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Musiktheater
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Die Sache Makropoulos

Oper in drei Akten
Text vom Komponisten
Nach der gleichnamigen Komödie
von Karel Capek (1922)
Musik von Leos Janácek

In tschechischer Sprache

Aufführungsdauer: ca. 1 1/2 Stunden (keine Pause)

Premiere am 24. Januar 2004
in der Staatsoper Stuttgart

Homepage Staatstheater Stuttgart

(Homepage)


Das Medium reflektiert sich selbst

Von Christoph Wurzel


Angesichts der schwer fassbaren Form von Janaceks Oper, die er "revolutionär in ihrer Konfiguration" nannte, forderte Theodor W. Adorno in seiner Kritik der deutschen Erstaufführung 1929 an der Frankfurter Oper, das Werk gehöre "auf eine Experimentierbühne. Musikalische und szenische Interpretation müssten mit ihrer Deutung beginnen. Im normalen Opernbetrieb lässt sich daran nicht denken." Der Aufführungsstandard des heutigen Opernbetriebs ist sicherlich seit jener Zeit fortgeschrittener, Interpretation mittels Regie ein allgemeines Postulat und der "normale" Opernbetrieb lässt bisweilen auch experimentelle Regieansätze zu - dem "Regietheater" sei Dank - und Hans Neuenfels, der zu dessen kreativsten Vertretern gehört. In Stuttgart hat er mit der Sache Makropoulos nun seine fünfte Regiearbeit an der Staatsoper abgeliefert, nach einer in ihrer szenischen Klarheit grandiosen Entführung aus dem Serail und einem durch viel Firlefanz eher enttäuschenden Don Giovanni, die beide in dieser Spielzeit noch im Repertoire sind. Natürlich ist er seiner Regiesprache treu geblieben: So hat die neueste Produktion von beidem etwas. Um es aber vorweg zu sagen: Rundum ist es ein spannender, weil phantasievoller Opernabend geworden und ein großer Erfolg für das ganze Team obendrein.

Inszenierungsschlüssel ist nicht eine scheinbar realistische Nacherzählung der überaus merkwürdigen Geschichte der Sängerin Emilia Marty, die eigentlich Elina Makropoulos ist, als Ellian MacGregor zum einzigen Mal wirklich geliebt hat, als Eugenia Montez einem Operettentenor den Kopf verdreht hat, aber auch einmal Ekaterina Myschkina oder Elsa Müller hieß und nun im Alter von 337 Jahren wieder an das geheime Rezept desjenigen Elixiers zu kommen trachtet, das sie nach ihrem 16. Lebensjahr 300 Jahre nicht altern ließ. Nacherzählt wird auch nicht die komplizierte Handlung der juristischen Erbschaftsangelegenheit, die den Hintergrund für allerlei verwickelte Zusammenhänge der Handlung bildet, denn erstens wird auf tschechisch gesungen und zweitens gibt es keine fortlaufenden Übersetzungstitel. Und erzählt wird ferner nicht, warum und wie eine derartige "Wirklichkeit" glaubhaft wäre. Die Oberfläche der Handlung, die Karel Capek in den Zwanziger Jahren in einem Boulevardstück ausgebreitet und Janacek zum Libretto seiner Altersoper umgeformt hat, scheint Neuenfels wenig zu interessieren, dafür aber umso mehr, wie Janacek den Plot "veropert" hat, was er wohl gedacht haben mag, was er sich so dabei gedacht haben mag und was das Publikum denken könnte, was seine Figuren so tun...

Dieses, Neuenfels`, Publikum darf belustigt und genüsslich, verwundert und staunend, gespannt und nachsinnend auf dem Theater dessen eigene Mittel selbst verfolgen und entdecken. Ein Spiel von theatralischer Selbstbespiegelung vollzieht sich auf der Bühne, das an den grotesk bis absurd eingefärbten Charakter von Janaceks Textvorwurf anknüpft. Eine auf mehreren Ebenen gebrochene Reflexion über die Mittel der Oper findet in dieser Oper statt.

Schwer zu fassen ist diese Emilia Marty, deren Identität weitgehend eine künstliche ist. Mit 16 muss sie sich kaiserlichem und väterlichem Willen fügen und probeweise das Verjüngungselixier trinken. Sie durchlebt ihre Zeit als Künstlerin, schlüpft täglich in andere Rollen und wird als immer perfekter werdender Star zur Projektionsfläche ihrer Mitwelt. Die Männer ihrer zahllosen Liebschaften ersehnen in ganz unterschiedlicher Weise in ihr das Objekt ihrer Begierde. Selbst setzt sie ihre Wirkung auf andere für ihre Ziele kaltschnäuzig ein. Kurze und kürzeste Situationen, kleine Handlungsfragmente werden montiert, immer wieder aufs Neue wird fiktive Realität konstruiert. Blitzschnell ändert sich die Situation und mit ihr die Reaktion der Figuren. Die Bilder der Bühne sind dabei Reflex der collageartig zusammengefügten musikalischen Charakterisierungsbausteine, die Sylvain Cambreling mit dem Orchester in schlagender und aufregend deutlicher Prägnanz herausarbeitet. Die Kostüme von Marianne Glittenberg unterstützen dieses Prinzip augenfällig: die Marty wechselt ihre Identität mit dem unter Umständen im Gehen neu angelegten Kleid.

