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Ziemlich eingeteufelt
Von Christoph Wurzel / Fotos: Thilo Beu (Frankfurt) und Jacqueline Krause-Burberg (Karlsruhe) Eine selten gespielte Oper binnen kurzem gleich an zwei großen Häusern: Zufall oder Trendwende? Jedenfalls haben jetzt die Frankfurter Oper und das Badische Staatstheater mit ihren bemerkenswerten Neuinszenierungen Boitos Mefistofele wieder in Erinnerung gerufen. Herausgekommen sind zwei sehr unterschiedliche Deutungen mit gleichwohl auch zahlreichen Parallelen - ein interessanter Vergleich zweier höchst ambitionierter und in ihrer Art jeweils schlüssiger Opernproduktionen. Schon die Szenerie verdeutlicht die Unterschiede: in Frankfurt stellt eines von zwei Bühnenbildern einen anatomischen Lehrsaal dar, dem berühmten Anatomischen Theater der Universität Padua nachgestaltet, das Goethe nachweislich auch gekannt hat. Faust erscheint hier also als ein (Natur-) Wissenschaftler vom Menschen, ein Experimentator dazu, denn in den Glasvitrinen gibt es außerdem zahllose bizarre Präparate, in Formalin eingelegte menschliche Körperteile oder missgebildete Föten, alle fürchterlich abstoßend anzusehen. Allgegenwärtig liegt auf einer Bahre der Körper einer toten Frau, aus dem am Schluss Faust den Humunculus per Kaiserschnitt entbinden wird. Dieser Faust ist so etwas wie eine Mischung aus Frankenstein und dem Leichenbastler Hagens, dessen Show in Frankfurt gerade ihre Tore geöffnet hat.
Die hohe Seele, die sich mir verpfändet, die haben sie mir pfiffig weggepatscht.
In Karlsruhe beherrschen überdimensionale Bücherwände die Szene. Faust sitzt zu Beginn am Schreibtisch - weniger ein Forscher, eher ein Aktenwurm oder gar ein Schreibtischtäter? In Frankfurt gibt es für die Gretchenszenen noch ein zweites Bühnenbild. Es ist ein halbrunder mit arkadenähnlichen Nischen versehenes Mauersegment, das dem Wiener Narrenturm nachgebildet ist, einem Ende des 18. Jahrhunderts erbauten Krankenhaus für "Geisteskranke", in dem sich heute die Sammlung des pathologisch-anatomischen Bundesmuseums von Österreich befindet. So stellt die Kulisse, die ebenfalls mittels der Drehbühne verändert wird, die Außen- und die Innenseite derselben Welt vor, einer Welt, in welcher der Mensch zum Material geworden ist. Diametral gegensätzlich die Helena-Szene: in Frankfurt spielt sie im Milieu von Huren und Zuhältern, in einem Kontakthof im Rotlichtviertel, die Männer können sich der Zierde überlanger Phalli erfreuen. Helena erscheint als Domina und so verwundert nicht Fausts Bilanz seiner Suche nach der idealen Frau: "Die Wirklichkeit war Schmerz, das Ideal nur ein Traum". In Karlsruhe dagegen spielt diese Szene tatsächlich in einer künstlich idealisierten Welt von unnahbar gewandeten Frauengestalten, die wie ein griechischer Tragödienchor arrangiert sind. Helena ist tatsächlich das (durch entsprechendes Schuhwerk) erhöhte Frauenideal. Als ironischer Akzent werden an die allzeit präsente Bücherwand Filmsequenzen aus dem Zwanziger Jahre-Film "Wege zu Kraft und Schönheit" mit Tanzszenen junger Frauen im Stil des Nudisten- und Lichtkults projiziert. Der Geist, der stets verneint.Karlsruhe: Mefistofele (Konstantin Gorny) und Faust (Mauro Nicoletti).
Beide Inszenierungen legen Faust und Mephisto als dialektische Einheit an, als zwei Seiten eines Menschseins, die eine als Bedingung der anderen. Dr. Jekill und Mr. Hyde, so will es der Frankfurter Regisseur Dietrich Hilsdorf verstanden wissen: Faust als ein seriös erscheinender, im modischen Chic gewandeter besserer Herr, Mephisto als exzentrisch jovialer Draufgänger, der auch schon mal zynisch auf menschliches Elend sein Glas erhebt. In Karlsruhe sind sich Faust und Mephisto, zwei bürokratische Bücherwürmer, fast zum Verwechseln ähnlich (gleicher Anzug, gleicher Habitus), aber zugleich auch gegensätzlich: der eine ist das alter ego des anderen im Spiegelbild. In den Schlüsselszenen, z.B. beim Pakt, bewegen sie sich fast punktgenau antithetisch synchronisiert - eine große darstellerische Leistung. An Genauigkeit und Subtilität in der Personenregie ist überhaupt die Karlsruher Regie (Alexander Schulin) der in Frankfurt überlegen. Beeindruckend in beiden Produktionen die Chorszenen: Boitos Oper ist überhaupt eine Choroper par excellence und bietet den Sängerkollektiven spannende und äußerst wirkungsvolle Auftritte: den Prolog mit dem Lobpreis des Schöpfers und den Epilog mit Fausts Erhöhung, dazwischen die beiden Walpurgisnächte, deren erste in Frankfurt als surrealistische Leichenteilschau grotesk verzerrt und in Karlsruhe als ein bizarr dekadenter Tanz um das goldene Kalb der sexuellen Lust gezeigt wurde. Weniger durch souveränes Spiel konnten beide Chöre überzeugen, viel mehr dafür durch kraftvollen Sang und vor allem in den sakralen Passagen durch großes Pathos.
