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Pauschalurlaub auf dem Mond
Von Stefan Schmöe
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Fotos von Matthias Stutte
Als Joseph Haydn 1777 Il mondo della luna für das Schlosstheater von Eszterháza komponierte, griff er auf einen bewährten und mehrfach opernerprobten Stoff von Goldoni zurück: Eine unterhaltsame Komödie um den Hobbyastronomen Buonafede, dem vorgegaukelt wird, er sei auf dem Mond gelandet, damit er in die Ehepläne seiner beiden Töchter einwilligt. Die Musik, mit vielen lyrischen Nummern durchsetzt, hebt zumindest stellenweise den Stoff über die naive Komödie hinaus: Dass sich im scheinbar harmlosen Verwirrspiel wahre Gefühle offenbaren, stellt das Werk in die Nähe von Cosí fan tutte, die finale Einsicht Buonafedes, als Trottel aus dem Spiel hervorgegangen zu sein und sich in alles Weitere fügen zu müssen, deutet auf die Figur des Falstaff hin wobei Haydn weit entfernt von der Schärfe eines Mozart oder gar Verdi entfernt ist. In Eszterháza wird man das als qualitätsvolle Unterhaltung höchsten Ranges angesehen haben; im Zuge der heutigen zaghaften Wiederentdeckung des Opernkomponisten Haydn stellt sich die Frage, wo man Il mondo della luna auf der Skala zwischen harmloser Komödie und giftiger Farce ansetzt. Mönchengladbacher Wirtschaftswunder: Buonafede wird von Kammerzofe Lisetta und deren Liebhaber Cecco abgestaubt ...
Brigitta Bidlingmaier versetzt die Handlung in spießiges Nachkriegsmilieu, wo der allein erziehende Vater Buonafede auf Anstand und Moral seiner Töchter Clarice und Flaminia bedacht ist. Den Mond sieht er nicht durch das Fernrohr, sondern im nagelneuen Fernseher, und die imaginierte Mondwelt setzt sich aus dem bunten Konsum-Kitsch zwischen Gogomobil und Pauschalreise zusammen. Als Ergebnis ist ein flottes, nett zu lesendes Programmheft (Redaktion: Sylvia Roth) entstanden. Auf der Bühne dagegen will sich Wirtschaftswunderatmosphäre nicht so recht einstellen. Das liegt zunächst am durchdachten, aber wenig praktikablen Bühnenbild von Mayke Hegger: Eine abstrakte Schrankwandlandschaft im Hause Buonafede suggeriert gleichzeitig eine aus großer Höhe betrachtete Stadtlandschaft und deutet auf den vermeintlichen Mondflug hin, lässt das Personal aber im freien Raum zurück, wo muffige Behaglichkeit dringend von Nöten wäre. Die kugelschalenförmig gewölbte Spielfläche mag man zunächst als Symbol für die Erde, später umgedeutet als überdimensionierten Wasserball interpretieren, aber diese zugegeben hübsche Metaphorik hilft der Inszenierung kaum weiter. ... und tritt einen Pauschalurlaub zum Mond an, der irgendwo an der Adria liegen muss ...
Nimmt man den ebenso heirats- wie einkaufswütigen Töchtern Clarice (Barbara Cramm) und Flaminia (Debra Hays), beide stimmlich agil und ebenso überzeugend wie die von Uta Christina Georg mit lässigem Charme gespielte und gesungene Kammerzofe Lisetta, ihre Rollen als rebellierende Teenager noch ab, so verkörpert der (gesanglich solide) Michael Tews einen braven Haustyrannen im konventionellen Komödienstil, der allen Versuchen, die Handlung zeitlich zu fixieren, widersteht. Man ist entfernt an biedere Filmkomödien im Stile Heinz Erhardts erinnert, aber die Personenregie ist viel zu beliebig, als dass man von einem gewollten Element sprechen könnte. Die Herren Ecclitico (angestrengt: Man-Taek Ha), Ernesto (mit agilem, stellenweise scharfem Countertenor: Frank Valentin) und Cecco (akzeptabel, aber unauffällig: Garrie Davislim) radebrechen mit gewollt ausländischem Akzent, was in seinem bemühten Witz im plumpem Gegensatz zu den komödiantisch leichten Dialogen, eigens für diese Aufführung von Brigitta Bidlingmaier und Sylvia Roth überarbeitet, steht. ... aber alles ist ja nur ein Spiel. Ein Eierlikörchen für alle hilft über den Schmerz hinweg.
Für einige Lacher gut ist die in Bermudas gewandete Spaßgesellschaft auf dem Mond, wobei sich die Regie kaum noch um Haydns immer weniger passende Musik (die von den Niederrheinischen Sinfonikern, umsichtig geleitet von Ulrich Wagner, dennoch unverdrossen und kammermusikalisch fein musiziert wird) kümmert. Am Grundproblem ändert sich nichts: Die Inszenierung behauptet zwar, in den 50er-Jahren angesiedelt zu sein, zitiert diese aber bestenfalls mit ein paar Requisiten wie dem zum Finale servierten Verpoorten-Eierlikör. Bettina Lell hat zum Saisonbeginn in ihrer (an anderen Dingen gescheiterten) Kinderfassung der Oper in Gelsenkirchen sehr viel souveräner die Spießigkeit der Nachkriegsära eingefangen, auch viel exakter mit den Personen gearbeitet: Gerade im direkten Vergleich werden die Nachlässigkeiten der Mönchengladbach-Krefelder Produktion eklatant deutlich. Selbst in der Kinderfassung ist die Nähe zur Farce, die gewollte Absurdität greifbarer als im unentschlossenen Zugriff von Brigitta Bidlingmaier. Auf der eingangs erwähnten Skala zwischen Commedia Dell'Arte und Farce findet diese Regie einen recht rustikalen Platz: Als derber Schwank.
Harmlose Komödie mit mittelprächtigem Spaßfaktor. Akzeptabel vom Unterhaltungswert; zu wenig, um Haydn gerecht zu werden. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung Bühnenbild und Kostüme
Choreinstudierung
Dramaturgie
Solisten* Besetzung der PremiereEcclitico Man-Taek Ha
Ernesto
Buonafede
Clarice
Flaminia
Lisetta
Cecco
Schüler, Kavaliere
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