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Krakauer Allerlei
Von Silvia Adler
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Fotos von Klaus Baqué Kerkermauern mit Reißverschluss - Picknick auf der Gefängniswiese: Mit Fidelios graugesichtigem Gefangenenchor haben die munteren Kerkerinsassen, die in Carl Millöckers "Bettelstudent" an die frische Luft strömen, nur wenig gemein. Operette kennt bekanntlich ihre eigenen Gesetze: Für ein paar Würste oder einen guten Tropfen Wein drückt Gefängniswärter Enterich gern ein Auge zu und entlässt seine Gefangenen ans Sonnenlicht. Beim Schäferstündchen mit den Ehefrauen schwelgt man in trautem Chorgesang. Im Gefängnisidyll scheint der Harmonie zwischen den Geschlechtern keine Grenze gesetzt. Der Bettelstudent und seine Comtesse.Heike Susanne Daum (Laura) und Jeff Martin (Symon).
Klangbeispiel: Heike Susanne Daum (Laura) und Jeff Martin (Symon).
Ganz anders verhält es sich in den besseren Kreisen. Beim Versuch, die polnische Comtesse Nowalska auf die Schulter zu küssen, wird der sächsische Oberst Ollendorf, Gouverneur im besetzten Krakau, mit einem Fächerschlag kratzbürstig abserviert. Sein Rachefeldzug führt ihn geradewegs in Gefängnis, wo er unter den Insassen einen geeigneten Kavalier ausfindig machen will, um ihn der stolzen Polin als Milliarden schweren Heiratskandidaten zu präsentieren. Durch eine Lappalie gerät der Stein in Millöckers 1882 entstandenem Erfolgsstück ins Rollen. In bester Operettenmanier löst der Schlag mit dem Fächer eine Lawine aus, die letztlich alles - inklusive der bestehenden Ordnung- mit sich fortreißt und den Racheplan launisch unter sich begräbt. Regisseur Pavel Fieber vertraut in seiner Dortmunder Inszenierung ganz dem Libretto von Friedrich Zell und Richard Genée: in sauber gearbeiteten, allerdings etwas altbacken wirkenden Dialogen erzählt er die Handlung so, wie sie im Textbuch steht.
Intrigenspiel ohne Grenzen.
Nur ab und zu wird dem Publikum eine aktuelle Anspielung (Autobahnmaut, Merkel-Schröder, Fernsehprogrammwüste) serviert. Moderne Akzente setzt dagegen das Bühnenbild (Susanne Thaler), das sich jedoch nicht wirklich zwischen einer zeitgemäßen oder historisch-korrekten Sichtweise entscheiden kann. In einer bunten Mischung werden die Stile durcheinander gewürfelt. Traditionelle Roben treffen auf Plateau-Schuhe, goldene Bilderrahmen mutieren zu Hotdog-Papptellern. Schlichte Volkstrachten werden mit leuchtenden Phantasieuniformen konfrontiert. Was fehlt ist eine klare ästhetische Linie. In der überbordenden, farblich wenig ausgegorenen Stilvielfalt verpufft die Wirkung der bewusst herbeigeführten Brüche. Im zweiten Bild beherrscht ein rotes Karussell die Bühne. Es kreist um eine meterhohe, kurvenreiche Frauenskulptur in eng geschnürter Korsage. Im Takt der Musik ziehen die Holzpferdchen ihre Runden: ein bestimmtes Ziel haben sie nicht - Hauptsache es dreht sich! Der gleichen Divise folgt von nun an leider auch die Inszenierung. In knallbunten Bildern hangelt sich der Regisseur von Pointe zu Pointe. Ein klares Konzept ist nicht erkennbar. Geschlechterkampf, Gesellschaftskritik und Militarismusparodie - alle Kernthemen des Stückes werden nur oberflächlich gestreift, ohne konsequent weiter verfolgt zu werden. Die allzu seichte Deutung der Operette mindert ihren Unterhaltungswert erheblich. Ohne rechten Biss bleibt das Stück aus der goldenen Operettenära erstaunlich glanzlos. Dabei wirkte die Personenregie durchaus überzeugend: Der seit 1972 dem Dortmunder Opernensemble angehörende Andreas Becker ist ein überheblich polternder Oberst: stimmgewaltig auftrumpfend mit dem nötigen Schuss Ironie. Umtriebige Bühnenpräsenz zeigte auch Jeffrey Treganza als Jan Janicki, der in höheren Lagen stimmlich allerdings hörbar an seine Grenzen stieß. Glaubhafte Emotionen vermittelte Jeff Martin als Bettelstudent, der mit seinem volltönend metallischem - leider zu wenig fokussiertem Tenor - zum Publikumsliebling avancierte. Hinreißend sächselnd, zeigte auch Hannes Brock in der Rolle des Kerkermeisters Enterich vollen komödiantischen Einsatz. "Ach, ich hab sie ja nur auf die Schulter geküsst."Heike Susanne Daum (Laura) und Ks. Andreas Becker (Oberst Ollendorf).
Klangbeispiel: Ks. Andreas Becker (Oberst Ollendorf).
Deutlich schwerer hatten es dagegen die Frauen. Viel von ihrem Spielwitz wurde von den aufgeplusterten Kostümen im Keim erstickt. Auch gegen die mit jedem Akt in die Höhe wachsenden Kopfbedeckungen und die ausgesprochen geschmacklosen Perücken waren die Akteurinnen machtlos. Heike Susanne Daum sang die Comtesse Nowalska mit flexiblem, schlankgeführtem Sopran, dem aber nicht nur in der stecknadelartigen Höhe die nötige Wärme fehlte. Mit einer etwas zu abgedunkelten Stimmgebung gestaltete Zoya Zheleva die Partie der Bronislawa. Ihr künstlich gefärbtes Timbre war einem Mezzo zum Verwechseln ähnlich. Trotz einiger Koordinationsprobleme mit den Sängern klang es aus dem Orchestergraben ausgewogen und solide. Allerdings ließen die Dortmunder Philharmoniker unter Timor Oliver Chadik der Operette auch keine Flügel wachsen. FAZIT Statt Farbe zu bekennen, präsentiert die Inszenierung einen Kessel Buntes. Musikalisch solide, bleibt die goldene Operette ohne rechten Glanz. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne und Kostüme
Licht
Choreinstudierung
Dramaturgie
Solisten* Besetzung der PremierePalmatica Gräfin Nowalska Ks. Elisabeth Lachmann
Laura, ihre Tochter
Bronislawa, ihre Tochter
Oberst Ollendorf,
von Wangenheim, Major
von Richthoffen, Rittmeister
von Schweinitz, Leutnant
Jan Janicki
Symon Rymanowicz
Enterich, Kerkermeister
Graf Bogumil, Palmaticas Vater
Eva, dessen Gattin
Rej, ein Wirt
Onuphrie, Palmaticas Leibeigener
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