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Kalkulierte Langeweile Von Angela Mense / Foto von Thomas M. Jauk Am vergangenen Freitag war es endlich soweit: Frank Nimsgern, einziger deutscher Musical-Komponist von Weltformat, wie die FAZ behauptet, hat dem Saarland wieder ein Werk geschenkt, dessen Uraufführung in der Saarbrücker Alten Feuerwache stattfand. "Arena" wurde sogar in der Neuen Zeitschrift für Musik angekündigt. Wobei sich gleich die Frage aufdrängt, was da in die Macher einer Zeitschrift gefahren ist, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, die Entwicklung der zeitgenössischen Musik zu begleiten. Denn Nimgerns Musik ist alles andere als "neu". Auch wenn er im Programmheft bescheiden zugibt: "Wir versuchen modernes Musiktheater zu machen." Tatsächlich ist das Material aus der Musikgeschichte des 20. Jahrhunderts vorwiegend U- aber auch E- Musik zusammengeklaubt und zu einer bunten Easy-Listening-Mixtur aufbereitet. Wogegen an sich ja nichts einzuwenden wäre, wenn "Arena" beim Publikum nicht ein Gefühl verursachen würde, das der schlimmste Feind der Unterhaltung ist: Langeweile. Dem Himmel so nah und doch fern (Christiane Motter und Matthias Girbig).
Dabei versprach die Ankündigung des "kammermusikalischen" Werks fast schon Experimentelles: sechs Hauptdarsteller, davon jeweils zwei Schauspieler, Opern- und Rocksänger und eine kleine Band mit Frank Nimsgern an E-Piano und Gitarren, das Ganze auf einer Art Werkstattbühne im kleinen Haus des Staatstheaters. Die Handlung zeugt weniger von Experimentier-Freude: eine Liebesgeschichte, ein Dreiecks-Verhältnis, etwas Melodramatik, Fantastik und Action. Die intendierte Moral lässt sich frei mit "Alle Welt ist Theater" oder auch "Das ganze Leben ist ein Spiel" übersetzen und auch von der Geschichte scheint alles nur geklaut. Grrrrrrr...
Metapher des Lebens ist ein Zirkuszelt, in der sich im Großen und Ganzen das abspielt, was man aus Wim Wenders "Der Himmel über Berlin" und dessen Hollywood-Remake "City of Angels" kennt. Vom himmlischen Trapez einer Zirkusarena fällt allerdings kein Damiel, sondern ein weiblicher Engel ohne Namen. "Sie", wie es auf dem Besetzungszettel heißt, entsagt den überirdischen Privilegien aus Liebe zu Boudouno, dem Entfesselungskünstler. Damit macht sie die drogenabhängige Löwenbändigerin Kitty eifersüchtig. Dem Zirkusdirektor Alfredo Bobini bringt sie jedoch viel Geld als Gedankenleserin. Dies himmlische Talent scheint trotz Menschwerdung immer noch zu funktionieren. Nur und hier hat man sich für die melodramatische Version des Hollywood-Streifens entschieden : Der geliebte Boudouno hat eine schlimmen Husten und wird schon nach der ersten Liebesnacht vom Todesengel abgeholt. Anstatt sich in der größten Not dennoch des Lebens zu freuen, steckt Sie aus Trotz das Zirkuszelt an. In der Feuersbrunst sterben Mensch und Tier. Die Zirkus-Crew trifft sich im Himmel wieder, wo die Show von vorne beginnt. Hat jemand meine Kneifzange gesehn'?
Dass die Figuren auf Typen festgelegt sind, ist legitim. Aber bitte: Auch der dankbarste Zuschauer will sich nicht mehr mit leeren Klischees für dumm verkaufen lassen. Boudouno hat Muckis und trotz Krankheit ein Sunnyboy-Outfit mit engen Lederhosen und freiem Oberkörper. Sie ist lebensfroh, naiv, und unter dem grauen Engel-Mantel lugt alsbald das kleine Schwarze hervor. Und wenn schon schwarz-weiß gemalt wird, wieso dann nur weiß? "Arena" ist bevölkert mit guten Menschen, die trotz ihrer Fehler ja nur glücklich leben wollen und deswegen schließlich im Himmel landen. Die wenigen Konflikte wie der Ehestreit zwischen dem geldgierigen aber gutherzigen Zirkusdirektor und Betty Bobini, die lieber Opersängerin werden will als in der Manege den Clown zu mimen, locken höchstens ein Gähnen hervor. Und selbst der zickigen Domina Kitty, die sich in schwarzes Leder gekleidet lüstern an den Gitterstäben der Tigerkäfige entlang-kuschelt, möchte man am liebsten über die blonde Perücke streichen. Gänzlich blutleer auch die Dialoge, die durch ungewollte Situationskomik bestechen. So der gefallene Engel ob seiner neugewonnenen Sinne. Sie strahlt: "Du tust mir weh!" Boudouno lässt Sie los: "Entschuldige!" Sie begeistert: "Nein, mach weiter!" Da wundert man sich auch nicht mehr über den fast rührend naiven Regieeinfall, den gefallenen Engel bei der Wahl zwischen Himmel und Erden beide Arme ausstrecken zu lassen, und bald ihrem Geliebten, bald ihrem Kollegen, dem Todesengel, verzweifelte Blicke zuwerfen zu lassen. Derartige Höhepunkte und das seichte Einerlei aus Rock, Jazz und Balladen machen es den Darstellern schwer, mit einigermaßen passablen Leistungen hervorzutreten. So wollen wir über die schauspielerische Leistung der Rock-Sänger hinwegsehen, überzeugt doch zumindest Aino Laos als Kitty mit einiger Stimmgewalt. Guido Baehr schlägt sich wie immer wacker durch eine nichtssagende Regie und besticht mit sicherem Bass-Bariton. Wogegen Sabine v. Blohn als Betty Bobini ihre vorwiegend klassisch-barock geschulte Stimme zu einer musical-typischen, leicht kitschigen Klangfarbe verdreht. Christiane Motter singt und spielt unaufgeregt eine natürliche Sie, während Matthias Girbig als Todesengel der eigentliche Star des Abends ist. Nicht nur wegen seines soliden Spiels. In der Rolle des skeptischen Beobachters darf er vor dem Bühnen-Treiben den Kopf schütteln, vor den aus einer Box quellenden Nimsgern-Sounds zurückschrecken oder sich mit einem "Es ist aussichtslos!" im Flugwerk hinter einer Zeitung verstecken. Fast möchte man es ihm gleichtun.
Stilkopien und Crossover haben nur dann einen Sinn, wenn sie zu einer neuen Erkenntnis führen allein schon aus Respekt vor dem Publikum. Für schlechte Unterhaltung braucht man nicht ins Theater zu gehen. Ihre Meinung ? Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühe und Kostüme
Choreographische Mitarbeit
Dramaturgie
Solisten
Kitty (Dompteurin)
Boudouno (Entfesselungskünstler)
Alfredo Bobini (Zirkusdirektor)
Betty Bobini (Clown)
SIE (Schutzengel)
ER (Todesengel)
Zirkusassistentinnen
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