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Salome

Musikdrama in einem Aufzug von Richard Strauss
Text vom Komponisten nach dem gleichnamigen Drama von Oscar Wilde
in der Übersetzung von Hedwig Lachmann


In deutscher Sprache mit deutschen Übertiteln
Aufführungsdauer: ca. 1 h 45' (keine Pause)

Premiere im Aalto-Theater Essen am 31. Januar 2004


Logo:  Theater Essen

Theater Essen
(Homepage)
Blutorgien und viel Geschrei

Von Stefan Schmöe / Foto von Matthias Jung


„Der Kopf eines Mannes, der vom Rumpf getrennt ist, ist ein übler Anblick“ Herodes spricht ein Kernproblem an, dem sich alle Regisseure der Salome stellen müssen: Wie setzt man – nicht nur in der Schlussszene - die Mischung aus Gewalt und (verhinderter) Sexualität bildlich um, während Musik und Text die Situation bereits überdeutlich umreißen? Vielleicht ist Salome doch eher ein Stück für konzertante Aufführungen, bei denen sich das Bild im Kopf des Zuhörers zusammensetzt. Wer es aber inszeniert, muss sich diesem Problem stellen und szenische Antworten darauf finden.

Szenenfoto

Frauen-Bild: Wie im Rahmen des Malers Franz von Stuck die "Sünde" erscheint uns Salome, hier verdoppelt.

Klangbeispiel Klangbeispiel: "Wo ist er" (Jochanaan)
(MP3-Datei)


In der Essener Neuinszenierung setzt Regisseur Tilman Knabe auf grelle Schockeffekte: Blut muss fließen, und das ordentlich, und auch brutaler Sex darf nicht fehlen. Deshalb zerren die fünf Juden und zwei Nazarener, die eben noch das einzige richtige Ensemble der Oper gesungen haben, eine Dienerin zwecks Vergewaltigung hinter die nächste Ecke, um kurz darauf allesamt nackt, aber blutverschmiert auf die Bühne zu torkeln, gemeuchelt von zwei blutbespritzten Soldaten. Deshalb kippt der Henker das Blut aus der Silberschüssel mit Jochanaans Kopf über Salome aus. Was hier aber in Strömen fließt, ist nichts als Theaterblut. So drastisch diese Szenen sein sollen, so harmlos und albern wirken sie – weil sie so offensichtlich nur des Effekts wegen inszeniert, aber nicht inhaltlich motiviert sind. Wie in Western- oder Kriegsfilmen nimmt man unzählige Leichen hin solange die Hauptfiguren überleben – erst wenn ein Charakter tatsächlich entwickelt ist, wird seine Biographie, sein Überleben interessant. Wirkliche Charaktere aber gibt es in dieser Inszenierung nicht, und deshalb lässt es kalt, dass an diesem Abend eigentlich fast jeder irgendwann erdolcht wird.

Szenenfoto Warum die Soldaten (unten) so eingeschüchtert sind, weiß nur der Regisseur. Salome und Jochanaan benehmen sich hier noch, wie man es aus etlichen anderen Inszenierungen gewohnt ist.

Der eigentliche Clou, gar eine Provokation? soll wohl die Begegnung zwischen Salome und Jochanaan sein, bei der der moralisierende Prophet die Prinzessin kurzerhand vergewaltigt. In Oscar Wildes Drama – nicht in dem daraus von Strauss destillierten Libretto – spricht Salome aus: „Ich war eine Jungfrau, und du nahmst mir meine Keuschheit“. Ganz so platt wie in Knabes postpubertären Gewaltvisionen hat Wilde das wohl nicht gemeint. Natürlich darf ein Regisseur die inhaltliche Struktur eines Werkes aufbrechen, wenn das einer dramaturgischen Idee folgt (Barbara Beyer etwa hat jüngst mit durchaus interessantem Ergebnis in Aachen den Wozzeck auf den Kopf gestellt – vgl. unsere Rezension). Knabe aber vergisst über dem vermeintlichen Theatercoup sowohl die dramaturgische Legitimation als auch die Folgen: Wie an etlichen anderen Stellen der Inszenierung nimmt man den Figuren ihre Handlungen schlichtweg nicht ab. Auch dass Salome unmittelbar nach der derben Vergewaltigung sich lasziv auf der Bühne räkelt und viel Bein zeigt, ist nicht eben Ausdruck von psychologischem Feingefühl. Verhältnismäßig gut gelungen ist immerhin der Tanz, bei dem Knabe einen peinlichen Striptease verweigert. Stattdessen führt ein Salome-Doppel eine (lebende) Schlange spazieren – dieses Bild lässt, wenn auch hart an der grenze zum platten Exotismus, wenigstens für einen kurzen Moment etwas von der Vielschichtigkeit der Figur erahnen.

