Macho-Alarm am Golf von Neapel
Von Silvia Adler / Fotos von Milena Holler
Die Küstenstraße direkt am Meer. Trübes Wasser, dunkle Felsen, altmodische Umkleidekabinen. Hinter den Dünen der verlassene Hochsitz eines Strandaufsehers. Bella Italia stellt man sich irgendwie anders vor.
Auf den ersten Blick erscheint der triste Strand in der Nähe von Neapel nicht gerade als ein Ort der Inspiration. Einem sonnigen Urlaubsparadies gleicht das von Meentje Nielsen gestaltete Bühnenbild in Rossinis Oper Il turco in Italia jedenfalls nicht.
Vergeblich wartet der Dichter Prosdocimo - gesungen von Thomas Laske - vor einem leeren Blatt Papier auf eine Eingebung.
Doch glücklicher Weise finden sich selbst im ödesten Kaff immer noch genügend Narren, die sich als Komödienhelden bestens eignen.
Prosdocimo entscheidet sich für Don Geronio, einen vertrottelten Alten, der von seiner Frau Fiorilla mit ständig wechselnden Liebhabern betrogen wird.
Der Dichter gerät in Schwung - das wahre Leben führt ihm die Feder...
Die richtige Würze erhält die Ehekomödie aber erst, als am Strand ein türkisches Boot anlegt. An Bord - ein braungebrannter Orientale.
Der türkische Invasasor.
Darius Machej (Selim) und der Chor der Wuppertaler Bühnen.
Klangbeispiel:
aus Nr. 3, Auftritt des Selim (Darius Machej).
(MP3-Datei)
Als Auftragswerk der Mailänder Scala wurde Il turco in Italia 1814 uraufgeführt. Die Premiere war für Rossini allerdings ein Desaster. Das Publikum empfand das Werk als einfallslosen Neuaufguss der ein Jahr zuvor entstandenen Italienerin in Algier und fühlte sich brüskiert.
Die empörten Mailänder übersahen, das die Oper als satirische Replik auf die beliebte Orientmode gemeint war. Mit gewitzter Ironie dreht Rossini den Spieß um: Anders als gewohnt verirrt sich kein Mitteleuropäer ins abenteuerliche Morgenland, sondern ein Orientale versetzt italienisches Nest in den Ausnahmezustand.
Mit Sonnenbrille und Zigarre ist Dariusz Machej ein orientalischer Macho wie er im Buche steht. Sobald er den Fuß auf italienischen Boden setzt, seht der verschlafene Badeort auf dem Kopf. Die schöne Fiorilla ist hingerissen - der Männerwelt steht die Panik ins Gesicht geschrieben.
Nicht nur der eifersüchtige Ehemann, auch die abgelegten Liebhaber fürchten den temperamentvollen Invasoren.
Niels-Peter Rudolphs einfallsreiche Personenregie kostet die Ironie des Librettos aus, ohne die Figuren zur bloßen Karikatur verkommen zu lassen.
Liebesschwüre am Strand von Neapel.
Cornelia Zach (Donna Fiorilla) und Darius Machej (Selim).
Klangbeispiel:
aus Nr. 2, Cavatina des Gernonimo (Kay Stiefermann)
(MP3-Datei)
Trotz der grotesk überzeichneten Machoattitüde, verleiht Dariusz Machej dem Türken Selim ein unwiderstehliches Charisma. Sein volltönender Bass-Bariton besticht mit metallenem Volumen, wird aber in den Koloraturen diszipliniert zurückgenommen. In bester Commedia dell arte-Tradition verkörpert Kay Stiefermann den gehörnten Don Geronio.
Stimmlich herausragend erweist sich Thomas Laske in der Rolle des Dichter als souveräner Strippenzieher. Die treulose Fiorilla - koloratursicher gesungen von Cornelia Zach - gleicht in Abenteuerlust und Liebeshunger fast schon einem weiblichen Don Juan.
Alte Liebe rostet nicht.
Daniela Strotmann (Zaida) und Darius Machej (Selim).
Etwas zu hausbacken charakterisiert Daniela Strotmann die abgelegte Haremsdame Zaida. Für das Rossini-Fach fehlt es ihrem ausladenden Sopran hörbar an Leichtigkeit.
Mit sicherem Griff für die extreme Höhe, kämpft Edgardo Zayas als Don Narcisco in der unsicher wirkenden Mittelage leider immer wieder mit dem Stimmsitz. Aufhorchen lässt dagegen der neuengagierte Buffotenor Cornel Frey. Trotz einiger Ungelenktheiten im Passagio überzeugt er mit klangschönem Timbre und klarem Focus.
Angespornt werden die Sänger vom Wuppertaler Sinfonieorchester unter der umsichtigen Leitung von Martin Braun. Bei allem Rossini typischen Temperament erweist sich das Orchester als sensibler Begleiter des hitzigen Bühnengeschehens.
Auch wenn der Dichter Prosdocimo das Gegenteil behauptet: aus dem wahren Leben gegriffen ist Rossinis Oper natürlich nicht. Als brillante Theater-Satire ist Il turco in Italia durch und durch Kunstprodukt - als solches bleibt es bis zum letzten Takt spannend.
FAZIT
Rossinis stellt den Theaterfundus auf den Kopf. Sprühend ironische Opernsatire. Unbedingt sehenswert.
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