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Musiktheater
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Roberto Devereux
ossia Il conte di Essex

Tragedia lirica in tre atti

Text von Salvatore Cammarano
nach der Tragödie Elisabeth d'Angleterre
von Jacques Arsène Francois Polycarpe Ancelot,
der Histoire secrète des amours d'Elisabeth
et du comte d'Essex

und dem Libretto von Felice Romani zu dem Melodramma
Il conte d'Essex von Saverio Mercadante

Musik von Gaetano Donizetti

In italienischer Sprache

Aufführungsdauer: ca. 2 h 45' (eine Pause)

Konzertante Aufführung im Theater am Marientor Duisburg am 10. März 2003


Kunsthandwerk

Von Thomas Tillmann



Für drei konzertante Aufführungen des Roberto Devereux hatte sich Edita Gruberova nach Nordrhein-Westfalen begeben: Neben der vom Rezensenten besuchten Vorstellung in Duisburg war sie am 13. März auch im Konzerthaus Dortmund, am 18. März in der Kölner Philharmonie in der letzten von Donizettis Opern über die Tudor-Königinnen zu erleben, die sie für das ihr nahestehende Label Nightingale Classics natürlich auch schon eingespielt hat (es handelt sich um eine Aufnahme des Südwestfunks Baden-Baden aus dem Strasburger Palais de La Musique et des Congrès vom 19. bis 23. März 1994, auch hier dirigiert der Ehemann, namentlich das Orchestre Philharmonique de Strasbourg, Delores Ziegler, Don Bernadini und Ettore Kim hießen damals die Mitstreiter) und die Norbert Miller in Dahlhaus' Enzyklopädie des Musiktheaters als "Musterbeispiel für Donizettis Auffassung einer italienischen historischen Oper", als "historische Kammeroper, getragen von vier gleichermaßen anspruchsvollen Sängern" bezeichnet, in der die Schicksale der engen Freunde Essex und Nottingham einerseits, die der alternden Königin und ihrer Vertrauten andererseits ineinander verklammert sind und in der der Komponist aus Bergamo einen weiteren Schritt in seinem Bemühen um die "Verwandlung des virtuosen Stils in eine Bravour des Expressiven" weitergekommen war.

Wer wollte Edita Gruberova, die den Abend mit einem sympathischen Appell für den Frieden begann, eine zweifellos stupende Perfektion im Bereich des Fil di voce absprechen, wer wäre nicht entzückt über die technisch vollendeten Diminuendi und die streckenweise brillanten Verzierungen, die aufregenden interpolierten Acuti etwa am Ende des zweiten Finale oder das Crescendo auf dem finalen D in alto? Und doch hatte ich einmal mehr das Gefühl, dass diese Art des vokalen Exhibitionismus, der das Herz nicht wärmt und keinerlei Interesse weckt für das Schicksal der portraitierten Figur, an den wahren, oben erwähnten Intentionen des Komponisten vorbei geht, dass hier wohlkalkuliert technische Finessen vorgeführt wurden, die mich den ganzen Abend lang Offenbachs Olympia assoziieren ließen - mit wahrer Kunst hat das nichts zu tun, sondern mit Kunsthandwerk, pardon. Was ich der Slowakin abspreche - und ich höre das Aufschreien der Fans und ahne eine Flut erboster Leserbriefe! -, ist die wirkliche Eignung für dieses Fach: Elisabeth ist ebenso wie ihre Mutter Anne Boleyn oder ihre Konkurrentin Mary Stuart kein sylphidenhaft-fragiler Backfisch, der in einem fort vor sich hin säuselt und wispert, sondern eine der mächtigsten Frauen der damaligen Welt im Spätherbst ihres Lebens und von heißblütigem Temperament (ich sehe Bette Davis in dem berühmten Film mit Errol Flynn vor meinem inneren Auge oder auch Judy Dench in Shakespeare in Love!), und das will auch vokal jenseits von einigen pathetisch gesprochenen Passagen wie dem zentralen "Non regno, non vivo" in der Schlussszene umgesetzt sein, zumal der Blick in den Klavierauszug zeigt, dass der Komponist wohl doch eher den Akzent auf dramatisch als auf Koloratursopran gesetzt hat, was nicht zuletzt die vielen tiefergelegenen Passagen belegen, die Edita Gruberova so viele hörbare Probleme machen: Bereits ab der Mittellage fehlt es der Stimme an Volumen und dem für den Belcanto so nötigen Farbenreichtum. Da hatte die ebenfalls nicht gerade als Erfinderin des expressiven Gesangs in die Annalen eingehende Montserrat Caballé wirklich mehr zu bieten (von der laut Steigers Nachschlagewerk nicht weniger als fünf Live-Mitschnitte auf dem Markt sind), gar nicht zu reden von Nelly Miricioiu, die diese Partie nicht nur 1994 im Amsterdamer Concertgebouw sensationell gesungen hat und deren hochgerühmte Interpretation ab Mai auf einem von der Firma Opera Rara vertriebenen Mitschnitt aus der Londoner Oper nachzuhören sein wird. Die gleichfalls leichtgewichtigen Vorgängerinnen Gencer (im Live-Mitschnitt aus Neapel aus dem Jahre 1964) und Sills (ich kenne nur die überhaupt einzige Studioaufnahme) konnten dagegen durch Charisma und rillensprengende Persönlichkeit manches ausgleichen (anders als die gleichfalls überschätzte Alexandrina Pendatchanska in dem Live-Video aus dem Teatro San Carlo) - man mag nicht daran denken, was Künstlerinnen wie Maria Callas (deren Stimme und Temperament vermutlich perfekt zu dieser Rolle gepasst hätten), Joan Sutherland (die gegenüber dem Berichterstatter vor einigen Jahren äußerte, sie hätte nach Maria Stuarda und Anna Bolena einfach nicht noch die Noten einer weiteren Donizetti-Königin in den Kopf bekommen!) oder Renata Scotto (hat sie es probiert?) aus dieser Partie gemacht hätten!

