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Der fliegende Holländer
Romantische Oper in drei Aufzügen
Text und Musik von Richard Wagner
"Würzburger Fassung"

Aufführungsdauer: ca. 2 h 45' (keine Pause)

Gala-Premiere anlässlich des 20jährigen Bestehens des
Richard-Wagner-Verbandes Würzburg/Unterfranken
am 22. September 2002


Homepage

Mainfrankentheater Würzburg
(Homepage)
Nachwuchsförderung auf höchster Ebene

Von Ralf Jochen Ehresmann und Gerhard Menzel / Fotos von Petra Winkelhardt



Zur Eröffnung der Spielzeit 2002/03 gab Katharina Wagner mit "Der fliegende Holländer" am Mainfranken Theater Würzburg ihr Regiedebüt.

Diese Attraktion "Wagner inszeniert Wagner" war für das Würzburger Theater von ganz besonderer Bedeutung, da das Mainfrankentheater als Drei-Sparten-Haus noch vor eineinhalb Jahren von der Schließung bedroht war und dringend Erfolge vorweisen muss. Für Katharina Wagner sei das übrigens auch ein wichtiger Grund gewesen, die Regie in Würzburg zuzusagen.

So waren es neben den Mitgliedern der Wagner-Verbände und anderen illustren Gästen mehr als 70 Journalisten aus dem In- und Ausland, die am "Wahlsonntag" mit höchster Spannung die "Holländer"-Interpretation von Katharina Wagner erwarteten.

Zu diesem Engagement kam es durch die persönlichen Kontakte des Würzburger Intendanten Reinhold Röttger mit Margot Müller, der 80-jährigen Leiterin des Wagnerverbandes Würzburg/Unterfranken (mit mehr als 2.700 Mitgliedern ist er der weltweit größte unter den 135 Verbänden). Dieses spektakuläre Ereignis war natürlich als Höhepunkt der Feierlichkeiten des 20-jährigen Bestehen ihres Verbandes gedacht und da Nachwuchsförderung eine wesentliche Aufgabe der Wagner-Verbände ist, steuerte dieser auch 20.000 Euro zum Regiedebüt bei.

Bemerkenswert ist, dass Richard Wagner, Katharinas Urgroßvater, sein Theaterschaffen - ebenfalls als Neuling - am Würzburger Haus begann, und zwar als Chordirektor. Im Alter von 20 Jahren vollendete Richard in Würzburg auch seine erste Oper "Die Feen".

Knapp 170 Jahre später war es nun wieder ein junges Mitglied der Familie Wagner, das in Würzburg sein erstes Werk vollendete: Richards 24-jährige Urenkelin Katharina, die Tochter von Wolfgang Wagner, dem 83-jährigen Bayreuther Festspielchef und seiner zweiten Frau Gudrun.

Seine 20-Jahr-Jubiläumsfeier hatte sich der Würzburger Richard-Wagner-Verband allerdings gewiss anders vorgestellt, wie er denn in der losbrechenden Buh-Orgie sich Luft verschaffte, kaum dass der letzte Ton verklungen war; so hatte die Wahl des Finale ohne Erlösung quasi doppelbödig eine Zusatzfunktion zur Beschreibung dessen, was noch folgte: Unerlöst auch das Würzburger Publikum!.


Vergrößerung Daland (Kristof Borisewitz) säuft und die "Mannschaft" schmökert in Pornoheften.

Klangbeispiel Klangbeispiel: 1. Aufzug, aus Nr. 2: "Arie des Holländer" (Ralf Lukas)
(MP3-Datei)


Katharinas "Holländer" - im Programmheft ausdrücklich als "Würzburger Fassung" angekündigt - ist zwar von Harry Kupfer beeinflusst, der ebenfalls nicht an die Erlösung der Liebenden glaubt, geht aber weit über dessen Ansatz hinaus. Katharina Wagner eliminiert alles, was auch nur im entferntesten mit "Romantik", Aberglaube und Phantasie zu tun hat. Nur ein kleines, unscheinbares Schiffsmodell im Hintergrund, selbstgebastelte Papierschiffchen und eine blonde Meerjungfrau-Barbiepuppe (als ironische Anspielung auf das Erscheinungsbild Katharina Wagners) schaffen Assoziationen zum Meer. Stattdessen präsentiert sie ein nüchternes Zeitstück, das von Kälte, Ignoranz und Brutalität geprägt ist. Sie ergreift praktisch die Flucht nach vorn, um einem Nacherzählen und einer allzu intensiven Illustration der Partitur zu entgehen. Das hätte ihr zwar die Anerkennung und das Wohlgefallen der "Liebhaber" des "Fliegenden Holländer" eingebracht, aber auch gleichzeitig eine ordentliche Schelte der Kritiker und "Intellektuellen".

Doch der Reihe nach:
Dalands Matrosen sind die bierselige Kneipenrunde einer verlotterten (Hafen-?)Pinte zwischen Kartenspiel und Porno-"Lektüre", ihr Anführer ein wenig sympathischer Aufschneider, der ununterbrochen Kaugummi kaut und szenetypische Protzgesten perfekt beherrscht.

