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Eine Liebesgeschichte aus NachkriegszeitenVon Stefan Schmöe / Fotos von Klaus LefebvreHätte Mozart keine weitere Oper geschrieben, der Idomeneo wäre eines der Gipfelwerke der Gattung. Ein Meisterwerk, das die opera seria von innen her sprengt, indem es die Personen mit einer musikalischen Emotionalität auflädt, der die konventionelle Form nicht mehr standhält. Das unerhört neuartig eingesetzte Orchester dient nicht mehr der unauffälligen Begleitung, sondern fegt selbstherrlich die Tradition hinweg: Ein Sturm-und-Drang-Geniestreich ohnegleichen. Die See ist an allem Schuld: Im Sturm hat Idomeneo (Roberto Saccá) gelobt, den erstbesten Menschen an Land den Göttern zu opfern. In der Inszenierung von Christof Nel ist die See nur noch Zitat. Nun hat Mozart aber weitere Opern geschrieben, und mit den Libretti von Lorenzo da Ponte im Trias von Figaro, Don Giovanni und Cosí fan tutte singuläre Werke komponiert, die in ihrer unvergleichlichen Genialität auch dem Idomeneo die Grenzen aufzeigen - und selbst in diesen drei Gipfelwerken fallen die zweiten Teile mit ihren retardierenden Arien hinter den musikalischen und inhaltlich-dramaturgischen Furor der Anfangsakte zurück. Noch viel deutlicher wird dies in den vergleichsweise statischen Nummern des 1780-81 entstandenen Idomeneo: Das Libretto des mäßig begabten Giambattista Varesco lässt kaum Entwicklung zu. Weil Kreterkönig Idomeneo in höchster Seenot geschworen hat, den ersten Menschen an Land als Preis für seine Rettung zu opfern und ausgerechnet auf seinen Sohn Idamante trifft, wird drei Akte lang geklagt und gehofft, aber nicht agiert bis ein deus ex machina ebenso theatralisch wie unglaubwürdig die Rettung bringt. In den Arien wird das Schicksal besungen, aber nicht verändert - das wird in den späteren Opern Mozarts gänzlich anders sein. Noch ein Seestück, diesmal in Öl. Ilia (Ausryne Stundyte), verliebt Idamante, aber als Kriegsgefangene mit wenig Hoffnung, versteckt sichb da lieber unter dem Tisch. Idomeneo aber tritt, musikalisch ganz wunderbar, drei Akte lang auf der Stelle. Nichts als das Unausweichliche passiert - für einen Regisseur eine Zumutung. Christof Nel versucht in seiner Inszenierung das zu zeigen, was sich nicht im Libretto, wohl aber in der Musik abspielt: Ein Geflecht aus erfüllbarer wie unerfüllbarer Liebe. Die äußere Handlung kommt als Zitat vor, mit einer Pappkrone für Idomeneo, mit einem Aquarium als Zeichen der alles verschlingenden schicksalhaften See. Manches wird als Theater auf dem Theater gezeigt (auf der Bühne sieht man eine weitere Bühne, wie man sie in Gemeindehäusern der 50er und 60er-Jahre finden konnte), und vieles bleibt uneindeutig: Nel überträgt die Handlung nicht, sondern deutet sie nur an - mit viel Assoziationskraft und Denk-Verweise in unterschiedlichste Richtungen. Nel zieht dezent Parallelen zwischen der Handlung kurz nach dem trojanischen Krieg und den Jahren nach dem 2. Weltkrieg. Trümmerfrauen, allmählich einsetzende Zeichen von Wohlstand, aber immer auch Menschen ohne Heimat werden vorsichtig angedeutet. Die Menschen altern, bekommen weiße Haare aber es gibt keinen eindeutigen Zeitablauf in dieser Inszenierung, verschiedene Sphären verlaufen fast unabhängig voneinander. Dies gibt den Rahmen für die eigentliche Handlung ab, die sich auf die Hauptfiguren konzentriert. Auch Elettra (Viktoria Loukianetz) liebt