Spieglein, Spieglein...
Von Angela Mense
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Fotos von Bettina Stöß
Kann man Schönheit darstellen? Ist es nicht einerseits ein unfassbares, andererseits vielleicht auch langweiliges Thema? Zu abstrakt, zu nichtssagend,
zu schön? Vielleicht sind es gerade diese Fragen, die die Ballettdirektorin des saarländischen Staatstheaters Marguerite Donlon und den Gastchoreografen Martino Müller herausgefordert haben. "Beauty 3.0 (Tanzendenz)" haben sie den dritten und letzten Ballettabend der Spielzeit benannt. Der Name verrät einen Reihentitel: Der freie Choreograf Martino Müller hatte zuvor das Solo "Beauty 1.0" für Gioconda Barbutto, Tänzerin am Nederlands Dans Theater III, erarbeitet und probt zur Zeit an "Beauty 2.0" in Basel. Nicht zuletzt gibt er in Saarbrücken mit "Beauty 1.2" der Ballettdirektorin die Gelegenheit, selbst einmal wieder auf der Bühne zu stehen. Ein Thema also, das wie Müller im äußerst schön gestalteten Programmheft verrät, zunächst von zwei Tänzerinnen inspiriert ist. Dass es bei der Umsetzung der Choreografie nicht bei einer bloßen Bewunderung einer augenscheinlich äußeren und inneren weiblichen Schönheit blieb, trug wesentlich zum Gelingen des Abends bei. Denn was bei der Premiere in zwei Teilen Version Müller und Version Donlon mit gleicher Besetzung und zu Musiken von Ligeti, Sakamoto, Ikeda, Noto und Boards of Canada variiert wurde, war keine Ode an die Schönheit, sondern die kritische Auseinandersetzung mit Sein und Schein.
Schöne Figur (Marguerite Donlon)
Die Richtung gab die vor den Zuschauerreihen aufgebaute Installation "Peepshow" von Marguerite Donlon an, die vor der Vorstellung zu begehen war. In vier aufgestellten Kisten waren jeweils hinter Glas einzelne in Bewegung begriffene Körperteile eines anonym bleibenden Tänzers zur Besichtigung ausgestellt. Zierliche, vollkommene Körper ohne Namen. In den Choreografien konzentriert ein minimalistisches Bühnenbild (Eduard Hermans) die Aufmerksamkeit ganz auf die Tänzer. Für "Beauty 1.2" liegt ein aus einer roten Schnur gelegter Kreis auf dem schwarzen Bühnenboden. Eine begrenzte Aktionsfläche für Marguerite Donlon, die mit präziser Anmut ihre Glieder in pulsierenden Wellen verdreht. Mit dem Fuß beult sie das ein um das andere Mal den Kreis nach außen aus, wagt ab und zu, aus der vorgegebenen Form auszubrechen. Der Kreis zieht sich immer enger, bis die Tänzerin den endgültigen Schritt nach draußen vollzieht und die Bühne verlässt.
Gefangen im narzistischen Spiel schöner Körper scheinen auch die acht Tänzer in "Beauty 3.0 Müller". Wie überdimensionales Eis am Stil sind die Fotos der um 180 Grad gedrehten Köpfe der Tänzer im Bühnehintergrund aufgestellt. Meritxell Aumedes Molinero streichelt ihr Ebenbild, sonnt sich in der reinen Blässe einer makellosen Schönheit. Vier Pas de Deux schließen sich an, die Paare jeweils in gleichen unifarbenen Anzügen mit ornamentreichen Aufdrucken von Fantasietieren.