Szenenfoto

Jetzt wird es aber beinahe skandalös: Jochannan vergewaltigt Salome. Wer möchte, darf sich provoziert fühlen. Für den weiteren Verlauf des Dramas spielt die Szene ansonsten keine erkennbare Rolle.

Klangbeispiel Klangbeispiel: Tanz der sieben Schleier (Ausschnitt)
(MP3-Datei)


Knabe wollte, das sagt er im Programmheft, die Salome bewusst mehrdeutig anlegen. Das ist ihm insofern gelungen, als die Figur derartig blass bleibt, dass man alles oder nichts hineininterpretieren kann. Auch das Bühnenbild (Alfred Peter) geht in diese Richtung: Eine Art verrotteter Bunker, in dessen verschachtelter Bauweise man Andeutungen an orientalische Lehmhäuser erahnen kann; in der Mitte ein von einem Jugendstil-Bilderrahmen (Vorlage war ein rahmen von Franz von Stucks „Die Sünde“) eingefasster Gang: Die Assoziationen sind nicht eben originell sondern wirken wie eine Zusammenfassung dessen, was in den letzten 20 Jahren an schlechten SalomeInszenierungen zu sehen war. Und auch die Personenregie – soweit überhaupt erkennbar - bleibt über weite Strecken konventionell bis banal. Die erste Hälfte der Inszenierung sieht aus, als habe man die Personenführung einem Regiepraktikanten anvertraut. Betroffen sinken die Personen reihenweise dahin wie sonst nur Fußballprofis im gegnerischen Strafraum. Salome, im brillantbesetzten Jugendstilkleid und mit obligatorisch rotem Haar spreizt vor Erregung niedlich die Finger, das aber von der ersten bis zur letzten Minute. Und dass der in Narraboth verliebte Page hier eine Frau (nämlich die später vergewaltigte Dienerin) ist und Herodes nicht Salome, sondern Herodias tötet, sind banalisierende Zutaten eines offensichtlich überforderten Regisseurs. Bedenkt man, dass die Essener Strauss-Pflege unter Chefdirigenten-Intendant Stefan Soltesz Inszenierungen wie die hochintellektuelle Daphne von Peter Konwitschny und die immerhin beeindruckende Frau ohne Schatten von Fred Berndt hervorgebracht hat, ist diese banale Salome ein Absturz deutlich unter das Mittelmaß.

Szenenfoto Herodes will Salome tanzen sehen, Herodias ist sauer, Salome sitzt abwartend im Rahmen - und der allgegenwärtige Henker verbreitet ein wenig exotisches Flair.

