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Elektra
Tragödie in einem Aufzuge
Text von Hugo von Hofmannsthal nach Sophokles
Musik von Richard Strauss

In deutscher Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 1h 45' (keine Pause)

Premiere in der Oper Frankfurt
am 2. Oktober 2004
Besuchte Vorstellung: 16. Oktober 2004


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Oper Frankfurt
(Homepage)
Werkdienlich und hörenswert

Von Thomas Tillmann / Fotos von Barbara Aumüller



Als Falk Richter, Regisseur der in der Kritikerumfrage der Zeitschrift Opernwelt zur "Uraufführung des Jahres" gewählten Produktion von Jörg Widmanns Oper Das Gesicht im Spiegel an der Bayerischen Staatsoper und bei den Salzburger Festspielen diesen Jahres mit Tschechows Möwe erfolgreich, sich mit Elektra auseinander setzte, assoziierte er schnell die westliche Gesellschaft, die sehr schlecht schläft und im Unterbewussten von ihrer eigenen Vernichtung träumt: "Opfer werden gebracht, Tausende von Zivilisten im Kampf gegen die Angst vor Terror, aber vor den Toren des Schlosses stehen diejenigen, die um die Schuld der Herrschenden wissen, und schwören Rache".

Mit Bildern, die sehr direkt auf die Gräuel von Guantánamo Bay oder Abu Ghureib anspielen, aktualisiert Richter die Vorlage zwar, aber letztlich bildet dies nicht viel mehr als die Folie für eine auf weite Strecken sehr präzise Umsetzung dessen, was Hugo von Hofmannsthal, der, beeinflusst durch seine Beschäftigung mit den Studien Freuds und Breuers über die Hysterie, die Tragödie des Sophokles umgedichtet hatte, und Richard Strauss im Blick gehabt haben dürften: die Konzentration auf die psychische Situation Elektras, deren Gedanken einzig und allein um den ungesühnten Mord an ihrem Vater kreisen (sein Schatten ist folgerichtig im Auftrittsmonolog für kurze Zeit zu sehen).

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Elektra (Susan Bullock) gibt sich im Auftrittsmonolog ganz ihren Rachefantasien hin.

In seinen Szenischen Vorschriften zu Elektra aus dem Jahre 1903 hatte der Dichter bereits gefordert, dass der Szene "vollständig jene Säulen, jene breiten Treppenstufen, alle jene antikisierenden Banalitäten" fehlen sollten, "welche mehr geeignet sind, zu ernüchtern als suggestiv zu wirken. Der Charakter des Bühnenbildes ist Enge, Unentfliehbarkeit, Abgeschlossenheit". Bühnenbildner Alex Harb hält sich erstaunlich eng an diese Vorgabe, wenn er den Zuschauer schon vor Vorstellungsbeginn auf einen schwarz-metallenen Hochsicherheitstrakt unserer Tage mit diversen Metallgittern, einem Geländer und einer Sitzgruppe aus demselben Material und der "Mauernische" für Agamemnons Kriegsmantel (Elektras einziger Zufluchtsort und Mahnmal zugleich) schauen lässt, der von zwei Wachsoldaten mit Verfolgern akribisch ausgeleuchtet wird und hinter dem in klinischem Weiß ein kalter Raum mit sich im Bühnenhintergrund verlierendem Laufsteg auftut, auf dem Klytämnestra hereinwankt und auf dem nach dem finalen Schlachtfest, das Elektra bereits im Auftrittsmonolog sehr konkret als Ziel ihrer Rache vor Augen hatte und das sich hinter der Bühne ereignet, die Leichensäcke abgelegt werden.

Die zentralen Szenen spielen sich aber auf der Vorderbühne ab, was den ohnehin erheblich geforderten Solistinnen und Solisten zweifellos entgegenkommt, die so nie den Kontakt zum Dirigenten verlieren. Wirklich Provozierendes findet indes in dieser Inszenierung nicht statt - dass die Mägde das Blut zu Beginn gleich eimerweise ausschütten, dass am Ende die ganze Bühne mit fein aufgereihten Leichen in (viel zu leichten) Plastiksäcken übersät ist, dass einzelne leblose, geschundene Körper an die Decke gezogen werden und Elektra gegen sie tritt und mit ihnen tanzt, kann im Jahre 2004 ein Publikum nicht mehr wirklich schocken, das Nachrichten schaut.

