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Musiktheater
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Orpheus
Musikalische Tragödie (Melodrama)
von Jakow Borissowitsch Knjaschnin
Musik von Jewstignei Ipatowitsch Formin
Neubearbeitung des Textes von Yona Kim


Aufführungsdauer: 50 Min. (keine Pause)

Premiere im Schauspielhaus Wuppertal am 31. Oktober 2003
Besuchte Aufführung: 14. November 2003

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Wuppertaler Bühnen
(Homepage)

Orpheus einmal ganz anders

Von Gerhard Menzel / Fotos von Monika Rittershaus


Die letzte Premiere des "Orpheus-Festes" - mit der sich die Wuppertaler Bühnen fürs erste auch von ihrem Opernhaus verabschiedeten, das wegen einer anstehenden Komplettsanierung für einige Jahre geschlossen werden muss - stellte in vielen Beziehungen eine Besonderheit dar.


Vergrößerung in neuem Fenster Franz Tscherne (Orpheus) und der Herrenchor.

Zum einen gehört der 1761 in St. Petersburg geborene und stark von der italienischen Musik geprägte Komponist Jewstignei Ipatowitsch Formin zu einem der innovativsten Komponisten im Russland des 18. Jahrhunderts. Des weiteren ist sein Orpheus ein "Melodrama", d.h., gesprochener Text wird von Musik begleitet, in diesem Fall durch ein groß besetztes Sinfonieorchester und ein an zahlreichen Stellen eingesetzter Männerchor (nur Bässe!) Dieses vor allem in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts geschätzte Genre - Georg Anton Bendas Melodramen waren damals auch in St. Petersburg beliebt - stellt ganz besondere Anforderungen an die Schauspieler und Musiker. Mit ihrem Opern- und Schauspielensemble konnten sich die Wuppertaler Bühnen hierbei einmal mehr als kreatives und leistungsfähiges Team beweisen.


Vergrößerung in neuem Fenster Nanette Bauer (Eurydike) von den Tänzern umringt.

Zum anderen ist dieser Orpheus kein abendfüllendes Werk, so dass das Publikum schon nach ca. 50 Minuten (ohne Pause) wieder aus dem Haus hinausgeschickt wird, zum Teil etwas ratlos und überrascht. Natürlich ist es nicht einfach, in diesem Orpheus-Fest-Rahmen noch ein anderes "passendes" Werk zu finden, aber dafür gibt es ja z.B. auch kreative Dramaturgen!

Formins Orpheus, der die Sage auf ihre zentralen Momente reduziert, beginnt direkt an der Stelle, wo Orpheus an der Schwelle zur Unterwelt steht, um seine Eurydike aus dem Totenreich zurückzugewinnen und endet - nach der missglückten Befreiung - mit dem vergeblichen Versuch, sich selber zu töten, um Eurydike ins Totenreich folgen zu können. Orpheus bleibt damit nur ein Weiterleben in unausgesetzter Trauer. Damit ist Orpheus auch ein Abbild des absolutistischen Herrschafts- bzw. Willkürsystems, in dem "anonyme Kräfte" (verkörpert durch den unisono singenden Männerchor) das Wohl und Wehe des Individuum, das keinerlei Entscheidungsfreiheit mehr besitzt, bestimmt.


Vergrößerung in neuem Fenster Nanette Bauer (Eurydike) und Franz Tscherne (Orpheus).

Für die Wuppertaler Produktion hat Yona Kim den Text neu bearbeitet. Die im Original eher reflektierenden Texte und Zustandsbeschreibungen ersetzt sie durch einfache Sätze und den unmittelbaren Ausdruck der Gefühle. Die Konzentration auf den zentralen Kern des Ganzen, die Qualen des Orpheus, betont auch die Inszenierung von Klaus-Peter Kehr und Thomas Dreißigacker, der auch für die Bühne und die Kostüme verantwortlich zeichnet. Der von Freddy Deisenroth ausgeleuchtete, kalte, leere Raum mit dem Charme einer Tiefgarage, wird durch Projektionen auch in die Tiefe tunnelartig erweitert.

