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Aus 3 mach eins Mit Belcanto in die kalkulierte Katastrophe Von Ralf Jochen Ehresmann / Fotos von Klaus Lefebvre
Da hat Manfred Trojahn wieder eine Oper abgeliefert, die von Stil und Ausmaß sicher eher in ein Barocktheaterchen passen möchte, die aber jetzt im Riesenhaus der Kölner Oper ihre gelungene Uraufführung begehen konnte. Dabei hat der Altmeister der gemäßigten Avantgarde seinem Kölner Publikum durchaus überforderungsfreie Kost mit hochcantablen Melodien zugehör gebracht, wofür sich dieses mit freundlichem, buhfreien Applaus bedankte. "was ich täte, wenn ich wüsste..." - Vernichtung im Als-Ob. Librettist Wolfgang Wollaschek hat 3 Erzählungen von Luigi Pirandello (Der Schraubstock und Limonen aus Sizilien) und Eduardo De Filippo (Eine Freundschaft) fusioniert und bei Austauschung einiger Namen einige Personen zu Wiedergängern ihrer selbst gemacht, so dass diese fast-wagnersche Melange ein neues Ganzes hat entstehen lassen. Der Bezug auf Puccinis trittico als "großem Bruder" ist offensichtlich, und die Bezeichnung als tritticino ist wohl nur fallengelassen worden, um den abfälligen Beigeschmack der Verkleinerungsform im Italienischen nicht aufkommen zu lassen. wenn man merkt, das man nicht mehr dazugehört
Die Handlung geht im Wesentlichen so: Junior und Senior gleichzeitig: Micuccio im Doppelpack Trojahn nun hat die 3 Teile so verbunden, dass ohne wirkliche Unterbrechung mit Aktschluss und Vorhang dennoch eine klare Unterteilung erkennbar wird, zumal ja ein Teil des Personals sich austauscht. Die Übersichtlichkeit freilich fördert es nicht unbedingt, wenn einzelne DarstellerInnen als jemand Anderes wieder auftreten und gleichzeitig eine bestimmte Person gleich doppelt auf der Bühne steht, einmal jung und einmal 40 Jahre älter. Nach der in Köln getroffenen Aufteilung kommt man also mit 7 SängerInnen aus, um 11 bzw. 12 Partien zu gestalten. Die Musik entfaltet einen unerhörten Farbenreichtum, ohne beliebig zu wirken, liefert stellenweise reinsten Belcanto - ohne dabei in überkommene Harmonik zu flüchten. Die gibt es freilich auch, jedoch wohldosiert und nur als eingestreuter Fremdkörper, quasi als Statthalter der bestimmten Negation, als Residuum verlorener Schönheit in einer Welt voller Enttäuschung, Entfremdung und Entweihung. Brennpunktartig materialisiert sich dies im "Lied von den 3 Limonen", das Sentas Ballade ähnlich als Keimzelle der dramatischen Idee fungiert, die hier zugleich das einzige fassliche Bindeglied zwischen den 3 Bildern abgibt. Bei den Kindheitsreminiszenzen darf das Duo sogar in Sextparallelen dahinschwärmen, und selbst noch hier entsteht kein Kitsch.
Dafür ist die Behandlung des Orchesters wesentlich verantwortlich, das Trojahn zusammenstellt aus lediglich 17 Instrumentalisten, darunter 7 Streichern. Abgesehen von der freundlichen Geste an die Stadt Köln und ihre finanziellen Nöte, verdichtet sich dadurch zudem die ohnehin insgesamt kammermusikalische Anlage der ganzen Oper, nicht nur des Orchesters. Im Bühnenvordergrund aufgestellt ist es weit stärker präsent, als wenn es wie sonst im Graben verschwände. Diese Anordnung ermöglicht zugleich einige Interaktion mit Darstellern, wenn etwa Micuccio jun. dem Dirigenten einen Limonensaft frisch auspresst. Umgesetzt wurde die gänzlich neue Vorlage durch ein exzellent besetztes Spitzenensemble. Größtes Lob an Melanie Walz als eingangs betrügende Ehefrau Giulia und später verwandelte Sängerin Teresina, letzteres v.a. ob ihrer mutigen, gekonnten Darstellung. Faszinierend ebenso die Wandlungen der Julie Kaufmann, auch sie doppelt präsent einerseits als Teresinas Mutter "Tante" Marta wie als Carolina Fabbri, Micuccios Schwester, die den Rollstuhlfahrer pflegt. Astrein und voller Leichtigkeit in fast durchgängig hoher Lage meistert sie alle Schwierigkeiten der Partien souverän und klangschön zugleich.
