Zur OMM-Homepage Zur OMM-Homepage Veranstaltungen & Kritiken
Musiktheater
Zur Homepage Zur Musiktheater-Startseite E-Mail Impressum



Die ägyptische Helena

Oper in zwei Aufzügen
Dichtung von Hugo von Hofmannsthal
Musik von Richard Strauss

Essener Erstaufführung


In deutscher Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2 h 30 min (eine Pause)

Premiere im Aalto-Theater Essen
am 14. Juni 2003


Logo:  Theater Essen

Theater Essen
(Homepage)
Ein schwer bekömmlicher "Nebenstrauss"

Von Thomas Tillmann / Foto von Jörg Landsberg


"Verstiegenes Antikenprojekt oder verkanntes Meisterwerk?" fragt Oswald Panagel im Booklet zum Mitschnitt der Ägyptischen Helenaaus der Wiener Staatsoper vom 5. Dezember 1970, und nicht wenige Besucherinnen und Besucher der Essener Erstaufführung des eher selten aufgeführten Stücks "aus der Werkstatt Strauss-Hofmannsthal" (Theaterzeitung) dürften dem ersten Bewertungsvorschlag den Vorzug gegeben haben, ja möglicherweise Harry Kupfer zugestimmt haben, der die Oper als "grässliches Machwerk" bezeichnet haben soll, das nur noch aus "Klangeffekten" bestehe, auch wenn der Dichter glaubte und hoffte, "dass es als Dichtung für Musik, als Oper, das Beste ist, was ich je gemacht habe" und der Komponist höflich erwiderte, es seien des ersteren Worte gewesen, "die aus mir das Schönste, was ich an Musik zu geben hatte, herausgeholt haben". Der Kern dieser Version, wonach Paris nur ein Luftgebilde nach Troja gebracht hat, während die wahre Helena vom Götterboten Hermes nach Ägypten geführt wurde und dort geduldig auf die "Heimführung" durch den angetrauten Gatten wartete, zog sich als Traditionsstrang durch die griechische Literatur, hinterließ eine deutliche Spur beim Historiker Herodot und inspirierte den Tragödiendichter Euripides im Jahre 412 v. Chr. zu einem eigenen Stück. In der hier vorliegenden Adaption, für die Hofmannsthal zusätzlich Anregungen aus der farce lyrique Protée von Paul Claudel übernommen hat, sieht man sich mit einem Werk konfrontiert, "das von bunten Zufällen, raschen Wendungen und skrupellosen Intrigen beherrscht wird und sich vom Ursprung des tragischen Spiels weit entfernt hat." (Panagel) Ehestreit, Untreue und Eifersucht begegnen hier nicht als alltägliches Familienphänomen, sondern ereignen sich zwischen der schönsten Frau der Welt und dem König von Sparta (der Dichter übernahm übrigens von Goethe die dorische Schreibweise des Namens).

Szenenfoto

Die schöne Helena (Luana DeVol, auf dem Sofa liegend) macht die Bekanntschaft von Aithra (Helen Donath, stehend) und ihren Dienerinnen (Astrid Knopp und Marie-Helen Joel).

