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Musiktheater
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Eugen Onegin
Lyrische Szenen in drei Akten
Musik von Peter I. Tschaikowsky
Libretto nach Alexander Puschkin
von Peter I. Tschaikowsky und Konstantin Schilowski


In russischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2h 45' (eine Pause)

Premiere im Opernhaus Düsseldorf am 3. Dezember 2004


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Deutsche Oper am Rhein
(Homepage)
Düster raunt die russische Seele im Winterwald

Von Stefan Schmöe / Fotos von Eduard Straub

Bei Eugen Onegin handele es sich nicht um eine, sondern um drei Opern, hat Attila Csampai in einem lesenswerten Essay befunden. Wobei sich über den Begriff „Oper“ hier streiten lässt: Peter Tschaikowsky selbst distanzierte sich deutlich von den „Großen Opern“ seiner Komponistenkollegen Verdi und Mussorgskij und deren Tragödien von Shakespeare'schem Anspruch mit Zaren, Pharaonen und sonstigem herrschaftlichen Personal, und seinem Onegin hat er konsequent die Gattungsbezeichnung „Oper“ verweigert. „Lyrische Szenen in drei Akten“ steht über dem Stück, und (trotz der Duell-Szene) findet das Drama (respektive die Dramen, um auf Csampai zurückzukommen) im Inneren statt, ohne (wie etwa bei Verdi) in der äußeren Handlung sein Pendant zu finden. In der Rezeptionsgeschichte hat man sich nicht immer daran gehalten, und nicht nur das schon erwähnte Duell auf offener Bühne, sondern auch die wirkungsvollen Chorszenen verleihen dem Werk einen repräsentativen Charakter, den Tschaikowsky offenbar nicht sehen wollte – das Publikum dagegen schon. Spontaner Applaus, gerne auch an den falschen Stellen, gehörten jedenfalls auch bei der Premiere der Düsseldorfer Neuinszenierung zu den durchaus lustigen Randerscheinungen.

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Auch im verschneiten Wald belesen: Tatjana (Nataliya Kovalova)

Intendant Tobias Richter hat sicher auch deshalb Giancarlo del Monaco mit der Regie beauftragt, weil man sich von diesem eine dekorative und publikumswirksame Inszenierung versprechen konnte. Das Ergebnis ist beinahe ein Spiegelbild des etwas chaotischen Zustands des Gemischtwarenladens Rheinoper: Ziemlich stilunsicher schwankend zwischen konservativem Zugeständnis an das „klassische“ Publikum und mitunter nur halbherzig vertretenen intellektuellen Anspruchs der Regie. Zunächst raunt einem das auf den ersten Blick effektvolle, aber nicht für zweieinhalb Stunden tragfähige Bühnenbild von Johannes Leiacker mit einem verschneiten Wald aus abgestorbenen Bäumen, die in einem großbürgerlichen Salon stehen – dazwischen Tatjanas Bett und Stapel von Büchern – bedeutungsschwer zu: „Hier geht's, tragisch, tragisch! um die russische Seele“. Leider ist der auf Dauer penetrante Bühnennebel nicht so dicht, dass er die immer etwas zu übertrieben ausgeführte Gestik der Personen abmildern könnte. Del Monaco geht mit den Figuren routiniert um, lässt sie viel agieren – aber eben immer eine Spur zu dick aufgetragen, als dass sie Glaubwürdigkeit erhalten könnten.

Vergrößerung Neckisches Zwiegespräch am abgestorbenen Baum: Tatajana (Nataliya Kovalova) und Onegin (Tassis Christoyannis)

Vorgeblich inszeniert del Monaco das vom Komponisten intendierte Kammerspiel. Der Chor bleibt quasi unsichtbar: Im ersten Akt wird er vom Grammophon eingespielt (dazu aber aus dem Off „live“ gesungen), im zweiten Akt ist er, als Krähen kostümiert, Teil des Bühnenbilds, im dritten als Standbild eingefroren nur Zitat. Erster und zweiter Akt laufen als eine große Szene durch, Zeitsprünge ignoriert der Regisseur. Dadurch erhält die Handlung eine Binnenspannung wie in einem Familiendrama – allerdings eines, in dem sich Tschechow, Strindberg und Tennessee Williams vereinigen und zu einem Maximum an Tragik hochschaukeln. Größtmögliches Unglück beschwört del Monaco herauf, und Tatjana und Olga krümmen sich vor Seelenschmerz heulend um die Wette. Im Duell von Lenski und Onegin geht es nur darum, wer sich aus Verzweiflung schneller selbst erschießt (gemäß den Vorgaben des Librettos natürlich Lenski, und der deprimierte Onegin hat darauf keine Kraft mehr zum eigenen Suizid). Und im Finale, in dem ja eigentlich nichts passiert – die gealterte Tatjana weist den gealterten Onegin ab – greift del Monaco ganz tief in die Kitschkiste und zaubert einen pathetischen Schluss hervor, der alle Veristen vor Neid erblassen ließe.

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Wie aus dem Lehrbuch für angehende Regisseure, 1. Band: Olga (Katarzyna Kuncio) zwischen Lenski (Andrej Dunaev, links) und Onegin (Tassis Christoyannis)

Die guten Ideen und interessanten Momente der Inszenierung, die es auch gibt, werden unter dem unentwegten Übermaß an Pathos und Bedeutung verschüttet. Del Monaco hört auf die Musik, lässt den Sängern (meistens) Zeit. Die Personenkonstellation an sich ist überzeugend. Die verfremdeten Chorszenen haben etwas Beängstigendes, und diese maßvolle Provokation nähme, hätte del Monaco Maß halten können, dem Werk die Patina genommen, die Eugen Onegin schon wegen seines Melodienreichtums leicht anzusetzen droht. Unverständlich, warum sich Teile des Premierenpublikums angesichts dieser je nach Geschmack mittelprächtig gelungenen oder mittelprächtig gescheiterten Regiearbeit zu exzessiven „Bravos“ und konträren „Buhs“ ereiferten.