Ach dürft ich fassen und halten ihn.
Die Leistungen der Solisten ließ in beiden Produktionen kaum etwas zu wünschen übrig. Mit Konstantin Gorny stand in Karlsruhe ein Ausnahmebass zur Verfügung, der der Titelrolle in fast atemberaubender Präsenz Gestalt verlieh. Seine Stimme ist enorm flexibel und farbenreich und er vermochte die Inkarnation des Diabolischen wirklich überzeugend auszuspielen. Mark S. Doss, der Frankfurter Mefistofele, war eine in gleichem Maße überzeugende Teufelsgestalt. Der farbige Amerikaner verfügt über ein großes Spieltalent und gab einen intellektuell eingefärbten Teufel. Auch er zeigte sich stimmlich der Partie souverän gewachsen. Der Karlsruher Faust war Mauro Nicoletti (übrigens wie die gesamte Besetzung Ensemblemitglied des Badischen Staatstheaters, während Frankfurt auf auswärtige Gäste setzte), der mit gut geführtem und in der Höhe leicht strahlendem Tenor der Rolle den notwendigen jugendlichen Charakter verlieh. Der rund 6ojährige Alberto Cupido, in Frankfurt erst kurz vor Probenbeginn für die Partie engagiert, gab einen beachtlichen Faust ab, hatte aber beträchtlich mehr Mühe und musste vor allem in der Höhe doch deutlich pressen, um Strahlkraft zu erzielen. Dennoch: viel konnte er durch dynamische Energie wettmachen. Des Pudels Kern.Frankfurt: Mefistofele (Mark S. Doss) und Faust (Alberto Cupido).
Die Margherita in Frankfurt sang Annalisa Raspagliosi mit großer dramatischer Geste. Ihre Rollengestaltung gipfelte in den hochexpressiven Momenten der Gefängnisszene. Ein wenig unkontrolliert erschien allerdings ihr Tremolo. Die weiteren Partien waren in beiden Häusern weitgehend solide besetzt, nur der Wagner kam in Karlsruhe mit Hans-Jörg Weinschenk wesentlich prägnanter über die Bühne als der Sänger dieses trockenen Schleichers in der Frankfurter Produktion. In Frankfurt hatte sich der dortige Chef Paolo Carignani selbst der Partitur angenommen, obwohl er in einem Interview deren Schwächen frei benannte. Gleichwohl ging er hörbar engagiert ans Werk und schlug aus der bemängelten Instrumentation doch beträchtliche Funken. In den hymnischen Szenen spielte er die Emotionalität der Musik geschickt aus und führte das Orchester zu bejubelter Emphase. So erwies sich die Musik mindestens mit viel dramatischer Kraft als außerordentlich zündend und wirkungsvoll. Uwe Sandner, Erster Kapellmeister am Badischen Staatstheater, leitete in Karlsruhe die Aufführung. Auch unter seiner Stabführung gelang eine süffige Opernmusik, wenngleich an nicht so exponierten Stellen die Begleitung des durchkomponierten Textes bisweilen etwas verhuscht und unkonzentriert erklang. Aber auch Sandner vermochte die dramatischen Aufschwünge spannungsvoll zu gestalten und auch in Karlsruhe wurde die Produktion von der musikalischen Seite her ein umjubelter Abend.
Zwei sehenswerte Produktionen einer auf unseren Bühnen sträflich vernachlässigten Oper also: in Frankfurt spektakulär provokativ, in Karlsruhe eher subtil in der Aussage ausgefeilt inszeniert. Beide gelangen zu höchst ansprechenden Ergebnissen und vermögen das Werk als ernst zu nehmendes Musiktheater neu zur Diskussion zu stellen. Beide werden sicherlich in dieser Spielzeit kräftige Akzente in der hiesigen Opernlandschaft setzen. Beide lohnen den Besuch auch aus weiterer Entfernung. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
ProduktionsteamOper Frankfurt
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühnenbild und Kostüme
Dramaturgie
Licht
Chor
Kinderchor
SolistenMefistofeleMark S. Doss
Faust
Margherita
Elena
Marta
Pantalis
Wagner
Neréo
Badisches
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