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Der Rosenkavalier
Komödie für Musik in drei Aufzügen
Text von Hugo von Hofmannsthal
Musik von Richard Strauss


In deutscher Sprache mit deutschen Untertiteln

Premiere am 2. November 2003

Aufführungsdauer: ca. 4 h 15' (zwei Pausen)


Homepage

Theater Dortmund
(Homepage)
Revolution des Weiblichen

Von Stefan Schmöe / Fotos von Bettin Stöß



"Hab' mir's gelobt, Ihn lieb zu haben in der richtigen Weis'. Dass ich selbst Sein Lieb' zu einer andern noch lieb hab! Hab' mir freilich nicht gedacht, dass es so bald mir aufgelegt sollt' werden!": Bekräftigt durch alle Orchesterherrlichkeit dieser Musikwelt entsagt die Marschallin im ihrer Liebe zu Octavian, und nicht nur der überwältigende Wohlklang des großen Terzetts, auch der zuckersüße Text Hugo von Hofmannsthals verklären diesen Moment zu einem der größten Finali der Operngeschichte. Was soll ein Regisseur dem noch entgegensetzen, wo doch Text und Musik schon die drei Stunden zuvor alles überdeutlich gesagt, kaum Platz für Umdeutungen gelassen haben? Was hilft es da, Blattgold und Zopfperücken wegzulassen, wenn sie in der Musik unüberhörbar einkomponiert sind? Fast jede Inszenierung muss davor kapitulieren, kann letztendlich nur noch bebildern, was Komponist und Librettist vorgegeben haben, und selbst wer den krassen Gegensatz zeigen möchte (wie etwa Günter Krämer in seiner Kölner Urwald-Inszenierung), wird die wienerischen Geister nicht los.

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Die aufregende Liebesszene zwischen der Marschallin und Octavian ...

In Dortmund versucht Regisseurin Beverly Blankenship gar nicht erst, dieser Aura etwas entgegenzusetzen. Vielmehr interessiert sie sich für das Drama, das sich hinter der Maskerade abspielt, und deshalb dürfen die Kostüme demonstrativ üppig ausfallen, auf dass jeder merke, dass es sich nur um Kostüme handelt: Aufgeputzt wie Dackel und Pudel erscheint der tierisch bunte Hofstaat der Marschallin. Hofmannsthals Kunstwelt wird als solche denunziert, witzig-ironisch zwar, aber auch mit mäßigem Vertrauen in die Intelligenz des Betrachters: Es wäre auch in abgeschwächter Form noch durchschaubar (Strauss und Hofmannsthal haben hinreichend dafür gesorgt, ihre Märchenwelt als solche erscheinen zu lassen). Weitaus aufregender ist, was die Regie hinter dieser Fassade zum Vorschein bringt.

Vergrößerung ... wird abrupt gestört durch Baron Ochs auf Lerchenau, der gefallen an dem als "Mariandl" verkleideten Octavian findet ...

Zwei Leitlinien durchziehen die Inszenierung: Die eine ist die Stellung von Mann und Frau in der hier vorgeführten Gesellschaft, die andere der Gegensatz von Kindlichkeit und Erwachsen-sein. Männer sind Geschäftsleute, die alles – auch ihre Kinder – als Ware behandeln, wie Faninal, wie der geschickt Würde gegen Geld tauschende Ochs. Die Frauen sind die Unterdrückten, die gesellschaftlich funktionieren müssen; Frauen werden an Männer verkauft (wie Sophie an Ochs, wie einst die Marschallin an ihren Gatten) und haben sich unterzuordnen. Sophie, ein verschacherbares Objekt, sitzt in einem glänzenden Bilderrahmen (die darin eingelassenen Waffen verraten, mit welcher Art Geschäft Vater Faninal Reichtum und Ehre erlangt hat). Ihre guten Vorsätze, mit denen ihr Auftritt beginnt, liest sie aus dem Benimm-Buch ab – so verhält sich ein junges Mädchen, das einen alten Trottel von Rang heiraten darf. Frau Blankenship lässt Sophie rebellieren, lässt sie ganz bildlich aus dem Rahmen springen.

