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Les Contes d'Hoffmann
(Hoffmanns Erzählungen)

Phantastische Oper in fünf Akten
von Jacques Offenbach
Libretto nach dem gleichnamigen Drama von Jules Barbier und Michel Carré
von Jules Barbier
Quellenkritische Neuausgabe von Fritz Oeser


In französischer mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 4h 15' (zwei Pausen)

Premiere im Opernhaus Düsseldorf
am 29. Oktober 2004

Besuchte Vorstellung: 5. November 2004


Homepage

Deutsche Oper am Rhein
(Homepage)
Ohne Programmheft wäre man verloren
Von Thomas Tillmann / Fotos von Eduard Straub

Wenn man sich nach einigem Nachdenken an große Abende an der Deutschen Oper am Rhein in den letzten Jahren erinnert, so sind die meisten davon mit dem Namen Christof Loy verbunden, den die Opernwelt in ihrer (natürlich vom Ansatz her zweifelhaften) Kritikerumfrage erneut zum "Regisseur des Jahres" gekürt hat (interessanterweise aber gerade nicht auf Grund seiner Arbeiten in Düsseldorf und Duisburg, sondern für Roberto Devereux an der Bayerischen Staatsoper und Die Entführung aus dem Serail an der Oper Frankfurt, die inzwischen auch im Fernsehen ausgestrahlt wurde). Die Neuproduktion von Les Contes d'Hoffmann sollte eigentlich ein weiterer Triumph für Alexandra von der Weth werden, die sich an alle drei Sopranpartien heranwagen wollte (und damit der Stimme vermutlich ebenso geschadet hätte wie mit manch anderen "falschen" Rollen), die aber offenbar nach wie vor - und bedauerlicherweise! - noch nicht wieder den Weg zurück auf die Bühne gefunden hat.

Vergrößerung Einen Blick hinter die Kulissen der Deutschen Oper am Rhein erlaubt das Bühnenbild von Herbert Murauer.

Die Geschichte beginnt in dieser Inszenierung im Hinterhaus der Deutschen Oper am Rhein: Akribisch genau ließ Herbert Murauer den Eingangsbereich und die Kantine nachbauen, die Techniker, Orchestermusiker und Garderobieren auf der Bühne scheinen Vorbilder aus dem wirklichen Theaterbetrieb zu haben, und während das Auge noch nach immer neuen Ausstattungsdetails sucht, treffen auch die drei Sängerinnen in Alltagskleidung ein, die die drei Frauen singen werden, und begeben sich in ihre Garderoben. Zweifellos hat dieser überraschende Beginn eine gewisse Wirkung, aber schnell fragt man sich als kritischer Beobachter, ob der Kunstgriff, Hoffmann seine Erzählungen im Theater beginnen zu lassen und ihn so gleichsam als modernen "Composer in residence" zu präsentieren, "der sich im realen Leben ebenso wie in seinem Kopf nur mit seiner theatralischen Umwelt beschäftigt und aus ihr seinen Mikrokosmos entwickelt", wirklich so überzeugend ist, denn kaum ein Zuschauer dürfte je diesen Teil des Opernhauses betreten (es sei denn, er hätte an einer Führung teilgenommen) oder gar ein Leben als ausübender Künstler mit all den sicher dazu gehörenden Erfahrungen und Empfindungen geführt haben. Langeweile indes kommt nicht auf (allenfalls in den bis zu 40 Minuten dauernden Pausen, die für die Umbauten nötig sind), zumal permanent irgendetwas geschieht, aber streckenweise fragt man sich angesichts des Umstandes, dass die eigentliche Story sich trotz der ungewohnten, aufwändigen Optik ziemlich konventionell entwickelt und auch die Figurenzeichnung weniger differenziert gelungen ist als in manch anderen Produktionen des Regisseurs, ob der Ausstattungsaufwand ebenso wie die wortreichen Bemerkungen im Programmheft davon ablenken sollen, dass dem vielbeschäftigten Loy nicht so recht etwas eingefallen ist zu diesem komplexen Stück. Mir fiel Hans Wallat ein, der inzwischen 75jährige ehemalige Generalmusikdirektor der Deutschen Oper am Rhein, der die Qualität einer Inszenierung daran misst, "ob man als Zuschauer ohne jede Vorbereitung und ohne jede Information aus dem Programmheft mitkriegt, was auf der Bühne passiert: Welche Geschichte erzählt wird, um welche Figuren es sich handelt und in welchem Verhältnis sie zu einander stehen."

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Spalanzani (Bruce Rankin, rechts mit grauer Liszt-Frisur) führt seine Olympia (Elena Brilova) vor.

