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Christines kleine Dortmunder Farbenlehre
Von Stefan Schmöe
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Fotos von Thomas M. Jauk (Stage Picture Gmbh) Der Ring des Nibelungen ist ein vierteiliges Mammutwerk, das nach Interpretation geradezu lechzt. Die werkimmanente Uneindeutigkeit und Bedeutungsvielfalt lässt Erklärungsansätze unterschiedlichster Art zu, und so haben wir die Götter ebenso als korrupte Kapitalisten dämmern sehen wie als herrschsüchtige Nazis, haben den Weltuntergang als atomare wie als ökologische Katastrophe erlebt, sind durch die verschiedensten Epochen der Weltgeschichte gereist oder haben uns die Parabel ganz naiv als Märchen erzählen lassen. Regisseure haben uns auf nahe- und fern liegende Querverbindungen zwischen den vier Teilen hingewiesen. Irgendwann aber hat sich ein Gefühl von Sättigung eingestellt. Die Brisanz früherer Jahre hat eine Ring-Inszenierung nicht mehr. Nicht zufällig ist die wegweisende Produktion der vergangenen Jahre, nämlich die Stuttgarter (unsere Rezension), gerade diejenige, die einmal nicht auf Kontinuität innerhalb der vier Abende setzt, sondern mit vier unterschiedlichen Regisseuren die disparaten Züge hervorhebt. Die Rheintöchter (v. l. Heike Susanne Daum, Maria Hilmes, Karolina Gumos) in bundesrepublikanischem Farbdreiklang vor dem Rheingold, das hier als dekorativer Vorhang erscheint.
Klangbeispiel:
1. Szene: "Der Welt Erbe gewänn' ich zu eigen" - Alberich (Stephen Owen), Heike Susanne Daum (Woglinde), Maria Hilmes (Wellgunde), Karolina Gumos (Flosshilde)
In Dortmund deutet vieles darauf hin, dass Christine Mielitz dagegen wieder einen geschlossenen Ring konzipiert, der von etlichen Querbezügen lebt. Das Rheingold ist vollgepfropft mit Dingen, die nach Bedeutung aussehen, sie aber noch? nicht haben. Auf der rotationsfreudigen Drehbühne (Ausstattung: Stefan Mayer) ist ein schräg durchgeschnittener Schuhkarton aufgebaut, der auf der einen Seite schwarz (Nachtalben, also Alberich und die Nibelungen), auf der anderen Seite weiß (Lichtalben: Wotan und die Göttersippe) angestrichen ist. Die weiße Götterseite besteht zudem aus einer Mischung von indianischer Pueblo-Architektur und topmodernen Betonsteinen, in die ein in die Jahre gekommener Mercedes hineingecrasht ist. Daraus lässt sich sicher allerlei Kulturkritik herausschälen, und es ist zu befürchten, dass dieses ästhetisch leider wenig spannungsreiche Bühnenbild auch für Hundings Hütte, den Walkürenfelsen, Mimes Schmiede und die Drachenhöhle taugen könnte. Bühnenbildrecycling hat schon Jürgen Flimm in seinem gerade erst ausgemusterten Bayreuther Ring (unsere Rezension) im großen Stil betrieben; da sich bei Christine Mielitz noch nichts selbst erklärt, ist ein Wiedersehen mit großen Teilen der Ausstattung in den nächsten Teilen nicht auszuschließen. Nicht viel mehr als Gipsfiguren, die nur noch als Ornament dienen: (von links) Donner (Aris Argiris), Fricka (Annette Seiltgen), Freie (Kirsten Blanck) und Wotan (Wolfgang Koch)
Das Rheingold verrät noch nicht, in welche Richtung dieser Ring gehen wird; ein Thema ist noch nicht zu erkennen. Diese Offenheit muss kein Fehler sein, die Zeit allzu eindeutiger Auslegungen ist wohl vorbei. Bei fast drei Stunden Spieldauer müsste es aber eine Leitidee geben, die der Aufführung auch ohne die nachfolgenden Teile einen eigenständigen, tragfähigen Charakter gibt aber genau das fehlt. Die solide Personenregie führt zu einigen spannungsreichen Momenten, wobei vieles nicht neu, aber sorgfältig durchgearbeitet ist. Christine Mielitz erzählt erst einmal eine Geschichte, was ja nicht das Schlechteste ist, und diese Geschichte dreht sich um Wotan, Loge und Alberich. Die anderen Figuren werden dadurch jedoch schnell zu Randfiguren oder Symbolträgern degradiert. Donner und Froh sind hier nicht viel mehr als bewegliche Gipsfiguren. Dunkle Pläne: Wotan (Wolfgang Koch) in Weiß, Loge (Hannes Brock) in Blutrot
Wenig überzeugend ist auch die Idee, die Riesen durch meterhohe tönerne Figuren darzustellen, als habe Arno Breker sich von den Figuren der Osterinseln inspirieren lassen, denn dadurch werden die Abläufe unnötig statisch (und Freias Trauer um Fasolt höchst unglaubwürdig). Auch das penetrante Auf und Ab aller Bühnenelemente in der ersten Szene wirkt wie überflüssiger Aktionismus, das primitive Sylvester-Tischfeuerwerk zum Finale könnte seinen ironischen Sinn vielleicht entfalten, wenn es synchron zur Musik gezündet würde. An solchen Stellen verschenkt Christine viel von möglichen Bildwirkungen, die diesem Rheingold mehr Eigenleben hätten verschaffen können. Schwarzalben unter sich: Alberich (links: Stephen Owen) und Mime (Jeff Martin)