Klangbeispiel Klangbeispiel: "Du! Du! Du! Was heißt das "Du"?" (Octavian)
(MP3-Datei)


Das wäre banal, wenn nicht die Figur des Octavian gleichzeitig äußerst komplex angelegt wäre: Dieser Mann, von einer Frau gesungen, der sich als Frau verkleidet, verkörpert für die Regisseurin ein Mischwesen, dem die Grenzüberschreitung gelingen kann. Octavian trägt zu Beginn ein Leibchen mit aufgemalter Brustbehaarung als Symbol der Männlichkeit, aber mehr, um das Zwitterhafte der Rolle hervorzuheben, denn ansonsten versucht die Regie gar nicht erst, die Sängerin als Mann zu verkleiden. Dadurch wird die Handlung aufgebrochen, und auch die in aller Regel so peinlichen Verkleidungsszenen, in denen Octavian als „Mariandl“ herumquäken muss, haben so etwas wie revolutionären Sinn. Erst mit dem Ablegen der Männerrolle kann Octavian die Grenzen der Männerwelt durchbrechen. Es bleibt offen, ob dieser Octavian nun Mann oder Frau ist, und in dieser Offenheit liegt eine große Stärke der Inszenierung.

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... und Octavian als Rosenkavalier zu Sophie schickt ...

Die Rebellion des Weiblichen gegen die Konvention ist auch ein Aufbegehren gegen die gefestigte Welt der Erwachsenen. Sophie ist ein Kind, das herumhüpft und Purzelbäume schlägt. Die Marschallin (Hofmannsthal hat betont, dass sie keine „alte“ Frau ist) ist Gefangene der Konventionen, bewacht von ihrer Dienerschaft. In der Liebesnacht mit Octavian bricht sie aus der Konvention aus, und als Symbol lässt die Regisseurin ein Kind, die Marschallin in jüngsten Jahren, über die Bühne laufen. Auch bei Hofmannsthal / Strauss gibt es ein Kind in der Umgebung der Marschallin, und zwar den Mohren Mohammed, der Kaffee ins Schlafzimmer bringen und in den allerletzten Takten der Oper als (gar zu) niedliches Accessoire der Oper Sophies Taschentuch aufheben muss. Diese Figur hat Beverly Blankenship fast boshaft umgedeutet: Ihr Mohammed ist ein ausgewachsener, kräftiger Mann, mit dem die Marschallin in eben jenen Schlusstakten ihr eigenes Glück findet. Das steht so ganz und gar nicht in der Partitur und überzeugt als freche Protestnote umso mehr: Ätsch, ihr komponierenden Männer, meine Marschallin kriegt doch ihr Happy End.

Vergrößerung ... mit der Spätfolge, dass diese drei Damen eine Beziehungskrise auflösen müssen.

Doch bis es dazu kommt, müssen die Figuren eine wirklich atemberaubend inszenierte Schlusssequenz durchmachen. Nach Ochs' Abtritt gibt sich Frau Blankenship nicht mit einer großmütigen Entsagung zufrieden, sondern mit vielen kleinen, aber äußerst sorgfältig inszenierten Gesten zeichnet sie einen Machtkampf, der lange auf des Messers Schneide steht und auch ganz anders ausgehen könnte. Verloren hat die Marschallin ihren Octavian womöglich schon zum Ende des ersten Aktes, als Octavian eben nicht als der kleine Junge, dem kurz über das Haupt gestreichelt werden muss, sondern ein sehr selbstbewusster, aber auch verletzlicher Liebhaber auftritt. Indem die Regie drei starke Persönlichkeiten aufeinander treffen lässt, entdeckt sie hinter der großen Musik ein Kammerspiel mit manchen Fallstricken. Dieser Rosenkavalier hat es sozusagen subkutan ganz gehörig in sich.

