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Don Carlo
Oper in vier Akten
Dichtung von Joseph Méry und Camille du Locle
Musik von Giuseppe Verdi
In in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln
Aufführungsdauer: ca. 4 h (eine Pause)

Premiere am Theater Münster am 28. Februar 2004


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Städtische Bühnen Münster
(Homepage)

Macht im Schatten der Grausamkeit

Von Meike Nordmeyer / Fotos von Michael Hörnschemeyer



Nicht ein Liebesduett, sondern eine Folterszene steht am Anfang. Die Münsteraner Don Carlo-Aufführung folgt der Mailänder Fassung von 1883, bei der Verdi den ersten Akt, das Zusammentreffen der beiden Liebenden Elisabeth und Don Carlo in Fontainebleau, gestrichen hatte. So nimmt der Lauf der Oper in den Gemäuern der Mönche seinen Anfang, und Regisseur Hilsdorf beginnt deutlich, wie es seine Art ist: Die Mönche foltern einen an ein Bett gefesselten Mann. Sie stoßen ihm aus einer Bibel herausgerissene Seiten mit dem Holzknüppel in den Rachen. Blutüberströmt liegt das Opfer da und stirbt. Über den geschundenen Mann wird schließlich nur ein Tuch geworfen, und so weiß abgedeckt bleibt das Folterbett noch lange in der Szenerie präsent. So wie auch die düsteren Mauern der grausigen Gruft als Einheitsbühnenbild bestehen bleiben und den gnadenlosen Funktionszusammenhang von Königshof und Inquisition für die spanische Gesellschaft markieren. Auf durchlässiger Gazé wird die weite karge spanische Hochebene von Zeit zu Zeit sichtbar.

Die vernichtende Behandlung der zu Ketzter ernannten Menschen fand zu jener Zeit im 16. Jahrhundert nicht nur versteckt hinter kirchlichen Mauern statt, sie diente auch zur großen Demonstration. Auf öffentlichen Plätzen wurden Hinrichtungen in Szene gesetzt, und zwar sicherlich nicht nur zur Abschreckung des Volkes, sondern auch zur Befriedigung seiner Blut-Lust. Überdeutlich gestaltet Hilsdorf diesen Aspekt in seiner Inszenierung aus. Im Zentrum der Aufführung steht das "Autodafé". Von der Wortherkunft bedeutet dieser so vornehme Begriff soviel wie "Glaubensakt", de facto war damit die Ketzer-Verbrennung bezeichnet.


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Eine Szene aus dem Autodafé: Don Carlo begibt sich zu den Ketzern und droht seinem Vater.

Inmitten der Münsteraner Aufführung ist das "Autodafé" zum Einzelstück avanciert, denn es wird vom zweiten Akt abgetrennt und von zwei Pausen umrahmt. Diese Separierung machten die großen Umbauarbeiten erforderlich, die sich daraus ergeben, dass das Orchester eigens für diesen Part auf die Bühne geholt wird. Doch diese Herausstellung der Szene ist auch zugleich gewollter Effekt. Dem Programmheft der Aufführung liegt ein Faltblatt bei: die Einladung zum Autodafé. In vier Sprachen preist das Blatt diese Sonderaktion der Vorstellung an. Ausgestaltet ist die Szene in lärmender, grotesker Jahrmarkt-Stimmung. Wie auf einem Volksfest werden die geknebelten, verhöhnend bekleideten und beschmierten Ketzer vorgeführt. Da das Orchester auf der Bühne ist, kann der Orchestergraben als Grube für die Verbrennung dienen. Eine kleine Blaskapelle sorgt zusätzlich für vergnügliche Stimmung und Volksnähe. Der Chor steht im Zuschauerraum und jubelt den Geschehnissen zu. Und für das Publikum im Parkett und in den Rängen verkündet zeitgemäß eine blinkende elektronische Anzeigetafel viersprachig die Programmpunkte. Unterbrochen wird das Spektakel nur durch Werbung, junge Damen preisen Süßigkeiten an. Zur vollzogenen Hinrichtung segeln Luftballons von der Decke. Da läuft eine Show ab, die uns so unvertraut nicht ist in Zeiten des Event-Managements. Und auch heute wie je laben sich die Menschen an Gewaltszenen, und sei es nunmehr auf der Leinwand oder dem Bildschirm. Die Ketzer-Verbrennung blieb nun hier - im Namen der Kunst - in der Oper präsent und bietet auch heute dem Publikum die sublimierte Lust am Grauen. All dies führt die Regie mit dem großen Tableau, das sie mit diesem Autodafé zeichnet und bewusst überzeichnet, gekonnt vor Augen. Ein schauriges Spektakel, das sicherlich keinen im Publikum kalt lässt.

Doch auch insgesamt gelingt in Münster die Umsetzung eines durchweg packenden Dramas. Die Sänger sind dem Publikum mit einem Laufsteg über dem Orchestergraben näher gebracht. Ein Kunstgriff, der die Spannung sicherlich erhöht, aber nicht unbedingt erforderlich gewesen wäre. Denn das Ensemble weiß das Stück auch so mit höchster Bühnenpräsenz zu erfüllen.