Auch sängerisch ist die Aufführung enttäuschend. Francesca Patané hat eine vom Charakter her kleine, fast soubrettenhafte Stimme, die sie zwar zu erheblicher Lautstärke forcieren kann (und damit auch die ganze Salome-Partie ohne erkennbare Ermüdungserscheinungen durchsteht) – aber auf Kosten fast jeglicher Nuancierungsfähigkeit im Forte. Ein paar schöne Töne im Piano machen das kaum wett, zumal die hohe Lage permanent gefährdet scheint – und etliche Töne von der Intonation her heikel, teilweise schlicht falsch waren. Soweit das eine wirkliche Interpretation zuließ, schwankte diese auch darstellerisch unentschlossen zwischen femme fatale und Kindsfrau – weniger im Sinne von Mehrdeutigkeit als von Hilflosigkeit (das zu ändern hätte eigentlich Aufgabe von Regisseur und Dirigent sein sollen). Rainer Maria Röhrs Charaktertenor hat an Fundament gewonnen, zumal Röhr das auch darstellerisch umsetzen kann (das hat er u.a. in den Meistersingern als David gezeigt); dennoch ist er eine Spur zu leicht für die Rolle mit ihren hysterischen Ausbrüchen. Ildiko Szönyi ist eine solide Herodias, deren Stimme die Wärme und Tragfähigkeit besitzt, die der Salome fehlt; als Charakter aber bleibt auch sie blass. Jeffrey Dowds Narraboth klingt von Beginn an überanstrengt. Den stärksten Eindruck hinterlässt Almas Svilpa als Jochanaan, dessen klangmächtige, dabei immer sonore Stimme im Einklang mit seiner hühnenhaften Figur steht: Ein Prophet wie aus dem Bilderbuch, aber eben auch eindimensional.

Szenenfoto

Blut muss fließen: Das hier gehört auch noch zum Haupt des Propheten, und deshalb schüttet der Henker es über Salome aus.

Klangbeispiel Klangbeispiel: Salomes Schlussgesang (Ausschnitt)
(MP3-Datei)


In exzellenter Verfassung präsentiert sich einmal mehr das Essener Orchester. Immer klangschön, hochkultiviert in jedem Übergang, sehr homogen in allen Instrumentengruppen – und trotzdem fehlt etwas. Das liegt zum einen daran, dass Dirigent Stefan Soltesz die Partitur zwar schlank und transparent, aber auch sehr symphonisch interpretiert – über Stellen, an denen der Text ein Stocken der Musik einfordert, spielt er mit Blick auf die symphonische Gesamtanlage regelmäßig hinweg. Zum anderen fehlt die innere Nervosität, die diese Musik fast zur Explosion bringen müsste. Mitunter hat man den Eindruck, Soltesz habe „überprobt“: Übergänge, Steigerungen wirken stellenweise unterkühlt perfekt, als seien sie zwar in penibelster Probenarbeit einstudiert, aber in der realen Aufführungssituation nicht mehr nachempfunden, quasi losgelöst vom Bühnengeschehen. Der Applaus war, sieht man von den notorisch dauerenthusiastischen Soltesz-Fans ab, für Essener Verhältnisse eher kühl – und die verpatzte Regie den allermeisten nicht einmal ein „Buh“ wert.


FAZIT

Blut und Musik strömen breit dahin. Was Inszenierungsrüpel Tilman Knabe vorlegt, ist weder provokativ noch skandalös, sondern schlichtweg albern. Sängerisch unglücklich besetzt erfüllt auch die Musik die hohen Erwartungen an das ambitionierte Essener Aalto-Theater nicht.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Stefan Soltesz

Inszenierung
Tilman Knabe

Bühne
Alfred Peter

Kostüme
Birgitta Lohrer-Horres

Licht
Hartmut Litzinger

Dramaturgie
Kerstin Schüssler

Choreographische Mitarbeit
Jeremy Leslie-Spinks



Statisterie des Aalto-Theaters

Die Essener Philharmoniker



Solisten

Herodes
Rainer Maria Röhr

Herodias
Ildiko Szönyi

Salome
Francesca Patané

Jochanaan
Almas Svilpa

Narraboth
Jeffrey Dowd

Ein Page
Grit Gnauck

1. Jude
Thorsten Hofmann

2. Jude
René Aguilar

3. Jude
Ji-Woon Kim

4. Jude
Herbert Hechenberger

5. Jude
Thorsten Grümbel

1. Nazarener
Marcel Rosca

2. Nazarener
Peter Bording

1. Soldat
Günter Kiefer

2. Soldat
Michael Haag

Henker
Eric Prempeh Boakye

Salome II
Jorinde Meßlinger







Weitere Informationen
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Theater Essen (Homepage)




Da capo al Fine

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