Zur OMM-Homepage Zur OMM-Homepage Veranstaltungen & Kritiken
Musiktheater
Zur OMM-Homepage Musiktheater-Startseite E-Mail Impressum



Der Riese vom Steinfeld

Oper in 14 Szenen
Libretto von Peter Turrini
Musik von Friedrich Cerha


In deutscher Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 1h 45 Minuten (keine Pause)

Deutsche Erstaufführung im Theater Krefeld am 8. Februar 2004


Homepage

Theater Krefeld-Mönchengladbach
(Homepage)
Schlechte Zeiten für Riesen

Von Stefan Schmöe / Fotos von Matthias Stutte


Er ist zwei Meter achtundfünfzig groß, depressiv und von einfältigem Gemüt. Ein Dorftrottel par excellence, sieht man von der ungewöhnlichen Körpergröße einmal ab – in alpenländischen Bergdörfern mag es dereinst solche Gestalten gegeben haben; Heimatfilme und –romane greifen derartige Klischees hin und wieder auf. Librettist Peter Turrini und Komponist Friedrich Cerha widmen ihrem tumben Riesen aus der Gemeinde Steinfeld 14 Szenen und eindreiviertel Stunden Musik, zu der sie ihn aus der trauten Nähe des Steinfelder Knabenchores über die Kreisstadt Ried in die europäischen Metropolen Prag, Berlin, London und Paris und zurück in die Heimat führen, wo er, gebrochen an der Herzlosigkeit der Welt, stirbt.

Vergrößerung in neuem Fenster

Das alpine Idyll hat für den Riesen teuflische Momente.

Klangbeispiel Klangbeispiel: Der "Steinfelder Kinderchor", später auch der Riese
(MP3-Datei)


Klangbeispiel Klangbeispiel: Das traurige Lied des Riesen (Ausschnitt)
(MP3-Datei)


Woran das Stück in erster Linie krankt ist das Fehlen eines greifbaren Grundkonflikts. Zu schlicht ist das an sich ehrbare Ansinnen, einen Außenseiter der Gesellschaft in seinem Untergang zu zeigen, weil dieser einfältige Riese so gar keine Möglichkeit besitzt, sich gegen die Zustände aufzulehnen: Herzensgut, aber auf dem geistigen Niveau eines Kindes verblieben, ist er wehrlos. Eine mögliche Gegenhandlung wird leichtfertig verspielt: Eine kleine Frau verliebt sich in den Riesen, ohne das diese Linie der Handlung konsequent verfolgt würde; stattdessen wird das Leben in den Metropolen in grotesker Verzerrung dargestellt. Da ist Wilhelm II. ein infantiler Soldatenkaiser, der sich wagnerianisch mit „Hojotoho / hier kommt Willem Zwo“ ankündigen lässt, und in Westminster lässt sich die Königin die Funktion des WC vor aller Augen und Nasen demonstrieren: Gemessen daran ist es um die Intelligenz unseres tumben Hünen doch nicht ganz so schlecht bestellt.

Vergrößerung in neuem Fenster "Hojotoho, hier kommt Willem Zwo": Majestät belieben zu reiten und erwägen dabei, den Riesen Rekruten von preußischem Gardemaß zeugen zu lassen.

Einfaltspinseln kann man schlecht komplexe Musik schreiben; also bekommt der Riese nicht nur textlich ein kindgerechtes trauriges Lied, sondern auch eine leicht fassbare, markant periodisch aufgebaute Musik, die mindestens unterschwellig, meist jedoch ganz offen an der Tonalität festhält. Da der Riese zirkusgerecht vermarktet wird, dürfen Anklänge an Zirkusmusik nicht fehlen, und je böser die Figuren, desto weiter dringt Cerha zu flächigen, „moderneren“ Klängen vor. Die Abfolge von 14 kurzen Szenen mit mehreren symphonischen Zwischenspielen erinnert an den Aufbau des Wozzeck. Cerha setzt weitgehend feststehende Klangmuster blockartig nebeneinander: Entsprechend dem Text ist die Musik eine statische Zustandsbeschreibung, die den Personen eine Aura, aber keine oder nur minimale Entwicklung gibt. Dass die Musik der „Guten“ die konventionellste ist, steht in guter Operntradition und macht das Werk relativ leicht fassbar (und wurde vom Krefelder Premierenpublikum wohlwollend aufgenommen) – stellt aber gleichzeitig die Bemühungen um wirklich modernes Musiktheater in Frage. Da hat man sich – auch wenn es sich hier um eine deutsche Erstaufführung handelt - in Krefeld und Mönchengladbach schon an Werke von anderem Kaliber herangewagt.

Vergrößerung in neuem Fenster

"Gebt mir eine Frau" fordert der Riese. Ein aufblasbares Modell hat er dabei eigentlich nicht gemeint.