Im zweiten Akt veranstalten die Verantwortlichen einer Schönheitsklinik, die mit Vorher-Nachher-Bildern "beauté éternelle" verspricht, ein Seniorenkaffeetrinken, in dessen Verlauf Olympia, das Vorzeigeobjekt mit seiner rötlichen Engelsmähne, das nicht nur laut und hoch singen kann, sondern auch den Spitzentanz beherrscht, gegen ihren Willen dem schmatzenden und schlürfenden Publikum vorgeführt wird und wohl Lust auf einen eigenen verjüngenden Eingriff bei den Eingeladenen machen soll. Als Hoffmann von Liebe singt, macht sie Dehnübungen - kein schlechtes Bild dafür, dass diese beiden verschiedene Sprachen sprechen. Vorhersehbar war freilich der Schlussgag: Statt der jungen, perfekten, Fleisch gewordenen Männerfantasie stürzt eine aufgequollene, alte, nur noch Reste von Zähnen und Haar besitzende, zombiehafte Statistin auf die Bühne, was die noch einmal hereinschauenden Senioren mit hämischem Gelächter quittieren.

Vergrößerung Franz (Norbert Ernst) begehrt vergebens die in den eigenen Gesang verliebte Antonia (Sylvia Hamvasi).

Auch der dritte Akt spielt in einer Klinik, diesmal allerdings wohl in der psychiatrischen Abteilung, in der sich die sterbenskranke Antonia, hinter dem Rücken des Vaters vom Pförtner- und Bewacherdienst tuenden Frantz animiert, mit den Klavierauszügen ihrer Mutter beschäftigt und die Annäherungsversuche ihres Aufpassers angeekelt abweist. Auch mit Hoffmann kann dieses karrierebesessene Wesen mit strähnigem Haar und fleckiger Haut wenig anfangen, da wäre der wenig originell inszenierte Auftritt der Mutter im Bühnennebel und großer Robe vermutlich gar nicht mehr nötig gewesen, um die Entscheidung zugunsten des Gesangs und gegen Vernunft und Liebe zu beschleunigen.

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Pitichinaccio (Norbert Ernst, links) beobachtet Giulietta (Marta Marquez), die Dapertutto (Sami Luttinen) aufs Kreuz zu legen scheint.

Vor einem transparenten Vorhang, auf dem Venedig auszumachen ist, mischt sich schließlich die Muse mit einer Plastik-Gondel, wie Touristen sie gern aus der Lagunenstadt mitbringen, unter die von Rotwein und Stärkerem erschlafft in Monoblöcken und Sonnenstühlen am Lido abhängende Partygesellschaft in Punk- und Gothic-Outfit und -Maske (die entsprechenden Abteilungen werden wie das Technik-Team an diesem Abend auf Trab gehalten!). Als der Vorhang abgerissen wird, schaut man auf eine fast leere Bühne - auf diese Weise nimmt auch die Szene den Fragmentcharakter des Werkes in seiner problematischen Überlieferung auf -, auf der man nach einiger Zeit eine improvisierte Spielhölle mit Kandelabern auf dem Boden ausmacht. Der wieder einmal getäuschte Hoffmann erschießt Giulietta, die freilich mehrere Leben zu haben scheint, und dann wird auch schon aufgeräumt, das Bühnenpersonal demaskiert sich, Hoffmann zerquetscht noch schnell ein Glas in der Hand, das sein eigenes zerstörtes Leben symbolisiert, er trifft noch einmal auf die drei Stellas und schließlich vor dem eisernen Vorhang die Muse, die in dieser Inszenierung nie verhehlt hat, dass sie eine Frau ist und Hoffmann nicht nur als Künstler, sondern auch als Mann begehrt und damit Rivalin der idealisierten Trugbilder ist. Ob Hoffmann, "der nicht fähig ist, sich wirklich auf Menschen einzulassen, die ein komplexes Leben führen und sich nicht allein - wie die Muse - auf Hoffmann fixieren", ihre Einladung annimmt, sich ihm anzuvertrauen, bleibt offen.

Nachdem sich auch das Solistenensemble der Rheinoper beim Don Giovanni wahrlich nicht von der besten Seite gezeigt hatte, gab es bei dieser Produktion deutlich weniger Ausfälle zu beklagen: Einziges wirkliches Ärgernis war für mich Sylvia Hamvasi, die eine ordentliche Rheintochter singen kann (so zuletzt in Dortmund geschehen), die aber mit einer anspruchsvollen, wahrlich mehr als eine Soubrettenstimme erfordernden Partie wie der Antonia hörbar überfordert war und die meiste Zeit schrie, dass einem angst und bange wurde (mit Ausdrucksstärke und Intensität hatte das nichts zu tun). Ihr im Forte unschön harter, keinerlei Substanz in der Tiefe besitzender Sopran klang allenfalls in der Mittellage akzeptabel, während man bei den vibratös-scharfen, flackernden, unerträglich schrillen Spitzentönen zusammenzuckte. Wäre hier nicht Nataliya Kovalova die richtige Wahl gewesen, die sich nun zu früh mit Tschaikowskis Tatjana beschäftigt? Diskutabel ist sicher auch Marta Marquez' Einsatz als Giulietta, die das Publikum zwar an ihren wie des Regisseurs Vorstellungen vom Gebaren einer ordinären Nutte freigebig Teil haben ließ, die aber in den Ensembles praktisch nicht zu hören war und in der Höhe auch deutlich an Grenzen stieß; in ruhigeren Momenten indes kam ihr vibrierender, mitunter auch zittriger, schmaler Mezzosopran durchaus vorteilhaft zur Geltung (dass sie für diese Spielzeit auch als Carmen angekündigt ist, lässt einen trotz allem den Kopf schütteln). Sieht man von einigen wenigen nicht auf die notierte Tonhöhe gebrachten Acuti ab, konnte man sich über Elena Brilovas Olympia und ihre durchaus interessanten Kadenzen in der berühmten Arie freuen. Annette Seiltgen ist nicht nur eine engagierte, bewegliche Darstellerin, sondern hat auch vokale Gestaltungsqualitäten und kein geringes Gespür für den geforderten rezitativischen Ton; die Stimme an sich aber klingt inzwischen reichlich drahtig und kühl, das Ausstellen der sopranigen Spitzentöne aufdringlich.

