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Musiktheater
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A Day Close to Summer
Libretto von Tatjana Gürbaca
Musik von Simon Wills

Dido und Aeneas
Libretto von Nahum Tate
Nach seiner Tragödie "Brutus of Alba
or The Enchanted Lovers"
(1678)
Musik von Henry Purcell


In englischer Sprache mit deutschen Übertiteln
Dauer 2 ½ Stunden


Premiere am 26. September 2003
im Festspielhaus Baden-Baden

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Festspielhaus Baden-Baden
(Homepage)

Überflüssiges Beiwerk für Purcells Meisterwerk

Von Christoph Wurzel / Foto von Andrea Kremper


Die Geschichte von der karthagischen Königin Elissa, alias Dido, die aus Treue zu ihrem im Bürgerkrieg ermordeten Gatten geschworen hat, nie wieder einen Mann zu lieben, dann aber doch dem trojanischen Helden Aeneas erliegt, von dem sie jedoch wieder verlassen wird, weil er höhere Aufgaben erfüllen muss, nämlich die Stadt Rom zu gründen - diese ergreifende Geschichte aus den Zeiten mythischer Kriege hat seit der Antike immer wieder die Künstler inspiriert und hat zahlreichen Librettisten und Komponisten zur Vorlage trauriger Opern gedient.

Der Stoff liegt auch der einzigen vollständig durchkomponierten Oper von Henry Purcell zu Grunde, die er 1689 im Auftrag des Tanzlehrers einer Mädchenschule in Chelsea komponierte. Der Dichter Nahum Tate hat dafür sein Stück "Die verzauberten Liebenden" zu einem Opernlibretto umgearbeitet und die Geschichte auf wenige Motive verdichtet: die anfängliche Scheu Didos, sich auf eine neue Liebe einzulassen, ihr Nachgeben, als ihre Dienerin Belinda sie dazu überredet, den Helden Aeneas nicht zu verschmähen, das kurze Liebesglück, die dämonischen Kräfte, die es sogleich zerstören und schließlich die schwere Enttäuschung der verlassenen Liebenden.

Purcell hat dazu eine außerordentlich feinsinnige Musik geschrieben, ganz intim im Ausdruck und luftig leicht, doch meisterlich instrumentiert, ohne Bläser und ohne Schlagwerk. Die rund vierzig Nummern der Oper sind sehr knapp gefasst, nur wenige Arien lassen dem Ausdruck von Gefühlen Raum, sonst treibt die Handlung rasch voran bis zum melancholischen Schlussgesang Didos "Gedenke mein, doch ach, vergiss mein Los". Vier Jahre vor dem frühen Tod des gerade 36jährigen Komponisten und 21 Jahre vor dem ersten Auftreten Händels in London ist dieses scheinbar kleine Werk ein erster Höhepunkt der barocken Opernkunst in England.

Im Gegensatz zu den oft ausladenden Opern Händels dauert Purcells Oper nur rund eine Stunde - reichlich genug an wunderbarer Musik, aber in den Augen von Veranstaltern zu wenig offenbar, um ein Publikum zufrieden zu stellen. So verfiel man in Baden - Baden auf die Idee, Purcells Oper einen Prolog voranzustellen. "A Day close to Summer" nennen die Regisseurin Tatjana Gürbaca und der Komponist Simon Wills ihren szenischen Kommentar zur nachfolgenden Opernhandlung. Nach ihrer Lesart scheitert in Purcells Oper die Liebe vor allem daran, dass es kriegerische Zeiten sind: Dido gleichsam die Trümmerfrau und Aeneas der Besatzungssoldat - eine Mesalliance von Anfang an. Hätte die Beziehung der beiden in Friedenszeiten nicht viel entspannter, glücklicher sein können? Diese Frage beantworten sie, indem sie - fast eine Stunde lang - die Landpartie zahlreicher Leute aus der englischen Upper class in den Jahren vor dem 2. Weltkrieg, im tiefsten Frieden also, auf die Bühne stellen, wo sich ausgelassene Menschen an allerhand Freizeitbeschäftigungen erfreuen: man plaudert, tanzt und neckt sich, man picknickt und nippt am Champagner. Leute kommen und gehen. Im Teich fischt ein Angler, auf dem ein lieber Schwan seine Runden dreht, während ein Jüngling sich ein Mädchen angelt. Torten werden wie Haupt- und Staatsaktionen über die Bühne getragen und hübsche Garderobe wird zur Schau gestellt. Das Grammophon dudelt, ein Sänger singt, ein Streichquartett spielt elegische Weisen. Am Schluss geht die Sonne unter - und eine Stunde ist vergangen. Viel Pantomime hat man gesehen und ein wenig Hintergrundmusik vernommen, ist aber ansonsten - not amused - im Sessel hin- und hergerutscht und hat auf die Barockoper gewartet.

Dabei ist aus theaterhistorischer Sicht ein derartiges Bühnenspiel durchaus nicht unbedingt abwegig. In der Commedia dell`arte gibt es solche Episodenszenen und auch in England kannte man zur Zeit Purcells noch die "masque", ein auch von Improvisation getragenes Potpurri aus pantomimischen, gesprochenen, gesungenen und getanzten kleinen Szenen. Und das Problem in Baden - Baden war nicht die Idee an sich, sondern die Tatsache, dass die vorgeführten Belanglosigkeiten dramaturgisch bei weitem nicht über eine Stunde hinweg zu tragen vermochten.