Vergrößerung Gespentisches Fest: Der (bewegungslose) Chor kann Onegin (Tassis Christoyannis) im dritten Akt nicht aufheitern.

Auf jeden Fall muss man der Regie lassen, dass sie die Sänger gut in Szene setzt. Trotz mancher Unzulänglichkeit lässt sie alles in allem der Musik den Vorrang. Und der Routinier del Monaco genau, in welcher Pose man beim letzten Ton stehen muss, um Ovationen über sich ergehen zu lassen. Nataliya Kovalova hat sich diese, lang anhaltend, nicht nur in der„Briefszene" verdient. Ihre Tatjana ist eine selbstbewusste Frau mit strahlender und voller Stimme mit schönem dunklen Unterton, die eigentlich zu Höherem drängt und eher zurückgenommen werden muss – eine eindrucksvolle Leistung, die es den Männern entsprechend schwer macht, im Vergleich zu bestehen. Tassis Chrstoyannis kämpft zwar tapfer und hat auch einen ordentlichen Bariton, aber nicht die nötigen Reserven, um als Onegin dauerhaft dagegen zu halten. Der Stimme fehlt auch (noch) die charakteristische Note, die dem Sänger ein eigenes Profil gäbe. Ähnliches gilt auch für Andrej Dunaev, der noch eine Spur Glanz und Geschmeidigkeit benötigte, um aus einem kraftvollen und durch und durch sauber und solide gesungenen Lenski eine große Figur zu machen. Dass Hans-Peter König den Gremin recht ruppig singt, passt zur Rollenauslegung: Ein (schon von der riesigen körperlichen Erscheinung) Übervater, der seine Frau Tatjana wie eine Stoffpuppe auf den Armen trägt. Katarzyna Kuncio singt eine jugendlich-frische Olga, Helmut Pampuch als Trinquet im Krähenkostüm ein stark komödiantisch angelegtes Couplet, dessen Spitzentöne er nicht mehr erreicht. Mit Csilla Zentai als (souverän auftretende) Larina und Gwendolyn Killebrew als (sehr alter) Filipjewna singen zwei weitere „Urgesteine" der Düsseldorfer Oper, wobei man ihnen und dem Publikum zumindest das unsägliche Herumgehopse der ersten Szene hätte ersparen sollen.

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Schwarz-weiß-Malerei: Weil Gremin (Hans-Peter König, Mitte) Tatajana (Nataliya Kovalova) fest im Ehe-Griff hat, muss Onegin (Tassis Christoyannis) verzweifeln.

Glänzend singt der (von Gerhard Michalski einstudierte) Chor. Dirigent Will Humburg hat mit den Düsseldorfer Symphonikern an einem kammermusikalisch ausgerichteten Klangbild gearbeitet, was sich auszahlt. Die einzelnen Instrumentengruppen treten sehr prägnant auf (im Gesamtklang lässt sich an der Homogenität sicher noch feilen), spielen jede Phrase mit höchstem Espressivo. Das ist über weite Strecken sehr griffig und eindrucksvoll, und in allen Zwischenspielen übernimmt das Orchester eine führende Rolle. Die Abstimmung mit den Sängern ist ausgezeichnet, mit der Regie eher zu gut: Humburg neigt gerne zu einem allzu stark tremolierenden Grundton, der zwar zur Düsternis von Inszenierung passt, aber dessen Übertreibungen noch unterstreicht. Da wagnert und webert es gar sehr im nebelverhangenen Bühnenbild. Und wie del Monaco verliert auch Humburg im Finale jedes Tschaikowsky-Maß und haut kräftig auf die italienisch-veristische Pauke, und es geistern dann doch alle von Tschaikowsky aussortierten Pharaonen, Zaren, Meuchelmörder etc. hörbar durch den Raum. Nicht alle im Publikum waren davon begeistert, aber die Begeisterten sorgten für einen turbulenten Schlussapplaus, der in seiner kämpferischen Attitüde fast spannender war als das Geschenen zuvor.


FAZIT

Durchwachsene Veranstaltung, deren Glanzlichter (nicht nur Nataliya Kovalovas wegen) eher im musikalischen Bereich als in der stellenweise interessanten, aber von der Last übergroßer Tragik oft erdrückten Inszenierung liegen.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Will Humburg

Inszenierung
Giancarlo del Monaco
(Mitarbeit: Mechthild Hoersch)

Bühne
Johannes Leiacker

Kostüme
Birgit Wentsch

Licht
Volker Weinhardt

Choreinstudierung
Gerhard Michalski

Dramaturgie
Sven Maier



Chor der Deutschen Oper am Rhein
Die Düsseldorfer Symphoniker


Solisten

Larina
Csilla Zentai

Tatjana
Nataliya Kovalova

Olga
Katarzyna Kuncio

Filipjewna, die Amme
Gwendolyn Killebrew

Eugen Onegin
Tassis Chistoyannis

Lenskij
Andrej Dunaev

Fürst Gremin
Hans-Peter König

Trifon Petrowitsch
Christoph Stegemann

Ein Hauptmann / Saretzkij
Daniel Djambazian

Triquet
Helmut Pampuch








Weitere Informationen
erhalten Sie von der
Deutsche Oper am Rhein
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