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Die Vision vom Ende des alten Europa
Von Stefan Schmöe
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Fotos von Rudolf Majer-Finkes
Alles Avantgardistische scheint dieser Musik fremd zu sein. Statt dessen geht von der Partitur von Der Spiegel des großen Kaisers eine betörende Sinnlichkeit aus, eine Schönheit im traditionellen Verständnis. Eine Welt voll atmosphärischen Zaubers hat Klaus Angermann das genannt (nachzulesen im Opernführer Online auf den Web-Seiten des Musiktheater im Revier). Trotzdem untermalt diese farbige, ja durchaus malerische Musik nicht einfach das Geschehen, sondern schafft eigene Klangräume, die das Drama erst tragen. Mit seinen raffinierten Mixturen erinnert das an Ravel, Debussy, mitunter auch an Strauss und auch an Glanerts Lehrer Hans Werner Henze. Ein düsteres Ende leuchtet der Welt bereits im Prolog herauf: Der Pabst (Jee-Hyun Kim) als Gegenspieler des Kaisers
Vor allem aber hat Detlev Glanert entscheidendes Gespür für theatralische Situationen, in denen die Musik wirken kann, ohne Anhängsel des Textes zu werden. Das wird frappierend deutlich im Vergleich mit den Uraufführungen, die praktisch zeitgleich an benachbarten Bühnen stattfanden: Kokain in Bonn und Das Treffen in Telgte in Dortmund. Zwar ist Glanert nicht gefeit, mitunter plakativ tonmalerisch zu komponieren (im Spiegel des großen Kaisers etwa gibt es eine klingende Uhr), aber solche Elemente schaffen eine klare Struktur. Es gibt ganz klassisch Arien und Ensembles, es gibt klare tonale Beziehungen und Harmonien (ohne dass diese anbiedernd in Musical-Sound ausarten würden). Und es gibt ein gutes Libretto (vom Komponisten selbst und Ulfert Becker nach der gleichnamigen Novelle von Arnold Zweig aus dem Jahr 1926), in dem alles passt. So ist es beinahe verwunderlich, dass diese Produktion erst die dritte dieser Oper (nach der Mannheimer Uraufführung 1995 und einer erfolgreichen Inszenierung in Krefeld / Mönchengladbach unser Bericht) ist; sie wird in der kommenden Spielzeit dann auch noch im Stadttheater Münster, das hier als Koproduzent auftritt, zu sehen sein. Visionen vom Ende: Der Spiegel mit seinen Hütern (Elise Kaufman, Charles Moulton)
Der Spiegel des großen Kaisers ist eine Parabel, angesiedelt in der Zeit des Staufers Friedrich II. (1194 1250): Der kann mit Hilfe eines Spiegels in die Zukunft schauen und erblickt das nahende Ende der Staufer-Dynastie, aber auch den Zerfall Europas in den Schützengräben von Verdun. Seiner Illusion, eine feste Weltordnung geschaffen zu haben und zu beherrschen, wird der Boden entzogen. Regisseurin Rosamund Gilmore widersteht dankenswerterweise der Versuchung, den Stoff vordergründig zu aktualisieren, sondern versetzt ihn aus der ohnehin nur vage umrissenen historischen Situation in eine Märchenwelt in unbestimmter Zeit. Der Kaiser trägt hier eine gelbe Pappkrone; und nicht nur der Besetzung mit dem Koreaner Jee-Hyun Kim wegen gibt es dezente Anklänge an fernöstliche Kulturen. Diese Märchenatmosphäre korrespondiert sehr gut mit der Musik Glanerts, mildert aber die tragische Seite des Werks keineswegs ab. Jee-Hyun Kim vegestaltet mit kräftigem, leicht rauem, aber sehr intensivem Bariton und sparsamer, aber bewegender Gestik den Kaiser als Schmerzensmann: Ein Philosophenkönig in der Erkenntnis des eigenen Scheiterns. Das ist große Oper. Fernöstlicher Schmerzensmann: Jee-Hyun Kim als Kaiser
Klangbeispiel: Ensemble
