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Musiktheater
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Lohengrin
Romantische Oper in drei Aufzügen
Text und Musik von Richard Wagner


In deutscher Sprache mit ungarischen Übertiteln

Premiere am 2. Mai 2004 im Erkel-Theater (Erkel Színház) Budapest
(rezensierte Aufführung: 15. Mai 2004)

Aufführungsdauer: ca. 4 h 20 ' (zwei Pausen)


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Staatsoper Budapest
(Homepage)
„Herr Gott, bewahr uns vor der Ungarn Noth!“

Von Ralf Jochen Ehresmann / Fotos von Béla Mezey



In König Heinrichs im Titel dieser Rezension zitierten Worte mögen die zahlreichen Vertreter konservativer Wagnerauslegung und einiger Wagnerverbände aus Deutschland eingestimmt sein, die eigens nach Budapest angereist waren und dort mit ihrem Premieren-Buh-Orgien trachteten, „solch wilder Schmach ein Ende zu ersinnen“ - derweil der ungarische Teil des Publikums über den (das ortsübliche Maß weit überschreitenden Mut zu exzessivem Regietheater) zwischen Schmunzeln und Kopfschütteln schwankte und sogar die ebenfalls ortsübliche Rhythmisierung des Applauses unterließ. Denn was die Urenkelin aus Bayreuth da auf die Beine und Bühne gestellt hatte, ist wirklich außerordentlich eigenwillig.

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„In düstrem Schweigen richtet Gott!“

Und Hand auf's Herz: Auch wir wären sicher nicht so weit gefahren, wenn es um weniger Spektakuläres gegangen wäre, doch wer die Eindrücke des Fliegenden Holländer in Würzburg noch im Gedächtnis hat, kann schwerlich sich damit abfinden, diesen Budapester Lohengrin zu verpassen, und wahrlich, der Einsatz war nicht zu hoch! Lohengrin als Politkrimi ist keine ganz neue Idee (siehe etwa unseren Bericht aus Hagen), und sowohl das Machtgefälle zwischen anreisendem König und Brabanter Interregnums-Chaos wie auch der Charakter einer Regierungserklärung in Heinrichs Begrüßungsansprache legen eine Art parlamentarischen Akt durchaus nahe. Katharina Wagner hat nun aber keine Fraktionen unter den eingangs Anwesenden ausgemacht sondern das Versammlungsgebaren einer nominell sozialistischen Staatspartei ohne Binnendifferenzierung als Ambiente gesetzt und das Wendegeschehen in Berlin und andernorts zur Konflikt-definierenden Rahmensetzung gewählt. Der angeklagten Bürgerrechtlerin Elsa im Öko-Pulli eilt die Revolution zu Hilfe, die in der Gestalt der Schwanenbewegung den Versammlungsraum besetzt, und ein Aktenkofferträger in westlichem Businessdress erobert unter kräftiger Mithilfe vom Medientross blitzkriegartig die gesamte Szenerie. Die grauen Vertreter der alten Garde sind gleichermaßen überrumpelt wie der unstrukturierte Haufen der Pappschildträger, denn das Bild bestimmt nicht, wer gerade etwas tut sondern wer stets wirkungsbewusst vor der Kamera zu stehen weiß.

Vergrößerung „Nun, König, ordne unsern Kampf!“

Über diese Fertigkeiten scheint der unbekannte namenlose Medienstar bestens zu verfügen. Nicht nur sein Aktenkoffer ist mit dem Schwan als Emblem seiner Bewegung geschmückt; nein, in seinem Schlepptau bemächtigt sich sogleich eine Imageagentur der ganzen Bühne und verteilt Schwanen-T-Shirts, -Cappys, -Fähnchen und -Luftballons unterschiedslos an Freund und Feind und dominiert binnen Kurzem das ganze Bild allein.

Den Primat des bildlichen Scheines betont die Inszenierung in perfekter Analogie zur Aufdringlichkeit der Flimmerbilder durch jenen Großmonitor in der Bühnenmitte, dessen Filmschleifen das Geschehen nicht nur jeweils kommentieren sondern an entscheidenden Stellen sogar überformen. Die brüchige Statik des faulen Ehefriedens im Finale des 2.Aufzuges kann schwerlich treffender dargestellt werden als durch das unpassende Arrangement einer Braut, der soeben mit dem Schminkpinsel barsch durchs Gesicht gefahren und ein Requisitschleierchen aufgesteckt wurde und die man beachtungslos abgehen lässt, nachdem sie ihren Zweck erfüllt hat: Ein halbwegs hübsches Hochzeitsphoto a la „Frau mit Herz“ abzuwerfen, in welchem Moment der Monitor die weitere Live-Berichterstattung auch einstellen kann und konsequenterweise zum herzumrandeten Standbild übergeht.

