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Tristan und Isolde

Handlung in drei Akten
Dichtung und Musik von Richard Wagner


Premiere in der Oper Frankfurt
am 25. Mai 2003


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Oper Frankfurt
(Homepage)
In permanenter Absturzgefahr

Von Ralf-Jochen Ehresmann / Fotos von Monika Rittershaus



Die Oper in Frankfurt/Main gibt sich nicht geizig und hat für den neuen Tristan namhafte Spitzenleute eingekauft, mit deren Leistung man sicher ebenso zufrieden sein darf wie das Premierenpublikum, dessen anhaltende Bravo-Stürme für die DarstellerInnen - bei deutlichen Buhs nur für das Produktionsteam - nicht grundlos tosten und eine gelungene Aufführung feierten.

Dabei waren es keineswegs schöne Bilder, die dieser Erinnerung Substanz verleihen werden. Jeder Aufzug spielt in einem Einheitsraum, und keiner von ihnen ist so beschaffen, dass man gerne länger darin verweilen wollte. Außerdem müsste man dazu höhenangstfrei sein, befindet man sich doch ungesichert in lichter Höhe, wohl ähnlich weltabgehoben wie das Titelpaar.

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Schädel in der Tüte: Hei! Unser Held Tristan, wie der Zins zahlen kann!

Scheinbar allegorisch zu verstehen ist der Wechsel des Lichtes. Diese Lichtsymbolik führt aber zu keinem Ergebnis. Ist in Akt 1 und 2 alles hellgrell, spielt der 3. Aufzug gruftig zwischen Tristans schwarzen Ledersesseln. Innerhalb der Aufzüge wird nicht gewechselt, so dass nicht einmal Isoldes Zertrümmerung der Hotelbettnachttischlampe eine nennenswerte Abdunkelung bringt. Ein guter Ansatz, die in der Dichtung allpräsente Tag/Nacht-Metaphorik aufgreifen zu wollen, warum aber dann doch nicht weiter damit arbeiten? Immerhin: Je fortschreitender das Drama selbst seine Gestalten aus dem Leben entlässt, desto mehr sinkt die Fallhöhe der Bühnenrampe, die gerade im 1.Aufzug bei soviel Hochseeambiente leicht durch eine Reling hätte gesichert werden können...

Vergrößerung in neuem Fenster Vitale Jagdgesellschaft in der Starre des 'Lebenden Bildes'

So aber entsteht die Enge anderweitig, wenn etwa Isolde in kaum je gesehener Aggressivität von Tristans Besatzung unter Rädelsführung des Steuermanns auch kollektiv angegangen wird und der "Chor der Höhner" nicht nur wie sonst meist aus dem Back sondern bühnenpräsent singen darf. Noch Morolds Schädel greift man auf und hängt ihr selbigen im bluttriefenden Stoffbeutel übers Haupt! Allerdings handelt Nel sich damit die Schwierigkeit ein, die Mannen möglichst geräuscharm mehrfach auftreten und wieder verschwinden lassen zu müssen, was nicht immer gleich gut gelingt und stellenweise für Unruhe sorgt.

Im Rahmen des Prinzips der Gleichzeitigkeit aller Teilvorgänge steht Tristan bei alledem bereits nebenbei, und endlich jetzt greift er ein und beendet den Spuk, wiewohl seine weitere Rede und insbesondere der begleitende Ausdruck nur eine Fortsetzung der Demütigung mit anderen oder gar teilweise denselben Mitteln erwarten lassen. Hier kommt die Inszenierung Christoph Nels zugleich an ihren entscheidenden Punkt, wo noch das Wenige an originärer Handlung im Sinne äußerlicher und nachspielbarer Vorfälle transzendiert wird zu einem ebenfalls nur innerlichen Vorgang, wenn also Tristan nicht wirklich von außen hinzutritt sondern bereits vorher alles hautnah - wenn auch regungslos - miterlebt hat, oder wenn Isolde sich von Brangäne berichten lassen will, was sie doch eh brühwarm mitbekommen hat, wo der jeweilige Aufenthaltsraum nicht mal ansatzweise getrennt gezeigt wird. Das setzt sich fort im "Nichtkampf" zwischen Tristan und Melot zuende des 2. Aufzuges, wo Melots Taschenmesser kaum ausreichen dürfte, um einem stattlich gewachsen Mann von Tristans Statur zufallzubringen. Dahinein gehört ebenfalls das Nichterscheinen von Küste und König, die offenbar seit Trankgenuss auch nur noch Hirnkategorien in Tristans und Isoldes Parallelwahn abgeben. Was hier im Finale des 2. Aufzuges noch denkbar bleibt, bekommt problematisch Schlagseite, wenn Tristans Fieberwahn im 3. Aufzug seine Ärztin tatsächlich herbeizuphantasieren vermag, dieser aber noch ein weiteres, ebenfalls nur teichoskopisch angedeutetes Schiff folgen muss, auf dem König Marke erscheint, der immerhin die Bühne real betritt; Nels Inszenierung verlegt auch dies ganz in Isoldes Wähnen.

