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Musiktheater
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Rosmonda d'Inghilterra

Tragedia lirica in zwei Akten
Text von Felice Romani
Musik von Gaetano Donizetti


In italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2h 45' (eine Pause)

Deutsche Erstaufführung am 5. Juni 2004
im Großen Haus des Musiktheaters im Revier Gelsenkirchen


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Musiktheater im Revier
(Homepage)

Rosmonda kommt nach Deutschland

Von Thomas Tillmann / Fotos von Rudolf Majer-Finkes


Rosmonda d'Inghilterra, Donizettis 47. Oper, fand den Berichten der Zeitgenossen nach nicht mehr als eine freundliche Aufnahme und wurde auch nicht von anderen italienischen oder gar ausländischen Opernhäusern nachgespielt, was daran liegen könnte, dass der Komponist sein Werk zurückgezogen hat, um es einer gründlichen Überarbeitung zu unterziehen. Die revidierte Fassung, die er für ein Theater in Neapel erstellt hatte, kam freilich aufgrund der dort wütenden Choleraepidemie nie zur Aufführung, so dass sich für das 19. Jahrhundert nur eine weitere Reprise nachweisen lässt (Ende Oktober 1845 wurde Rosmonda am Teatro Rossini in Livorno gespielt). Erst im November 1975 wurde die Oper zweimal in London und Glasgow von Opera Rara aufgeführt (damals sang Yvonne Kenny die Titelpartie, Ludmilla Andrew gab die Königin, Alun Francis dirigierte die Vorstellungen, deren Live-Mitschnitt die Firma MRF vertrieben hat), und bei Opera Rara erschien auch die im Moment meines Wissens einzige greifbare Aufnahme des Werkes, die im Juli 1994 Renée Fleming als Rosmonda, Nelly Miricioiu als Leonora, Bruce Ford als König, Alastair Miles als Clifford, Diana Montague als Arturo und David Parry am Pult des Philharmonia Orchestra zusammenführte und in keiner Sammlung fehlen sollte.

Vergrößerung in neuem Fenster Leonora (Anke Sieloff, stehend) attackiert in Anwesenheit des Hofs (Chor des MiR) die Geliebte ihres Mannes, Rosmonda (Claudia Braun, sitzend).

Die Geschichte der "schönen Rosamunde", der Tochter des normannischen Ritters Walter de Clifford, die um 1166 eine Mätresse Heinrich II. war, bildet die Grundlage vieler Dichtungen, wobei die verschiedenen Motive der Sage oft variiert wurden. Felice Romani stützte sich auf die legendäre Version des Dreiecksverhältnisses, die er in einer französischen Tragödie Rosemonde von Emile Boisnormand de Bonnechose vorfand, wobei er am Ende Leonora die Rivalin erstechen lässt. Eleonore, Enkelin Wilhelm IX. von Aquitanien, dem wohl ersten Troubadour der Literaturgeschichte, wurde selbst "Königin der Troubadoure" genannt, war zweimal Königin und Mutter zweier Könige (einer war Richard Löwenherz) und eine Frau, die bis ins hohe Alter einen aktiven Einfluss auf die Kultur und Politik ihrer Zeit genommen hat (sie starb im Frühjahr des Jahres 1204 im Kloster von Fontrevrault, wo man bis heute ihre Grabskulptur neben derjenigen Heinrich II. und der des berühmten Sohnes besichtigen kann). Nicht unerwähnt bleiben soll, dass der Librettist seinen Text, dessen hohe Qualität im Vergleich zu den meisten Büchern dieser Zeit heute von Experten nicht mehr bestritten wird, übrigens nicht originär für Donizetti geschrieben hatte, sondern für Carlo Coccia, dessen Rosmonda 1829 ohne Erfolg uraufgeführt worden war, und bereits zwei Jahre später besorgte Luigi Majocchi eine Neuvertonung, bevor sich für Donizettis tragedia lirica am 27. Februar 1834 am Teatro della Pergola in Florenz der Vorhang zum ersten Mal hob (der Vollständigkeit halber sollen auch das ebenfalls 1834 für Rovigo auf diesen Text produzierte Werk von Antonio Belisario, die 1839 unter dem Titel Il Castello di Woodstock - Rosmondas geheimer Aufenthaltsort diente hier als Titel - erschienene Oper von Pietro Tonassi und Pietro Collava sowie Otto Nicolais ebenfalls 1839 herausgekommener Enrico Secondo erwähnt werden).

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Rosmonda (Claudia Braun) wartet sehnsüchtig auf ihren "Edegardo", während Page Arturo (Anna Agathonos) sie anschmachtet.