Klangbeispiel Klangbeispiel: "Mir ist die Ehre wiederfahren" (Octavian)
(MP3-Datei)


Mit Maria Hilmes ist der Octavian gerade in dieser Anlage ideal besetzt: Die junge, attraktive Sängerin singt einen jugendlich-strahlenden, energisch auftretenden Rosenkavalier, der eben nicht (nur) im Wohlklang versinkt, sondern mitunter auch schneidend dazwischen fahren kann. Nathalie Boissy ist eine abgeklärte, wunderbar nuanciert singende Marschallin, die gerade im großen Monolog des ersten Aktes jedes Wort differenziert gestaltet. Im aufbrausenden Finale forciert sie dagegen etwas, was sich im dann recht starken Vibrato niederschlägt. Hoch virtuos ist Eun-Joo Park als Sophie, für die man die ohnehin hohe Partie wohl ruhig noch eine Oktave höher transponieren dürfte. Der Sophie ist die Sängerin eigentlich entwachsen, zumal in dieser Inszenierung: Bei allem neckischen Herumtollen ist sie eben auch stimmlich nicht mehr das ganz junge Mädchen, das sie spielt. Ihr glockenheller Sopran ist da doch zu groß. Bjarni Thor Kristinsson singt einen vitalen und prägnanten Ochs, der wenig von der Gemütlichkeit, die der Rolle sonst meist anhaftet, besitzt. Jochen Schmeckenberger ist ein kraftvoller, machtbewusster Faninal. Karolina Gumos wertet die Partie der Intrigantin Annina durch Bühnenpräsenz und zupackenden Gesang zu einer fast ebenbürtigen Rolle auf. Mit Jeff Martin ist auch die undankbare Rolle des italienischen Sängers ordentlich besetzt.

Klangbeispiel Klangbeispiel: Walzer, "Keine Nacht mir zu lang" (Ochs)
(MP3-Datei)


Klangbeispiel Klangbeispiel: Duett "Spür' nur dich" (Octavian, Sophie)
(MP3-Datei)


Die Dortmunder Philharmoniker sind gegenüber der blassen Premiere von Eugen Onegin stark verbessert und lassen kaum Wünsche offen. Dirigent Arthur Fagen stellt sich und das Orchester ganz in den Dienst der Sänger und erzielt einen sehr transparenten Klang. Das heikle Kammerspiel auf der Bühne gefährdet er weder mit alles übertönendem Klangrausch noch mit zu großem Sentiment. Die kleinen Verästelungen sind delikat ausgespielt, die Walzerfolgen mit einem gewissen Understatement, aber innerer Logik gestaltet. Vielleicht fehlt hier und da ein wenig Charme, beginnt der erste Akt etwas gebremst, aber insgesamt kann sich auch der instrumentale Part bestens hören lassen.


FAZIT
Starke Inszenierung mit starken Sängern: Vieles, was die Musik sonst in ihrer Üppigkeit verdeckt, wird hier an den Tag befördert - und mancher passende Kommentar der Regisseurin.


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Produktionsteam


Musikalische Leitung
Arthur Fagen

Inszenierung
Beverly Blankenship

Bühne und Licht
John Lloyd Davies

Kostüme
Elisabeth Binder-Neururer

Choreinstudierung
Granville Walker



Chor des
Theater Dortmund

Mitglieder des Kinderchores
der Chorakademie Dortmund
(Einstud.: Birgit Görgner)

Philharmonisches
Orchester Dortmund


Solisten

* Besetzung der Premiere


Die Feldmarschallin
Nathalie Boissy

Baron Ochs auf Lerchenau
Bjarni Thor Kristinsson

Octavian
Ute Döring /
* Maria Hilmes

Herr von Faninal
Mikael Babajanyan /
* Jochen Schmeckenbecher

Sophie
Eun-Joo Park

Die Leitmetzerin
* Heike Susanne Daum /
Zoya Zheleva

Valzacchi
* Hannes Brock /
Jeffrey Treganza

Annina
* Karolina Gumos /
Johanna Schoppa

Ein Sänger
Charles Kim /
* Jeff Martin

Ein Polizeikommissar
Christoph Stegemann

Der Haushofmeister
bei der Feldmarschallin
Christian Pienaar

Der Haushofmeister
bei Faninal
Darius Scheliga

Ein Notar
Assaf Levitin

Ein Wirt
Christian Pienaar

Ein Tierhändler
Savo Pugel

Drei adelige Waisen
Gill-Ja Bae
Keiko Matsumoto
Manuela Meyer

Eine Modistin
Jutta Nigge

Ein Friseur
Ralf Schulze

Leopold
René Zimmermann

u.a.



Weitere
Informationen

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Theater Dortmund
(Homepage)



Da capo al Fine

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