Vor allem aber ist die Opernfigur Emilia Marty eine Kunstfigur des Librettisten und Komponisten. Und dieser ist höchstselbst auch Akteur in dem vielgestaltigen Theater. Neuenfels hat die Gestalt des Komponisten als stumme Rolle in das Werk eingefügt, der, teils das Geschehen beobachtend, teils auch eingreifend, erkennbar Janaceks Züge trägt. Ganz zu Beginn setzt er das Spiel in Gang, indem er seine Figuren, die er an Bändern im Zaum hält, schnalzend in Aktion versetzt: die Phantasiegebilde des Künstlers beleben sich zu Bühnengestalten. Seine Gedanken, Hoffnungen, Erlebnisse, Projektionen im Zusammenhang mit der soeben erschaffenen artifiziellen Realität werden als Schriftzüge projiziert (sie ersetzen die Übertitel). In vielfach ironischer Weise kommentieren sie in weit gespanntem Bogen alle möglichen Bezüge zum Verhalten seiner Figuren, zum Fortgang der Handlung, ebenso aber auch zur eigenen Biografie - man denke an Janaceks verkorkste Ehe und die ebenfalls nicht unproblematische Beziehung zu Kamila Stösslova- ("Ich liebe die Frauen, denn ich kenne sie nicht") oder gar der musikalischen Tradition ( Hass-Liebe zu den meisten Komponistenkollegen, doch "Liebe-Liebe" zu Dvorak und "Hass- Hass" zu Wagner).

Frappierend der Schluss: Anders als im Libretto vorgesehen stirbt die Marty keinen pathetischen Bühnentod, sondern verweigert den Willen des über sie bestimmenden Komponisten, weist ihn in seine Schranken zurück. In diesem Widerstand gewinnt sie ihre eigene Identität und überschreitet damit als Kunstfigur den Rahmen der theatralischen Fiktion.

Dies alles wird sehr artistisch und mit viel Phantasie in Szene gesetzt. Überraschungsreiche Einfälle stehen neben plumper Albernheit, so der Einfall, den liebestollen Hauk-Schendorf Trampolin springen und dann im Lohengrin-Schwan davonfahren zu lassen. Zumeist aber sind die Gags schlüssig und allemal originell und gut getimt. Ob nun auf die im Operngeschehen gespiegelten ("Der Dichter und das Phantasieren"! ) libidinösen Zwänge des alternden Janacek gerade per simulierter Kopulation hätte verwiesen werden müssen, bleibt dem Geschmack jedes Einzelnen überlassen. Bemerkenswert aber ist die punktgenaue Synchronisation der Szene mit dem musikalischen Geschehen: Neuenfels hat eminent musikalisch inszeniert.

Als Emilia Marty glänzt Eva - Marie Westbroek und hat sich mit dieser Partie weiter als große Sängerdarstellerin profiliert. Stimmlich in Hochform, stark und klar im Material, vielfarbig in der Ausdruckspalette und darstellerisch hochpräsent meistert sie hier zum wiederholten Mal eine schwierige Hauptpartie. Bestens in Erinnerung ist noch ihre Carlotta in Schrekers Gezeichneten. Zum Teil ins Groteske gesteigert treten die übrigen Figuren in die Handlung ein: Szenenapplaus sogar für Heinz Göhring in der phänomenal gestalteten Rolle des Hauk-Schendorf. Mehr als Beachtung verdient Jürgen Müller als Albert Gregor. Aber auch alle Übrigen sind präzise gezeichnet und sängerisch in bester Form, eine schöne Ensembleleistung, wie sie zum Markenzeichen in Stuttgart geworden ist.

Die funktionale Guckkastenbühne in zwei Ebenen erleichtert die Umsetzung des Konzepts. Wenige Requisiten, ein Klavier und ein Bett im oberen Stock für die Werkstatt des Komponisten und als Hotelzimmer verwendbar und ein paar Bürostühle im Erdgeschoss lokalisieren prägnant die Situationen. Nicht zuletzt der Sternen funkelnde Vorhang versetzt das Publikum dahin, wo es an diesem Abend vergnüglich verweilen kann: ins Panoptikum der Opernkunst - mit ihren komischen wie tragischen Seiten.


FAZIT

In der Tat hat diese Produktion etwas Experimentelles. Das Konzept geht aber schlüssig auf. Musikalisch ist die Aufführung allemal eine Offenbarung. Hätte nur der Regisseur des Guten nicht bisweilen zu viel getan.

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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Sylvain Cambreling

Inszenierung
Hans Neuenfels

Mitarbeit Regie
Lorenz Aggermann
Nelly Danker

Bühne
Gisbert Jäkel

Kostüme
Marianne Glittenberg

Dramaturgie
Sergio Morabito




Staatsorchester Stuttgart



Solisten

Emilia Marty
Eva-Maria Westbroek

Albert Gregor
Jürgen Müller

Jaroslav Prus
Gerd Grochowski

Janek, sein Sohn
Bernhard Schneider

Vítek, Kanzleivorsteher
Roderic Keating

Krista, seine Tochter
Maria-Theresa Ullrich

Dr. Kolenatý, Advokat
Karl-Friedrich Dürr

Theatermaschinist
Mark Munkittrick

Putzfrau
Emma Curtis

Hauk-Schendorf
Heinz Göhrig

Kammerzofe
Carmen Mammoser

Komponist
(stumm)
Edgar M. Böhlke

Seine Gehilfen
(stumm)
Daniel Eberle
Carola Freiwald
Katja Gaub
Alexander Heidenreich
Marlin Zimmermann

Zwei Kindheitserinnerungen
(stumm)
Tamara Wolf
Valerian Geiger




Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Staatstheater Stuttgart
(Homepage)



Da capo al Fine

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