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Sie zu löschen zag ich nicht! / Fiat nox - et fiebat!

Andere körperhafte Vorgänge geraten wiederum sehr intensiv, sei es nun die stürmische Begegnung der Liebenden im 2. Aufzug oder vorher Isoldes offensive und ganz unmajestätische Art, sich Tristans zu bemächtigen und ihm ihre Forderung vorzutragen, wenn sie ihn am Revers packt, durchschüttelt und man eigentlich nur noch darauf wartet: Na schlägt sie ihn gleich?

Gar nicht wähnend sondern real präsent ist Melots Jagdgesellschaft. Steht diese während des Vorspiels zum 2. Aufzug in universaler Starre als Ausdruck von Lähmung und Beklemmung im gesamten Bühnenraum herum, so bleibt sie durch übergroße Scheiben gleich transparenten Wänden auch noch dann am Geschehen, wo das Paar sich offenkundig alleine wähnt oder bereits jedes Gespür für die umgebende Außenwelt verloren hat. Für letztere Deutung spricht sicher auch die Folgenlosigkeit der Prozessualisierung jenes Plots, wo Melot, Marke und Mannen sonst stürmisch ins Gemach eindringen und hier bereits eine ganze Weile anwesend sind, ohne dass es Tristan oder Isolde irgendwie beeindrucken würde.

Vergrößerung in neuem Fenster Ohne Schmachten - hold Umnachten

Diese allgemeine Lethargie des Bühnengeschehens lockert sich nur selten wie etwa bei Isoldes Verteilen jener zahlreichen Sträuße weißer Chrysanthemen im ganzen Gemach, die so bedeutungsvoll jene spätmittelalterliche Grab-Darstellung und die darauf sprießenden Lilien aufgreift, die hernach noch in der Kunstgeschichte so manche Reprise erfahren hat und folgerichtig gleich die Eingangsseiten des Programmheftes ziert. Dieses Buch von immerhin 72 Seiten, das neben zahlreichen Fotos dieser Produktion und mehreren anspruchsvollen Beiträgen zum Thema, die über das sonst allerorten anzutreffende Einerlei hinausgehen und eine klare Linie in der Auswahl der Zitate erkennen lassen, wobei die Präferenz der ‚großen Namen' auch hier spürbar durchschimmert, bietet auch einen Originalbeitrag des Dramaturgen, der sich mit den Strichen auseinandersetzt, die man dem Werk sonst fürgewöhnlich antut - wie z.B. zuletzt in Duisburg oder Dortmund - und die hier endlich einmal ungekürzt dargeboten wurden.

Das hinderte Paolo Carignani freilich nicht daran, eine zeitlich dennoch ungewöhnlich kurze Aufführung zu präsentieren. Mit seinen überforschen Tempi tut er dem Ganzen damit wahrlich keinen guten Dienst, verlangt doch die ganze Aura des Werkes eine reziproke Behandlung der musikalischen Geschwindigkeit. Turbosehnsucht ist weder romantisch noch modern sondern einfach daneben! Auch der Synthese der verschiedenen Orchestergruppen kam diese herz- und seelenlose Hetzerei nicht zugute. Sehnlich wünschte man sich einen Bayreuther Deckel über dem Graben, um eine bessere Verschmelzung des Gesamtklanges zu erzielen. Dafür war Carignani allerdings bereit, erhebliche dynamische Steigerungen auszureizen und dabei echte forti zuzulassen. Eine entschiedene Deutung blieb bei alledem aber unkenntlich: Weder analytische Durchhörbarkeit noch verspätet romantisierender Syntheserausch scheinen das Konzept vorgegeben zu haben, wohl eher die ungeduldige Vorfreude auf das anschließende Buffet!

