Veranstaltungen & Kritiken Musiktheater |
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Postmoderne U-Bahn-Party Von Dietmar Bauer / Foto von Bettina Stöß Pique Dame sei eine der ersten postmodernen Opern, so ein geläufiges Aperçu. Nicht nur mit Kostümen und Bühnenbild beschwor Pjotr Iljitsch Tschaikowsky in dem 1890 uraufgeführten Stück die Zeit Katharinas der Großen, in die er die literarische Vorlage Puschkins zusammen mit Librettist und Bruder Modest zurückverlegt hatte: auch musikalisch wird das Rokoko herbeizitiert. In verschiedensten Situation erklingt in der Bühnenfiktion Musik, teilweise von Tschaikowsky im Stile Mozarts komponiert, teilweise direkt der Musikgeschichte entnommen, wie das Lied der alten Gräfin im vierten Bild, dass aus Grétrys "Richard Cur de Lion" von 1784 stammt. Und im Libretto finden sich Zitate aus der russischen Literaturgeschichte, vornehmlich von Zeitgenossen Alexander Puschkins. Vergangenheit wird konstruiert, jedoch weniger hinsichtlich historischer Genauigkeit, denn im Sinne der Beschwörung eines kulturellen Mythos.
Matthias Kaiser versucht in seiner Saarbrücker Inszenierung eine weitere Zeitebene hinzuzufügen, indem er das Geschehen in das heutige Russland verlegt, in dem sich die krassen Standesunterschiede des Zarenreichs in den extremen Gegensätzen von arm und reich wiederfinden. Leider gelingt dies nur zu geringen Teilen. Zusammen mit seinem Bühnenbildner Sebastian Stiebert vermag Kaiser keinen szenischen Raum zu schaffen, der dem Geschehen in irgendeiner Form einen Ort geben würde. Die Bühne ist mit großen Rahmen zugestellt, die wohl symbolisch für die verschiedenen Verweisebenen des Stückes stehen sollen. Hinter den Rahmen befinden sich Prospekte mit einer aufgemalten Moskauer U-Bahn-Station - der Ort an dem sich nachts die Moskauer High Society zu wilden Festen trifft. Beide Elemente füllen die Bühne, eine Beziehung zu dem eigentlichen Geschehen des Stückes stellen sie jedoch nicht her. Casino und Ball könnten auch an jedem anderen beliebigen Ort stattfinden, während sich das Publikum fragt, warum es im Bühnenhintergrund eine gemalte Metro-Station sieht. Und die symbolische Funktion der Rahmen verliert sich, da die Inszenierung ansonsten in keinerlei Weise auf die mehrfachen historischen Verweisebenen der Vorlage und des aktualisierenden Regieansatzes eingeht.
Die eigentliche Schwäche der Inszenierung ist die Personenführung. Man nimmt den Charakteren auf der Bühne einfach nicht ab, dass ihr Handeln zu einem nicht unwesentlichen Teil von Gefühlen bestimmt ist. Hauptgrund hierfür dürfte in erster Linie sein, dass oftmals in Szenen Gestik und Figurenkonstellation gegen die musikalische Dramaturgie inszeniert sind, manchmal musikalische Gesten durch die Bewegungen der Sänger geradezu konterkariert werden. Hinzu kommt unfreiwillige Komik; so wenn Hermann Sergey Nayda ständig an einer weißen Plastikrose nestelt, dem Symbol für seine Liebe zu Lisa, wenn der Geist der Gräfin in einem gold- und silberglitzernden Kasten erscheint, der einer russisch-orthodoxen Totenfeier nachempfunden ist, aber auch Assoziationen an einen Hähnchengrill weckt oder wenn Zarin Katharina als Rauschgold-Engel auftritt und dann ihr glitzernder Brustpanzer mit Sahne bestrichen wird.
Eine weitere wenig glückliche Entscheidung waren die Striche in der Partitur. Sowohl auf den Großteil der Chorszenen im ersten Bild, als auch auf das Schäferspiel in dritten wurde weitestgehend verzichtet. Ein empfindlicher Einschnitt in die musikalischen Proportionen. So verliert zum Beispiel das Vorspiel zum dritten Bild seine musikalische Funktion, da das hier vorgestellte musikalische Material des Schäferspiels im weiteren Verlauf der Szene gar nicht mehr auftaucht.
In erfreulichem Kontrast zur Inszenierung stand die musikalische Umsetzung. Zusammen mit dem Saarländischen Staatsorchester bot GMD Leonid Grin eine ausgewogene, stilsichere und oftmals mitreißende Interpretation von Tschaikowskys Musik. Tempogestaltung und Phrasierung waren wie aus einem Guss, mit einem hervorragenden Gespür für die dramaturgische Anlage der Komposition. Dies verband sich mit einer makellos sauberen technischen Ausführung.
Unumstrittener Star des Abends war Sergey Nayda als Hermann. Er scheint als Interpret wie geschaffen für diese Partie. Stimmlich absolut souverän, überzeugt er durch ein gewaltiges Volumen, eine beeindruckende Vielfalt an Klangfarben und er ein wunderbar dunkles, fast baritonales Timbre. An seiner Seite sang Guido Baehr einfühlsam und geschmeidig den Jeletzki, Yaron Windmüller brillierte als Tomski mit seinen außergewöhnlichen darstellerischen Qualitäten und einer prägnanten, hochdifferenzierten Artikulation. Geertje Nissen als Gräfin gelangt in ihrer großen Szene im vierten Bild einer der beeindruckendsten Momente des ganzen Abends und Naira Glountchandze als Lisa eroberte mit klarer und sicher geführter Stimme die Herzen des Publikums, nur in wenigen, dramatischen Passagen durch ein etwas starkes Vibrato verschleiert. Auch der Chor konnte wieder einmal überzeugen: Mit einem betörenden Pianissimo, mit Spielfreude und voluminösen Männerstimmen in der Spielerszene des Schlussbildes.
Auch eine rundum gelungene musikalische Umsetzung rettet die Produktion nicht vor der unbeholfenen Inszenierung. |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Chor
Dramaturgie
Solisten* Besetzung der rezensierten AufführungHermann Sergey Nayda
Graf Tomski
Fürst Jeletzky
Tschekalinsky
Surin
Tschaplitzky
Narumov
Festordner
Gräfin
Lisa
Polina
Gouvernante
Mascha
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