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Perfekte Unterhaltung mit viel Gefühl
Von Thomas Tillmann
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Fotos von Rudolf Majer-Finkes
Perfekte Unterhaltung bietet Josef Ernst Köpplingers euphorisch gefeierte Inszenierung von Show Boat, die vorausgegangenen Produktionen von Musical-Klassikern kein bisschen nachsteht (man erinnert sich gern etwa an Kiss Me Kate, Anything Goes oder auch an nullvier, das Auftragswerk des 1. FC Schalke 04, das für viele ausverkaufte Vorstellungen sorgte) und ein absolutes Muss für Fans des Genres ist. Joe (Laurence Albert) singt zur Freude des Bühnenpersonals wie der Zuschauer den größten Hit der Show: "Ol' Man River".
Klangbeispiel:
Laurence Albert (Joe): "Ol' Man River"
Das Werk an sich ist natürlich schon ein sehr interessantes und bühnenwirksames: Wiebke Hetmanek bezeichnet Show Boat zurecht als einen Meilenstein in der Gattungsgeschichte, war es doch "das erste aufwendig produzierte Musical, das alle Aspekte der Show dem dramatischen Geschehen unterordnete: Die Songs wirken niemals aufgesetzt, sondern sind integraler Bestandteil der Handlung, Show-, Gesellschafts- und folkloristische Tänze weichen in ihrer stilistischen Vielfalt von der oft formelhaften Choreografie der Musicals in den 20er Jahren auf, die Partitur ist ein geschlossenes Werk, in dem Themen fast leitmotivisch aufgegriffen und verarbeitet werden. Und was vielleicht am Wichtigsten ist: So wie der Roman von Edna Ferber ein schonungsloses Bild der Zeit malt, scheut sich auch das Musical nicht, Missstände wie die Rassendiskriminierung beim Wort zu nennen. Das Musical bringt schwarze und weiße Darsteller gemeinsam auf die Bühne ... Auch in diesem Sinne wird Show Boat als das erste amerikanische Musical bezeichnet". Ellie (Elise Kaufman) und Frank (Nyle P. Wolfe) sind eine der Attraktionen auf der von Captain Andy (Joachim G. Maaß, Mitte) geführten Cotton Blossom (hinten: Anna Agathonos und Frank Berg als Julie und Steve sowie das Ensemble des MiR).
Heutzutage sind die Show Boats allenfalls noch eine nostalgische Touristenattraktion, aber vor Beginn des Siegeszugs des Kinos waren es diese Theaterschiffe, die den Farmern und Dorfbewohnern des Mittleren Westens sowie den kleinen Plantagenbesitzer des Südens mit seichten Komödien, aber auch mit einfach gestrickten Dramen Zerstreuung boten. In der Regel ließ man das Publikum zur Vorstellung an Bord kommen und sparte sich so die Mühe, die Kulissen aus- und einladen zu müssen, und oftmals war es eine Familie, die so ein Unternehmen mit strenger moralischer Zucht leitete, um so den Vorurteilen des konservativen Mittelwestens über die zweifelhafte Moral von Schauspielern zuvor zu kommen. 1910 sollen 21 Boote allein auf dem Mississippi unterwegs gewesen sein. Magnolia (Claudia Braun), die wohlbehütete Tochter von Captain Andy, verliebt sich Hals über Kopf in den Glücksspieler Gaylord (Günter Papendell).
