Zur OMM-Homepage Zur OMM-Homepage Veranstaltungen & Kritiken
Musiktheater
Zur OMM-Homepage Zur Musiktheater-Startseite E-mail Impressum



Dialogues des Carmélites
(Gespräche der Karmelitinnen)

Oper in drei Akten
nach dem gleichnamigen Theaterstück
von Georges Bernanos
Musik von Francis Poulenc

in französischer Sprache mit deutschen Übertiteln
Aufführungsdauer: ca. 2h 45' (eine Pause)

Premiere im Opernhaus Köln
am 7. Februar 2004

Logo: Oper Köln

Bühnen der Stadt Köln
(Homepage)

Packendes Seelendrama

Von Thomas Tillmann / Fotos von Klaus Lefebvre

"Dem Publikum wird es kalt den Rücken herunterlaufen", hatte Francis Poulenc über seine nun in Köln (als Übernahme einer 1994 an der Deutschen Oper Berlin herausgekommenen Originalinszenierung von Günter Krämer) gezeigte Oper Dialogues des Carmélites geschrieben. Der ehemalige Generalintendant (respektive Martina Pfaff, die die Einstudierung in der Domstadt betreut hat, in der bereits im Juli 1957 nur wenige Monate nach der Uraufführung an der Mailänder Scala die Deutsche Erstaufführung des Werks stattfand) hat freilich keine Geschichtsstunde über die französische Revolution samt ihren Auswirkungen auf Ordensgemeinschaften auf die Bühne gebracht, sondern mit starken Bildern, einem konzentriert-sensiblen Blick auf das Innenleben der Protagonistinnen und im Vergleich zu manch anderer seiner Produktionen wenig überflüssigen "Gags" ein packendes Seelendrama der eher leisen, verhaltenen, aber nicht minder eindringlichen Töne entwickelt. Nach Poulencs Ansicht handelt das Werk von Gnade und der Übertragung von Gnade, im Stück selber formuliert von der jungen Soeur Constance, die meint, die erste Priorin könne zum Vorteil einer anderen den "falschen" Tod gestorben sein.


Vergrößerung in neuem Fenster Madame Croissy (Rita Gorr, stehend) bittet Mère Marie (Karan Armstrong), sich um ihren Schützling, die junge Blanche, zu kümmern.

Diese andere ist die junge Blanche (ein alter ego des Komponisten, wenn man manchen Exegeten glaubt), ein ohne Mutter aufgewachsenes, überbehütetes, von ihrem Vater und ihrem Bruder im wahrsten Sinne des Wortes hin- und hergeschobenes Kind und "Häschen", das im weißen Kleid und in Lackschuhen auftritt und im Kloster nicht nur ihre neurotische Angst in den Griff bekommen, sondern auch ihrer Familie entkommen will, und tatsächlich geht sie zum Schluss, nachdem bereits alle Mitschwestern umgekommen sind, allein, aber festen Schrittes mit einem "Veni creator" auf den Lippen ihrem Tod entgegen. Blanche ist eine Erfindung von Gertrud von Le Fort, die 1931 ihre Novelle Die Letzte am Schafott veröffentlichte, die in der von Georges Bernanos bearbeiteten Fassung zur Grundlage für Poulencs eindrucksvolle Oper wurde. Die Schriftstellerin hatte zwar über den Untergang des feudalistisch-absolutistischen Herrschaftssystems Europa geschrieben, spiegelte damit aber aktuelle Probleme - also den Zusammenbruch der Weimarer Republik, das Ende des bürgerlichen Zeitalters und das heraufziehende Unheil nationalsozialistischer Machtübergriffe - in die Vergangenheit zurück, um sie aus klärender Distanz heraus noch schärfer und charakteristischer zeichnen zu können. Krämer mochte sich auch für diese Epoche nicht entscheiden, sondern ließ Gottfried Pilz ein weitgehend in Schwarz gehaltenes Bühnenbild kreieren, das mit seinen Wänden, einer in den (Bühnen-)Himmel führenden Schräge, die für den schwierigen Weg zur Erlösung und zu Gott stehen könnte, aber auch eine übergroße Guillotine assoziieren lässt, den wenigen Requisiten und dem reichlich eingesetzten Bühnennebel weniger wie ein konkreter Handlungsort als vielmehr wie ein abstrakter Seelenraum wirkt, und auch Isabel Ines Glathars unspektakulären Kostüme sind zeitlos (die dunklen Mäntel der "Revolutionäre" etwa könnten auch Geheimpolizisten jeder anderen Diktatur tragen).


