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Die üblichen Verdächtigen
Von Stefan Schmöe
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Fotos von Olaf Struck
Mit der illustren New Yorker Metropolitan Opera zu konkurrieren, ist für ein kleines, bescheidenes Theater in Hagen eine Art Auszeichnung; allzu oft dürften die beiden ungleichen Häuser schließlich nicht in einem Atemzug genannt werden. Und wenn sich zwei Theater in transatlantischem Wettstreit um ein Werk des zeitgenössischen Musiktheaters balgen, dann dürfte selbiges nicht ganz schlecht sein. Andererseits steht die MET nicht eben im Ruf, ein Tempel der musikalischen Avantgarde zu sein, und im alten Europa gelten (zumindest bei der Kritik) andere Maßstäbe als in der weniger subventionsverwöhnten und deshalb stärker auf Publikumszuspruch angewiesenen Neuen Welt. Jedenfalls verschob das Theater Hagen die traditionell zum Saisonstart erwartete Auseinandersetzung mit einem Werk des zeitgenössischen Musiktheaters auf den Februar, weil sich die MET die Rechte an der zweiten Produktion von A View from the Bridge (uraufgeführt 1999 an der Chicago Lyric Opera) gesichert und die Oper im Dezember 2002 zur Premiere gebracht hatte.
Die Oper adaptiert das gleichnamige, 1955 entstandene Drama von Arthur Miller, das im New Yorker Hafen- und Immigrantenmilieus spielt. Der Hafenarbeiter Eddie Carbone nimmt zwei illegal eingereiste italienische Vettern seiner Frau Beatrice, Rodolpho und Mario, auf. Rodolpho verliebt sich in Eddies Nichte und Pflegetochter Catherine und provoziert die Eifersucht des Hausherrn, der dem häuslichen, gar nicht männlichen Klischees gehorchenden Rodolpho homosexuelle Neigungen unterstellt, um Catherines Interesse an diesem zu mindern. Als alle Mittel versagen, denunziert Eddie die beiden Italiener bei der Polizei und wird schließlich von Mario in einem Zweikampf erstochen. Miller gibt dem Drama Züge der griechischen Tragödie, nicht zuletzt durch die Verwendung eines quasi antiken Chores, und das hat auch den Komponisten an diesem Stück gereizt. Der Stoff hätte, nur geringfügig variiert, durchaus tagesaktuelle Brisanz: Ein spießiger Kleinbürger dreht durch, als sich seine Tochter in einen Ausländer verliebt in das Deutschland der 90er-Jahre transportiert könnte Eddie zum Personal eines durchschnittlich ambitionierten Tatort gehören. Aber gerade diese Aktualität verweigern Bolcom und Arnold Weinstein, der aus dem Drama das Libretto extrahiert hat. Sie verwurzeln unter Berufung auf Miller A View from the Bridge fest im dumpfen 50er-Jahre-Milieu, und dadurch erscheint die Oper noch einmal verstärkt durch die werktreue Inszenierung Robert Tannenbaums wie ein Werk aus ziemlich ferner Vergangenheit.
Die eigentliche Schwäche aber ist das Fehlen einer klaren Perspektive. Formal wird das Werk gegliedert durch einen Erzähler, den Rechtsanwalt Alfieri (der als Chorführer agiert); andererseits soll die Tragödie Eddies, der die Realität (den Verlust seines Einflusses auf Catherine) nicht verkraften kann, Kern des Dramas sein. Beides gelingt nicht, denn weder der eine noch der andere Blickwinkel wird eingehalten. Alfieri ist eine (im Grunde überflüssige) Randfigur, denn das Objektivierende, was dessen Erzählerfunktion haben könnte, wird zu Gunsten einer unmittelbar und beinahe veristisch erzählenden, konservativen Struktur zurückgenommen. Aber auch das Spannungsgefüge unter den Hauptfiguren ist zu wenig herausgearbeitet. Eddie hat vier Gegenspieler: seine vernachlässigte und gedemütigte Frau Beatrice, die zur erwachsen Frau herangereifte Catherine mit ihrem Anspruch auf Selbstbestimmung, den netten und leicht verträumten Rodolpho und den von italienischem Stolz und Ehrgefühl besessenen Mario. Nur wird Eddie (auch musikalisch) zu wenig aufgebaut, um in dieser Eins-gegen-vier-Situation dramaturgisch bestehen zu können. Am deutlichsten wird das in dem Moment, als Eddie die Vettern bei der Polizei denunziert: Bereits der entscheidende Telefonanruf, der den Höhepunkt des Dramas ausmachen könnte, wird fast nebensächlich abgehandelt, und die Situation schreit förmlich danach, von einer großen Arie Eddies kommentiert zu werden. Den großen Auftritt des zweiten Aktes geben Bolcom und Weinstein aber nicht Eddie, sondern Mario in Form einer unsäglich kitschigen, neoromantischen Arie, in der er sein Schicksal beklagt. So verschwimmen die Charaktere, und zurück bleiben gesichtslos stilisierte Rollentypisierungen aus dem Fundus des vorvorigen Jahrhunderts wie das unschuldig verfolgte Liebespaar, die Mutter als Vertraute, der böse Widersacher usw. sozusagen die üblichen Verdächtigen der Operngeschichte.