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Weltgericht per Stimmzettel: „Durch Gottes Sieg ist jetzt dein Leben mein“

In diesem Arrangement stellen sich die wesentlichen Bezüge naturgemäß anders dar, und so ist es erstaunlich, mit welcher spielerischen Leichtigkeit es Katharina Wagner gelingt, für alle wesentlichen Aspekte des Dramas passende Antworten gefunden zu haben, die nicht herbeigekrampft wirken und in ihrem Zusammenspiel ein schlüssiges Ganzes ergeben. Die verbotene Frage thematisiert keine Psychoerotik, sondern begehrt schlichte Aufklärung über das Woher und Wozu des nur formal sympathischen Eindringlings, von dessen Konterfei zwar wacker Wahlwerbefilme in Endlosschleifen über den Rückwandmonitor laufen, die ihn abwechselnd als Freund der Kinder, der Rentner oder der Arbeiter präsentieren und ein andermal als ultimative Krönung aller Slapsticks beim Schwänefüttern im Stadtpark inszenieren, der aber dann, wenn gerade keine Kamera hinlinst, maximal herzlos sich verhält und zur Liebeserklärung an Elsa genau zur anderen Seite blickt. Diese wiederum merkt mehr und mehr das böse Spiel, zu dessen willenloser Puppe sie längst geworden ist, dass dieser Modernisierer sich so bemerkenswert gut versteht mit dem alten König, derweil nur Telramund nicht Ruhe geben will und weiter mit dem Vorwurf einer dunklen Vorgeschichte zu punkten trachtet. Dass derartige Zweifel in ihrer gedemütigten Seele fruchtbaren Boden finden und es sie schließlich drängt, das Geheimnis des Koffers lüften zu wollen, ist also noch immer eine schlüssige Fortspinnung der dramatischen Szenerie, und der Plot sitzt gut, wenn sie am Ende der Brautgemachszene eine braune Akte herausfischt. An dieser Beute hat sie freilich wenig Freude, da ja bekanntlich Telramund hier eindringt und das gute Stück ihrer verdutzten Hand leichthin entwindet.

Vergrößerung Telramunds Klage: „Mein Wappen ward zerbrochen, verflucht mein Vaterherd!“

Damit der nun aber damit wuchern kann, darf er nicht einfach tot umfallen, und so wedelt der Untote vor des Königs Gericht aus der Ecke heraus mit seinem Belastungsmaterial gegen IM Lohengrin, dessen Abschiedsrede dadurch wie zur unfreiwilligen Vorwegnahme einer ohnehin nicht mehr aufhaltbaren Demission gerät. Ein Gottfried-Strohmann ist auch leichthin zur Hand, und der schillernde Glitzermann mit der unklaren Vergangenheit bekommt noch den vergoldeten Abgang geschenkt, wenn der besagte Großmonitor ein eben startendes Flugzeug einblendet. Heinrich bleibt König, wenn auch inzwischen etwas moderner und entsteift; Telramund bleibt abgemeldet und steht genauso aussichtslos am Rande wie sein Hauptgegenpart in Gestalt der Elsa, deren Miene nur noch bittersten Spott ausdrückt.

Ihre Figur führt denn auch heran an jene Vielzahl an Brüchen zur urgroßväterlichen Vorlage, mit denen dieser geniale Gegenwurf erkauft wird. Konnte ihr in ihrer Bedrängnis des 1.Aufzuges der Wenderitter noch gerade rechtzeitig beistehen, so ist sie für ihn auch nur unbeseeltes Werkzeug seiner Machtergreifung. Ihr Jammern um sein Bleiben wirkt daher wenig passend, und wenn es sonst auch steter Prüfpunkt meiner Bewertungsskala ist, ob die verlängerte Abschiedsszene im 3.Aufzug ungekürzt gezeigt wird – wie zuletzt nur in Trier – so ist es hier tatsächlich konsequent und sinnvoll, davon nicht noch mehr zu bringen. Ihr kann es letztlich egal sein – und ihre Miene drückt es trefflich aus – ob der graue oder der bunte Clan die Bühne und das Land regiert.