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Der Freund der bürgerlichen Ordnung

Ein Blick auf die Liste der Mitwirkenden klärte frühzeitig darüber auf, dass eine fast vollständig anglophone Besetzung zu hören war. Angesichts dessen wies die Sprachbeherrschung und daraus resultierende Textverständlichkeit erstaunliches Niveau auf, mit dem eigentlich nur Louise Winter als Brangäne nicht mithalten konnte, abgesehen von kleineren Abstrichen bei Frances Ginzer als Isolde. Hier half wiederum die durchgängige Einblendung der Übertexte in mittlerweile fester Frankfurter Tradition. Jedenfalls ist Frances Ginzer auf dem Wege zur Gewinnung weiterer Dramatik erheblich vorankommen und vermochte ihren bisweilen reichlichen Vibratoeinsatz wohltuend zu reduzieren. Dadurch konnte sie auch manch selten zu hörenden Farbreichtum der Stimmungen entfalten und dadurch der Partie neue Seiten abgewinnen. Blendend gelang ihr jene tändelnde Unbefangenheit, die sich im mädchenhaften Balancierspiel während des ungehaltenen Zuwartens auf Tristans Erscheinen unvergesslich in den Kanon meisterlicher Bilder eingeschrieben hat. Auch John Treleaven als Tristan hat eine mehr als passable Leistung gezeigt, ohne eine Erinnerung für die Ewigkeit zurückgelassen zu haben. An seinen alten Ruhm anzuknüpfen will ihm scheinbar nicht mehr so recht gelingen; den riesigen Frankfurter Raum jedenfalls füllte er nur teilweise aus und bedurfte für den Ausdruck extremer Anstrengung am Rande der Kräfte nicht erst einer Verletzung durch Melot. Immerhin hatte man dann wohlwollend sein Siechbett ganz nach vorne rampennah postiert. Die Leidenspose verkörperte er jedenfalls viel intensiver denn die des strahlenden Oberkapitäns.

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Todt denn alles! Alles todt?

Das größte Verdienst kommt eindeutig Gregory Frank als König Marke zu, dessen tiefe Tonlage tragend und schwebend zugleich veritablen Ausdruck bei optimaler Verständlichkeit noch im pianissimo garantierte. Und Gerd Grochowski startet mittlerweile völlig durch, sammelt er nun reihenweise Wagnerpartien zusammen und überzeugt damit immer mehr. Sein Kurwenal zählt ganz unstreitig zu den einsamen Höhepunkten und bewährt sich noch dort, wo Nel ihm kaum eine Chance auf Glaubwürdigkeit zugesteht. Rundum gelungen auch die lange Zwiesprache mit dem Hirten vor Tristans Erwachen, der Michael McCown als eine exzellente Besetzung in kleiner Nebenrolle zeigte, die Appetit auf mehr macht. Gerade sein schauspielerisches Vermögen füllte die wenigen Gestaltungsvorgaben mit so viel Leben und Charakter eines göttlich hilflosen Verehrers seines alten Herrn, dessen neues Leiden gerade in seiner Unverstandenheit nur um so größere und geradezu erbarmungsheischige Anhänglichkeit in ihm auslöst. Man darf gespannt zuwarten, was wir hier noch alles zu sehen bekommen werden!


FAZIT

Bei manch guter Einzelleistung neben den Hauptrollen bleibt das unbestimmte Gefühl, Bilder ohne wirkliche Story gesehen zu haben, da weniger ein einheitliches Gesamt- sondern vielmehr mehrere parallele Konzepte vorgelegen zu haben scheinen. Bis zur Wiederaufnahme nach der Sommerpause ließe sich gewiss noch ein großer Wurf draus basteln! Doch auch mit 1a-Besetzung in sämtlichen Partien wäre damit gegen soviel geisttötende Raserei nur wenig auszurichten.


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Produktionsteam



* Besetzung der Premiere

Musikalische Leitung
Paolo Carignani

Inszenierung
Christof Nel

Szenische Analyse
Martina Jochem

Bühnenbild
Jens Kilian

Licht
Olaf Winter

Kostüme
Margit Koppendorfer

Dramaturgie
Zsolt Horpácsy

Chor
Andrés Máspero



Heerenchor der Oper Frankfurt
Statisterie der Oper Frankfurt
Frankfurter Museumsorchester


Solisten

Tristan
John Treleaven

König Marke
Gregory Frank

Isolde
Frances Ginzer* /
Susan Bullock

Kurwenal
Gerd Grochowski

Melot
Nathaniel Webster

Brangäne
Louise Winter

Hirt
Michael McCown

Ein junger Seemann
Peter Marsh

Steuermann
Gérard Lavalle



Weitere Informationen
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Oper Frankfurt
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