Wenn man den Zuschauerraum betritt, fällt das Auge bereits auf die riesige Muschel (die über dem Souffleurkasten angebracht ist und aus der deren Interpretin sich im eleganten Abendkleid herauswindet) und die drei Tauben, die den Klavierauszug von Fürstner schmücken. Aithra blättert in ein paar Unterlagen und nippt am ersten von unzähligen Cocktails, bevor die alleswissende Muschel den Fernseher aktiviert und ihrer Herrin von Menelas' Absicht berichten kann, Helena zu töten; auf diesem Bildschirm werden später auch die Jagd, die Ermordung Da-uds und das Erscheinen Hermiones beobachtet werden. Der von Aithra angezettelte Schiffbruch ist in Gottfried Pilz' Werksicht nur noch eine Art Gewitter: Eifrige Dienerinnen sind dem berühmten, immer wieder von Autogrammjägern belagerten Paar mit Schirmen entgegengeeilt, das nun in elegantem Nachtgewand auftritt - Helena trägt ein schwarzes Kleid und ein weit fallendes weißes Negligé, Menelas (der sich laut Regiekonzept in einer Midlifecrisis befindet) einen schicken Bademantel und entsprechende Schlappen und hat auch das von Paris' Blut noch gänzlich rot gefärbte Schwertchen nicht vergessen -, während Aithra am rechten Bühnenrand an einem kleinen Tischchen Platz nimmt und sich Notizen zu den folgenden Auseinandersetzungen des Paares macht (sie wird im Laufe des Abends immer wieder an diesen Platz in ihrem maritimen Therapiezentrum zurückkehren). Helenas Verwandlung in die legendäre Schönheit früherer Tage beschränkt sich auf eine kleine von Aithra gebotene Nackenmassage, eine Maniküre und das Versprühen eines Zauberduftes (es könnte auch profaner Haarspray sein, der die klassische Banane auf Helenas Kopf fixiert), der Erinnerungstrunk ist zu einer bewusstseinsverändernden Injektion mutiert. Für die Einzelgespräche mit dieser in erster Linie auf Psychopharmaka und Hochprozentiges setzenden "Therapeutin" steht eine Sofasitzgruppe in blauschwarzer Samtoptik bereit, die wie das übrige edle Ambiente (eine Harfe, ein Barhocker, der glänzende, dunkle Boden und die Rückwand mit perspektivisch sich verjüngenden Quadraten in diversen Blautönen, aber auch die überwiegend schwarzen, mit Glitzerapplikationen aufgepeppten Kostüme) und manche Aktion auf der Bühne, deren linken Seite ich aufgrund meines Randplatzes leider nicht einsehen konnte, an die Ausstattung von Boulevardkomödien erinnert, natürlich aber auch eine plakative Anspielung auf Freud ist und gleich zweimal zur Verfügung steht, was nicht zuletzt den bei der Mehrheit der in Essen inszenierenden Regisseure sehr beliebten Einsatz der Drehscheibe möglich macht.

Szenenfoto "Glücklich ist, wer vergisst!", sagen sich Aithra (Helen Donath, links) und Helena (Luana DeVol, rechts).

Im weiteren Verlauf des Abends schickt Aithra ihre Klienten zwecks Beziehungsarbeit ans Meer: Helena zelebriert die "Zweite Brautnacht" inmitten eines riesigen, von Windmaschinen aufgeblähten Stoffes, durch den dann auch Menelas fröstelnd herumwatet, nachdem die Gattin ihm wenigstens den Bademantel ausgezogen hat - ein die Lachmuskeln reizendes Intermezzo für das Publikum, bevor im Hintergrund die Silhouetten von Zelten erscheinen und Altair (übrigens in einem nordafrikanischen Gewand, das sicher nicht zufällig aus dem selben Stoff gefertigt ist wie Menelas' Bademantel) und sein Gefolge eine Vielzahl riesiger Pakete anschleppen, unter denen sich auch Aithras bereits erwähntes Sofa befindet. Die Besitzerin selbst erscheint mit großem Sonnenhut bald selbst vor Ort - schließlich gibt Altair eine Party, bei der Tanzpaare Tangoähnliches aufführen (choreografische und szenische Mitarbeit: Joachim Siska) - und wird Zeugin des kleinen Flirts zwischen dem Gastgeber und der gar nicht so unschuldigen, alternden Kokotte Helena (auf Altairs "Du pilgernde Unschuld" lacht sie dreckig). Statt der beiden herrlich gezäumten Pferde bekommt das Paar von Aithra fix den Text für das finale "Gewogene Lüfte führt uns zurück" in die Hand gedrückt (eine mehr und mehr an Beliebtheit gewinnende Regietheaterzutat, die nur Unverständige als Einfallslosigkeit abstrafen!), Hermione schließlich tritt doch noch in persona auf, kuschelt sich an Aithra, die ihr ein Taschentuch zum Winken gibt, bevor sich ihre Eltern in entgegengesetzte Richtungen entfernen - alle Interventionen der "Therapeutin", alle Drogen haben nichts genutzt, das vorgesehene Happy end wird verweigert.

Szenenfoto

Ein weiterer Mann verfällt der schönen Helena (Luana DeVol): Altairs Sohn Da-ud (Peter Bording).