Vergrößerung in neuem Fenster Sie ist die Herrin am Ort des Schreckens: die von Träumen geplagte Klytämnestra (Ingrid Tobiasson und Statisterie).

Als Offenbarung und Elektra des nächsten Jahrzehnts wird Susan Bullock gefeiert, die die Partie auch an der Mailänder Scala singen wird, und tatsächlich ist der Engländerin, die in Frankfurt schon als Els im Schatzgräber und als Isolde zu erleben war, eine große Leistung zu bescheinigen: Mit ihrem vollen, robusten Sopran, der zwar noch kein wirklich hochdramatischer ist (wie die Stimme eigentlich klingt, hört man am ehesten in der zweiten Szene mit der Schwester), aber mühelos den Raum füllt, die Orchesterwogen übertönt und unangefochten bis zum C in alto anspricht, bewältigt sie den mörderischen Part weitaus seriöser als manch andere, zumal die Künstlerin sich bei aller Fortepräferenz stets um Schöngesang bemühte und dank ihrer exzellenten Diktion dafür sorgte, dass der Zuschauer den Text wirklich verstand, aus dem sie so viel zu machen wusste, und eine faszinierende Schauspielerin ist sie auch, etwa wenn sie sehr präzis das "Katzenartige" Elektras umsetzt, das Sonja Bayerlein in ihrem Beitrag "Musikalische Psychologie der drei Frauengestalten in der Oper Elektra" reflektiert, aus dem im gut gemachten, anregenden Programmheft zitiert wird: "Zum einen haftet ihren Gesten das Erschrecken des Tieres vor dem Menschen, die Scheu des wilden Tieres an, sie springt zurück wie 'in einen Schlupfwinkel', sie vermag die Blicke der Mägde nicht auszuhalten, sie zeigt den Tierinstinkt zu flüchten; zum anderen sind ihre zierhaften Gebärden, ihr Fauchen von furchteinflößender Bedrohlichkeit." Ein wenig enttäuscht war ich nur von der Wiedererkennensszene, für die die Stimme nach den vorausgegangenen Ausbrüchen nicht mehr genügend Weichheit und Flexibilität aufwies.

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Elektra (Susan Bullock, links) hilft ihrer Mutter (Ingrid Tobiasson, rechts) ein bisschen auf die Sprünge: Die Angst vor der Rückkehr Orests lässt sie nicht mehr schlafen.

Den Jubel der Kollegen über Ann-Marie Backlunds angeblich so wunderbar lyrische Chrysothemis - hier eine verhuschte Andrew Sister in grüner Uniform, die wie ein aufgescheuchtes Huhn über die Bühne trippelt und auch in dieser Hinsicht ganz die Mutter ist - konnte ich mindestens in der besuchten Vorstellung kein bisschen nachvollziehen: Ich hörte eine sehr allgemein timbrierte, helle, dünne, mitunter auch belegt, fast immer aber überfordert klingende Stimme mit flacher Höhe, ich hörte peinigendes Geschrei statt erfülltem Gesang, ich hörte Sprechgesang an Stellen, an denen Strauss Noten vorgesehen hat, was mit Ausdruck und innerer Beteiligung nichts zu tun hat, sondern mit vokaler Not.

Vergrößerung in neuem Fenster Nachdem sie die Nachricht von Orests Tod erhalten hat, versucht Elektra (Susan Bullock, links) ihre Schwester Chrysothemis (Ann-Marie Backlund, rechts) davon zu überzeugen, dass sie beide nun den toten Vater rächen müssen.

Klytämnestra selber ist eine alternde First Lady im edlen, dunkelroten Kostüm (die einzige Herausforderung für Kostümbildner Martin Kraemer), wie vorgesehen behängt mit elegant gefassten funkelnden Steinen und mit einem dunklen, wüsten Lockenturm über dem vollen Gesicht wie Ethel Merman, die große Auftritte liebt und ihre Begleiterinnen bald wie Schoßhunde befummelt, bald brutal zu Boden zwingt, eine albern beinahe jedes Wort mit zu großen Gesten unterstreichende, herumhampelnde Möchte-gern-Diva, die keiner leiden mag und die einem irgendwie sogar ein bisschen leid tut. Ingrid Tobiasson, Ensemblemitglied der Königlichen Oper Stockholm, hatte den richtigen reifen Ton in der nur in der Höhe schwächer und brüchig werdenden Stimme, und natürlich hat man das selten so lyrisch gehört, mit so viel Mut zum Piano, aber insgesamt fehlte es der Künstlerin an dem Charisma, das die wirklich großen Interpretinnen dieser interessanten Rolle besaßen und besitzen.