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Hoffmann (Sergej Khomov) erzählt seiner Muse (Annette Seiltgen) und den Gästen der Rheinopern-Kantine (Herren des Chores der Deutschen Oper am Rhein) von seinem Liebesleben.

Nicht wenige Beobachter des Düsseldorfer Musiklebens hatten erzählt, Sergej Khomov habe sich mit seinem Don Carlos die schöne Stimme ruiniert. Sicher, er singt häufiger im Forte als früher, und hohe Töne im Piano werden doch das eine oder andere Mal zur Zitterpartie, aber das wunderbar sinnliche Timbre und das verführerische Legato sind immer noch da, das in italienischen Partien freilich besser zur Geltung kommt als in dieser französischen, in die er viel Herzblut und zu viele Schluchzer investiert und bei deren schauspielerischer Gestaltung der Regisseur ihm mehr als irre oder verzweifelte Blick hätte abverlangen müssen. Sami Luttinen brauchte zwar mitunter ein bisschen Kraft, um die hohen Töne zu erreichen, aber insgesamt bewältigte er die Tessitura erstaunlich gut, und auch die paar Kratzer, die sein fülliger Bass inzwischen aufweist, weiß er zur Charakterisierung der zwielichtigen Figuren suggestiv einzusetzen. Norbert Ernst bemühte sich mit mitunter etwas schneidendem, hellen Buffotenor um Nuancen in der gesungenen Sprache und einen guten Ausgleich zwischen Komik und seriösem Gesang im Couplet des Frantz, Bruce Rankin bleibt eine feste Größe vor allem in kleineren Partien (ob er die Titelpartie wohl noch schafft?), gleiches gilt für Bruno Balmelli, der schon als Hermann, besonders aber als Schlemihl einige Präsenz entwickelte, und selbst an Michail Milanovs inzwischen reichlich schütteren Bass konnte man sich gewöhnen, nicht aber an sein abenteuerliches Französisch. Letzteres ist Monique Simon natürlich in die Wiege gelegt; allerdings hat man die Künstlerin in interessanten Rollen und besser bei Stimme erlebt als an diesem Abend, den Wolf-Michael Storz rettete: Als musikalischer Assistent der Produktion hatte er das Stück natürlich drauf und konnte problemlos für den erkrankten Baldo Podic einspringen. Man bewunderte die Sorgfalt und die Liebe zum Detail, mit denen der junge Kapellmeister das Werk zum Klingen brachte, sein Bemühen um Drive und Transparenz, seinen aufmerksamen Blick zur Bühne und dem dort beschäftigten Personal (hätten doch die Chorherren auf seinen klaren Schlag geachtet, die einmal mehr einsetzten, wann ihnen danach war und die dem Irrglauben anzuhängen scheinen, dass es in erster Linie um Phonstärke geht), man wunderte sich, wie gut das Orchester klingen kann, wenn die richtigen Dirigenten vor ihm stehen.


FAZIT

Ein vor allem optisch beeindruckender, wenn auch deutlich zu langer Theaterabend ist Christof Loy da zweifellos gelungen - dem Geheimnis Hoffmanns und seiner komplizierten Psyche indes ist er eher auf dem Papier als auf der Bühne auf die Spur gekommen.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Wolf-Michael Storz
(für den erkrankten
Baldo Podic)

Inszenierung
Christof Loy

Bühne und Kostüme
Herbert Murauer

Licht
Volker Weinhart

Chor
Christoph Kurig

Produktionsdramaturgie
Peter Heilker

Choreografische Mitarbeit
Wolfgang Enck



Chor und Statisterie
der Deutschen Oper am Rhein
Die Düsseldorfer Symphoniker


Solisten

Hoffmann
Sergej Khomov

Muse/Nicklausse
Annette Seiltgen

Lindorf/Coppelius/
Miracle/Dapertutto
Sami Luttinen

Andrès/Cochenille/
Frantz/Pitichinaccio
Norbert Ernst

Olympia/Stella
Elena Brilova

Antonia/Stella
Sylvia Hamvasi

Giulietta/Stella
Marta Marquez

Stimme der Mutter
Monique Simon

Nathanael/Spalanzani
Bruce Rankin

Hermann/Schlemihl
Bruno Balmelli

Luther/Crespel
Michail Milanov








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Deutsche Oper am Rhein
(Homepage)



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