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Die Meistersinger von Nürnberg
Oper in drei Aufzügen
Text und Musik von Richard Wagner


Aufführungsdauer: ca. 5h 15' (zwei Pausen)


Wiederaufnahme am 25.04.2004
8. Vorstellung seit der Premiere vom 03.11.2002


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Hamburgische Staatsoper
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Zwischen Wiesengrund und Ruinen

Von Ralf Jochen Ehresmann / Fotos von Hermann, Clärchen und Matthias Baus



Was dem einen seinen sein Dew, ist den anderen ihr Konwitschny; sind für manche beide gleichermaßen schauderhaft, so finden sich auch einige Hartgesottene, die beide gleichermaßen lieben. Zumindest gelingt es beiden immer wieder, mit ihren unorthodoxen Einfällen Regiekonzepte zu präsentieren, die ihre jeweilige Vorlagen sehr mutig, bisweilen auch abwegig interpretieren. Hat man bei John Dew in letzter Zeit bisweilen Ermüdungserscheinungen zu diagnostizieren, so scheint Konwitschnys Hang zur Provokation und sein diesbezüglicher Ideenreichtum ungebrochen, wenngleich auch böse Zungen dessen Trieb zur „institutionalisierten Revolte“ beklagen mögen.

Vergrößerung in neuem Fenster "Auf da steigt,
ob Meister-Kräh’n ihm ungeneigt,
das stolze Minnelied. -
Ade! ihr Meister, hienied’!"

Die Meistersinger stellen angesichts ihrer problematischen Wirkungsgeschichte jedwede Neuinszenierung wie bei keinem anderen Werk vor die Aufgabe, die Rettung des Werkkonzeptes als eines selbst ästhetischen Dialoges über die Wurzeln der Ästhetik und zugleich eines internen über die Quellen der Gewalt aus der Mitte der Gesellschaft so zu organisieren, dass weder verniedlichte Schaubudenbetrachtung noch undifferenzierte Generalverdammung den Blick darauf verstellen. Völlig distanzfrei wird das nicht gelingen, und so war angesichts der doch recht zahlreichen witzigen geistvollen Neudeutungen in Dortmund, Essen oder Münster (hier die 3 links?) aufmerksame Spannung angesagt, was das bekannte enfants terribles-Duo Metzmacher-Konwitschny an der Alster veranstalten würden, um ihrem Ruf als Hamburger Provokatorenteam gerecht zu werden.

Deren Meistersinger von 2002 lassen zu Beginn kaum ahnen, wie weit sie sich hinauszuwagen antreten. Wer nun im 1.Aufzug eine Nürnberg-Kulisse mit Türmchen und Winkeln wie aus einem Vorkriegsstadtführer gewahrt, ist unweigerlich geneigt, sich verarscht zu fühlen: „Das meint der jetzt doch nicht ernst?“ Konservative Affirmation als Publikumsschocker?

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"Wie duftet doch der Flieder
so mild, so stark und voll!
Mir löst es weich die Glieder,
will, dass ich was sagen soll. - "

Im 2.Aufzug findet man erste Ansätze zur Differenzierung, wenn etwa zu Sachs’ Monolog der Flieder als Plastikstrauch hereingeklappt wird. Zeigt die Rückwand zunächst wieder den historisierten Straßenzug, verwandelt sich die Leinwand bei der Straßenschlacht durch die geöffneten Türchen wie in einen Adventskalender und hernach der vorweihnachtliche Traum, in makabre Asche.

Doch frei nach Kothners Tabulatur hat erst der nun folgende Abgesang „seine eigene Melodei“ und liefert für den Morgen nach dem großen Krawall ein Bild der Verwüstung, „als nicht im Stollen zu finden sei“. Als sei es in Ablösung alter Tabulaturen für neue Regelgeltung hingehängt, sinniert Sachs angesichts der berühmten Photographie vom zerstörten Nürnberger Stadtkern im Sommer 1945 bitter und zugleich süffisant-beschwingt über ‚friedsam treue Sitte in seinem lieben Nürenberg!’

