Zur OMM-Homepage Zur OMM-Homepage Veranstaltungen & Kritiken
Musiktheater
Zur OMM-Homepage Musiktheater-Startseite E-Mail Impressum



Attila
Dramma lirico von Giuseppe Verdi
Text von Temistocle Solera und Francesco Maria Piave
Nach dem Drama Attila, König der Hunnen von Zacharias Werner


In italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2h 25' (eine Pause)

Premiere am 5. Dezember 2004
im Großen Haus des
Musiktheaters im Revier Gelsenkirchen


Homepage

Musiktheater im Revier
(Homepage)

Hunnenkönig im experimentellen Manga-Look

Von Thomas Tillmann / Fotos von Rudolf Majer-Finkes


Das MiR ist immer für eine Überraschung gut und beweist auch gern und häufig Mut zum Risiko. Anstatt Verdis frühen Attila als Kostümschinken oder als brandaktuelles Antikriegsstück zu präsentieren, wollte man in Gelsenkirchen dem Umstand Rechnung tragen, dass sowohl der Gang der Handlung als auch ihre Sprache ausgesprochen knapp, bilderreich und mit Rache und Blut getränkt sind (Leo Karl Gerhartz bezeichnete Verdis Opern gar als "Bildergeschichten ..., deren sprachliche Bedürfnisse - modern gesprochen - die Grenzen einer Sprechblase nur selten überschreiten: wie bei der Pantomime des französischen Melodrams, wie beim Kasperle-Theater und wie beim Comic strip"). Und so wollte man ein "Gedankenexperiment" wagen, indem man das interessante Werk in der Bildersprache japanischer Manga-Comics präsentierte. Dramaturgin Wiebke Hetmanek hat sich dazu überzeugende Gedanken gemacht: "Wie in einer Oper können in einem Manga verschiedene Textebenen gleichzeitig ablaufen: Das 'gesprochene' Wort, der Dialog der Figuren, läuft hier oftmals parallel zu den Gedanken der Protagonisten, die in Form von 'Gedankenblasen' oder Zusatztexten in die Szene integriert sind. Damit wird eine Gleichzeitigkeit von Gedanken und Worten erreicht, wie sie auch in einem Opernensemble zu finden ist. Charakteristischerweise liegt bei den Mangas wie im Musiktheater der Schwerpunkt auf der Beschreibung der Gedanken und Gefühle der Helden oder auf der Darstellung der Stimmung einer Geschichte. Erfordert es die komplexe Gedankenwelt der Figuren, werden einzelne Momente zeitlupenhaft über mehrere Seiten hinweg dargestellt, wobei auch die Perspektiven verschiedener Figuren aufgezeigt werden können. Die Zeit scheint still zu stehen, ähnlich einer Arie oder einem Ensemble, währenddessen oftmals der Gang der Handlung angehalten wird ... Die Themen, die in den Mangas behandelt werden, sind vielfältig. Oft funktionieren sie wie 'Zentrifugen' für menschliche Ängste: angereichert mit Untergangsszenarien, Dämonen und übersinnlichen Effekten. Vor allem in den Shojo, den Mangas speziell für Mädchen ... beherrschen starke Frauen die Szene, kampferprobte Rächerinnen, die sich in einer Männerwelt souverän bewegen. Die Figur der Kriegerin Odabella, die sich an Attila rächen will, könnte solch einem Shojo entsprungen sein."

Vergrößerung in neuem Fenster Hunnenkönig Attila (Nicolai Karnolsky) im
spektakulären Kostüm auf seinem illuminierten Thron.

