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Musiktheater
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Katzelmacher
Oper von Kurt Schwertsik
Text von Kurt Schwertsik
nach Rainer Werner Fassbinders "Katzelmacher"


ca. 80' (keine Pause)

Uraufführung im Operhaus Wuppertal am 1. 6. 2003

Diese Uraufführung wird gefördert vom Kultursekretariat NRW und vom
Ministerium für Städtebau und Wohnen, Kultur und Sport des Landes
Nordrhein-Westfalen aus dem Fonds Neues Musiktheater.


Homepage

Wuppertaler Bühnen
(Homepage)
Fassbinder in Barmen mit Schwertsik dazwischen

Von Ralf Jochen Ehresmann / Fotos von Milena Holler



Die Fahne am Hause lässt einen stutzen: "Ja hat der R.W.Fassbinder denn auch Opern gemacht?" Und selbst Programmheft und Besetzungszettel verraten erst auf den 2.Blick den Namen des Komponisten: Kurt Schwertsik. Ob der sich nun für seinen Namen schämt - oder für seine Musik - oder ob die Finanznot-geplagte Intendanz des Opernhauses von "Barmen als der Stadt der Armen" - wie schon ein altes Sprichwort wissen will - für ihre Werbung den Namen verwendet sehen wollte, der wahrscheinlich der bekanntere ist, das alles war uns so schnell nicht zu ermitteln. Und wenn man erst einmal hineingegangen ist in jenes wundervolle Haus mit dem bislang durch keine Verschlimmbesserung kaputt-renoviertem Charme der frühen 50er-Jahre, dann ist man schon ergriffen von jener Aura der Unzeitgemäßheit, deren es so dringend bedarf, um jene Zeitreise in die 60er-Jahre zu verkraften, in die Kurt Schwertsik sein Publikum da katapultiert. Die nun angedrohte Sanierung des Gebäudes wird freilich auch dem ein Ende bereiten.

Vergrößerung Fragile Ordnung vor der Gewalteruption
(Stephan Boving, Tina Hörhold, Olaf Haye, Stefanie Schaefer, Thomas Laske).

R.W.Fassbinders Ambition durch Schauspiel und Film war eine Schärfe der Sozialkritik, die seinerzeit ihresgleichen nicht hatte. Dies gilt für sein Schaffen insgesamt wie auch seinen Katzelmacher. Beide Kunstwerke brauchen sich um ihren Platz im Kosmos des kulturellen Erbes nicht zu sorgen, doch über ihre Eignung zur Opernvorlage darf gestritten werden.

Man wird Zeuge der Sorgen und Probleme derer, denen das sog. Wirtschaftswunder nicht nur Prosperität gebracht hat und die ihr Unbehagen über die eigene Lage und deren Glücklosigkeit in unreflektierte Aggression gegen das von Ihnen so empfundene Fremde wenden. Als in ihrer Gesellschaft ein Gastarbeiter auftaucht, der für weniger Geld arbeitet und obendrein das Herz eines vordem zu ihnen zählenden Mädchens gewinnt, bricht der angestaute Hass sich Bahn im extremen Gewaltexzess: Jorgos der Grieche wird brutal zusammengeschlagen und geschmäht und beschimpft, wie in Deutschland erst kurz zuvor noch die Juden.

Vergrößerung

Noch kann die Vertreterin des Kapitals den Laden beisammen halten
(Raimund Fischer, Tina Hörhold, Dariusz Machej und Friederike Meinel).

Schwertsik gestaltet daraus eine äußerst kleinteilige Nummernoper, deren Einzelszenen bisweilen keine ganze Minute dauern. Die Charaktere der Handelnden sind eindimensional und daher leicht einprägsam gestaltet; durch seine zurückhaltende Orchesterbehandlung bei unstrittig reiner Begleitfunktion erzielt er optimale Verständlichkeit des Textes wie auch der Handlung im Ganzen. Der ganze Impetus einer ‚l'art engagé' steht omnipräsent und unreduziert im Raume. Dahinter tritt der Anspruch der differenzierten Form als Element gestaltenden Willens deutlich zurück: Vordergründigkeit vor Raffinesse, Agitation vor Kunst.