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„Sie naht, die Engelgleiche, von keuscher Glut entbrannt! Heil dir, o Tugendreiche! Heil, Elsa von Brabant!“

Dass Telramund nicht umkommt und folglich auch nicht erschlagen vor des Königs Gericht getragen werden kann, wäre das eine, was Publikum und Kritik im Sprechtheater womöglich keiner weiteren Erwähnung wert gefunden hätten. Wahrscheinlicher aber hätte man die Szene gar nicht zu sehen bekommen, da sie schlicht gestrichen worden wäre. Der Unmöglichkeit zu solcher Vorgehensweise im Bereich des Musiktheaters ist Katharina Wagners sonst so herrlich klares Konzept leider nicht wirklich gerecht geworden. Sie muss sich quasi darauf verlassen, dass man den Text eh nicht so genau versteht und in bestimmten Momenten die anderen eben etwas lauter singen. Denn so sehr sie vor Einfällen nur so strotzt und mit Ideen um sich wirft und gerade darin eine feine Liebe für Details und deren stimmige Anordnung zeigt, bleibt doch ein gewisses Unbehagen angesichts der Frage, ob der Deutungsentwurf in seinem Bemühen, der ursprünglichen Fragestellung neue Tendenzen zu entlocken und damit den Wesenskern des Mythos dem mythenfernen modernen Menschen nahe zu bringen, nicht übers Ziel hinaus geschossen ist. Wo ist die Grenze zwischen Deutung und Verbiegung der Vorlage? Wie viel Werktreue erfordert die Natur der Sache – jenseits aller reaktionären Modernitätsferne? Im konkreten Falle schwingt das Pendel sicher noch zu Wagners Gunsten, was sich im Wesentlichen ihrer klaren Linie und deren innerer Stimmigkeit verdankt.

Vergrößerung Telramunds Klage: „Mein Wappen ward zerbrochen, verflucht mein Vaterherd!"

Die Budapester Besetzungstafel nennt keine Namen, die einem westdeutschen Wagnerpublikum bekannt wären. Als herausragend darf die frische unverbrauchte Stimme der Gyöngyvér Sudár für ihre Interpretation der Elsa gelten, und auch B. Atilla Kiss hat die Titelpartei nicht nur kraftvoll durchgestanden, sondern bis zuletzt mit enormem Einsatz das dramaturgische Konzept des medienbewussten Kamerahelden ausgefüllt. Auch König Heinrich (Péter Fried) und Telramund (Kázmér Sárkány) dürfen als veritable Sachwalter ihrer Aufgaben bestätigt werden, was für Ortrud (Mária Temesi) ähnlich zu sagen ist, deren wesentliche Auftritte sich naturgemäß auf den 2. Aufzug beziehen. Lediglich der Heerrufer (Sándor Dobos) muss als verunglückt gelten, was vorrangig ein Problem der Sprache, aber auch der Atmung war. Ansonsten gibt es wohl wenige Gruppen fremder Zunge, denen eine so fast akzentfreie Aussprache von außerordentlicher Verständlichkeit zu bescheinigen ist, wie sie auch muttersprachliche Sänger eher selten erreichen.


FAZIT
Fraglos ein genialer Wurf mit Tendenz zur Meisterschaft, der aber für ein uneingeschränktes Testat noch zu viele Brüche hat, an denen ihr Konzept unübersehbare Flanken zeigt und sein Material offenbar nicht vollständig hat durchdringen können. Dennoch hat die Urenkelin hiermit wieder einen jener Volltreffer gelandet, die sie augenscheinlich zu ihrem Markenzeichen zu machen trachtet und die hinsichtlich ihrer Eignung zur Nachfolge in der Festspielleitung gleichermaßen hilfreich wie hinderlich sind, wenn es darum geht, sowohl Fachpresse wie organisierte Stammkundschaft zu überzeugen und für sich einzunehmen.


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Produktionsteam


Musikalische Leitung
Jurij Szimonov

Inszenierung
Katharina Wagner

Bühne und Kostüme
Alexander Dodge

Choreinstudierung
Máté Szabó Sipos



Chor der Staatsoper Budapest

Orchester der
Staatsoper Budapest


Solisten

* Besetzung der rezensierten Aufführung


Lohengrin
Attila B. Kiss

Heinrich der Vogler
Péter Fried

Elsa von Brabant
* Gyöngyvér Sudár /
Eszter Sümegi

Telramund
Béla Perencz /
* Kázmér Sárkány

Ortrud
Éva Marton /
* Mária Temesi

Heerrufer
Sándor Dobos /
* Ferenc Cserhalmi



Weitere
Informationen

erhalten Sie von der
Staatsoper Budapest
(Homepage)



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