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Variété statt Wald Claus Guth und Christian Schmidt sezieren in Basel den "Freischütz"
Von Ina Schabbon
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Fotos von Sebastian Hoppe Man kann sich schon fragen, warum sich der Freischütz so hartnäckig auf den Spielplänen hält, ist es doch eigentlich eine Oper mit hölzernen Dialogen, einer kitschigen Handlung und einer Musik, die zwar stellenweise bahnbrechend, dann aber auch über weite Strecken ermüdend konventionell ausgefallen ist. Diese Frage haben sich wohl auch Regisseur Claus Guth und Bühnenbildner Christian Schmidt gestellt, die zuletzt in Basel gemeinsam den Tannhäuser und in Bayreuth den spektakulären Holländer herausgebracht hatten. Herausgekommen ist dabei in Basel ein merkwürdiges Gemisch aus gesellschaftspsychologischer Deutung der Figuren und totalem Ulk. Aller romantischen Zutaten entkleidet, erzählt die Geschichte ganz zeitlos von einem, der extreme Versagensängste vor einer Prüfung empfindet und sich unlautere Hilfe holt im vollen Bewusstsein, sich seinem Helfer dadurch auszuliefern. Die Versagensängste werden durch den Druck, den die Erwartungshaltung der Gesellschaft ausübt, noch verstärkt. Genau diese Geschichte scheint die Basler Inszenierung zunächst auch zu erzählen, mit vielen guten Einfällen zu Beginn, die das Thema des Einzelnen in der Gesellschaft, seine Vereinzelung, illustrieren, wie etwa das Wettschießen im voll besetzten Stadion oder das in drei Teile zersägte Forsthaus. Im zersägten Forsthaus: Agathe, Moderator und Ännchen, Max
Natur und insbesondere der fast schon zum Nationalheiligtum verkommene deutsche Wald, der landläufig als geheimer Protagonist des Freischütz gilt, kommt so gut wie nicht vor. Er ist auf Andeutungen und kurze, ironische Zitate reduziert. Das ist zunächst höchst amüsant, lässt aber die musikalisch stärkste Szene der Oper äußerst blass aussehen. Statt der Wolfsschlucht nüchterne Tischchen, an denen sich das Gießen der Freikugeln als Mafiakrimi abspielt. Das sind keine Angstvisionen und will nicht so recht in die bislang verfolgte Lesart passen. Der Kunstgriff, einen Moderator einzuführen, erlaubt es, bei den Sprechtexten wohltuend stark zu kürzen. Als eigenwillige Mischung aus Talkmaster, Varieté-Moderator und Zirkusdirektor - dazu passend die Glühlämpchen im Bühnenportal - gibt der lila befrackte Conferencier mal Erläuterungen zur Handlung, mal trägt er die Regieanweisungen vor und führt auf diese Weise die ganze Plattheit des Stückes vor. So entsteht episches Theater. Der Moderator ermöglicht auch die zwei Schlüsse: Nachdem zunächst, den zeitgenössischen Quellen getreu, aus denen Weber und sein Librettist Kind den Stoff bezogen hatten, Agathe stirbt, hält der Moderator die Handlung an und leitet zu dem aus Angst vor der Zensur eingeführten Happy End über. Bereit für die Hochzeit: Agathe, Ännchen, Moderator
Über die musikalische Seite des Abends lässt sich viel Erfreuliches sagen. Wieder einmal besticht der von Henryk Polus exzellent vorbereitete Chor mit Extrachor durch seine enorme Strahlkraft und klangliche Geschlossenheit. Eine besondere Leistung der Herrenriege ist der Jägerchor, in diesem rasanten Tempo fast an der Grenze der Singbarkeit. Unter den Solisten fällt besonders Christiane Ivens Debüt als Agathe auf. Nobles Timbre und berückend schönes Piano lassen die paar leicht forcierten Spitzentöne sofort wieder vergessen. Weniger überzeugend Robert Künzli als Max. Sein Tenor klingt in der Mittellage schwach und in der Höhe eng. Dagegen überzeugen Bjørn Waag mit seinem markigen, sehr präsenten Bariton als Kaspar und Catherine Swansons Ännchen trotz ihrer angekündigten Indisposition mit leichtläufigen Koloraturen und einer immensen Spielfreude. Auch die kleineren Rollen sind - wie etwa der Kilian mit Markus Volpert - gut besetzt. Happy End und Konfetti im Varieté - oder im Stadion?
Das Sinfonieorchester Basel musiziert unter Marko Letonja auf gewohnt hohem Niveau. Beglückend der Klang der tiefen Streicher und hier vor allem auch der Solocello-Kantilenen. Virtuos, intonatorisch tadellos und klangschön die Flöten, Intonationstrübungen einzig bei den Klarinetten. Der dritte Aufzug wirkt, nicht zuletzt wegen wiederholt auftretender Koordinationsschwächen zwischen Graben und Bühne, etwas unkonzentriert. Publikumsliebling ist Matthias Günther, der als Moderator alle Register zieht vom väterlichen An-die-Hand-nehmen bis zum autoritären Dompteur.
Viel Ironie und Witz - dadurch auch (vielleicht auch: gerade) für Freischützhasser sehenswert.
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Produktionsteam* Besetzung der rezensierten Aufführung
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühnenbild und Kostüme
Licht
Dramaturgie
Chor
SolistenOttokarMiguelangelo Cavalcanti / *Hendrik J. Köhler
Kuno
Agathe
Ännchen
Kaspar
*Bjørn Waag
Max
Ein Eremit
Kilian
Samiel
Brautjungfern
Susanne Fuhrmann Karin Hellmich Naoko Horii Theophana Iliewa Monika Lichtenberg Doris Monnerat Esther Randegger
Moderator
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