Vergrößerung Im Schwanken zwischen Liebe und Mitleid
(Tina Hörhold und Dariusz Machej).

Kaum hebt die Musik an, sagt man sich schweigend: "Das meint der jetzt doch nicht ernst!" Gleichzeitig wäre es zu billig, voreilig den Stab zu brechen über einen fortschaffenden Künstler, dessen Lebenswerk und seine klare eindeutige Ausrichtung kaum Überraschungen für Barmen erwarten ließen.
Schwertsiks Glaubwürdigkeit beruht nicht zuletzt darauf, dass er im Bewusstsein der nur eingeschränkten Anwendbarkeit fortschrittlicher Prinzipien der Musikgenese noch dazu in Zeiten, wo deren selbstverständliche Anerkennung längst dem Ringen um Selbstvergewisserung bzw. gar noch dessen Preisgabe gewichen ist, jenen Bruch offen austrägt, der ihn schon vor längerer Zeit aus dem Strom der komponierenden Avantgarde hat ausscheiden lassen: Komplexitätsreduktion angesichts eines Materials, das seine Dignität aus seiner politischen Ambition bezieht, indem es heiße Eisen anpackt und dabei jene menschlichen Abgründe offen legt, die stets sich auftun, wo eine prosperierende Ökonomie vor lauter Konjunktur den sozialen Ausgleich vernachlässigt und damit zulässt, dass an ihren Rändern ganze Gruppen von Fortschrittsverlierern sich bilden und von dort aus eine ganz eigene Gewaltdynamik entfalten. Dabei steht der Diskurs von Fassbinders Gestalten in ihrer blanken Angst vor dem unbekanntem Fremden an sich gleich weit weg vom halbreflektierten Wohlstandschauvinismus heutiger Mallorca- oder Kretaurlauber wie vom aktuellen Erscheinungsbild der glatzköpfigen Stiefelfaschos unserer Tage. Deren Ablehnung richtet sich gegen die Antithese des längst Bekannten, dessen Armut die Saturiertheit der eigenen Lebensform so abstoßend vorführt, dass der so erregte Selbsthass, gepaart mit der Panik, teilen zu müssen, sich in Ablehnung des scheinbar Fremden artikuliert. Für das Opfer ist das freilich einerlei!

Vergrößerung

Anbahnung einer "Geschäfts-"Beziehung
(Stephan Boving und Britta Wieland).

Aktualität um jeden Preis kann nicht die Losung sein, wenn das Ergebnis nicht seinerseits riskieren will, bereits kurzfristig wieder überholt zu sein. Doch die Idiotie isometrischer Tanzrhythmen und andauernd repetierter Halbzeilen, denen es sicher schon beim 1.Durchgang nicht an Verständlichkeit gebrach, kann nicht einmal dann als adäquates Mittel für den Blick in die schwärzesten Abgründe menschlicher Existenz durchgehen, wenn eine Analogie des Stumpfsinns zur Rechtfertigung bemüht würde. Wer dem Entsetzen über Fremdenhass und die alltägliche Gewalt aus der Mitte der Gesellschaft Ausdruck verleihen will, wird andere Mittel bemühen müssen, die sich als weniger ungeeignet erweisen würden, um das ganze Ausmaß des Grauens einzufangen, das selten in homorhythmischen Takten - außer gelegentlich in Springerstiefeln - daherkommen dürfte und daher ohnehin nie adäquat sondern allenfalls in seiner individuell beschränkten Vermitteltheit darstellbar wäre.

Vergrößerung Übergossen mit dem Produkt nach dt. Reinheitsgebot
(Olaf Haye und Dariusz Machej, liegend).

