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Schlechte Zeiten für Riesen
Von Stefan Schmöe
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Fotos von Matthias Stutte Er ist zwei Meter achtundfünfzig groß, depressiv und von einfältigem Gemüt. Ein Dorftrottel par excellence, sieht man von der ungewöhnlichen Körpergröße einmal ab in alpenländischen Bergdörfern mag es dereinst solche Gestalten gegeben haben; Heimatfilme und romane greifen derartige Klischees hin und wieder auf. Librettist Peter Turrini und Komponist Friedrich Cerha widmen ihrem tumben Riesen aus der Gemeinde Steinfeld 14 Szenen und eindreiviertel Stunden Musik, zu der sie ihn aus der trauten Nähe des Steinfelder Knabenchores über die Kreisstadt Ried in die europäischen Metropolen Prag, Berlin, London und Paris und zurück in die Heimat führen, wo er, gebrochen an der Herzlosigkeit der Welt, stirbt. Das alpine Idyll hat für den Riesen teuflische Momente.
Klangbeispiel: Der "Steinfelder Kinderchor", später auch der Riese
Woran das Stück in erster Linie krankt ist das Fehlen eines greifbaren Grundkonflikts. Zu schlicht ist das an sich ehrbare Ansinnen, einen Außenseiter der Gesellschaft in seinem Untergang zu zeigen, weil dieser einfältige Riese so gar keine Möglichkeit besitzt, sich gegen die Zustände aufzulehnen: Herzensgut, aber auf dem geistigen Niveau eines Kindes verblieben, ist er wehrlos. Eine mögliche Gegenhandlung wird leichtfertig verspielt: Eine kleine Frau verliebt sich in den Riesen, ohne das diese Linie der Handlung konsequent verfolgt würde; stattdessen wird das Leben in den Metropolen in grotesker Verzerrung dargestellt. Da ist Wilhelm II. ein infantiler Soldatenkaiser, der sich wagnerianisch mit Hojotoho / hier kommt Willem Zwo ankündigen lässt, und in Westminster lässt sich die Königin die Funktion des WC vor aller Augen und Nasen demonstrieren: Gemessen daran ist es um die Intelligenz unseres tumben Hünen doch nicht ganz so schlecht bestellt. "Hojotoho, hier kommt Willem Zwo": Majestät belieben zu reiten und erwägen dabei, den Riesen Rekruten von preußischem Gardemaß zeugen zu lassen.
Einfaltspinseln kann man schlecht komplexe Musik schreiben; also bekommt der Riese nicht nur textlich ein kindgerechtes trauriges Lied, sondern auch eine leicht fassbare, markant periodisch aufgebaute Musik, die mindestens unterschwellig, meist jedoch ganz offen an der Tonalität festhält. Da der Riese zirkusgerecht vermarktet wird, dürfen Anklänge an Zirkusmusik nicht fehlen, und je böser die Figuren, desto weiter dringt Cerha zu flächigen, moderneren Klängen vor. Die Abfolge von 14 kurzen Szenen mit mehreren symphonischen Zwischenspielen erinnert an den Aufbau des Wozzeck. Cerha setzt weitgehend feststehende Klangmuster blockartig nebeneinander: Entsprechend dem Text ist die Musik eine statische Zustandsbeschreibung, die den Personen eine Aura, aber keine oder nur minimale Entwicklung gibt. Dass die Musik der Guten die konventionellste ist, steht in guter Operntradition und macht das Werk relativ leicht fassbar (und wurde vom Krefelder Premierenpublikum wohlwollend aufgenommen) stellt aber gleichzeitig die Bemühungen um wirklich modernes Musiktheater in Frage. Da hat man sich auch wenn es sich hier um eine deutsche Erstaufführung handelt - in Krefeld und Mönchengladbach schon an Werke von anderem Kaliber herangewagt. "Gebt mir eine Frau" fordert der Riese. Ein aufblasbares Modell hat er dabei eigentlich nicht gemeint.
Die doch sehr simple Handlung rettet zumindest einen Rest an Glaubwürdigkeit, weil sie in eine zeitlich wie räumlich datierbare Vergangenheit gelegt ist: Das Historienstück als stark vereinfachende Parabel für die Gegenwart. Die historische Bindung rettet das Stück vor dem Absturz in die Banalität. Genau diesen Schutzmechanismus bricht Regisseur Gregor Horres auf, indem er die Oper in die Gegenwart zurückholen möchte. Suggeriert die den gesamten Bühnenhintergrund umgebende Fototapete (blühende Alpenwiese) noch mehr oder weniger zeitloses Bergambiente mit ironischem Unterton, so ist das Finale in einer Talkshow ein krasser Fehlgriff: Die Naivität von Libretto und Musik wirken dadurch eben nicht gewollt naiv, sondern schlichtweg platt. Wo die Oper zart andeutet, schlägt Horres im Dechiffrierungswahn mit dem Inszenierungshammer derart kräftig zu, dass kein noch so kleiner eigener Gedanke mehr wachsen kann. Ein Rabbi, der beim Blick über die Mauer judenleere Vorstädte sieht? Klar, Auschwitz. Es gibt Regisseure, die trauen ihrem Publikum solche Gedankengänge auch ohne gelben Stern und Eisenbahnwaggon zu. Und weil die Liebe zwischen dem Riesen und der kleinen Frau so aufregend ist, wird sie zum Gegenstand der "Joe-Vanni-Show" - was uns wohl an eine andere oper, in der aufregender geliebt wird, erinnern soll.
Klangbeispiel: "Ich bin zu groß für dich" - "Aber nein, wie kannst du nur so etwas denken!" (Ausschnitt)
Man Christoph Erpenbeck kaum vorwerfen, dass er den Riesen in dieser eindimensionalen Inszenierung eines nicht eben übermäßig vielschichtigen Stückes mit vollendeter Einfallt spielt und dabei sonor, gleichzeitig aber kraftvoll und durchsetzungsfähig (und immer sehr nuanciert) singt. Jeanette Wernecke hat als Kleine Frau (die sich in den Riesen verliebt, aber irgendwie überflüssig erscheint) zunächst Schwierigkeiten mit den Spitzentönen ihrer sehr hohen Partie, singt sich aber im Verlauf der Aufführung mit ihrem leichten und beweglichen Sopran frei. Unter den Sängern der (durchweg akzeptabel besetzten) kleineren Rollen profiliert sich vor allem Carola Gruber als Mutter des Riesen. Sehr präsent ist der Chor des Theaters und der Kinderchor, der vom Projektchor der Bischöflichen Marienschule Mönchengladbach gestellt wird. Unter dem sängerfreundlichen Dirigat von Graham Jackson spielen die Niederrheinischen Sinfoniker kultiviert und klangschön.
Zur Inszenierung erlauben wir uns zu kalauern: Alles platt gemacht. Musikalisch akzeptabel, ohne den Anspruch einzulösen, besonders modernes Musiktheater zu veranstalten. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne und Kostüme
Choreinstudierung
Dramaturgie
Solisten* Besetzung der PremiereDer Riese Christoph Erpenbeck
Die kleine Frau
Anja, Mutter des Riesen /
"Der schöne Müde" /
Ziorkusdirektor /
"Der Rumpfmenschj Kobelkov" /
Musikzauberer /
"Die behaarte Frau" /
"Der Schlangenmensch" /
1. Bauernbursche
2. Bauernbursche
1. Bauer
2. Bauer
3. Bauer
Der Schüler Moischele
Der zweite Schüler
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