Das Markenzeichen von Regisseurin Rosamund Gilmore ist der Einsatz von Tänzern (was bisher in ihren Gelsenkirchener Arbeiten mehr bemüht als überzeugend wirkte, siehe unsere Rezensionen von Turandot und Parsifal). Hier hat endlich das richtige" Stück gefunden, denn die choreographischen Elemente verstärken die überzeitliche und allgemeingültige Seite der Erzählung. Auch wenn sich diese Mittel gelegentlich verselbstständigen, so entwickeln viele getanzte Szenen ein hohes Maß an Poesie. Die Tänzerinnen und Tänzer des Ballett Schindowski setzen das gut um; manches Detail könnte ein wenig schärfer und präziser herausgearbeitet sein. Schön ist etwa die Idee, die byzantinische Uhr" (die in regelmäßigen Abständen auftaucht, übrigens singend) choreographisch darzustellen. Der Versuch, den lauf der Dinge anzuhalten: Der Kaiser wird von Rabbi Meir (William Saetre) über die Schattenseiten der Welt belehrt
Optischer Dreh- und Angelpunkt ist natürlich der Spiegel, der sich hier als ganze Kaskade von verspiegelten Platten beeindruckend aus dem Bühnenhimmel herabsenkt. Aber auch sonst spiegelt manches im einfachen, aber überwältigend schönen und raffiniert ausgeleuchteten Bühnenbild von Carl Friedrich Oberle: Der Boden etwa, oder der aus Plexiglas-Schilden bestehende Vorhang, in dem sich das Publikum zunächst selbst erahnen kann. Den Kontrast dazu setzt die letzte Vision des Spiegels: Die Schlachtfelder des 1. Weltkriegs sind hier ersetzt durch eine Folge von deformierten Gesichtern; aber diese nicht zeitlich definierbaren Bilder wirken umso bedrohlicher (man kann darin Opfer von Verstrahlung erkennen). Ohnehin ist die Schönheit der Bilder im 2. Akt zunehmend bedroht durch die Barbarei, die auch in Gestalt von drei ziemlich rabiaten Kriegskrüppeln greifbar wird. Die Welt am Abgrund: Die Kriegskrüppel (Gudrun Pelker, Regine Herrmann, Anna Agathonos) triumphieren über Laura (liegend: Richetta Manager)
Auch musikalisch kann sich die Produktion hören lassen. Die beeindruckende Leistung von Jee-Hyun Kim, als Kaiser (und im Prolog als dessen päbstlicher Gegenspieler) auch das musikalische Zentrum der Oper, ist oben bereits gewürdigt worden. Richetta Manager als dessen Geliebte Laura glänzt mit warmem, in der Höhe sehr sicher geführten und überraschen lyrischen Sopran (in der tiefen Lage erhält die Stimme allerdings einen rauchigen, fast chansonhaften Beiklang, der hier nun wirklich nicht passt). Der Tenor von William Saetre ist in seinen Möglichkeiten begrenzt und verleiht dem kaiserlichen Berater Elisier wenig Profil. Sehr viel eindrucksvoller ist Saetre im zweiten Akt als dämonischer Armenarzt Rabbi Meir (fast jede Figur der Oper hat ein vom gleichen Sänger zu singendes Pendant wie auch die Doppelung Papst / Kaiser), den Saetre sehr nuanciert und geheimnisvoll singt und spielt. Gudrun Pelker, Regine Hermann und Anna Agathonos sind ein sehr präsentes Trio, das zunächst drei Prinzen, später die drei Kriegskrüppel zu singen hat. Elise Kaufmann mit knabenhaftem Sopran und Charles Mounton mit bewegungslosem Bass kündigen eindringlich die Erscheinungen im Spiegel an. Alena Heisig, Jasmin Sowa und Lennart Hanke verkörpern mit vibratolosen Mädchen- bzw. Knabenstimmen sehr sauber die byzantinische Uhr. Cosima Sophia Osthoff leitet umsichtig das Bühnengeschehen und die klangvoll und differenziert spielende Neue Philharmonie Westfalen.
Ein ausgesprochen bühnenwirksames Werk des zeitgenössischen Musiktheaters in einer sehr poetischen Inszenierung, eindrucksvoll gesungen Puristen mögen da allzu große Gefälligkeit bemäkeln, aber unsere Empfehlung ist: unbedingt ansehen. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung und Choreografie
Bühne und Kostüme
Choreografische Mitarbeit
Dramaturgie
SolistenDer Papst /der Kaiser Jee-Hyun Kim
Laura
Ein Prinz aus Deutschland /
Ein Prinz aus Frankreich /
Ein Prinz aus England /
Elisier / Rabbi Meir
Ein Fremder (10 Jahre)
Ein Fremder (90 Jahre)
Stimme der byzantinischen Uhr
Jasmin Sowa Lennart Hanke
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