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Innere Dialoge einer zu früh Dahingeschiedenen
Von Ralf Jochen Ehresmann
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Fotos von Rudolf Majer-Finkes Um es gleich vorweg zu sagen: Das Mysterium entmythologisiert sich nicht, das Rätsel bleibt erhalten. Wollte der Klassiker Friedrich Schiller in seiner "Jungfrau von Orleans" anstelle der simplen Nacherzählung historischer Vorfälle und deren frommer Deutung das Kräftespiel realer Mächte, deren subjektive Beweggründe und auf dem Hintergrund dieser Folie den letztendlichen Untergang seiner Gestalten nachvollziehbar motivieren, so finden wir bei Honegger nur mehr eine ratlose junge Frau in verfahrener Lage, die heftig hadert mit einem Schicksal, das ihr von grotesken Tiergestalten, wetteifernden Spielkarten und einem absurden Gericht bereitet wird, worüber sie jedem Anspruch auf rationale Deutbarkeit abschwört. théâtre absurd - das Hohe Gericht in Aktion.
Klangbeispiel:
Aus: Jeanne in Flammen
Während der gesamten Zeit verharrt sie vorn und deklamiert entsprechend ihrer Sprechrolle ihre Verse ins Proszenium, derweil der ganze "Tragödienstadl" sich hinter ihrem Rücken zusammenbraut, bis dass sie letztlich dessen Fatum akzeptiert, die peu a peu sich erleuchtenden Stufen des Chorgestells emporsteigt und durch eine Tür dem ungemütlichen Karneval entweicht, allerdings La Vierge - ihr alter ego - als letzte Trägerin von Bewusstsein unten zurücklässt. Erhebt sich zubeginn ein falber Glanz aus tiefer Düsternis, so bleibt ansonsten alles nur hellweiß, die ganze Bühne wie auch sämtliche Kostüme. Uneingeschränkt loben wir die Enthaltsamkeit in der Bebilderung, die andererseits kaum noch den Begriff "Inszenierung" angemessen erscheinen lässt, wodurch jedoch unzweifelhaft Dichters Wille vollstreckt wird, der ja absichtlich nicht die Form der Oper sondern eines "oratorio dramatique" gewählt hat. Demzufolge ist der Chor wie in konzertanten Aufführungen üblich an aufsteigenden Pultreihen untergebracht, vor denen von Zeit zu Zeit einzelne neuauftretende Gestalten auf Sockeln hereingefahren werden, all dies hinter Jeanne d'Arcs Rücken. Schizophrenie in praktischer Hinsicht - die Heilige und ihr alter ego.
Zum Thema Bühnenbild und Licht ist damit auch schon fast alles gesagt, und die Musik in ihrer absichtsvollen Sprödigkeit bei ohnehin großem Sprechanteil der Titelheldin bot kaum Raum für persönliche Profilierung einzelner SolistInnen. Erwähnenswert daher die erhebliche Rolle des Chores und dessen Herausforderung zu stilistischer Vielfalt - wie stets in einer Musikrichtung, die sich weit weniger als eigene Neuausrichtung versteht sondern vielmehr mit disparatem Material spielt und dabei gezielt changiert. Dorthin gehört auch die Auszeichnung für den Kinderchor der Städtischen Musikschule, der in der Liga gleichartiger Jugendensembles sicherlich zur Spitzenliga gerechnet werden darf. Lob auch für Johanna Krumin als La Vierge sowie Regine Hermann und Marie-Belle Sandis als die beiden Heiligen, Marguerite und Catherine. Hier wurden die Chancen zu persönlichem Ausdruck jenseits aller allegorischen Marionettenmechanik gut genutzt, was Jean Francois Sivadier in der 2. großen Sprechrolle als Frère Dominique tendenziell auch gelang, wobei man gewünscht hätte, die Doppelbödigkeit seiner Funktion als seelsorgerlicher Freund einerseits und dienstloyaler Exekutor der mörderischen Amtskirche etwas transparenter zu gestalten. Das Unausweichliche zieht uns hinein - und den St.Sebastiansarm in die Höhe.
Das Orchester als die große "Konstante" bei diesem Stück folgte beherzt der angemessenen Leitung Marc Piollets und zeigte sich versiert sowohl in den eher auratischen wie bei den rhythmisch bis ins Jazzgebiet vordringenden Passagen und vermochte auch selten anzutreffende Instrumente wie die Ondes Martinot von Valérie Hartmann Claverie zu integrieren. Dass nun auf einer Opernbühne die zentrale Protagonistin - bis auf eine kurze Passage kurz vor Schluss - selbst nicht singt, ist sicherlich ein eher ungewöhnlicher Vorgang, der allerdings der angemessenen Würdigung für die immense Leistung der Dörte Lyssewski vom Bochumer Schauspielhaus als Jeanne d'Arc keinen Abbruch tun darf, ist er doch zugleich verheißungsvoller Ansatz für neue Formen der Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Häusern des Reviers und ihrer unterschiedlichen Schwerpunktausbildung, deren Fortsetzung das engagierte Programm der Ruhrtriennale anspruchsvoll inaussicht stellt, deren Eröffnung wir hiermit beiwohnen durften.
Eine bizarre Mixtur aus heiterer Mythologie und Sinnverlust als prägender Erfahrung der Moderne, musikalisch einwandfrei, die bei aller Angemessenheit der Mittel dennoch eine gewisse Ratlosigkeit zurücklässt Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Licht
Dramaturgie
Chor
Kinderchor
Solisten* AlternativbesetzungJeanne d'Arc Dörte Lyssewski
Frère Dominique
La Vierge
Marguerite
Catherine
Porcus
Voix/Hérault/Clerc
Voix/Hérault/Paysan
Heurtebise/Pêtre
La Mère aux Tonneaux
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