Da allerdings auch die beiden Herren relativ blass blieben - Peteris Eglitis war mit klangvoll-voluminösen, ruhig strömenden, dunklen Bassbariton ein wirklich ordentlicher Orest in Adidas-Hosen, mit angesagter Strickmütze und mit schallgedämpfter Pistole, Hans-Jürgen Lazar überzeugte als Karikatur eines in die Jahre gekommenen amerikanischen Offiziers in strahlend heller Bomberjacke und engen Jeans und kam auch vokal nicht in Verlegenheit -, fragte man sich bei aller Bewunderung für die Fähigkeiten des Regisseurs, die Darsteller zu gegenseitigem Zuhören und einem echten Miteinander zu bewegen, ob er der schon in Hofmannsthals Tragödie angelegten Fokussierung auf die Elektra-Figur nicht doch stärker hätte entgegenwirken müssen und ob er sich nicht stellenweise zu viel auf die darstellerischen Fähigkeiten der Protagonisten verlassen hat, anstatt mehr eigene Ideen einzubringen.

Vergrößerung in neuem Fenster Agamemnon ist gerächt, Elektra (Susan Bullock) ist selig.

Paolo Carignani breitet am Pult des offenbar glänzend vorbereiteten, ebenso disponierten und wie aus einem Guss ungemein vital und klangschön spielenden Museumsorchesters einen schillernden, beinahe impressionistischen, warmen, geheimnisvoll-"orientalischen" Klangteppich aus, er betont bei pulsierend bewegten, aber nie gehetzt wirkenden Tempi die tänzerischen Momente der gewaltigen Partitur und sorgt für vorbildliche Transparenz, die das Bühnenpersonal natürlich gerade bei einer solch wuchtigen Orchestrierung sehr freuen muss. Ich persönlich indes mag es bei diesem Werk gern ein bisschen aggressiver und härter (vergessen wir nicht, dass Richard Strauss zur Zeit der Uraufführung galt Strauss noch als kühner Vertreter der musikalischen Moderne galt, bevor er mit dem Rosenkavalier einen anderen Weg einschlug!), aber das ist Geschmackssache und schmälert keineswegs den ansonsten durchweg positiven Eindruck, den das Kollektiv und sein Generalmusikdirektor hinterließen.


FAZIT

Falk Richter ist bei seinem Debüt an der Frankfurter Oper zweifellos eine im besten Sinne werkdienliche Inszenierung dieses Meisterwerks des 20. Jahrhunderts gelungen - wirklich aufrüttelndes, packendes politisches Theater war dies für mein Empfinden freilich nicht, dazu blieb der gewählte Rahmen dann doch zu sehr Dekoration. Sehenswert ist diese Produktion trotzdem, hörenswert wegen Susan Bullock und dem Frankfurter Museumsorchester allemal.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Paolo Carignani

Inszenierung
Falk Richter

Bühnenbild
Alex Harb

Kostüme
Martin Kraemer

Dramaturgie
Hendrikje Mautner
Bernd Stegemann

Licht
Olaf Winter

Chor
Alessandro Zuppardo



Chor und Statisterie
der Oper Frankfurt

Frankfurter Museumsorchester


Solisten


Elektra
Susan Bullock

Klytämnestra
Ingrid Tobiasson

Chrysothemis
Ann-Marie Backlund

Aegisth
Hans-Jürgen Lazar

Orest
Peteris Eglitis

Der Pfleger des Orest
Gérard Lavalle

Die Vertraute
Jadranka Petrovic

Die Schleppträgerin
Birgit Treschau

Ein junger Diener
Peter Marsh

Ein alter Diener
Walter Jäkel

Die Aufseherin
Taina Piira

1. Magd
Ewa Marciniec

2. Magd
Mora Stettner

3. Magd
Anna Halamian

4. Magd
Anna Ryberg

5. Magd
Barbara Zechmeister

6 Dienerinnen
Edeltraud Pruß
Magdalena Tomczuk
Enikö Boros
Yvonne Hettegger
Gunda Boote
Claudia Grunwald






Weitere Informationen
erhalten Sie von der
Oper Frankfurt
(Homepage)



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