Es versteht sich von selbst, dass einem Stadttheater wie dem MiR nicht eine solche Riege von profilierten Spezialisten zur Verfügung steht wie der oben erwähnten britischen Plattenfirma und dass man bei dieser Deutschen Erstaufführung hinsichtlich der Besetzung natürlich Abstriche machen muss. Ich selber habe die Gelsenkirchener Oper wiederholt für ihr Engagement in Sachen Belcanto und den dabei entwickelten Mut gelobt. Bei allem Pioniergeist darf man aber auch nicht aus den Augen verlieren, dass man eine Verantwortung für das Ensemble und seine Mitglieder hat, und da kann es nicht angehen, dass man Sängerinnen und Sänger mit viel zu schweren Partien überstrapaziert: Mark Adlers leichter, heller lyrischer (Spiel-)Tenor hat keinerlei Reserven für dramatischere Passagen (und die Partie hat nicht wenige!), und so hörte man durchgängig die Überforderung, den Respekt vor der zu schweren Aufgabe und die Nervosität des Sängers, der als Enrico immerhin elegant phrasierte und einige gelungene messa di voce-Effekte bot. Claudia Braun ist eine versierte Soubrette, die viel aus dem Text machte, sich sehr mit der bemitleidenswerten Titelfigur identifizierte und schauspielerisch zweifellos berührte, deren wahrlich kleiner Sopran auch nicht unbeweglich ist und einen nicht uninteressanten vibrierenden Ton hat, aber in der Extremhöhe sehr piepsig wird und vor Anstrengung zittert.

Klangbeispiel Klangbeispiel: Duett Rosmonda - Enrico (Ausschnitt)
Claudia Braun und Mark Adler

(MP3-Datei)


Anke Sieloff ist eine erstaunlich vielseitige Sängerin (in dieser Spielzeit etwa war sie als Reno in Anything Goes wie in der Titelpartie der Cenerentola zu erleben), die sich hier als betrogene Königin mit Haut und Haaren in die insgesamt wohl doch zu hoch liegende Partie warf, besonders in der finalen Cabaletta keinerlei Risiko kannte und auch vor klirrenden, fahlen Tönen nicht mehr zurückschreckte, bei denen man sorgenvoll die Stirn in Falten warf; die Mezzosopranistin machte nicht nur optisch und darstellerisch als wildes, stolzes, um ihre Liebe und ihre Macht kämpfendes Weib den besten Eindruck, zumal sie auch in den meisten verzierten Passagen nicht in Verlegenheit kam, ihr ein paar hinreißende Piani gelangen und sie aus Text und Noten so viele ergreifende Ausdrucksnuancen zu entwickeln verstand, dass man fast vergaß, dass die Höhe doch etwas glanzarm klingt und das eine solche tour de force auf Dauer kaum gut gehen kann.

Klangbeispiel Klangbeispiel: Arie der Leonora (Ausschnitt)
Anke Sieloff

(MP3-Datei)


Weniger Sorgen machte man sich um Nicolai Karnolsky, der mit viel Herzblut und eher wuchtig-beherztem als geschmeidigen Stimmeinsatz Rosmondas sittenstrengen Vater gab, und die als Page Arturo wie die Choristen (der soliden Leistung muss eine sorgfältige Einstudierung von Nandor Ronay vorausgegangen sein) mit einer unmöglichen Perücke gestrafte Anna Agathonos, deren schlanker, dunkler Mezzosopran sich besonders in der tiefen Lage als tragfähig erwies, allerdings in der Höhe etwas steif und wenig konzentriert klang.

Vergrößerung in neuem Fenster Rosmonda (Claudia Braun, Mitte) erfährt von ihrem Vater (Nicolai Karnolsky, rechts), dass "Edegardo" eigentlich der König ist (Mark Adler, links).

Schon während der Ouvertüre skizziert Gabriele Rech die Figurenkonstellation: Rosamond und Eleonore, Geliebte und Ehefrau des englischen Königs Henry II., sind beide gleichermaßen abhängig von ein und demselben Mann und warten mit derselben Aufregung und Sehnsucht auf seine Rückkehr in die quaderartigen Gemächer, die sich nur durch die differenzierte Farbgebung und das Muster der Tapete unterscheiden und bald wie Verliese oder Türme, bald wie überdimensionale Schatztruhen oder Stühle wirken. Der König klettert zunächst zu seiner Gattin, verlässt sie aber rasch wieder, um nun der Geliebten einen kurzen Besuch abzustatten: Dieser Enrico ist ein schwacher, selbstsüchtiger und nicht erwachsen gewordener Mann, der sich nicht entscheiden kann, der keine Verantwortung für sein Handeln übernimmt und der am liebsten beide Frauen an seiner Seite hätte, die sich in ihrer Liebe zu diesem Mann ebenfalls sehr nahe sind (der Kuss in der Eröffnungsszene unterstreicht diesen Aspekt sehr deutlich). Dass dieser menage à trois tragisch ausgehen wird, beschwört der rote Schriftzug "Tu sei la colpa, tu solo!", ein Zitat aus Leonoras Schlussszene, die die Rivalin zwar eigenhändig ersticht, den untreuen Gatten aber für allein schuldig hält. Leonora indes sieht die Regisseurin auch nicht als Kind von Traurigkeit, unterhält sie doch eine sehr körperliche Beziehung zu Arturo, dem Pagen, der seinerseits in Rosmonda verliebt ist und im Auftrag des Königs Kontakt zu dem Mädchen hält, dem dieser sich als "Edegardo" vorgestellt hat und die von seiner wahren Identität und somit von ihrem Status als Mätresse des Königs nichts ahnt, aber mit der Situation an sich schon alles andere als glücklich ist, wie der Umstand zeigt, dass sie sich während ihrer Sortita in den Arm ritzt.

