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Alter Meister für frühen Verdi
Von Thomas Tillmann
Für fünf konzertante Aufführungen von Verdis erster "Schiller-Oper" Giovanna d'Arco hatte die Vlaamse Opera noch einmal den Clemens-Krauss-Schüler Silvio Varviso gewinnen können, der über so viele Jahre als fester Gastdirigent der Flämischen Oper so manchen bemerkenswerten Abend verantwortete und auch an diesem Nachmittag am Pult des Symfonisch Orkest große innere Spannung zu erzeugen und ein packendes, glutvolles, saftiges, flottes Musikdrama voller wohl überlegter Rubati und aufregendem Brio zum Klingen zu bringen verstand, keinen weichgespülten, glitzernden, verhetzten Verdi. Und man weiß bei Dirigenten von diesem Schlag eben bereits nach dem ersten Takt, wie der letzte klingen wird, und spürt den Respekt vor dem Werk, nicht die Arroganz, sich beim Publikum für die Ecken und Kanten eines Frühwerks posthum entschuldigen zu wollen. Ursprünglich hatte Michèle Crider unter der beeindruckenden Holzbalkenkonstruktion des historischen De Bijloke-Konzertsaals in Gent und in der Stadsschouwburg Antwerpen die schwierige Titelpartie singen sollen, war dann aber durch Nelly Miricioiù ersetzt worden, die sich aber nicht rechtzeitig von einem hartnäckigen Virus hatte erholen können, und so war man in Gent froh, dem Publikum Marina Mescheriakova anbieten zu können, die immerhin 1997 ihren Durchbruch als Elisabetta di Valois bei den Salzburger Festspielen hatte, inzwischen zu meinem größten Erstaunen in Wien, London, Mailand und an der New Yorker Met gesungen und mit Jérusalem und Alzira auch einige Werke des Genres hat einspielen können. Ihr bei Naxos herausgekommenes, interessant zusammengestelltes Recital gefiele mir ehrlich gesagt besser, wenn es eine stilistisch wie vokal versiertere Interpretin hätte. Die Stimme der Russin ist eine recht allgemeine, volle, aber wahrlich nicht dramatische und besonders in der manches Mal mit Gewalt attackierten Höhe bereits etwas steife, in der Mittellage zu breit geführte und hinsichtlich der Intonation skandalös ungenaue, was mir mehr und mehr unerträglich wurde, die Mehrheit der besonders trägen Zuschauer aber nicht zu stören schien, die übrigens auch durch Bravorufe nach gelungenen Solistenbeiträgen lieber nicht gestört werden wollten. Im Piano spricht der ein frauliches Vibrato aufweisende Sopran übrigens bei weitem nicht so leicht an wie im favorisierten Forte (einzelne sehr gelungene Töne im zweiten Teil bildeten eher die Ausnahme als die Regel), Verzierungen werden mehr schlecht als recht bewältigt und werden nicht zu Ausdrucksmomenten erhoben, geatmet wurde, wenn es gerade (nicht) passte, die keinerlei Respekt vor Werk und Komponist oder stilistische Kompetenz erkennen lassende Interpretation überhaupt bleibt eine pauschale und unbedeutende - auf das Pathos und die bemerkenswerte Identifikation der jungen Tebaldi, den überrumpelnd schönen Ton der zu Beginn der siebziger Jahre so vielversprechenden und dann von Karajan "hingerichteten" Katia Ricciarelli oder die Raffinesse und Ausdrucksintensität einer Nelly Miricioiù wartete man vergebens und überlegte bei sich, wie viel besser Sängerinnen wie Elena Nebera in Dortmund, Galina Shesterneva und Ludmila Slepnewa in Mannheim oder auch Iano Tamar sich hier geschlagen hätten. Über Stefano Seccos delektablen Tenor hatte ich bereits angesichts seines hervorragenden Gualtieros bei der Pirata-Matinee in Amsterdam geschwärmt, aber auch vor noch zu dramatischen Partien gewarnt, zu denen ich den Carlo VII durchaus zähle. Aber natürlich ist der strahlend-konzentrierte Klang seines hellen, schlanken, sensibel geführten und auch in verzierteren Passagen nicht überforderten Tenors eine Wohltat für das Ohr, seine messa-di-voce-Effekte und sein Legato vorbildlich und mit Geschmack eingesetzt, sein Bemühen um die Durchdringung des Textes hervorzuheben, die Emphase seines Singens ebenso rührend wie sein "darstellerischer" Einsatz am Notenpult. Bruno Caproni, der an der Vlaamse Opera als bemerkenswerter Miller in Luisa Miller als kompetenter, kraftvoller Verdibariton in bester Erinnerung ist, wurde auch als Giacomo gefeiert, und das nicht nur wegen seiner bekannten vokalen Qualitäten, die ihm immer wieder und zurecht Einladungen an die ersten Häuser in New York, London, Mailand und Wien eintragen, sondern weil er auch als Interpret kommunikativer und interessanter geworden ist, im Verlauf des Konzerts immer gelöster wirkte und auch manchen interpolierten Spitzenton mit Erfolg riskierte, ohne deswegen Feinheiten zu kurz kommen zu lassen. Der über einen interessant timbrierten Bass verfügende Kurt Gysen und Eric Raes boten in den Comprimari-Partien solide Qualität, was als Beschreibung der exzellenten Leistung des Koor van de Vlaamse Opera und dem dazu engagierten Vocaal Collectief eine nicht zu entschuldigende Untertreibung wäre (ein Kompliment für die großartige Einstudierung an Celso Antunes!). Einmal mehr wurde einem bewusst, dass man beim Stagione-Prinzip einfach ein höheres Niveau erzielen kann als beim an den meisten deutschen Häusern immer noch favorisierten Repertoirebetrieb, was freilich keine Entschuldigung sein kann für die mitunter haarsträubenden Vorstellungen, die letztgenannte Kollektive sich mitunter erlauben.
Auch wenn die Starsopranistin arg enttäuschte, bin ich froh, dieses wunderbare Frühwerk Verdis einmal live gehört zu haben, zumal Tenor, Bariton und Dirigent einiges wieder gut machen konnten. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Chorleitung
Solisten
Giovanna
Carlo VII
Giacomo
Talbot
Delil
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