Thomas Mohr gibt im 1. Bild den gehörnten Gatten Andrea Fabbri, der seine Betrogenheit bestens auszukosten weiß
und seine Schuld wahrscheinlich dadurch büßt, dass er im 3.Bild als unfreiwilliger Komiker Alberto Serra
allerhand Klamauk zur Belustigung seines früheren Freundes Micuccio aufführt, um anschließend von diesem Simulanten sich demütigen zu lassen, zu welchem finalen Show-down sämtliche Mitwirkenden aller Stücke in die Schaukastenhochbühne sich versammeln.
Martin Finke als Micuccio sen. fand offenkundig großes Gefallen an seiner Unzurechnungsfähigkeit mit eingeschlossenem Recht zur Tyrannisierung der Umwelt; der dazugehörige Quäkgesang gelang jedenfalls zur spürbaren Erheiterung des Publikums, insbesondere beim Krächzduett mit Freund Alberto. Anderw Collis als Eheeindringling Antonio sowie als Türsteher Ferdinando und Regina Richter als Haushälterin in beiden Pirandello-Bildern sind die eher leichteren Partien dieser Kammeroper anvertraut, die auch sie mit viel Verve, großer Spielfreude und im Vergleich zu den vorgenanten Schwergewichten ungeminderter Intonationssicherheit ausgestalten. Der genius loci Günter Krämer machte noch einmal vom Hausrecht Gebrauch und inszenierte gleich selbst. Wesentliches Gestaltungsmerkmal wäre die Aufteilung der Spielstätte in einen Schaukasten hinter und oberhalb des Orchesters einerseits sowie am vorderen Bühnenrand inklusive Mitbenutzung des höhenverstellbaren Orchestergrabens andererseits. Spärliche Requisiten werden durch intensive Lichtregie und einfallsreiche Kostümierung aufgewertet, wie überhaupt kein Platz für Überflüssiges vorhanden ist in diesen 70 min, die sich etwa 15+30+25 aufteilen. Das Orchester folgt dem engagierten und stellenweise beswingten Dirigat Jürg Henebergers präzise und aufmerksam und deckt die SängerInnen niemals zu. Selten ist ein Programmheft so sinn- und wertvoll zugleich wie hier, dessen Anschaffung unbedingt zu empfehlen ist.
Eine sehr engagierte Produktion eines wirklich neuen Werkes, das weder reaktionär noch avantgardistisch verfährt und dem zu wünschen ist, dass es seinen Weg auf viele weitere Bühnen finden möchte, wofür der Name des Komponisten sicher manche Türe öffnen wird, auch wenn Prophezeiungen über den längerfristigen Verbleib in den Spielplänen und Übergang ins Repertoire seriöserweise unterbleiben müssen. Die Reise nach Köln ist rückhaltlos zu empfehlen! Ihre Meinung ? Schreiben Sie uns einen Leserbrief |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Licht
SolistenDer Schraubstock Giulia FabbriMelanie Walz
Andrea Fabbri
Antonio Serra
Anna
Limonen aus Sizilien
Micuccio Fabbri
Teresina Marnis
Marta Marnis
Ferdinando
Dorina
Eine Freundschaft
Micuccio Fabbri
Carolina Fabbri
Alberto Serra
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- Fine -