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Der Schatzgräber
Oper in einem Vorspiel, vier Aufzügen und einem Nachspiel
Text und Musik von Franz Schreker

Aufführungsdauer: ca. h (eine Pause)

Premiere in der Oper Frankfurt
Premiere vom 15. Dezember 2002
Besuchte Aufführung: 12.3.2004


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Oper Frankfurt
(Homepage)
Wie man in Frankfurt/Main Opernschätze ausgräbt

Von Ralf Jochen Ehresmann und Claus Huth / Fotos von Bettina Müller

Franz Schrekers Der Schatzgräber ist zweifellos eines der spannendsten Werke jener Epoche um 1920, die einst Massen in die Theater zogen und in den letzten 30 Jahren nach langer Vergessenheit wieder erweckt werden mussten. War die Oper der Stadt Frankfurt schon damals eine mutige Bühne, die der damaligen Phalanx der Neuen Musik mehr Raum bot als so manches andere Haus, so hatte Franz Schreker gleich ein ganz besonderes Verhältnis zum Musiktheater am Main und mehrere seiner Opern dort uraufführen lassen – auch dann noch, als bei ihm, dem mittlerweile Arrivierten, schon längst weit größere und namhaftere Bühnen um Uraufführungsrechte Schlange anstanden. Und heute nun hat die Frankfurter Oper den Mut, dem an ihrem Hause im Jahr 1920 uraufgeführten Schrekerschen Schatzgräber eine radikale, klug durchdachte szenische Wiederaufführung zu gönnen. Das Haus hat, so scheint es, etwas von seiner alten Kühnheit in kulturpolitisch schwere Zeiten herübergerettet und verdient allein dafür schon Lob.

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Vorspiel:
Kundiges Fachsimpeln der Männer
über Frauenprobleme.

Der Schatzgräber kommt daher in jener Form eines Märchens, die sich vom ursprünglich unbedarft kindnah gedachten Begriff desselben mächtig weit entfernt hat und stattdessen – darin Siegfried Wagners Auffassungen und Schaffensprinzipien ähnlich – eine Wendung ins Bittere vollzieht, die Form nur noch als Hülle versteht und demzufolge so einsetzt, dass der eigentliche Kern des Geschehens in jenem letzten Refugium des Geheimnisses ruht, das der Sprache wesentlich nicht zugänglich ist.

Die Frankfurter Inszenierung von David Alden aus dem Jahre 2002 nimmt die Fassade ernst und zäumt das Pferd von hinten auf. Da ohnehin nur begrenzt rationale Anforderungen an den Verlauf der Handlung gestellt werden können, verzichtet man gleich ganz darauf und wendet das Bittere ins Bizarre. Die Bühne versteht Alden nicht als Raum, der eine realistische Welt wiedergibt; sie ist für ihn "ein Raum für Phantasien, Collagen, Zitate."

Vergrößerung in neuem Fenster 1. Aufzug:
Ein Traum von Bräutigam.

So gibt es keine ganz durchgehende optische Ebene auf der Bühne, sondern ein Konglomerat verschiedener szenischer Topoi, die freilich in jeder Szene mit Bedacht gewählt sind und durch szenische Klammern geschickt zusammengehalten werden. Erscheinen die Gestalten aus Vaters Gesellschaft einschließlich des Els zugedachten Neubräutigams allesamt wie Tiere, lässt Alden sie gleich als solche auftreten. Zugleich spielt dieser erste Aufzug so in einer Welt des Comics und des (Fantasy-)Films, welche die artifizielle Märchenwelt, die Schreker in seinen Stücken entwirft, sehr heutig und just darum so eindringlich spiegelt.

Es ist Aldens Stärke, für die einzelnen Aufzüge solche Bilder zu finden, Bilder, die stets im Wechselspiel zur ausgeprägten "fin de siècle"-Ästhetik der Oper stehen und sie in konkrete heutige Ästhetiken überträgt. Das macht, zugegeben, die Inszenierung nicht immer einfach auszuhalten und wird an mancher Stelle dem Zuschauer nicht immer jede Frage beantworten können, doch es eröffnet dem Publikum gleichzeitig einen Raum der Phantasie und wirft es immer wieder auf die mediale und konsumorientierte Weltsicht unserer Tage zurück – so erscheint der Schatzgräber aktueller, als es ein Blick in den Text zunächst hätte vermuten lassen.