Ein Fremdling betritt den Saal, ein wehrlos verklemmter Sonderling mit Verfolgungswahn und - immerhin - einigen Dollarbündeln. Auf "das Obdach einer einz'gen Nacht" scheint er erstaunlich erpicht zu sein; der neuen Heimat in Dalands Umgebung gilt sein eigentliches Interesse, woran er schwerlich glücklich werden dürfte angesichts der feindseligen Behandlung, die Dalands Mannen ihm gleich eingangs zuteil werden lassen.


Vergrößerung

Mary (Daphne Becka) gibt sich große Mühe,
Senta (Joneva Kaylen) zu disziplinieren.

Die Spinnstube präsentiert sich als ein technischer Unterrichtsraum, in dem blondperückte Teeny-Girls mit modischen Schriftzug-Sweatshirts á la "Luder", "Biest", "Sexbombe" oder "Blondine" gackernd an ihren Tischen sitzen und Muskelhelden aus Bravo-Heften bestaunen. Senta ist dieses Treiben offensichtlich zu primitiv; äußerlich ihren Zeitgenossinnen nicht gleich aber doch ähnlich, träumt sie davon, was Besseres zu sein; mit Walkman in den Ohren singt sie die Ballade als ihr eigenes Playback eines Chart-Hits, den auch ihre Gespielinnen kennen; ihr Interesse für das Fahndungsplakat und den dort gezeigten Kopf haben wenig mit verliebter Begeisterung oder mädchenhafter Schwärmerei zu tun, eher vermittelt sie den Eindruck sozialen Einsatzes aus Pflichtgefühl.

Als es zur ersten Begegnung kommt, wo Daland in völliger Verkennung der Interessen sämtlicher Beteiligter ihr noch eben die Bluse aufreißt, bevor er missmutig abzieht, schaut Senta nur wenig begeistert drein angesichts dessen, wen sie sich da zwecks Rettung eingehandelt hat, und das verunsicherte Männlein mit schlecht sitzender Tarnperücke schafft keinen Augenaufschlag zu der jungen Frau neben sich.


Vergrößerung Senta (Joneva Kaylen) wird von Daland (Kristof Borisewitz) zur "Barbie" gemacht.

Allein, so ganz gelingt die Rettung nicht. Im 3.Aufzug sitzt und säuft die bekannte ‚Gesellschaft'; am Nebentisch findet man eine kleine Runde reisender Bildungsbürger, die allesamt teetrinkend ein jeder für sich in sicherlich sehr guten Büchern schmökern, ein Fremdkörper, dessen Groteske man förmlich knistern hört. Als dann Erik, der Feldjäger, mit Gefolgschaft den Raum betritt und zornig die kontrollierten Pässe zu Boden wirft, kommt es zu Hand- und Knüppelgreiflichkeiten, bis die Bibliophilen am Boden liegen; den etwas später eintreffenden ‚Asylbewerber aus Holland' erledigt Erik, der Schläger, höchstpersönlich. Und als ob das nicht genug wäre, erfährt die umfassende Depression angesichts der Glatzen mit Bomberjacken, Springerstiefeln und Baseballschlägern eine finale Klimax, wenn Daland seiner Tochter auch noch das Brotmesser wegnimmt und zum Weiterleben zwingt...

Klangbeispiel Klangbeispiel: 3. Aufzug, aus Nr. 7: Chor
Der "Pöbel" verprügelt die Fremden.
(MP3-Datei)


Erik und Daland agieren aus vordergründiger Verständlichkeit, Daland wie ein kühl rechnender Gebrauchtwagenhändler, Jäger Erik als Eifersüchtling, der sich aus Schwäche starke Klamotten überzieht. Senta spürt scheinbar wenig vom Missbrauch, der an ihr geschieht, zumindest wehrt sie sich nicht wirklich: weder Eriks peinlichem Werben noch des Vaters Zuhälterei vermag sie sich zu entziehen, und wenn sie endlich im Angesicht von Eriks Nazischlägerbanden das Messer gegen sich selbst richtet, so läst sie sich's vom Vater leicht entwinden, wie man einem Kinde ein gefährliches Spielzeug entzieht.

Das Personal ist herrlich ergänzt um gut erfundene Gestalten wie den Barkeeper, der noch nach der derbsten Saalschlacht in aller Gemütsruhe wieder aufräumt, was die Faschos durcheinander gewirbelt haben. Auch der "Holländer" wird am Ende sorgsam in blaue Mülltüten verpackt und vermutlich spurenlos entsorgt.


Vergrößerung

Mit falschem Pass und falschen Haaren nimmt der Fremde (Ralf Lukas)
den ersten Kontakt mit Senta (Joneva Kaylen) auf.