Aber auch der interpretatorische Ansatz ließ zweifeln: Mit Sicherheit ist die Liebe in den Zeiten des Krieges besonders schwierig, aber ist sie deswegen in Friedenszeiten schon automatisch leichter? Man könnte das Thema des mythologischen Stoffs dieser Oper auch als Problem eines bestimmten Rollenverhaltens interpretieren. Als Aeneas Dido verkündet, er müsse sie auf Juppiters Befehl wichtiger Gründe wegen verlassen, entgegnet sie, wohl aus Erfahrung klug geworden, Heuchler und Mörder würden für ihr Tun immer den Himmel und die Götter als Urheber vorschicken. Hier wird eine Spur gelegt, der man auch hätte nachgehen können. Vielleicht haben sich Dramaturgie und Regie aber von aktuellen Kriegsszenarien zu einer etwas kurzsichtigen Interpretation verleiten lassen.

Vergrößerung

Dido (Lynne Dawson) wird von Belinda (Simone Kermes) und den Frauen dazu überredet, sich mit Aeneas einzulassen.

Auch über der Oper selbst lastet dann dieses Regiekonzept - leider unterstützt durch die düstere Szenerie - wie ein schwerer Panzer. Dido und ihre Frauen sind blutverschmiert wie gerade den Trümmern entkommen und Aeneas und seine Truppe treten auf wie Rambos nach der Schlacht, mit Sturmgepäck und Maschinenpistole poltern sie über die Bühne. Da hat stellenweise die Musik ihre liebe Not sich zu behaupten. Doch auch schöne Szenen gibt es, die von eindrücklicher Sinnlichkeit sind: nach der Liebesnacht wirft Dido den klobigen Kampfstiefel des Aeneas triumphierend zur Seite, offensichtlich hat sie aus dem groben Kerl einen liebenden Menschen gemacht. Bewegend ist auch der Schluss, der von irdischer Schwere erlösende Freitod der Dido. Tatjana Gürbaca kann auch Bilder erfinden, die ergreifen und Arrangements zusammenstellen, die überzeugen können.

Das Balthasar - Neumann - Ensemble und der gleichnamige Chor musizieren unter der Leitung von Thomas Hengelbrock unverzagt über die allzu häufig grobschlächtige Szenerie hinweg. Der von federnder Dynamik bewegte Streicherklang ist zugleich stets transparent und leicht. Der Chor hat viel zu tun und agiert mit zupackender Frische, wo es so sein soll (Hexenszene), ist aber auch souverän zu diszipliniertem Madrigalgesang fähig (Schlussgesang). Die Solistenschar ist exquisit bis in die kleinsten Rollen hinein. Allen voran Lynne Dawson. die sicherlich zur Spitzengruppe ihres Fachs gehört. Ihr Abschiedsgesang wurde ein bewegendes Lamento einer zu Tode verletzten Frau. Wer hinter der martialischen Verkleidung Kresimir Spicers als Aeneas auch den Sänger entdecken konnte, vernahm einen Tenor mit großem Volumen, sicherem Sitz und schönem Timbre. Simone Kermes lieh ihren reinen Sopran der Rolle der Belinda und setzte so mit hellen Farben den Kontrapunkt zu den oft düsteren Stimmungen der Dido. Mit den Countertenören Denis Lakey und Derek Lee Ragin waren die Hexen bestens besetzt. Auch Nicholas Clapton als Zauberer, Knut Schoch als Seemann und Cecilia Nanneson als Zweite Frau zeigten stimmlich die nötige Präsenz. Der Jubel für die Musiker war groß, das Regieteam dagegen hatte kräftige Buhs einzustecken.


FAZIT

Weniger ist manchmal mehr. Hier hätte ein überambitioniertes Regiekonzept eine filigrane Barockoper fast erdrückt, wenn diese musikalisch nicht in solch kompetenten Händen gewesen wäre.





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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Thomas Hengelbrock

Inszenierung
Tatjana Gürbaca

Bühnenbild und Licht
Klaus Grünberg

Kostüme
Florence von Gerkan

Dramaturgie
Christian Kipper



Dido und Aeneas

Dido
Lynne Dawson

Belinda
Simone Kermes

Aeneas
Kresimir Spicer

Zauberer
Nicholas Clapton

Erste Hexe
Dennis Lakey

Zweite Hexe
Derek Lee Ragin

Zweite Frau
Cecilia Nanneson

Seemann
Knut Schoch


A Day Close to Summer

Die Sängerinnen und Sänger
aus "Dido und Aeneas"


Balthasar-Neumann Chor
Balthasar-Neumann Ensemble

Streichquartett:
Anne Katharina Schreiber
Lisa Ferguson
Eva Miribung
Emilia Ghiozzi

Gitarre: Lee Santana



Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Festspielhaus Baden-Baden
(Homepage)



Da capo al Fine

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