Entsprechend dieser Interpretation liegen die Stärken und Besonderheiten im 3.Aufzug, und einen unbedarften Aufzug biederer Zünfte kann es hier nicht geben. Zum Reichsparteitagsgelände zieht es ihn dann aber doch nicht hinaus.Vielmehr wird die Verlagerung zur Festwiese dermaßen wörtlich verstanden, dass man sich unversehens in der Perspektive von Käfer und Grille zwischen hohem Gras wiederfindet, wodurch zugleich der anschließenden Apotheose ein Rahmen gesetzt wird, der die ironische Brechung ohne Verunglimpfung und stattdessen mit schelmischer Augenzwinkerei zu leisten fähig ist. Dass dann zunftweise lauter meistersingerliche Richards auftreten, die ein jeder diverse Gestalten in metaklassischer Aufmachung à la Uraufführung – flügelhelmbewehrte Damen und bärenfellige Helden, weißgewandete Schwanenschlepper oder blond-blauäugige Analphabeten - mit sich führen, veranlasste selbst gesetztes hanseatisches Publikum zu offenem Szenenapplaus.

Vergrößerung in neuem Fenster "Fort, in die Freiheit!
Dorthin gehör’ ich,
da wo ich Meister im Haus!"

Kern dieser Brechung und begleitet von ebenso lautstarker Protestkundgebung einiger besonders emsiger – bestellter?? - Buhrufer, bleibt freilich die totale Unterbrechung von Sachsens Schlussansprache durch die kritischen Einwürfe einiger Meisterkollegen auf offener Bühne, dass er – Sachs – dies jetzt nicht einfach so weitersingen könne, und Konwitschny legte hier zweifelsfrei Zeugnis ab von differenzierter und zugleich öffentlich präsentabler Analyse dessen, was manch oberflächlicher Interpretation vorschnell als nationalistisches Pathos erscheinen will, die weder die exakten Gegensatzpaare ermittelt noch die Zeitumstände spätmittelalterlicher und frühneuzeitlicher Verfasstheit deutscher höfischer Unsitten berücksichtigt. Genau diese Problemstellung diskutieren die kritischen Frager mit Sachs, der tapfer dagegenhält und begründet, warum er seine Rede dennoch vollenden will. Als Ausdruck des dringenden Bemühens um Verständlichkeit derartiger Regie-Eingriffe wurde ebendiese Texteinfügung und nur sie per Übertitelungsanlage mitlesbar eingeblendet.

Nicht minder ungewohnt wie die Deutung des Werkes stellt sich der Meistergesang eines Klaus Florian Vogt als Neubesetzung des Stolzing zur Wiederaufnahme dar. Nicht genug, dass er durch Kostümierung und insbesondere seine Lord-like Perücken-Frisur herausgehoben war, die den Adelsspross als Fremdkörper zu seiner urbanen Umgebung auswies, war auch sein Gesang recht weit von eingeübter Hörerwartung entfernt. Sein textnahes Spiel ergab durchaus ein stimmiges Gesamtbild, wenn auch von allzu weitreichender Zurückhaltung, was sich recht augenfälig zeigt im Verhältnis zweier Stellen des 3.Aufzuges, wo er zur Lehrstunde in Sachs’ Stube weitgehend unbeteiligt dessen poetisches Vermächntnis lauscht und erst wenig später ihm deutlich zu werden scheit, in was für eine Beziehung Sachs-Eva er da eindringt.

Mit schwindelerregender Leichtigkeit flatterte er kolibriartig mühelos in jene tenoralen Höhen, die anderen Kollegen Absturzängste bereiten, doch vermochte die damit einhergehende Leichtgewichtigkeit wenig seine Partie deutend zu akzentuieren und Gewichte zu setzen – außer dem, Fremdkörper zu sein und irgendwie nicht dazuzupassen. Dies gelang seinem – gleichfalls neubesetzten - Gegenspieler Andreas Schmidt als Beckmesser weit besser, was freilich seinem überragenden Spiel sich primär verdankt, das ihn geradezu als Idealbesetzung dieser Rolle ausweist, denn rein stimmlich hatte Schmidt wohl einen schlechten Tag erwischt und konnte nur einen Teil dessen vorführen, dem sich sein Rang und Ruhm verdankt. Gerade die energischen Passagen – und als Beckmesser hat er sich ja ständig über irgendwas und irgendwen zu echauffieren – gerieten vergleichsweise flach, während er am meisten punktete, wo er im Vortrag vor Lenes Fenster oder auf der Festwiese frei aussingen konnte. Ihm eine junge Harfenistin (Elisabeth Huber) als Mittelding zwischen Privatmuse und Schülerersatz beizugesellen, darf in aller Harmlosigkeit als gelungene Idee zur Gewinnung neuer komischer Momente und zur Verdeutlichung der psychologischen Konstellation bewertet werden.

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"Der Spaß von dieser Nacht,
der wird euch noch gedacht:
dass ich euch nur nicht im Wege sei,
schuft ihr gar Aufruhr und Meuterei!"