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Leonora (Anke Sieloff) und Enrico (Mark Adler) streiten sich, aber ganz erloschen ist die alte Liebe nicht.

Im zweiten Teil erblickt man vor der Mauer, die mit ihren stilisiert geschwungenen Steinen in kühlem Weißgrau den Spielraum von Ausstatter Hermann Feuchter begrenzt, einen schwarzen Kreis, der wie ein Kampfplatz wirkt und damit ein idealer Ort für die drei großen Duette ist, in denen die Konflikte zwischen Ehefrau, Ehemann und Geliebter detailreich aufgefächert werden: Die Liebe zwischen Enrico und Leonora mag verschüttet sein, ist aber noch nicht ganz erloschen (wenigstens die gegenseitige erotische Attraktion scheint nach wie vor vorhanden zu sein, wobei das Abstreifen der eleganten historischen Kostüme von Gabriele Heimann natürlich auch suggeriert, dass die Akteure nicht nur "offizielle" Personen sind, sondern Menschen aus Fleisch und Blut mit echten, starken Emotionen), auch wenn am Ende des Duetts ihre Wut wieder die Oberhand gewinnt. Rosmonda indes reagiert anders als die mächtigere Rivalin: Sie kann und will den Betrug nicht akzeptieren und beendet die Beziehung, Leonora dagegen, im zweiten Akt vor allem als sexuell frustrierte Frau gezeichnet, die sich irgendwann erfolglos jedem männlichen Wesen in ihrer Nähe an den Hals wirft, kämpft um ihre Liebe. Bewegend gelingt der Schluss: Leonora versucht die sterbende Rosmonda nach begangener Tat zu stützen, sie drückt dem König die Waffe in die Hand, um deutlich zu machen, dass er der eigentlich Verantwortliche für das Drama ist, und sie schickt auch Clifford fort, der mehr auf seine Ehre als auf die Gefühle und Bedürfnisse seiner Tochter geschaut hat.

Vergrößerung in neuem Fenster Leonora (Anke Sieloff, links) will Rosmonda (Claudia Braun, rechts) töten.

Alles in allem freut man sich über eine Inszenierung, die nicht (ver-)stört, die die Handlung ernst nimmt und weitgehend plausibel erzählt (auch wenn mir das Überlappen der Szenen und die häufige Anwesenheit der Personen auch in Szenen, in denen sie laut Libretto gerade nicht da sein sollten, inzwischen ein zu häufig bemühtes, wahrlich nicht immer Sinn machendes und auch nicht eben sängerfreundliches Mittel ist), ohne sklavisch an der Vorlage zu kleben, aber auch ohne eine ganz eigene Geschichte zu erzählen, eine Inszenierung, in der die Beziehungen der Figuren untereinander und deren unterschiedliche Gefühlslagen sensibel beleuchtet werden, die ohne Aktionismus auskommt und trotzdem Spannung und Fluss hat, für meinen Geschmack aber noch etwas mutiger und prägnanter hätte ausfallen dürfen.

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Sie hat's getan: Rosmonda (Claudia Braun, am Boden liegend) stirbt vor aller Augen (von links nach rechts: Anna Agathonos als Arturo, Nicolai Karnolsky als Clifford, Mark Adler als Enrico und Anke Sieloff als Leonora).

Dass es dennoch ein großer Abend wurde, lag nicht zuletzt am Spiel der Neuen Philharmonie Westfalen. An deren Pult wusste Samuel Bächli genau, wann die Musik Zeit braucht und wann das Tempo angezogen werden muss, wie man wirkungsvolle Steigerungen herausarbeitet und wie man dem ohnehin arg belastetem Bühnenpersonal die nötige Unterstützung aus dem Graben zukommen lässt.


FAZIT

Leider waren nicht alle Plätze belegt bei dieser trotz der gemachten Einschränkungen bemerkenswerten Premiere eines zu Unrecht vergessenen Werkes Donizettis, das eine echte Alternative etwa zu der immer wieder gespielten Lucia di Lammermoor oder den komischen Opern des Komponisten darstellt. Die Theaterleitung sollte indes bei weiteren Ausgrabungen ein bisschen mehr Rücksicht auf die vokalen Möglichkeiten des Ensembles nehmen.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Samuel Bächli

Regie
Gabriele Rech

Regiemitarbeit
Bettina Lell

Bühne
Hermann Feuchter

Kostüme
Gabriele Heimann

Chor
Nandor Ronay

Dramaturgie
Wiebke Hetmanek



Chor des
Musiktheaters im Revier

Statisterie des
Musiktheaters im Revier

Neue Philharmonie
Westfalen


Solisten

Enrico II.,
König von England
Mark Adler

Leonora von
Aquitanien, seine Frau
Anke Sieloff

Rosmonda,
Geliebte des Königs
Claudia Braun

Clifford,
ihr Vater
Nicolai Karnolsky

Arturo, Page
der Königin

Anna Agathonos







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