Die doch sehr simple Handlung rettet zumindest einen Rest an Glaubwürdigkeit, weil sie in eine zeitlich wie räumlich datierbare Vergangenheit gelegt ist: Das Historienstück als stark vereinfachende Parabel für die Gegenwart. Die historische Bindung rettet das Stück vor dem Absturz in die Banalität. Genau diesen Schutzmechanismus bricht Regisseur Gregor Horres auf, indem er die Oper in die Gegenwart zurückholen möchte. Suggeriert die den gesamten Bühnenhintergrund umgebende Fototapete (blühende Alpenwiese) noch mehr oder weniger zeitloses Bergambiente mit ironischem Unterton, so ist das Finale in einer Talkshow ein krasser Fehlgriff: Die Naivität von Libretto und Musik wirken dadurch eben nicht gewollt naiv, sondern schlichtweg platt. Wo die Oper zart andeutet, schlägt Horres im Dechiffrierungswahn mit dem Inszenierungshammer derart kräftig zu, dass kein noch so kleiner eigener Gedanke mehr wachsen kann. Ein Rabbi, der beim Blick über die Mauer judenleere Vorstädte sieht? Klar, Auschwitz. Es gibt Regisseure, die trauen ihrem Publikum solche Gedankengänge auch ohne gelben Stern und Eisenbahnwaggon zu.

Vergrößerung in neuem Fenster Und weil die Liebe zwischen dem Riesen und der kleinen Frau so aufregend ist, wird sie zum Gegenstand der "Joe-Vanni-Show" - was uns wohl an eine andere oper, in der aufregender geliebt wird, erinnern soll.

Klangbeispiel Klangbeispiel: "Ich bin zu groß für dich" - "Aber nein, wie kannst du nur so etwas denken!" (Ausschnitt)
(MP3-Datei)


Man Christoph Erpenbeck kaum vorwerfen, dass er den Riesen in dieser eindimensionalen Inszenierung eines nicht eben übermäßig vielschichtigen Stückes mit vollendeter Einfallt spielt – und dabei sonor, gleichzeitig aber kraftvoll und durchsetzungsfähig (und immer sehr nuanciert) singt. Jeanette Wernecke hat als „Kleine Frau“ (die sich in den Riesen verliebt, aber irgendwie überflüssig erscheint) zunächst Schwierigkeiten mit den Spitzentönen ihrer sehr hohen Partie, singt sich aber im Verlauf der Aufführung mit ihrem leichten und beweglichen Sopran frei. Unter den Sängern der (durchweg akzeptabel besetzten) kleineren Rollen profiliert sich vor allem Carola Gruber als Mutter des Riesen. Sehr präsent ist der Chor des Theaters und der Kinderchor, der vom „Projektchor der Bischöflichen Marienschule Mönchengladbach“ gestellt wird. Unter dem sängerfreundlichen Dirigat von Graham Jackson spielen die Niederrheinischen Sinfoniker kultiviert und klangschön.


FAZIT

Zur Inszenierung erlauben wir uns zu kalauern: Alles platt gemacht. Musikalisch akzeptabel, ohne den Anspruch einzulösen, besonders modernes Musiktheater zu veranstalten.


Ihre Meinung
Schreiben Sie uns einen Leserbrief
(Veröffentlichung vorbehalten)

Produktionsteam

Musikalische Leitung
Graham Jackson

Inszenierung
Gregor Horres

Bühne und Kostüme
Kirsten Dephoff

Choreinstudierung
Heinz Klaus

Dramaturgie
Benedikt Holtbernd



Chor der Vereinigten
Städtischen Bühnen
Krefeld und Mönchengladbach

Projektchor der Bischöflichen
Marienschule Mönchengladbach

Die Niederrheinischen
Sinfoniker


Solisten

* Besetzung der Premiere

Der Riese
Christoph Erpenbeck

Die kleine Frau
Anja-Maria Kaftan /
* Jeanette Wernecke

Anja, Mutter des Riesen /
Königin Victoria
Carola Gruber

"Der schöne Müde" /
Klammerschneider
Walter Planté

Ziorkusdirektor /
Lord Pitt /
Totengräber
Hayk Dèinyan

"Der Rumpfmenschj Kobelkov" /
Dorfbürgermeister /
Wilhelm II.
Reiner Roon

Musikzauberer /
Sargtischler /
Türsteher
Tobias Pfülb

"Die behaarte Frau" /
Rabbi Fleckeles /
Bosomworth /
Türsteher
Darrie Davislim

"Der Schlangenmensch" /
Conférencier /
Teufel
Frank Valentin

1. Bauernbursche
* Bernhard Schmitt /
Zbigniew Szczechura

2. Bauernbursche
István Demus /
* Jerzy Gurzynski

1. Bauer
* Alexander Betov /
Yasuyuki Toki

2. Bauer
* Manfred Feldmann /
Rochus Triebs

3. Bauer
Jeong-Han Lee /
* Vladimir Schmurko

Der Schüler Moischele
Elvira Bill /
* Dina Müskens

Der zweite Schüler
* Konstantin Döben /
Korbinian Groll



Weitere
Informationen

erhalten Sie vom
Theater Krefeld-
Mönchengladbach

(Homepage)



Da capo al Fine

Zur OMM-Homepage Musiktheater-Startseite E-Mail Impressum
© 2004 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: oper@omm.de

- Fine -