Vergrößerung in neuem Fenster Mère Marie (Karan Armstrong) tröstet die verängstigte Blanche (Julie Kaufmann).

Das Geschichte entwickelt sich als schmerzvolle Erinnerung der Mutter Maria von der Menschwerdung Christi, die das Massaker des 17. Juli 1794 überlebt hat, bei dem 16 Karmelitinnen nur zehn Tage vor dem Sturz der Robespierristen und der Aussetzung aller Todesurteile in Paris hingerichtet wurden (1906 wurden die Nonnen aus Compiègne von Papst Pius X. selig gesprochen worden), und die uns die Gespräche ihrer Glaubensschwestern überliefert hat. Sie fungiert als eine Art Erzählerin, die von Anfang an präsent ist, phasenweise wie paralysiert in der Nähe des Publikums stumm da sitzt und zum Zuschauen gezwungen zu sein scheint. Manchmal hebt sie allerdings den durchsichtigen Vorhang, der sie vom eigentlichen Bühnengeschehen trennt, um in dieses einzugreifen, aber verhindern kann sie das traurige Geschick ihrer Mitschwestern, das sie nicht zur Ruhe kommen lässt, natürlich nicht.


Vergrößerung in neuem Fenster Die Karmelitinnen (Ensemble und Chor der Oper Köln) auf dem Weg zur Hinrichtung.

Dass dieser Abend ein großer wurde, lag nicht zuletzt an den drei Protagonistinnen: Rita Gorr, die nicht nur in der französischen Erstaufführung der Oper am 21. Juni 1957 die Mère Marie gesungen hatte (nicht jedoch in der von Nino Sanzogno dirigierten Uraufführung an der Mailänder Scala am 26. Januar desselben Jahres, wie in den Künstlerinformationen behauptet wird, das war Gigliola Frazzoni, wie man in dem Mitschnitt einer Folgevorstellung nachhören kann, bei der auch Leyla Gencer, Virginia Zeani, Eugenia Ratti und Fiorenza Cossotto mitwirken), sondern auch in der 1958 in Paris entstandenen Referenzaufnahme des Werks, während sie in der Einspielung aus Lyon des Jahres 1990 ebenso wie bei der Premiere der Berliner Originalproduktion als Madame de Croissy dabei war, ist auch nach unglaublichen 55 Bühnenjahren noch eine Sängerpersönlichkeit, deren Intensität einen gefangen nimmt, sobald sie die Szene betritt, so dass die leichten Nebengeräusche und einige brüchige Töne im unteren Register der ansonsten immer noch beeindruckend festen Stimme wahrlich nicht ins Gewicht fallen (die Intonation war selbst bei ihren wichtigen Aufnahmen nicht immer unproblematisch, was man angesichts der großen Autorität in Sachen französischer Diktion aber gern in Kauf nimmt).

Klangbeispiel Klangbeispiel: Aus der 4. Szene des 1. Aktes:
Rita Gorr (Madame Croissy)
(MP3-Datei)