Schönes Antlitz (Micol Mantini und Toby Kassel)
In scheinbarer Gleichgültigkeit finden die Paare zueinander, doch die symbolische Vereinigung, durch einen Kuss angedeutet, schlägt fehl: Wie ein Leitmotiv durchzieht sich eine brutale Geste der Selbstverstümmelung durch den harmonischen Bewegungsfluss, in der die Tänzer sich in den Arm beißen, als wollten sie ihre makellose Hülle abstreifen. Viele Ensembleauftritte, einzelne Soli in einer temporeichen und komplexen Choreografie bauen eine Spannung auf, die bis zum Schluss nicht nachlässt.
Weniger formal und durchstrukturiert erscheint dagegen "Beauty 3.0 Donlon", wenn auch die Bewegungen in ihrer Eleganz, Poesie und akrobatischem Anspruch die gleiche Schule verraten. Auch hier wird das Bühnenbild durch fototechnische Abbildungen bestimmt. Drei überdimensionale Frauenakte in Rückenansicht und ein Sofa à la Louis XVI, dessen Bezug aus einem Muster nackter Frauenbeine und arme besteht, zieren den Raum.
Schöne nackte Haut (Andrea Palombi, Raphael Saada, Constantin Georgescu, Ignacio Martinez)
Erotik auch in den von Donlon entworfenen Kostümen, die neben politisch korrekten Slips und durch schwarze Balken zensierten Brüsten vor allem nackte Haut zeigen. Masken werden aufgezogen, gleiche Perücken und Hemden verdecken die Individualität der einzelnen Tänzer, die sich ab und zu in einem Schrei gegen etwas aufzubäumen scheinen vielleicht gegen ein aufgezwungenes Ideal, für das sie sich prostituieren?
Es ist eine reichlich subtile Ironie, die das düstere Sittengemälde einer nach einem Schönheitsideal strebenden Gesellschaft gelegentlich streift. Wenn beispielsweise die vier leicht bekleideten Tänzer auf das Sofa springen und der hautfarbene Stoff sich wie durch Zauberhand um sie schmiegt oder wenn drei Tänzerinnen hinter großen Lupengläsern ihre grotesk verzerrten Körper zur Schau stellen.
Donlons Tanz-Ensemble brilliert diesmal weniger durch den Einsatz individueller Ausstrahlung seiner Mitglieder, sondern vielmehr durch perfekte Körperbeherrschung und Technik. Auch wenn dies gelegentlich etwas kalt und blutleer wirkt, ist doch die Idee der schönen Form ohne Inhalt in letzter Konsequenz durchdekliniert. "Beauty 3.0" ist keine Choreografie, die sich immer auf Anhieb erschließt. Eine Vielzahl der Gesten und Handlungselemente bleibt Chiffre. Ob Ausdruck des eigentlich Unfassbaren oder auch Schutz für intime Assoziationen, die das Thema bei den Choreografen weckt: Donlons und Müllers Inszenierung bewegter Körper lässt dem Zuschauer genügend Raum für eigene Träumereien. Und dafür gab es bei der "Schönheit" dieser Inszenierung genug Gelegenheit.
FAZIT
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Produktionsteam
Choreographie Marguerite Donlon Martino Müller
Choreographische Mitarbeit Ingo Meichsner
Bühne Eduard Hermans
Kostüme Marguerite Donlon Eduard Hermans
Dramaturgie Katharina Gerschler Holger Schröder
Ensemble Peepshow
Olwen Grindley Sarah Reynolds Catharina Sampaio Raymundo Elmer Domdom
Beauty 1.2
Marguerite Donlon
Ensemble Beauty 3.0 Müller
Merixtell Aumedes Molinero Olwen Grindley
Ilka van Häfen Yong-In Lee
Micol Mantini Toby Kassell
Matthias Markstein Ignacio Martínez
Raphael Saada
Ensemble Beauty 3.0 Donlon
Merixtell Aumedes Molinero Ilka van Häfen
Youn Hui Jeon Hitomi Kuhara
Micol Mantini Sarah Reynolds
Constantin Georgescu Ignacio Martínez
Andrea Palombi Raphael Saada
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Saarländisches Staatstheater (Homepage)
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