Sosehr auch wir FreundInnen der kulturellen Breite und Vielfalt sind, begegnen wir hier einem Produkt neueren Schaffens, das durch seine kompromisslose Unzeitgemäßheit genau jenen Anspruches sich begibt, den es vordergründig so offensiv vertritt.
Es fällt nicht leicht, einem soviel älteren Künstler kein schmeichelnderes Zeugnis ausstellen zu können, das seiner Reputation besser entspräche. Wir vermochten jedenfalls nicht, ihm hierin zu folgen.
Fairerweise hätte die Intendanz, um eine mildere Reaktionsform zuzulassen und es Karlheinz Stockhausen gleichtun zu können, kleine Einheiten von Würfelzucker an die Gäste austeilen lassen können, mit denen dieser seinen Kollegen Schwertsik einst in Darmstadt beworfen hatte, als dieser dazu überging, sich offen zum Ende der Avantgarde zu bekennen und zur Regression in die Tonalität sich aufmachte, mit deren Produkten er uns hier wieder überreich eindeckt.

Vergrößerung

Aus für Multikulti: Jorgos will keine türkischen Kollegen
(Dariusz Machej).

Das Wuppertaler Personal hat jedenfalls die Anforderungen des Stückes gut umgesetzt, und Schwertsik kann mit dem Ensemble sehr zufrieden sein. Die größte Einzelleistung vollbringt unzweifelhaft Dariusz Machej als Jorgos, der gutmütig bis zuletzt nicht begreift, wie ihm geschieht. Das Spiel mit der Sprache in gekonnt falscher Form beherrscht er ebenfalls perfekt. Überhaupt treffen sämtliche DarstellerInnen ihren jeweiligen Rollencharakter sehr gut und kommen mit dem Profil der Musik, auch und gerade da, wo diese wie in der Szene beim Kirchgang unerwartet differenziert daherkommt, eine memorable Aura stiftet und echt zu rühren vermag.

Doch auch Elisabeth (Friederike Meinel) als Unternehmerin, Ingrid (Britta Wieland) als Prostituierte aus Langeweile oder Marie (Tina Hörhold) als einzige liebende Frau verkörpern ihren Part ideal. Ihre landesstämmigen Männer treten fast nur in jener Clique auf, die sich jenseits des nur hintergründig angedeuteten Dorfes an ihrem Treffplatz aufhält und flaschenbiertrinkend an einem dort installierten Metallrohr herumräkelt, Platituden austauscht und sich derweil so sehr in Rage redet, dass Jorgos, der nichts ahnend feierabends zu ihnen stößt, von seinen neuen Nachbarn böse misshandelt und zugerichtet wird. Deren Mitglieder bleiben rollenbedingt relativ farblos, und Schwertsiks Musik bietet auch wenig persönliche Charakteristika zur individuellen Profilierung. Den authentischen Ausdruck ganz gewöhnlich-deutscher Durchschnittsasis treffen sie jedenfalls ideal.


FAZIT

Will man nun sich nicht bloß kopfschüttelnd abwenden vor soviel Befremdung der Ohren in einer als Uraufführung angekündigten Veranstaltung, kann man Schwertsik nur zugute halten, dass er es genau auf jene kulturelle Distanz angelegt habe, die angesichts der allerorten beschworenen Aktualität der Problematik durch Differenz und offenkundige Inkompatibilität der Mittel jene Aufmerksamkeit zu verschaffen trachtet, die das Sujet erfordert, wenn der Effekt des Wachrüttelns der Bequemlichkeitsschläfer in ihrer fortgeschrittenen Unbetroffenheit gelingen soll.



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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Martin Braun

Inszenierung
Gerd Leo Kuck

Bühnenbild und Kostüme
Herbert Kapplmüller



Sinfonieorchester Wuppertal


Solisten

Helga
Stefanie Schaefer

Gunda
Anna Fischer

Ingrid
Britta Wieland

Marie
Tina Hörhold

Elisabeth
Friederike Meinel

Jorgos
Javier Zapata Vera

Berta, Bartolos Dienerin
Tina Hörhold

Un Ufficiale
Martin Maßmann

Ambrogio, Bartolos Diener
Dogukan Tercan

Giovanello, Bartolos Diener
Willy Berndt



Weitere Informationen
erhalten Sie von den
Wuppertaler Bühnen
(Homepage)



Da capo al Fine

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