Die (historische Fakten großzügig übergehende) Handlung um den Hunnenkönig Attila, der sich in die tapfere Kriegerin Odabella aus dem unterworfenen Aquileia verliebt, sie heiratet und am Schluss von ihr aus Rache für die frühere Ermordung ihres (in dieser Inszenierung von einem Statisten eindringlich verkörperten) Vaters getötet wird, wird von Andreas Baesler als Kriegsspiel von Kindern unserer Tage auf einer quadratischen Fläche präsentiert, auf der man abwechselnd einige sinnstiftende Requisiten wie ein Modell des Kolosseum, aber auch mit manchem pyrotechnischen Effekt aufwartende Panzer oder gar Menschenköpfe ausmacht, die im weiteren Verlauf des Abends in immer wieder neue Positionen gebracht wird und beispielsweise intimere Räume begrenzt oder als Tafel für Strategiebesprechungen dient, das eine oder andere Mal aber auch einfach nur den Bewegungsradius der Akteure einschränkt. Der ebenfalls an Comics erinnernde Bühnenraum von Hermann Feuchter wird begrenzt durch Wände, die Spuren der Zerstörung und bunte Graffitis tragen, und bietet auch genug Fläche für illustrierende oder einfach für Atmosphäre sorgende Projektionen. Sie sind ebenso wie die aufwändigen Kostüme, die Ulli Kremer entworfen hat (besonders erwähnt werden sollen der beeindruckende rote Ledermantel Attilas und die sexy Kampfanzüge Odabellas), symptomatisch für eine Inszenierung, die in erster Linie auf optische Effekte setzt, die aber auch nicht so überwältigend ausfallen und auch von der technischen Mannschaft nicht so fix und souverän bewerkstelligt werden, dass man darüber die Schwächen einer oberflächlichen Personenzeichnung und sehr konventionellen Personenführung vergessen würde, die umso mehr erstaunen, als der Regisseur sich offensichtlich intensiv mit der Vorlage auseinandergesetzt hat (viele Details belegen dies). Immerhin, die Geschichte wird mit großer Klarheit erzählt und nicht über Gebühr verfremdet, aber berühren kann das Ganze anders als die zu Beginn der Saison 2002/2003 in Liège gezeigte Produktion aus Strasbourg nicht.

Vergrößerung in neuem Fenster

Die Hunnen Attila (Nicolai Karnolsky, links) und
Uldino (Joachim Gabriel Maaß, rechts) zwingen
Odabella (Regine Hermann, am Boden) und
die anderen Frauen von Aquileja zu Boden.

Samuel Bächli hatte nicht nur eine Liste von sieben Dingen verfasst, die man als Dirigent einer frühen Verdi-Oper vermeiden sollte (und die Interessierte im Einzelnen auf der Homepage des Theaters nachlesen sollten), sondern hielt sich auch im Wesentlichen daran, motivierte die Neue Philharmonie zu einem pulsierenden, aber nie hektischen oder unkontrollierten Musizieren und verhalf so Verdis effektvoller, mitreißender Partitur nicht nur in den kompakten Tableaux zu ihrem Recht. Allein die Koordination zwischen Bühne und Graben wollte vor allem zu Beginn nicht hundertprozentig gelingen, was den Verdacht nahe legt, dass man noch ein paar Proben mehr gebraucht hätte (dies gilt besonders für einige Szenen mit dem erweiterten Chor, bei dem für mein Empfinden außerdem die Laienstimmen zu dominant waren).

Vergrößerung in neuem Fenster Sie sind Kontrahenten: Hunnenkönig Attila (Nicolai Karnolsky, links)
und der römische General Ezio (Jee-Hyun Kim).

Voller, weniger flach und vibratös als zuletzt klang der Bass des trotz allem für so anspruchsvolle Rollen noch sehr jungen Nicolai Karnolsky. Leider fehlt es dem Künstler sowohl an darstellerischer wie an interpretatorischer und vokaler Autorität, da helfen auch einige schöne Legatobögen etwa in seiner Traumerzählung wenig. Dass Jee-Hyun Kims kräftiger Bariton nicht mit dem edelsten Timbre aufwarten kann, habe ich nie verschwiegen, aber auf Grund der souveränen Höhe, seines guten Legato, der dynamischen Flexibilität, des angemessenen Einsatzes des Portamento, seines Wissens um Chiaroscuro-Effekte sowie der intensiven Textbehandlung vermochte ich über seine belegten Töne hinwegzuhören.

Vergrößerung in neuem Fenster Odabella (Regine Hermann) und
Foresto (Daniel Brenna) waren verlobt,
bevor Attila auf der Bildfläche erschien.