Dem Regisseur, dessen Cenerentola meinen Chefredakteur verärgert hatte, gelingt es bei dieser bereits im Frühjahr 2002 an der Opéra du Rhin in Strasbourg herausgekommenen Produktion vorbildlich, das geschickt zwischen komischen, turbulenten und romantisch-bewegenden Szenen wechselnde Stück mit der rechten Leichtigkeit und hohem Tempo auf die Bühne zu bringen. Dabei entwickelt er viel Gespür gerade auch für die gefühlvollen Momente (wie den Abschied von Julie und Steve von der "Cotton Blossom", die Szene, in der Julie das Feld für Magnolia räumt, deren Song sie wiedererkannt hat, oder jene, in der Gay von seiner Tochter Abschied nimmt), ohne allzu sehr ins Kitschig-Melodramatische abzudriften, und es gelingt ihm beispielhaft, sympathische Figuren aus Fleisch und Blut zu zeichnen und alle Beteiligten zu engagiertem, dichten Spiel zu animieren. Zum Brüllen sind die Ausschnitte aus den wirklich schlechten Stücken, die man auf dem Showboat probt und abendlich gibt, wunderbar die Parodien des Gelsenkirchener Ensembles auf abgrundtief schlechte Schauspieler mit überkommen gestenreichem Stil (das eigentliche Highlight des Abends ist dabei zweifellos das Solo von Joachim G. Maaß, der als Captain Andy die Handlung des abgebrochenen Stücks kurzerhand schreiend komisch und mit vollem Körpereinsatz weitererzählt und dafür langanhaltenden Szenenapplaus erhält). Und auch dass Köpplinger dem zweifelhaften happy end misstraut - Gay und Magnolia treffen am Ende nach einem guten Vierteljahrhundert Trennung nicht aufeinander -, ist kein geringer Eingriff in die Vorlage, aber ein nachvollziehbarer. Uneingeschränkte Freude bieten die flotte, ausgelassene Choreografie von Ricarda Regina Ludigkeit (mit einigen rasanten Einlagen für die Mitglieder des Balletts Schindowski), Heidrun Schmelzers aufwändige, wunderbar stimmungsvoll ausgeleuchtete Dekorationen im Südstaatenepos-Ambiente - zurecht hat man das Technikteam zum Schlussapplaus auf die Bühne gebeten, dem erstaunlich zügige Szenenwechsel gelungen waren! - und die schicken, den verschiedenen Handlungszeiten angepassten Kostüme von Marie-Luise Walek. Joe (Laurence Albert) ist der Hahn im Korb der munteren Küchenrunde (Richetta Manager als Köchin Queenie, Anna Agathonos als Julie, Barbara Johnson als Anna Mae und Claudia Braun als Magnolia).
Großen Anteil am Erfolg hatte zudem Cosima Sophia Osthoff, die mit der um eine Band verstärkten Neuen Philharmonie Westfalen die wunderbar melodiöse, romantische Partitur von Jerome Kern zum Klingen brachte und das Ensemble sensibel, aber mit großer Autorität begleitete; in manchen Momenten freilich hätte ich persönlich mir eine weniger üppige Orchesterbesetzung und noch beschwingtere Tempi gewünscht. Ausgelassene Stimmung herrscht am Silvesterabend im "Trocadero" (Ensemble des MiR).
Noch mehr in ihrem Element als bei ihren Opernpartien scheint Claudia Braun zu sein, die eine wunderbar mädchenhafte, berührende Magnolia gibt, einem in den ernsten Szenen die Tränen in die Augen treibt und auch sehr gefühlvoll und dank Microport ohne übermäßigen Krafteinsatz sang. Für ihren Bühnenpartner Gaylord hätte man sich allerdings einen präsenteren Interpreten als Günter Papendell gewünscht, der auch wahrlich keinen Weltklassebariton in der Kehle hat. Das Publikum störte sich kein bisschen an der Premierennervosität von Laurence Albert, der einen sehr idiomatischen Joe gab, aber arge Probleme mit den hohen Tönen des unverwüstlichen "Ol' Man River" hatte (das klingt viel besser im Klangbeispiel!), und freute sich über Richetta Manager, die als kochendes Energiebündel Queenie abräumte, und auch Eva Tamulenás als rollengemäß unsympathische, geizig-moralisierende Parthy, Elise Kaufman als kühle, ambitionierte Opportunistin Ellie, Nyle P. Wolfe als ihr Partner Frank, der den Säufer schlecht spielt, aber ansonsten ein durchaus sympathisches "Weichei" abgibt, und besonders die nicht nur mit einem hinreißend interpretierten "Bill" anrührende Anna Agathonos sollen stellvertretend für viele andere aus dem riesigen, wenig Schwachpunkte aufweisenden Ensemble erwähnt werden.
Wer einen unterhaltsamen Theaterabend voll Schwung und Gefühl erleben will, sollte sich schnell Karten für das Gelsenkirchener Show Boat sichern! Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Regie
Choreografie
Bühne
Kostüme
Dramaturgie
Chor
Sounddesign
Solisten* Alternativbesetzung Captain Andy Hawks Joachim G. Maaß
Parthy Ann, * Inez Timmer
Magnolia, * Regine Hermann
Gaylord Ravenal, Günter Papendell
Julie La Verne, * Anke Sieloff
Steve Baker,
Ellie May Chipley,
Frank Schultz,
Queenie,
Joe,
Anna Mae,
Windy,
Rubberface,
Pete,
Vallon,
Hinterwäldler, Jeb
Sergey Fomenko
Vermieterin
* Birgit Brusselmans
Ethel,
Oberin
Nonnen
Claudia Hauf
Kim
* Denisa Mujovic * Anna Fechner * Annalena Hartmann
Jim,
Jake,
Swaneey Sisters
Claudia Hauf
Charlie,
Dolly, Lottie, Hazel
Claudia Hauf Gabriele Ernesti
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