Nach Janaceks Küsterin, die Karan Armstrong in dieser Spielzeit an der Komischen Oper Berlin übernommen hat, erarbeitete sich die "Primadonna der Moderne" mit der zwischen Zärtlichkeit und Strenge zerrissenen Mère Marie eine weitere bedeutende Aufgabe des Charakterfachs. Natürlich hört man auch bei ihr die Spuren jahrzehntelangen exzessiven Einsatzes in zahlreichen fordernden Hauptrollen, das Klirren in der Höhe, die nicht mehr organisch miteinander verbundenen Register, den furchtlosen Einsatz der Bruststimme oder den Rückgriff auf Sprechgesang in tiefer gelegenen Passagen, aber die Amerikanerin hat die nötige Präsenz, um eine fast leere Bühne zu füllen und die nicht einfachen schauspielerischen Aufgaben bemerkenswert umzusetzen. Julie Kaufmann, die in Köln bereits als Pamina, Susanna, Musetta und in der Titelpartie von Hindemiths Sancta Susanna zu erleben war, hatte erfreulicherweise keine Probleme, sich gegen solche beinahe legendären Kolleginnen durchzusetzen: Ihr heller, schlanker, über die erforderliche Jugendlichkeit für die Denise-Duval-Partie der Blanche verfügender Sopran besitzt sowohl die Flexibilität für verinnerlicht-berührende Töne als auch die nötige Kraft und den Biss, um das naturgemäß nicht immer leise Orchester zu überstrahlen, und eine exzellente Darstellerin ist auch sie. Daneben empfahlen sich Banu Böke als munter plaudernde, höhenstarke Soeur Constance, Katja Boost mit deftigem Alt als Mère Jeanne, das ehemalige Ensemblemitglied Andrew Collis mit klangvollem, elegant geführten Bass als Marquis de la Force, der sehr involvierte Hauke Möller mit durchdringend-hellem Tenor und hörbarem Bemühen um Textverständlichkeit als dessen Bühnensohn und Alexander Fedin mit charaktervollem, wie stets weit ausschwingenden Tenor als Beichtvater ebenso wie die Interpreten der kleineren Partien und die von Horst Meinardus sicher einstudierten Chöre, weniger aber Ausrine Stundyte mit ihrem unangenehm flackernden, reifen Sopran als Madame Lidoine.


Vergrößerung in neuem Fenster Blanche (Julie Kaufmann, hinten) unterstützt Soeur Constance (Banu Böke) auf ihrem letzten Weg.

Wie schon beim Don Quichotte war ich begeistert von der Leistung des Gürzenich-Orchesters, das unter der umsichtigen Leitung des ab der Spielzeit 2004/2005 in Münster als Generalmusikdirektor engagierten Rainer Mühlbach einen kompakten, aber stets kontrollierten Klang entfaltete und so vorbildlich Poulencs Wunsch umsetzte, dass die Aufmerksamkeit der Zuschauer trotz der farbenreich-stimmungsvollen, abwechslungsreichen Orchestrierung nicht von der solistischen Stimme abgelenkt wird.

Klangbeispiel Klangbeispiel: Das Prélude vor der Schlussszene des 3. Aktes:
Das Gürzenich-Orchester Köln
unter Leitung von Rainer Mühlbach
(MP3-Datei)



FAZIT

Der überwiegende Teil des Premierenpublikums zeigte sich tief bewegt angesichts des Gesehenen und applaudierte entsprechend lang, besonders für die unverwüstliche Rita Gorr und Julie Kaufmann, aber auch für Rainer Mühlbach.



Ihre Meinung ?
Schreiben Sie uns einen Leserbrief

Produktionsteam

Musikalische Leitung
Rainer Mühlbach

Inszenierung
Martina Pfaff
nach einem Konzept von
Günter Krämer

Bühne
Gottfried Pilz

Kostüme
Isabel Ines Glathar

Licht
Manfred Voss

Chor
Horst Meinardus

Dramaturgie
Steffi Turre


Klienten der
Bewährungshilfe Köln

Strafgefangene der
JVA Euskirchen

Statisterie
der Oper Köln

Chor und Extrachor
der Oper Köln

Gürzenich-Orchester
Köln


Solisten



Der Marquis
de la Force
Andrew Collis

Blanche,
seine Tochter
Julie Kaufmann

Der Chevalier,
sein Sohn
Hauke Möller

Madame Croissy,
Priorin des Karmel
Rita Gorr

Madame Lidoine,
die neue Priorin
Ausrine Stundyte

Mutter Maria
von der Menschwerdung
Karan Armstrong

Schwester Constanze
vom Heiligen Dionysius
Banu Böke

Mutter Johanna
vom Jesuskind
Katja Boost

Schwester Mathilde
Joslyn Rechter

Der Beichtvater
des Karmel
Alexander Fedin

Erster Kommissar
Martin Finke

Zweiter Kommissar
Dieter Schweikart

Kerkermeister
Samuel Youn

Thierry, Diener bei
de la Force

Francisco Vergara

Javellinot,
Arzt
Selcuk Cara

Ein Zivilbeamter
Raphael Schwarzer


Weitere Informationen
erhalten Sie von den
Bühnen der Stadt Köln
(Homepage)





Da capo al Fine

Zur OMM-Homepage Zur Musiktheater-Startseite E-mail Impressum

© 2004 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: oper@omm.de

- Fine -