Über großen Applaus konnte sich auch Regine Hermann freuen, die sich trotz enger, spitzer Höhe, insgesamt zu blasser, zu wenig Farben aufweisender Stimme und nicht immer erstklassiger Bewältigung auch der virtuosen Anforderungen zwar achtbarer als Odabella schlug, als ich es mir vorgestellt hatte, und mit einigen schönen Pianotönen für sich einnahm, dennoch aber eine Fehlbesetzung für diese Partie war, die kaum weniger anspruchsvoll und dramatisch ist als etwa eine Lady Macbeth oder eine Abigaille und die man mit Namen wie Mari Parazzini (sie sang die Partie 1968 an der Seite von Boris Christoff am La Fenice), Cristina Deutekom (1972), Mara Zampieri (in dem mitreißenden Mitschnitt einer Aufführung aus der Wiener Staatsoper, die Giuseppe Sinopoli im Dezember 1980 dirigierte), Marie Krikorian (an der Seite von Nicola Ghiuselev) oder der energischen, aber gleichermaßen überforderten Dimitra Theodossiou, die die Partie im November 2000 in Triest sang (die Firma dynamic veröffentlichte diesen Mitschnitt, den ich auch auf diesen Seiten besprochen habe) im Ohr hat. Es ist mehr als verantwortungslos, ihr diese Rolle überhaupt zu übertragen, allen finanziellen und personellen Zwängen zum Trotz - wenn man die Sänger für bestimmte Werke nicht hat, dann muss man entweder nach anderen Opern suchen oder Gäste engagieren. Für die Partie des Foresto hatte man einen solchen gefunden, aber Daniel Brenna irritierte bei seinem Europadebüt nicht nur mit einem Zuviel an erläuternden Gesten, das an Sängerparodien erinnerte, sondern auch mit seinem trotz aller Abdunklungsversuche hellen, quäkigen Tenor, der auf Lautstärke getrimmt wird, aber gerade im Piano sehr dünn und farblos klingt. Das Falsettieren von hohen Tönen und das reichlich willkürliche Interpolieren von Acuti lassen auf sehr individuelle Vorstellungen von erfülltem Verdigesang schließen, die sich mit denen des Berichterstatters nicht decken. Daneben überzeugte William Saetre in der kleineren Rolle des Uldino, über Joachim Gabriel Maaßs Leone lässt sich wenig schreiben, da seine Stimme stark verfremdet aus den Boxen drang.

Vergrößerung in neuem Fenster

Odabella (Regine Hermann) schüttet die
Asche ihres Vaters auf den mit dem Tode
ringenden Attila (Nicolai Karnolsky)
- Foresto (Daniel Brenna, rechts) ist entsetzt.


FAZIT

Es wäre übertrieben zu sagen, dass das Experiment gescheitert wäre, aber ein neues Kapitel in der Rezeptionsgeschichte der frühen Opern Verdis wurde mit dieser Produktion auch nicht aufgeschlagen.


Ihre Meinung
Schreiben Sie uns einen Leserbrief
(Veröffentlichung vorbehalten)

Produktionsteam

Musikalische Leitung
Samuel Bächli

Regie
Andreas Baesler

Bühne
Hermann Feuchter

Kostüme
Ulli Kremer

Dramaturgie
Wiebke Hetmanek

Chor
Nandor Ronay



Chor und Extrachor des
Musiktheaters im Revier

Statisterie des
Musiktheaters im Revier

Neue Philharmonie
Westfalen


Solisten



* Alternativbesetzung

Attila,
König der Hunnen
Nicolai Karnolsky

Ezio,
römischer General
Jee-Hyun Kim

Odabella,
Tochter des Herrschers
von Aquileja

Regine Hermann

Foresto,
Ritter aus Aquileja
Daniel Brenna

Uldino,
ein junger Bretone
* Hernando Riano/
William Saetre

Papst Leo I.
* Laurence Albert/
Joachim Gabriel Maaß




Weitere
Informationen

erhalten Sie vom
Musiktheater im Revier
(Homepage)



Da capo al Fine

Zur OMM-Homepage Musiktheater-Startseite E-Mail Impressum
© 2004 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: oper@omm.de

- Fine -