Einen exzellenten Eindruck hinterließ Sonia Ganassi mit ihrer schlank geführten, aber keinesfalls dünnen, erstaunlich farbenreichen, ausdrucksstarken, auch in der Tiefe einiges Volumen aufweisenden, die Mezzocharakteristik auch in der mühelos erreichten Höhe nie verleugnenden Stimme als ungemein involvierte Sara - ihre wunderbaren Piani und messa-di-voce-Effekte wirkten eben nicht wie technische Etüden, sondern waren die Gefühlslage der Rivalin erhellende Interpretationsmomente, die eine fundierte Auseinandersetzung mit dem unterschätzenden Libretto erkennen ließen, und so war für mich das Duett mit Roberto im dritten Akt der eigentliche Höhepunkt der Veranstaltung. Großen Anteil daran hatte der gleichfalls sehr engagierte Zoran Todorovich, dessen lyrischer Tenor von nicht zu hellem und damit durchaus männlich-markantem, wenn auch nicht allzu edlem Timbre gleichermaßen zu elegischen wie heldischen Tönen fähig ist und über eine große Beweglichkeit, Legatofähigkeit, dynamische Flexibilität und eine mühelose Höhenattacke verfügt. Eine gute, leicht ansprechende Höhe, die mitunter geradezu tenorale Färbung annimmt, ist auch das große Plus des geschmeidigen, allerdings wenig sinnlichen Reiz verströmenden Baritons des sehr akkurat und um mannigfache Ausdrucksvaleurs erkennbar bemühten Albert Schagidullin. Sehr durchschnittlichen Eindruck hinterließen dagegen die Comprimari und die beiden Chöre - man hört eben doch einen Unterschied zwischen Laien- und Profiensembles.

Friedrich Haider tat, was erwartet wurde: Er versuchte den mit dem Genre wenig vertrauten, in den einzelnen Gruppen nicht immer kongruent spielenden Duisburger Philharmonikern so viel Italianità wie möglich zu entlocken, aber die Stärken des Klangkörpers liegen sicher anderswo (was nicht heißt, dass ein kompetenterer Dirigent da nicht mehr hätte bewirken können, ich denke etwa an Francesco Corti, der vor einigen Jahren durchaus beeindruckende Belcanto-Abende an der Rheinoper leitete), zumal das Hauptaugenmerk des Österreichers darauf lag, der Protagonistin die Sache nicht unnötig schwer zu machen und einen filigranen Klangteppich für ihre Pianissimo-Exzesse zu schaffen; ein bisschen mehr Verve und Fantasie in der Ausführung der Begleitfiguren und der Tempiwahl hätte es aber schon sein dürfen, und wenn Donizettis Oeuvre streckenweise doch ein wenig nach Kirmesmusik klang, dann spricht das auch nicht für das Wissen der Ausführenden um die Erfordernisse des Belcanto - die Kunst liegt eben darin, dass es nicht so klingt!


FAZIT

Trotz aller kritischen Worte, die ich einmal mehr um meine Verärgerung darüber ergänzen muss, dass ich von hochbezahlten Profis erwarte, dass sie einen Akt lang auf der Bühne bleiben können und nicht permanent auf- und abgehen, zumal wenn ihre Anwesenheit laut Libretto vorgesehen ist, will ich meine Freude über den Umstand nicht verschweigen, dass das Publikum der Region nach der bemerkenswerten Krefelder Maria Stuarda endlich auch den letzten Teil der "Tudor-Trilogie" live erleben konnte - jetzt fehlt nur noch ein Opernhaus, das sich traut, Anna Bolena auf den Spielplan zu setzen! Corraggio!


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Friedrich Haider



Sinfonischer Chor der Chor-
akademie am Konzerthaus Dortmund
(Einstudierung: Joachim Gerbes)

Extra-Chor des Theater Dortmund
(Einstudierung: Granville Walker)

Die Duisburger Philharmoniker


Koproduktion zwischen dem
Konzerthaus Dortmund, der Kölner
Philharmonie und Theater und
Philharmonie Duisburg


Solisten

Elisabetta
Edita Gruberova

Roberto Devereux
Zoran Todorovich

Sara
Sonia Ganassi

Nottingham
Albert Schagidullin

Lord Cecil
Donat Havar

Sir Gualtiero Raleigh
Daniel Henriks

Un paggio/
Un familigliare di
Nottingham
Nam Soo Kim




Weitere Informationen
erhalten Sie von den
Duisburger Philharmonikern
(Homepage)



Da capo al Fine

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