser Premiere der penetrante Geruch von Provinzialität entgegen, in den sich die völlig übertriebenen Zuschauerreaktionen übrigens glänzend einfügen. Immer wieder ärgert man sich in letzter Zeit über Abende wie diese an der Deutschen Oper am Rhein, und so wundert es kaum, dass man nicht nur am Rande der Spielplan-Pressekonferenz (dessen Vorstellung bei den meisten Erschienenen bei allem Verständnis für die wieder und wieder bejammerte finanzielle Misere des Hauses Sprachlosigkeit und peinliches Berührtsein auslöste), sondern auch auf der Premierenfeier nicht wenige Insider mehr oder weniger deutlich die Frage diskutieren hörte, wie lange der nun einmal für die Misere verantwortliche Tobias Richter sich noch auf dem Intendantenposten wird halten können.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
John Fiore

Inszenierung
Werner Schroeter

Bühne
Barbara Rückert

Kostüme
Alberte Barsacq

Licht
Hanns-Joachim Haas
Barbara Rückert

Chor
Gerhard Michalski





Der Chor der
Deutschen Oper
am Rhein

Statisterie der
Deutschen Oper
am Rhein

Die Düsseldorfer
Symphoniker



Solisten

Pollione
Gabriel Sadé

Oroveso
Christophoros Stamboglis

Norma
Alexandra von der Weth

Adalgisa
Jeanne Piland

Clotilde
Nassrin Azarmi

Flavio
Jung-Hwan Lee



Weitere
Informationen

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