Die Musik verläuft, das zumindest ist der Eindruck beim einmaligen Hören, relativ konsequent gemäß der Formel: Erst einmal ein tonales Motiv mehrfach vorspielen, dann mehr und mehr mit Dissonanzen überlagern. Ein paar Tanzrhythmen hat Bolcom auch eingebaut, so dass für jeden etwas dabei ist. Das Ergebnis klingt mäßig (aber nicht verstörend) modern und ist durchaus interessant zu hören, hinterlässt aber kaum einmal den Eindruck, die Musik sei wirklich notwendig. Gelegentliche Ausrutscher ins Sentimentale bieten den Sängern Möglichkeiten zu effektvollen Arien mit Szenenapplaus ein Rückgriff auf Modelle des 19. Jahrhunderts, künstlerisch wenig überzeugend.
Regisseur Robert Tannenbaum hebt die archaischen, zeitlosen Elemente des Werkes hervor, indem er auf Requisiten weitgehend verzichtet. Die drehbare Bühne (Ausstattung: Peter Werner) wird von einer riesigen Treppe beherrscht, die gleichzeitig Tribüne für den Chor ist. Auf den Seiten sieht man, schräg gestellt wie ein sinkendes Schiff, Vorder- und Hinterfront eines schäbigen Brooklyner Mietshauses, was gleichzeitig den Raum für öffentliche und private Sphäre abgibt. Diese eindrucksvolle und assoziationsreiche Raumlösung wird jedoch relativiert durch die Kostüme im Stil der 50er-Jahre, die den zeitlichen Bezug (und damit auch die oben angesprochene historische Distanz) herstellen. Die Personenregie ist durch und durch solide, aber verstärkt eben dadurch auch den angestaubten Charakter des Sujets.
Mehr als achtbar ist dem Hagener Theater die musikalische Umsetzung gelungen. Bernd Valentin verkörpert den Eddie auch musikalisch gelungen als Underdog, dessen Gewalttätigkeit stets mit Hilflosigkeit verbunden ist. Magdalena Bränland (Catherine) und Dagmar Hesse (Beatrice) sind attraktive und klangschöne, selbstbewusste Frauen. Kor-Jan Dusseljee ist ein heldentenoraler Rodolpho, beinahe zu kraftvoll für die Rolle eines angeblich unmännlichen Liebhabers. Und Jae Jun Lee wird dem schalen Pathos seiner Rolle als Marco stimmlich voll gerecht viel mehr ist da wohl nicht herauszuholen. Mathias Mann als Chorführer Alfieri und der Chor des Hagener Theaters singen durchweg zuverlässig. Das Philharmonische Orchester Hagen, dirigiert von Georg Fritzsch, begleitet transparent und unaufdringlich. Vom Premierenpublikum gab es viel Applaus für alle Beteiligten.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Ausstattung
Choreinstudierung
Dramaturgie
SolistenAlfieri, RechtsanwaltMathias Mann
Eddie Carbone
Catherine, Eddies Nichte
Beatrice, Eddies Frau
Rodolpho
Marco
Louis, Hafenarbeiter
Mike, Hafenarbeiter
Tony, Hafenarbeiter
Erster Polizist
Zweiter Polizist
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- Fine -