Gottfried Pilz, wohl doch eher geschickter Ausstatter als versierter Regisseur, konnte sich offenbar nicht entscheiden, die wohl unumgängliche Entmythologisierung dieser mythologischen Oper wirklich konsequent durchzuhalten (dabei wären durch kleine Veränderungen die mythischen Elemente leicht zu beseitigen gewesen!), und so empfand ich seine Werksicht insgesamt als halbherzig, zu sehr am Dekorativen orientiert, zur Banalisierung der gewiss nicht unproblematischen Vorlage neigend (die zwar ursprünglich als eine Art Operette mit gesprochenen Dialogen geplant war, im Laufe der Entstehungszeit zwischen 1923 und 1927 aber eben doch zu einer großen "romantischen Oper" mutierte) und in der Personenführung häufig über eine das Zuschauerinteresse nicht gerade beflügelnde Rampensteherei nicht hinauskommend. Und auch dem eigenen Anspruch, den "Wechsel von heiteren, komischen, leichten zu ernsten, pathetischen, tragischen Momenten zu betonen und herauszuarbeiten", wurde der Spielleiter nur ansatzweise gerecht. Immerhin versteht aber auch der wenig vorbereitete Zuschauer die elaborierte Story wenigstens in ihren Grundzügen, wozu auch die Übertitel mit dem leicht gekürzten und vereinfachten Text beitragen, die der immer weiter um sich greifenden Artikulationsnachlässigkeit vieler Interpreten Tür und Tor öffnen.

Klangbeispiel Klangbeispiel: "Zweite Brautnacht"
(MP3-Datei)


Natürlich ist es nicht einfach, die Hauptpartien dieser Oper zu besetzen, aber ich bin nachhaltig der Meinung, dass eine bloße Bewältigung der komplexen Aufgaben auch bei der ersten Beschäftigung damit zu wenig ist, denn wir haben es hier mit hochbezahlten Profis zu tun (man wundert sich angesichts der überall bejammerten leeren Kassen, dass das Aaltotheater Geld für drei prominente Gäste hat, zumal sich mit Jeffrey Dowd ein jugendlicher Heldentenor im Ensemble befindet), die niemand zur Vertragsunterschrift gezwungen hat. Nicht wenige Besucher hatten schon mit der Physis von Luana DeVol in der Rolle der schönsten Frau der Welt ihre Probleme, der Rezensent eher mit dem unerträglichen Wobble: In den ersten Takten der berühmten Soloszene "Zweite Brautnacht" konnte man kaum noch ausmachen, ob die Amerikanerin die notierten Töne sang oder nicht, die korrekte Ausführung der Triolen war durch den Umstand beinahe unmöglich gemacht, dass die im selten versuchten Piano noch am attraktivsten klingende, meistens aber nur forte eingesetzte Stimme unglaublich lang zum Einschwingen braucht, und auch das hinsichtlich Textverständlichkeit gegen Null gehende wonnige Gelalle und die gequält-knappen Töne oberhalb des Systems waren eine Pein, während es dem reifen Sopran in der tiefen Lage nach wie vor an Gewicht fehlt.

Szenenfoto Gibt es einen Neubeginn für Helena (Luana DeVol) und Menelas (Hendrik Vonk)?

Menelas ist die vielleicht gemeinste Partie, die sich Richard Strauss für Tenöre hat einfallen lassen, aber wer die Gage für sie entgegennimmt, der sollte sie auch beherrschen und mehr bieten als ein abgedunkeltes Stimmfundament und eine deutlich schwächere, hellere und die meiste Zeit nur durch gewaltsames Stemmen erreichte, auffällig häufig vom Orchester zugedeckte und damit nicht mehr hörbare, streckenweise auch einfach nur stumpfe, falsettierte oder ausgelassene Höhe eines zudem ein ausladendes Vibrato aufweisenden Charaktertenors wie der viel Hilfe vom Dirigenten benötigende Hendrik Vonk, der in der zweiten Vorstellung sogar ausgebuht worden sein soll. Helen Donath verfügt zwar im fünften Karrierejahrzehnt immer noch über eine weitgehend intakte Stimme, aber deren untere Mittellage und Tiefe, die hier gar nicht selten gefordert sind, klingen inzwischen doch ziemlich brustig und wenig liebenswürdig, einige der kräftigen Spitzentöne (wie das hohe C auf "Schönste!" im ersten Aufzug) klirren ein bisschen, und mir huscht die geschickt gewandete, sehr auf Textverständlichkeit achtende Künstlerin auch etwas zu "operettig" und neckisch über die Bühne - den frenetischen Beifall wird man also sicher auch als Dank für ihr Lebenswerk werten dürfen.