Bei allem Rätselraten um die diversen Symbole auf der Bühne gibt es doch ein paar Konstanten, weil die Regisseurin ihre persönliche Farbenlehre entwickelt. Da sind die Rheintöchter in Schwarz, Rot und Gold gehüllt, und Erda trägt gleich die bundesrepublikanischen Farben als Schärpe (rechte Brust frei), als wolle sie uns Deutsche den politischen Weg weisen wie Delacroix' Liberté das französische Volk führt. Auf der anderen Seite sind bilden Wotan (weiß), Loge (rot) und Alberich (schwarz) ein trio infernal in den Farben des deutschen Kaiserreichs. Die Bundesrepublik als unbefleckter Naturzustand im Gegensatz zum machtkorrumpierten Deutschen Reich? Da besteht noch einiger Erklärungsbedarf (aber wir haben ja noch drei Abende vor uns). Den Dortmundern wird diese kleine Farbenlehre vertraut vorkommen, denn nicht nur Christine Mielitz (etwa in ihrer Inszenierung des Treffen von Telgte (unsere Rezension), sondern auch ihr Intendanten-Vorgänger John Dew hat gerne solche Farbcodes durchdekliniert. Frei von Abnutzungserscheinungen sind diese dabei allerdings nicht geblieben. Gestohlenes Gold und ein Riese: Hinter den Barren lugt Freia (Kisrten Blanck) hervor, was Wotan den Ring kosten wird.
Klangbeispiel:
4. Szene: "Weiche, Wotan, weiche" - Erda (Milena Kotlyar)
Auch musikalisch überzeugt dieses Rheingold mehr im Detail als in der großen Linie. Arthur Fagen am Pult der teils wunderschön spielenden, stellenweise etwas unkonzentrierten Dortmunder Philharmoniker gelingen wunderbare Momente, hinreißende Holzbläserkantilenen etwa, und er ist ein hervorragender Begleiter für die mit guter Textverständlichkeit artikulierenden Sänger. Das hervorragende Rheintöchter-Trio (Heike Susanne Daum, Maria Hilmes, Karolina Gumos) hört man selten so intelligent phrasierend und nuanciert den Text auslotend, dabei aber immer klangschön da passt alles zusammen (abgesehen davon, dass sie zu Beginn hinter der Szene singen und per Lautsprecher übertragen werden, was den Klangeindruck empfindlich stört). Der große symphonische Bogen der Zwischenspiele, aber auch der Steigerung im Finale fehlt es dagegen an vorantreibender Kraft. Da könnte Fagen ruhig mehr der Musik vertrauen als der Regie. Triumph und Trauer: Freia (kniend: Kirsten Blanck) beweint die erschlagene Fasolt-Statue, Donner (Aris Argiris), Wotan (Wolfgang Koch), Fricka (Annette Seiltgen) und Froh (Charles Kim) freuen sich Händchen haltend auf den Einzug in Walhall
Klangbeispiel:
4. Szene: "Abendlich strahlt der Sonne Auge" - Wotan (Wolfgang Koch)
Wolfgang Koch als solider Wotan disponiert die Rolle klug und singt Bögen sorgfältig aus, müsste aber noch mehr an individuellem Profil gewinnen. Dieses kann man Hannes Brock als Loge nicht absprechen, der trotz in der Höhe begrenzter stimmlicher Mittel durch exzellente Gestaltung sein albernes Kostüm als Stadt-Guerrillero mehr als wett macht. Stephen Owen ist ein ordentlicher, vergleichsweise konventionell angelegter Alberich, gleiches gilt für Jeff Martin als Mime. Mit Bart Driessen und Ramaz Chikvildaze als Riesen, Annette Seiltgen (Fricka), Kirsten Blanck (Freia) und Aris Argiris (Donner) sind die weiteren Rollen ordentlich besetzt, bleiben aber Randfiguren aus der Umklammerung der Regie, die sie an den Rand rückt, können sich die Sänger auch musikalisch nicht lösen. Charles Kim, etwas unbestimmt zwischen heldischem und lyrischem Tenor schwankend, brachte den Froh durch verpatzte Einsätze um die Wirkung seines großen Finalauftritts, und Milena Kotlyar ließ die Erda allzu unbestimmt intonierend raunen. Insgesamt ist das eine musikalische Leistung, auf die sich aufbauen lässt. Dieser Ring befindet sich eben erst im Anfangsstadium. FAZITDer Vorabend der Tetralogie verrät noch nicht viel vom Ring - sehr deutsch wird's offenbar zugehen. Schaun wir mal, um mit den Worten eines deutschen Zeitgenossen zu sprechen, daraus könnte sich etwas Großes ergeben (muss es aber nicht). Vorabend hin oder her - trotz solider musikalischer Leistung hätte es ruhig etwas mehr große Oper sein dürfen. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne und Kostüme
Solisten
Wotan
Donner
Froh
Loge
Alberich
Mime
Fasolt
Fafner
Fricka
Freia
Erda
Woglinde
Wellgunde
Floßhilde
zu unserer Rezension von Die Walküre Siegfried Götterdämmerung
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