Vergrößerung in neuem Fenster Liebe doch keine Verbundenheit: Don Carlo (Alex Vicens) und Elisabeth (Ines Krome)

Alex Vicens gibt den Don Carlo als leidenschaftlich Aufbegehrender und macht dies auch stimmlich mit seinem strahlenden, temperamentvoll eingesetzten Tenor deutlich. Dieser Infant schleudert Elisabeth mutwillig seine Liebe entgegen und kreist damit ausschließlich um sich selbst. Vicens zeichnet ihn als eine Figur, die mächtig verstört wirkt. Entsprechend findet sich auch im Programmheft der Hinweis auf den historischen Hintergrund, dass dieser Königssohn tatsächlich den Hang zum Schwachsinn und unkontrolliertem Handeln aufwies. Hinsichtlich seines politischen Engagements zeigt sich der Don Carlo der Münsteraner Aufführung daher auch als ein bloß leicht Verführbarer, dem es um nichts geht als um das Aufbegehren gegen Vater und Krone. Der Freund Posa hat leichtes Spiel, ihn für seine Ziele einzuschwören. An feinen Zwischentönen und dem Klang der Innerlichkeit lässt es der Sänger in dieser Darstellung des Don Carlo allerdings fehlen - sei es nun gewollt oder ungewollt.


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Prinzessin Eboli (Anna Maria Di Micco) in den Armen des Königs (Georg Zeppenfeld), doch sie will den Sohn.

Ines Krome gibt im wirkungsvollen Gegensatz zu diesem mutwilligen Don Carlo eine würdige Elisabeth, die in ihrer Traurigkeit große Strahlkraft entwickelt. Sie bietet schönen elegischen Klang und facettenreiche Ausgestaltung. Herausragende Leistung erbringt auch Stefan Adam als Posa mit gut geführter, klangvoller Stimme. Er zeigt sich als der übermächtige Freund mit unnachgiebig strengem Blick. Manchmal hat er diesen Gestus wohl zu sehr beziehungsweise zu dauerhaft in der Stimme - ein gelegentliches Nachlassen darin hätte sicherlich noch mehr Gelegenheit zur Gestaltung und Steigerung gelassen. Georg Zeppenfeld als hochgewachsener, beherrschter König bietet stets einen eindrucksvollen Auftritt. Ist er allein, zeigt sich dieser Herrscher nachdenklich. Zeppenfeld gibt gelungen seine Arie zu Beginn des dritten Aktes. Mit kultiviert zurückgenommener, darum höchst anspruchsvoller Stimmgestaltung lässt er den König sinnieren. Von großer Wirkung auf der Bühne zeigt sich auch Anna Maria Di Micco als Prinzessin Eboli. Stimmlich gestaltet sie ihre Partie beachtlich, auch wenn es gelegentlich an Substanz fehlt, die anspruchsvolle Rolle voll auszufüllen. In der Höhe kann die Sängerin nicht immer überzeugen.

Stimmmächtig erscheint gemäß seiner Rolle auch Kevin Bell als der Großinquisitor. Dieser Herrscher hat die Fäden in der Hand in dem Spiel um Liebe, Macht und Aufbegehren. Und er gewinnt auch zum Schluss, er bekommt den Sohn an seine grausame Behörde übergeben. Als geheimnisvoller Mönch - den Don Carlo in seinem Wahn wohl für Karl V. hält - nimmt er den abtrünigen Sohn zu sich, um ihn auf seine Weise ins Jenseits zu befördern, denn dafür ist er schließlich Spezialist. Der Vater scheint erleichtert, das Problemkind los zu sein.
Die Regie zeigt den Großinquisitor als blind und auf Krücken. Blind ist dieser Mann in seiner Rechtsprechung für jegliches menschliche Leid. Vor der weltlichen Macht bleiben seine Augen verschlossen. Sie kann er leicht ignorieren und vielbedeutend fragen "Steh ich vor dem König?" Der alte Kleriker ist der Mächtige, der das Spiel gewinnt. Mit dem Tod Posas und Don Carlo ist das weitere Vorgehen der Inquisition in Flandern gesichert.
Das Orchester unter der Leitung von Will Humburg unterlegt dieses spannende Macht-Spiel mit kräftigem Schicksalston und federnden Einwürfen. Humburg entwickelt eine dichte Stimmung mit dem anspruchsvoll musizierenden Instrumentalisten und rundet so die glanzvolle musikalische Leistung ab.



FAZIT

Für eine packende Aufführung sorgt die ebenso effektvolle wie vielschichtige Regie und ein spannungsreich agierendes Sängerensemble. Das Orchester erfüllt seinen Part souverän.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Will Humburg

Inszenierung
Dietrich Hilsdorf

Bühne
Dieter Richter

Kostüme
Renate Schmitzer

Chor
Peter Heinrich

Dramaturgie
Berthold Warnecke


Statisterie der Städtischen
Bühnen Münster

Chor der Städtischen
Bühnen Münster

Symphonieorchester Münster


Solisten

Philipp II.
Georg Zeppenfeld

Don Carlo
Alex Vicens

Marquis von Posa
Stefan Adam

Der Großinquisitor
/ Ein Mönch
Kevin Bell

Elisabeth von Valois
Ines Krome

Prinzessin Eboli
Anna Maria Di Micco
/ Suzanne McLeod

Tebaldo / Stimme aus der Höhe
Yoon-Cho Cho

Graf von Lerma / Königlicher Herold
Mark Bowman-Hester

Flandrische Deputierte
Peter Arink
Erik Frithjof
Peter Lorke
Steffen Neutze
Christian Walter
Radoslaw Wielgus






Weitere Informationen
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