Bassist Almas Svilpa hat zwar die Höhe für die Heldenbaritonpartie des Altair, aber sie klingt ebenso glanzarm wie sein durch ein wirklich skandalöses Deutsch korrumpierter Vortrag unkultiviert, und auch Peter Bordings lyrischen Bariton hatte ich ruhig strömender in Erinnerung - ihm hatte man die in der Tat ziemlich tief liegende Tenorpartie des Da-ud übertragen. Elisabeth Hornungs Alt verfügt zwar über das nötige Fundament in der etwas dumpfen Tiefe, das man für die Partie der Muschel benötigt, aber in der Mittellage klafft ein unschönes Loch. Von den beiden Dienerinnen besitzt Astrid Kropp sicher die attraktivere Stimme, während man Marie-Helen Joel in Zukunft weniger Solorollen anvertrauen sollte; Christina Clark lieh der als Hermione verpflichteten Linda Graf ihre Stimme und führte zudem das ordentliche Elfenquartett an.

Stefan Soltesz, der seinen Vertrag als Opernintendant und Generalmusikdirektor Ende April bis 2007 verlängert hat und dem der Aufsichtsrat eine neue Option zur Vertragsverlängerung bis 2010 angeboten hat, hatte sich für eine weitgehend ungestrichene Präsentation der melodien- und klangfarbenreichen Partitur entschieden, was natürlich diskutabel ist - ob Clemens Krauss und Lothar Wallenstein nicht doch recht hatten, als sie für die Aufführungen im Salzburger Festspielsommer 1933 und an der Wiener Staatsoper eine szenische und musikalische Neufassung erstellten, an der Richard Strauss auch schöpferisch mitgewirkt hat und in der der zweite Akt einige Umstellungen und Kürzungen erfuhr und dramaturgisch gerafft und vereinfacht wurde (eine noch weiterreichende Bearbeitung besorgten der Regisseur Rudolf Hartmann und wiederum Clemens Krauss)? Immerhin sorgte der gebürtige Ungar für größtmögliche Transparenz, fand den richtigen Ton sowohl für die tänzerisch aufgelockerte Sphäre Aithras wie für die schwelgerisch-melodiöse Helenas, irritierte einmal nicht durch unangebrachte kapellmeisterliche Exzentrik und verhetzte Tempi, sondern stellte sich ganz in den Dienst der Sache, und da wäre es wirklich nicht angemessen, einzelne Spielfehler und Unsauberkeiten über zu bewerten.


FAZIT

Bei aller Dankbarkeit, Die ägyptische Helena nun auch einmal szenisch erlebt zu haben, fühlte ich mich nach der Premiere ein wenig wie Tannhäuser, der Venus' übergroßem Reiz meint entfliehen zu müssen, oder auch wie nach einem köstlichen, opulenten Essen, nach dem es einen nach einem kräftigen Schnaps verlangt: Alles an diesem "Nebenstrauss", den nicht wenige als rauschend-glitzernden, anachronistischen Bildungsbürger-Edelkitsch, als Kunsthandwerk empfinden, bei dem Strauss sich kräftig früherer Erfolgswerke (nicht nur der eigenen!) bedient hat, ist ein bisschen zu viel, und auch die Essener Neuproduktion ist nicht überzeugend genug ausgefallen, um dem verwirrenden Werk verspätet zu einem festen Platz im Repertoire zu verhelfen.


Ihre Meinung ?
Schreiben Sie uns einen Leserbrief
(Veröffentlichung vorbehalten)

Produktionsteam

Musikalische Leitung
Stefan Soltesz

Inszenierung und
Ausstattung
Gottfried Pilz

Choreographische und
szenische Mitarbeit
Joachim Siska

Choreinstudierung
Alexander Eberle

Licht
Hartmut Litzinger

Dramaturgie
Ina Wragge



Opernchor des
Aalto-Theaters

Statisterie des
Aalto-Theaters

Die Essener Philharmoniker



Solisten


Helena
Luana DeVol

Aithra
Helen Donath

Menelas
Hendrik Vonk

Altair
Almas Svilpa

Da-ud, sein Sohn
Peter Bording

Die alleswissende
Muschel
Elisabeth Hornung

Erste Dienerin
Astrid Knopp

Zweite Dienerin
Marie-Helen Joel

Erste Elfe
Christina Clark

Zweite Elfe
Sabine Brunke-Proll

Dritte Elfe
Stefanie Rodriguez

Vierte Elfe
Francisca Hahn

Stimme der
Hermione
Christina Clark

Hermione
Linda Graf






Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Theater Essen (Homepage)




Da capo al Fine

Zur OMM-Homepage Musiktheater-Startseite E-Mail Impressum
© 2003 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: oper@omm.de

- Fine -