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Was Elis naiv verschenkt, weckt den Ingrimm
des eifersüchtigen Vogtes.

Ist der erste Aufzug geprägt durch die animalisch-diabolisch überzeichnete Kostümierung und Maskierung seiner Figuren, die mal an Hobbits, mal an die oft grotesk entstellten Nebenfiguren aus Filmen David Lynchs gemahnen, so spielt der zweite Aufzug, in dem die Hinrichtung der Titelfigur ansteht, in einer Art stilisiertem Sergio-Leone-Ambiente: "Wild West" ist angesagt, mit gedeckten Ockertönen und einem gigantischen Galgen, über dem rot eine Lampe als Ersatz für die obligatorische Filmsonne funzelt. Aber Alden geht noch weiter und steigert den Akt in seinem Verlauf in einen gekonnten und - was die Chorführung angeht - ausgezeichneten Totentanz des Konsums, des Duckmäusertums und der Mediengeilheit, an dessen Höhepunkt der Herold auf gleißend blinkenden Himmelssturmpferden, wie sie eigentlich nur vom Kirmeskarussell stammen können, aus dem Bühnenboden auffährt und als echter deus ex machina in das Geschehen eingreift.

Und sowenig Königs Hofstaat im vierten Aufzug einer zweckdienlichen Verwaltungszentrale ähnelt und man eher an die kaiserliche Pfalz aus Faust II denken mag, so sehr dürfen dessen Angehörige mit allerlei Zierrat der Albernheit sich umgeben und auf Fahrzeugen herumfahren, die nach Absetzung der Produktion - in hoffentlich ferner Zukunft - einem benachbarten Frankfurter Kindergarten zur artgerechten Weiterverwendung gespendet werden mögen. Ja, Alden macht ein gehöriges Spektakel – aber das scheint Schreker, schaut man in seine Regieanweisungen, bisweilen auch beabsichtigt zu haben. Das Auge jedenfalls ist an diesem Abend niemals gelangweilt.

Vergrößerung in neuem Fenster 2. Aufzug:
Der moderne deus ex machina:
die Erscheinung des Herolds.

Und über all dem verliert Alden dank optischer "Leitmotive" nicht den Faden der Geschichte und auch nicht den Kontakt zu Schrekers aufbrausend-schillernder Musik, die das Museumsorchester Frankfurt unter Leitung von Jonas Alber gehörig zum Sieden bringt. Dass die zwei zentralen Szenen, nämlich die Liebesnacht zwischen Els und Elis und das desillusionierende Finale, weitgehend auf einer dunklen bzw. kargen Bühne spielen, lenkt mit einem Mal die Aufmerksamkeit ganz auf die Musik – ohne dass die szenische Ebene an Eindringlichkeit verlöre. Dass Alden Els am Ende keinen natürlichen Tod gönnt, sondern sie sich selbst umbringen lässt, gibt der Geschichte eine noch bitterere Note, als sie ohnehin schon in Schrekers Text angelegt ist – und das Schlussbild, in dem der Narr die tote Els aus der Schlinge löst und sie liebevoll in den Arm nimmt, kann einem wahrlich echte Tränen in die Augen treiben.

Gesanglich hat Frankfurt wieder einen guten Griff getan und zeigt ein weiteres Mal, auf welch solides Ensemble man sich hier verlassen kann. Auch die krankheitsbedingte Spontanbesetzung des Albi mit Carsten Süß wäre nicht weiter als Neuzugang ohne Probeerfahrung aufgefallen, wäre nicht eigens hingewiesen worden auf dessen dankenswerte Bereitschaft spontan einzuspringen und die Rolle innerhalb kürzester Zeit szenisch und musikalisch einzustudieren. Das Ensemble bot in den Nebenrollen bewundernswert gute Leistungen, hervorzuheben vielleicht Simon Bailey, der dem Junker auch stimmlich brutal-triebhaftes Profil gab. Auch darstellerisch bewältigten die SängerInnen die nicht immer einfachen Aufgaben, die Alden ihnen stellte, hervorragend: Erwähnt sei nur die blasierte Infantilität, welche der Hofstaat im vierten Aufzug zur Schau stellen durfte.