Im Zentrum des Geschehens steht Franz Tscherne als Orpheus. Mit einem Mikroport ausgestattet spricht er über lange Zeit mit dem Rücken zum Publikum. Die von der Musik abgelauschten Gesten und Gänge sind meist getragen, langsam und wirken oft rituell. Auch Nanette Bauer gestaltet die nur kleinen Partie der Eurydike ebenfalls intensiv und eindrucksvoll. Beide berühren sich während des ganzen Stückes nie. Den statisch langsamen Gesten der Solisten steht die von Schnelligkeit, Rhythmik und Aggressivität geprägte Choreographie der acht unermüdlich agierenden Tänzer und Tänzerinnen von Kuocho Wu gegenüber.


Vergrößerung in neuem Fenster Das Tanzensemble.

Musikalisch gliederte Formin das Werk in vier durch Tonarten-, Tempi- und Fakturwechsel sowie durch kontrastierende Instrumentalfarben geprägte, deutlich voneinander getrennte musikalische Komplexe. Nur im dritten Teil, in dem sich Orpheus und Eurydike begegnen sind sie (scheinbar) wirklich für sich allein und bleiben vom "Stimmchor" unbehelligt. Eine beeindruckende Szene ist auch, wenn die Klarinette (nicht die Leier) als Orfeo-Double erklingt, quasi als Arie ohne Worte.

Kühne harmonische Wendungen - durch zwei Piccoloflöten verstärkt - und gefärbt, die in Russland erst kurz zuvor ins Orchester integrierte Klarinette und ein Hörnerensemble (hinter der Bühne), das den Furientanz und die "Götterstimmen" klangvoll begleitet, machen die Musik Formins zu einer interessanten Wiederentdeckung. Während die Bässe des Opern- und Extrachores der Wuppertaler Bühnen einen schwarz geschminkten, stimmgewaltigen und bedrohlich wirkenden Stimmchor bildeten, klang das Spiel des Sinfonieorchesters Wuppertal unter der musikalischen Leitung von George Hanson etwas neutral und emotionslos. Der für die musikalischen Produktionen der nächsten (vier?) Jahre gebaute Orchestergraben im Schauspielhaus bestand seine Premiere dagegen mit Bravour.


Vergrößerung in neuem Fenster Franz Tscherne (Orpheus).

Sprache, Bild, Musik und der als vierte Ebene noch neu hinzugefügte Tanz, erscheinen relativ unabhängig voneinander gestaltet, was dazu führt, das sie jeweils eine unmittelbare, eigenständige Wirkung bedingen. Nichts illustriert etwas anderes, alles steh für sich und führt so zu einem disparaten Ganzen, was zweifellos zu dem Stück passt, berührt, mitreißt, nicht jedem gefällt, aber auf keinen Fall kalt lässt.


FAZIT

Ein ungewöhnliches Stück wird ungewöhnlich präsentiert und ruft ungewohnte Resonanz hervor. Eine wahre Bereicherung für jeden, der diese Produktion erleben konnte.



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Produktionsteam

Musikalische Leitung
George Hanson

Inszenierung
Klaus-Peter Kehr
Thomas Dreißigacker

Bühne und Kostüme
Thomas Dreißigacker

Choreographie
Kuocho Wu

Licht
Freddy Deisenroth

Choreinstudierung
Konrad Haenisch


Bässe des Opern- und
Extrachores der
Wuppertaler Bühnen

Sinfonieorchester Wuppertal


Solisten

Eurydike
Nanette Bauer

Orpheus
Franz Tscherne

Orfeo/Double (Klarinette)
Bernhard Wagner

Tänzer
Benjamin Block
Roberto DiCamillo
Elisabrtta Lauro
Katharina Nieradzik
Jennifer Ocampo
Leyla Postalcioglu
Maria Vincenza Straniero
César Augusto Cuenca Torres




Weitere Informationen
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Wuppertaler Bühnen
(Homepage)



Da capo al Fine

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