Natürlich gibt es auch hier Schwächen, wenn beispielsweise unserer Bücherfreunde schwerlich ihre hochgeistige Abgeschiedenheit mit dem lauten Grölen des Holländer-Chores vereinen könnten, der nach der Werkanlage ja gerade ihr Part als Dialogpartner der Dalandtruppe gewesen wäre; also wird dieser vom Band bzw. aus dem off eingespielt; wer da wen ansingt und schweigend zurück- und überdröhnt, gerät dabei ins Unklare. Auch dürften die meisten realen Flüchtlinge über weniger Reichtum verfügen. Warum Daland dem Staatenlosen zunächst aus roter Pappe einen Reisepass schnitzt und ihn hinterher doch an die Staatsmacht bzw. deren selbsternannte Ordnungshüter ausliefert, ist nicht zwingend, stellt aber ebenso wenig einen logischen Bruch dar. Hieraus eine Verurteilung der Inszenierung ableiten zu wollen, langte vollends daneben!

Die Tragfähigkeit des gesamten Konzeptes überzeugt jedenfalls so weit, wie man gewisse Passagen des komponierten - und nicht bearbeiteten - Textes ignoriert und auch nicht zu sehr nach den logischen Verhaltensweisen einiger Protagonisten fragt.

Ist Kunst nicht dann recht eigentlich am wahrsten, am nächsten ihrer selbst, wenn sie aufrührt und bewegt, wenn Menschen vor Erregung in atemlose Spannung verfallen und trotz Vertrautheit mit der Materie kaum mehr ahnen, wie es weitergeht? Wir halten diese Produktion für einen solchen Treffer, vergleichbar allenfalls dem Ring in Meiningen.


Vergrößerung Während Erik (Gilbert Mata) befriedigt den niedergeprügelten Fremden beschaut, verhinder Daland (Kristof Borisewitz) den beabsichtigten Selbstmord Sentas (Joneva Kaylen).

Klangbeispiel Klangbeispiel: 3. Aufzug, aus Nr. 8, Finale: Chor
Der Holländer (Ralf Lukas) wird von Dalands Männern erschlagen. Senta (Joneva Kaylen) versucht vergeblich, sich für den Fremden zu opfern
(MP3-Datei)


Die 24 Jahre junge Regisseurin Katharina Wagner hat mit ihrem Erstlingswerk ungeheuren Mut bewiesen und den Sängerdarstellern gehörig viel abverlangt. Ohne übermäßig gegen die Vorlage auszugreifen und damit quasi den Urgroßvater zu enteignen, entlockt sie der Oper Aspekte, die so deutlich noch nie zuvor gesehen wurden; dabei kann sie sich zurecht auf älteste Deutungsansätze berufen, die noch vom Meister selber stammen oder in Heines Propädeutikum ausformuliert sind: der ewige Jude des Ozeans. Dass diese uralte Geschichte im Verlauf ihrer Tradierung schon mehrfach umgedeutet (Dahlhaus), vom Tragischen zur Parodie, dann wieder renobilitiert durch Richard Wagner selbst, verschafft der hier gezeigten Deutung als einer kongenialen Synthese von Elementen beider Art zusätzliche Legitimation.

Hoffentlich nur Zufall und nicht Programm: So hört Frau Wagner selbst auf den Namen, den Sentas Vorläuferin bei Heine trägt: Katharina!


FAZIT

Ein medienwirksames Regiedebüt: kräftige Buhs und Pfiffe derjenigen, die das "Märchen" vom "fliegenden Holländer" sehen wollten, emphatische Bravos von denen, die vom packenden "Zeitstück" Katharina Wagners begeistert waren.

Musikalisch konnten vornehmlich GMD Daniel Klajner, das weitgehendst zuverlässig musizierende Philharmonische Orchester Würzburg, die von Markus Popp vorzüglich einstudierten Chöre und der wirklich Holländer-Format besitzende Ralf Lukas überzeugen. Kristof Borisewitz als Daland fehlte bei guter Diktion und exzellenter Schauspielerei die tiefe Basskraft, und Senta (Joneva Kaylen) trat weniger als gute Fee denn als normale junge Frau mit leicht ungewöhnlichen Neigungen auch sängerisch adäquat der Gesamtleistung eines kleinen beherzten Regionaltheaters in Erscheinung, was übertragen ebenso für Gilbert Mata als Erik und Daphne Becka als hornbebrillte Gouvernante gilt.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
GMD Daniel Klajner

Inszenierung
Katharina Wagner

Bühne und Kostüme
Alexander Dodge

Chor
Markus Popp

Produktionsdramaturg
Robert Sollich a.G.

Lichtkonzeption
Andreas Thot



Chor, Extrachor und
Statisterie des Mainfranken
Theaters Würzburg


Philharmonisches
Orchester Würzburg


Solisten

* Alternativbesetzung

Holländer
Ralf Lukas a.G.

Daland
Kristof Borisewitz
/ Michail Litmanow *

Senta
Joneva Kaylen
/ Joanna Porackowa a.G. *

Erik
Gilbert Mata

Mary
Daphne Becka
/ Barbara Hahn *

Steuermann
Albrecht Kludszuweit
/ Robert MacLaren *



Weitere Informationen
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(Homepage)


Katharina Wagner / Portrait
  Katharina Wagner
  (biografisches)



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