Auch die Besetzung der Hauptrollen lies nur wenige Wünsche offen: im Vorspiel schon wurden zwei Spitzenreiter präsentiert: König und Narr, gesungen von Gregory Frank und dem schwedischen Tenor Niklas Björling Rygert. Besonders letzterer vermochte es, seine Rolle mit großem Einsatz und Verständnis zu spielen und zu singen, die Gratwanderung zwischen dem grotesk-ironischen Narren und dem etwas langweiligen Menschen im Schlussbild auch stimmlich darzustellen – und das bei vorbildlicher Diktion, so dass man hier die (lobenswerte) Übertitelung gar nicht gebraucht hätte.

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3. Aufzug:
Els entäußert sich des Schmuckes,
den Elis eh bei ihr finden würde.

Johannes Martin Kränzle als Vogt durfte sich durchgehend als Sheriff präsentieren, tat dies szenisch auch überzeugend, kam allerdings stimmlich nicht über eine solide Leistung hinaus, die einen weder begeisterte noch störte.

Taina Piira war die schwierige Rolle der Els anvertraut – und sie meisterte sie zwar mit manch schrillem Spitzenton, aber durch großen Einsatz doch beachtlich – dass ihr ausgerechnet in ihrem Wiegenlied zu Beginn des dritten Aktes ein wenig die sanften Farben der Partie abgingen, war nur ein kleiner Schönheitsfehler. Robert Künzli als ihr Elis schien sich in der Inszenierung nicht immer wohl zu fühlen und agierte des öfteren merkwürdig statisch, wirkte "abwesend", was so gar nicht zum Rest der Inszenierung zu passen schien. Seltsam matt klang bisweilen auch seine Stimme, wenngleich er die Partie bis zum Ende ohne merkliche Ermüdungserscheinungen durchstand.

Dem Braunschweiger Generalmusikdirektor Jonas Alber scheint Schrekers Musik eine echte Herzensangelegenheit zu sein: Mit Vehemenz und sehr fordernd führte er das Frankfurter Museumsorchester durch die Partitur, und ihm gelang das Kunststück, die Sänger auf der Bühne nur selten mit orchestraler Kraft zu übertönen. Fein abgestufte Klangfarben, wie sie Schrekers Musik mehr auszeichnen als prägnante melodische Einfälle, gelingen den Musikern im Graben fast mit traumwandlerischer Sicherheit, und zwischen Bühne und Graben wackelte es nie merklich. So gelang es Alber, der starken Szene eine starke orchestrale Leistung zur Seite zu stellen – und trug Aldens Konzept so mit Verve mit.

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4. Aufzug:
Fest bei Hofe: die glanzvolle
Wiederherstellung wackeliger Ordnung.

Unbedingt hinzuweisen ist auf das vorzügliche Programmbuch, das allein schon eine Anschaffung wert ist und neben dem vollständigen Wortlaut der Dichtung einen großen Auszug des Briefwechsels zwischen Schreker und dem Musikkritiker Paul Bekker sowie viele sehr gute Aufsätze zu Schreker und zur Deutung des Schatzgräbers enthält.


FAZIT

Eine unbedingt gelungene Wiederbelebung von Schrekers Oper, die Signalwert haben sollte: Schreker ist hier in seiner ganzen Aktualität zu erleben. Bravo!


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Jonas Alber

Inszenierung
David Alden

Szenische Leitung
der Wiederaufnahme
Frank Martin Widmaier

Bühnenbild
Paul Steinberg

Kostüme
Constance Hoffman

Licht
Adam Silverman

Dramaturgie
Hendrike Mautner

Chor
Alessandro Zuppardo



Statisterie der Oper Frankfurt
Chor der Oper Frankfurt
Frankfurter Museumsorchester


Solisten

Els
Taina Piira

Elis
Robert Künzli

Der Narr
Niklas Björling Rygert

Der Vogt
Johannes Martin Kränzle

Albi
Carsten Süß

Der König
Gregory Frank

Der Kanzler
Michael McCown

Der Graf
/ Der Herold
Nathaniel Webster

Der Magister
/ Der Wirt
Franz Mayer

Der Junker
Simon Bailey

Der Schultheiß
Soon-Won Kang

Der Schreiber
Peter Marsh

Landsknecht
Zoltan Winkler

Erster Bürger
Viktor Tesvelev

Zweiter Bürger
Dietrich Volle

Dritter Bürger
Zoltan Winkler

Ein Weib
Yvonne Hettegger

Erste Jungfer
Claudia Grunwald

Zweite Jungfer
Christiane Waschk

Königin
Margit Mayer



Weitere Informationen
erhalten Sie von der
Oper Frankfurt
(Homepage)



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