Mit dieser Art der Besetzung verriet Konwitschny zugleich schon früh, was im Finale offenbar wurde. Wenn sich hier sein künstlerisches Credo verbirgt, dann tut die öffentliche Wahrnehmung ihm sicher unrecht: dann schlägt sein Herz primär für den Meister der Bewahrung und der Synthese mit der Weiterentwicklung aus innerem Triebe, weniger für den Bilderstürmer.

Wolfgang Schöne als Sachs war der unbestrittene Hauptgewinner des Abends. Behäbige Gemütlichkeit paarte er effektiv mit einer gleichwohl schlanken Grundausrichtung; mehr nachdenklich als initiativ vorpreschend sorgte er für das solide Fundament, dass Übertitelungen entbehrlich macht und speziell seinem Part auch das Gewicht zumisst, aus dem heraus derartige finale Erörterungen ihre situative Berechtigung ziehen mögen. Doch auch Harald Stamm gab seinen Pogner so, dass das behäbig-joviale dessen, der sich selbst gerne reden hört, mit raumfüllender Klarheit zutage trat, während Jan Buchwalds Kothner unter der Einheitskostümierung und -perückierung sich etwas schwer tat, individuelle Kontur zu gewinnen, wenngleich seine Tabulaturpredigt durchaus grundsolide war. Der David wurde von Jürgen Sacher als eifriger Streber mit Brille gegeben, bei dessen „endlosem Tönegeleis“ die hinterwärts lauschenden Lehrbuben reihenweise einschlafen.

Vergrößerung in neuem Fenster "Ihr tanzt? Was werden die Meister sagen?
Hört nicht? Lass’ ich mir’s auch behagen!"

Helle Begeisterung fanden Katja Pieweck als Magdalene und Danielle Halbwachs in ihrem Rollendebut als Eva. Beide zeichneten sich gleichermaßen aus durch klare Stimmführung, hohe Verständlichkeit und distinkte Volumengestaltung. Ihr gutes Zusammenspiel ließ kaum vermuten, dass sie in dieser Kombination erstmalig gemeinsam auf der Bühne standen. Dies zeigte sich gleich eingangs, wenn Tuch und Spange nicht etwa schlicht vergessen oder unauffällig fallengelassen, sondern im hohen Bogen Richtung Kirche weggeschleudert werden.

Metzmachers Dirigat schuf ein bemerkenswert sauberes Klangbild, sehr präzise und doch irgendwie blass, bei dem vor lauter Korrektheit die Seele der Musik zu kurz kam. Was sich bei den lyrischen und elegischen Stellen wie dem III.Vorspiel oder dem Taufquintett besonders auswirkte, während man bei den blechbetonten Passagen des I.Vorspieles oder der Festwiese allenfalls über seine forschen Tempi streiten mag. Das Philharmonische Staatsorchester Hamburg präsentierte sich in guter Verfassung und lieferte konzeptionskonform weniger berauschenden Wohlklang als vielmehr präzise Transparenz auf höchstem technischen Niveau.

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"Heil Nürnbergs theurem Sachs!"


FAZIT
Wer auf wagemutige Neudeutungen steht, wird hier ein gelungenes Beispiel für wohlreflektierte Analyse auf offener Bühne und zugleich das Bekenntnis zu letztlicher Stimmigkeit eines vordergründig problematischen Werkansatzes finden.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Ingo Metzmacher

Inszenierung
Peter Konwitschny

Bühnenbild und Köstüme
Johannes Leiacker

Licht
Hans Toelstede

Chor
Florian Csizmadia



Philharmonisches
Staatsorchester
Hamburg

Chor und Sonderchor der
Hamburgischen Staatsoper


Solisten

Hans Sachs
Wolfgang Schöne

Veit Pogner
Harald Stamm

Kunz Vogelsang
Thorsten Scharnke

Konrad Nachtigall
Moritz Gogg

Sixtus Beckmesser
Andreas Schmidt

Fritz Kothner
Jan Buchwald

Balthasar Zorn
Frieder Stricker

Ulrich Eißlinger
Michael Smallwood

Augustin Moser
Jonas Olofsson

Hermann Ortel
Michael Vier

Hans Schwarz
Carl Schultz

Hans Foltz
Jörn Schümann

Walther von Stolzing
Klaus Florian Vogt

David
Jürgen Sacher

Eva
Danielle Halbwachs

Magdalena
Katja Pieweck

Nachtwächter
Andreas Hörl

Beckmessers Schülerin
Elisabeth Huber (Harfe)



Weitere
Informationen

erhalten Sie von der
Hamburgischen Staatsoper
(Homepage)



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