Zur OMM-Homepage Zur OMM-Homepage Veranstaltungen & Kritiken
Musiktheater
Zur OMM-Homepage Zur Musiktheater-Startseite E-Mail Impressum



Moses und Aron

Oper von Arnold Schönberg
Text vom Komponisten

Mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2 1/2 Stunden (eine Pause)

Premiere am 6. Juli 2003

Homepage Staatstheater Stuttgart

(Homepage)

Götzenbilder aus der Traumfabrik

Von Christoph Wurzel


Oft wird sie nicht gerade aufgeführt, Arnold Schönbergs einzige richtige Oper, das Produkt seiner Auseinandersetzung mit dem Judentum und Dokument seiner ausgereiften Technik in der Komposition mit zwölf nur aufeinander bezogenen Tönen. Zwischen 1930 und 1932 hat Schönberg an diesem sperrigen Werk gearbeitet - zwei Akte sind vollendet, der dritte ist wohl im Text vorhanden, wurde aber nicht mehr komponiert. Zeitlebens hat der Komponist die Aufführbarkeit seines Werks bezweifelt und eine Vollendung gescheut. Seine Bühnenwirksamkeit ergibt sich nicht von selbst, der Text ist weitgehend philosophisch abstrakt, die Musik ist nicht illustrierend, sondern hoch artifiziell verdichtetes Tonmaterial, entwickelt aus einer einzigen atonalen Zwölftonreihe, das allerdings großer Suggestivkraft nicht entbehrt. Wird die Oper in einer solch klar und zwingend entwickelten Inszenierung und musikalisch so inspiriert realisiert wie jetzt in Stuttgart, kann sie zu einem außergewöhnlichen theatralischen Ereignis werden.

Es geht um den rechten Weg der Erkenntnis Gottes, des "Einzigen, Ewigen, Allgegenwärtigen, Unsichtbaren und Unvorstellbaren" und um den rechten Weg aus der Befreiung des Volkes Israel aus der ägyptischen Knechtschaft mit Hilfe dieses Gottes. Moses und Aron haben den göttlichen Auftrag, dem Volk den Glauben an den wahren Gott zu vermitteln und damit die Fesseln der Unfreiheit zu lösen. Die Oper thematisiert die Frage, ob die Wahrheit Gottes sich allein in der "Reinheit des Gedankens", damit auch der Wortlosigkeit -die Moses verkörpert- oder in der Konkretheit des Sicht- und Erfahrbaren- was Aron vertritt- offenbart und vermitteln lässt. Die Oper lässt diese dialektische Frage unbeantwortet. Ob die Dualität von Moses und Aron ein Antagonismus ist oder ob es zwei Seiten derselben Wahrheitssuche sind, wird nicht entschieden. Auch der dritte, nicht komponierte Akt beantwortet sie nicht. Beide Wege der Gottsuche allein jedenfalls scheinen untauglich zu sein und den Suchenden von seinem Ziel zu entfernen. So gibt Moses, nachdem das Volk im Tanz um das Goldene Kalb sich wieder dem Götzendienst zugewendet hat, im Bewusstsein des Scheiterns den göttlichen Auftrag zurück und zertrümmert die Gesetzestafeln (Schluss des 2. Aktes) und auch Aron wird im 3. Akt scheitern angesichts der Notwendigkeit, in der Wüste ein Leben jenseits der materiellen Sättigung führen zu müssen.

Die Stuttgarter Neuproduktion befreit nun in einer beinahe schon radikalen Weise diesen Stoff aus seiner religiös - mythologischen Ferne und formt ihn zu einer höchst zeitnahen Parabel, die von der Politik und von der Führung und Verführung eines Volkes handelt. Denn es gibt in dieser Oper drei Protagonisten: Moses, Aron und das Volk.

Schon auf der von Beginn an offenen Bühne sieht man Moses in einer Art Plenarsaal eines offensichtlich nicht mehr zusammentretenden Parlaments ( wahrscheinlich ist das Regime implodiert. Die geschmacklosen Nussbaumpaneelen erinnern an Honeckers und Mielkes Reich. ) auf der Suche nach etwas Unbestimmbaren, bis die Stimme aus dem Dornbusch ihn anruft. Diese ist - zuerst nur als "Vorspiel" des Orchesters- von Schönberg in einem sechsstimmigen Gefüge aus atonalen Intervallen und rhythmischen Varianten kunstvoll zum Symbol des ewigen Gottes als dem gedanklichen Prinzip geformt. Dieser zögernde, vergeistigte und zugleich etwas unbeholfene Mann soll also zum Propheten berufen werden. Er bekundet, dem Auftrag nicht gewachsen zu sein und Aron, sein eher jovial wirkender, sich sportiv gebender und zupackender Bruder, wird ihm zum Partner bestimmt. Damit ist ein Gegensatz konstituiert, der den Konflikt augenfällig macht: Welcher Weg führt in die Freiheit und damit in die Zukunft: der Weg der zweifelnden Nachdenklichkeit, des reinen Denkens - oder der Weg des Pragmatismus und der raschen Tat ? Eine Frage der Politik schlechthin: Ideologie oder Realpolitik ? Und das Volk: In dieser Inszenierung ist es die aus grauer Uniformität (1. Akt) herausdrängende Masse, die sich später ( 2. Akt) in bunter Vielgestalt und in enthemmter Freizügigkeit im Konsum scheinbar emanzipiert hat. Anna Viebrocks Raumentwurf wie auch die Kostüme stellen hier einen untrüglichen Interpretationsrahmen her.

Entsprechend der inneren Dramaturgie der Oper, die aus oratorischen Vorentwürfen entwickelt eher ein Gedankendrama als ein dramatisches Gedankenspiel ist, vollzieht sich die Handlung auf dieser Guckkastenbühne wie in einem Experimentallabor in ruhigen Bewegungen, auch dann wenn das Volk beim "Tanz um das goldene Kalb" in Extase gerät. In einer gewissen szenischen Trockenheit hat die Regie fast völlig auf naturalistische Bebilderung verzichtet. Das Publikum wird zum kühlen Beobachter. Arons dreimalige Wunderbeweise von der Macht des einzigen Gottes wie auch sein Versuch, dem Volk ein Bild seines Glaubens zu geben, laufen ab wie eine Versuchsanordnung: sie werden mehr beschrieben, denn vollzogen. Nicht mehr als goldenes Kalb konkretisieren sich heutige Götzenbilder, sondern als Produkte der Illusionsindustrie, als die vergötterte Scheinwelt des Mediums Film. So betäubt sich das Volk mit den Illusionen, die der Filmvorführer Aron ihm zeigt. Dabei sehen wir gar nicht, was gezeigt wird, sondern vielmehr welche Wirkung es entfaltet. Der Regisseur im Hintergrund zieht derweil genüsslich an seiner Zigarette, in der Gewissheit der unwiderstehlichen Kraft seiner Manipulation der Masse.

Neben der Bildmächtigkeit von Bühne und Kostümen trägt die subtil psychologische Personenführung durch den Regisseur Jossi Wieler zu der wirkungsvollen Unmittelbarkeit des Geschehens entscheidend bei. Moses und Aron sind nicht nur äußerlich Gegensätze, sondern auch als Persönlichkeiten denkbar verschieden und die Rollenträger, Wolfgang Schöne als Moses) und Chris Merritt als Aron, sind eine denkbar beste Besetzung. Dies auch in musikalischer Hinsicht. Dem Denker Moses, dem "das Wort fehlt", hat Schönberg eine Form der Deklamation zugedacht, die sich zwischen Sprechen und Gesang bewegt: nur die Tonhöhen und -längen sind dem Sänger vorgeschrieben, nicht aber darf er so etwas wie Melos entfalten. Wolfgang Schöne wird diesen Anforderungen beeindruckend gerecht und dies mit einer Textverständlichkeit, die beispielhaft ist. Chris Merritt dagegen füllt die ausgeprägt kantable Partie des Rhetorikers Aron mit exzellenter heldentenoraler Pracht aus, zu Anfang bei seiner Berufung sogar mit übertriebener Emphase, die schon vor seinem Eifer erschrecken lässt.

Sensationell sind die Chöre, derjenige aus Krakau ist als Gast und Verstärkung dem hervorragenden eigenen der Stuttgarter Staatsoper ebenbürtig. Die Choristen sind akribisch in Individuen verwandelt, spielen jede und jeder eine Person in der Masse, die aber dennoch als Kollektiv zum Protagonisten wird: fordernd und verführbar zugleich. Ein Darstellerchor von beeindruckender Präsenz. Im Orchestergraben formt Lothar Zagrosek Schönbergs Musik wenn nötig zu kammermusikalisch höchster Klarheit bei großer Transparenz der Stimmen mit farbenreichem Klang oder mit großer Vehemenz zu Ausbrüchen von starker Expressivität. Von den ersten Takten bis zum Schlusstakt, dem an- und abschwellenden unisonen Geigenton auf den Noten f und fis zu Moses Worten "...du Wort, das mir fehlt." bleibt eine musikalische Hochspannung erhalten, wie sie selten erlebt wird.

Die Ovationen für das ganze Produktionsteam hielten bei der Premiere lange an. Ein berechtigter großer Erfolg zum Abschluss dieser Stuttgarter Spielzeit.


FAZIT

Schönberg könnte seine eigene künstlerische Mission in Moses Worte gefasst haben: "Unerbittliches Denkgesetz zwingt zur Erfüllung." Diesen Dienst dürfte die Stuttgarter Produktion dem Komponisten und dem Werk geleistet haben: Schönbergs Intentionen mit den Mitteln des heutigen Theaters für ein heutiges Publikum wirkungsvoll übersetzt zu haben, und dies in größtmöglicher theatralischer Redlichkeit.

Ihre Meinung ?
Schreiben Sie uns einen Leserbrief

Produktionsteam

Musikalische Leitung
Lothar Zagrosek

Inszenierung und Dramaturgie
Jossi Wieler
Sergio Morabito

Bühne und Kostüme
Anna Viebrock

Chorleitung
Michael Alber
Marek Kluza


Chor der Staatsoper Stuttgart

Polnischer Rundfunkchor Krakau

Kinderchor der Staatsoper Stuttgart

Staatsorchester Stuttgart


Solisten

Moses
Wolfgang Schöne

Aron
Chris Merritt

Ein junges Mädchen
Irena Bespalovaite

Ein junger Mann
Bernhard Schneider

Ein anderer Mann / Ephraimit
Michael Ebbecke

Ein Priester
Karl Friedrich Dürr

1. Ältester
Tommaso Hahn

2. Ältester
Sasa Vrabac

3. Ältester
Stefan Storck

Eine Kranke
Emma Curtis

Vier nackte Jungfrauen
Irena Bespalovaite
Helga Rós Indridadóttir
Naomi Ishizu
Emma Curtis

Ein nackter Jüngling
Alois Riedel

6 Solostimmen
Ingrid Zielosko
Barbara Kosviner
Ilona Wirgler
Peter Schaufelberger
Siegfried Laukner
Sasa Vrabac




Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Staatstheater Stuttgart
(Homepage)



Da capo al Fine

Zur OMM-Homepage Zur Musiktheater-Startseite E-Mail Impressum

© 2003 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: oper@omm.de

- Fine -