Idamante - was Idomeneo allerdings auch nicht weiter hilft, denn der soll Idamante den Göttern opfern. In den Fokus stellt Nel nicht den unglücklichen König, sondern dessen Sohn Idamante, das Opfer als heranwachsenden Mann, jung verliebt und im Begriff, sich von der Generation des Vaters zu lösen. Ein Stück über den Generationenkonflikt also. Und selten ist eine Hosenrolle so überzeugend besetz worden wie hier: Joslyn Rechter spielt und singt den Idamante im Schlabberlook derart burschikos und dabei jugendlich strahlend, dass man ihr den Jüngling jenseits alles Artifiziellen sofort abnimmt. Und ihr / ihm gegenüber stehen zwei Mädchen, scheinbar eben der Pubertät entwachsen und noch viel zu jung, um dem großen Schicksal gewachsen zu sein, und dennoch stark genug, allem zu trotzen: Viktoria Loukanietz als aggressiv-dramatische Elettra, furios in der vokalen Attacke einerseits, Ausryne Stundyte als mädchenhaft-verhaltene, dann aber lyrisch aufblühende Ilia andererseits. Beide Stimmen sind noch nicht vollends ausgereift, haben noch ihre jugendliche Unebenheiten, aber es ist eine unmittelbar überzeugende und durch ihre dramatische Plausibilität fesselnde Besetzung. So sei's getan: Idomeneo schreitet zur Opferung seines Sohnes Idamante (Joslyn Rechter), aber eine Stimme vom Himmel wird alles zum Guten wenden. Der adoleszenten Dreieckskonstellation ein Heranwachsender zwischen zwei liebenden Mädchen stellt Nel eine äußerlich ermüdete (stimmlich jedoch höchst präsente) Alt-Herren-Riege entgegen: Roberto Saccá ist ein von den Umständen getriebener Idomeneo, der mit seinem Freund Arbace im Vereinsheim mit allerliebsten Nelkensträußchen die schlimme Lage diskutiert. Saccás heldisch gefärbter, höhensicherer und beweglicher Tenor verleiht der Figur musikalisch die Statur des Herrschers, die in der Regie nur noch angedeutet ist. Und da auch Ray M. Wade als Arbace und Alexander Fedin als Oberpriester sowohl tenorale Eleganz als auch das nötige stimmliche Gewicht einbringen und der von Albert Limbach einstudierte Chor klangschön und präsent singt, ist es um die vokale Seite der Aufführung gut bestellt. Auch schauspielerisch überzeugt das Ensemble: Wie Ilia immer wieder schüchtern an ihrem Mantel zupft, Elettra rastlos über die Bühne streift das sind große Momente einer Inszenierung, die nicht rund ist und manche Frage offen lässt, aber dem schwierigen Werk ihrer Offenheit in der Deutung, aber auch der Genauigkeit im Detail wegen gerecht wird. Zum Guten wenden? Daran glaubt Regisseur Christof Nel wohl nicht so recht. Idamante (sitzend) und Ilia (liegend) scheinen jedenfalls ziemlich benommen angesichts der plötzlichen Wendung. Rätsel gibt dagegen die musikalische Interpretation von Markus Stenz und noch stärker von Geoffrey Lancaster am Hammerklavier auf. Beide verwischen den Unterschied zwischen Arie, Accompagnato- und Secco-Rezitativ nach Kräften. Wo Mozart nun wirklich nur die trockene Continuo-Gruppe für die Begleitung der Secco-Rezitative vorgesehen hat, spielt Lancaster perlende Läufe und Arpeggien tonleiterauf, tonleiterab, als handele es sich um die Kadenz eines Klavierkonzerts, gespielt unter spätromantischem Blickwinkel. Und auch sonst mischt sich das Hammerklavier mit seiner Klangfarbe munter ein wobei Stenz sein Orchester (in kleiner Mozart-Besetzung und im erhöhten Graben) delikat abmischt, als wolle er Debussy spielen. Möglich, dass das authentisch sein soll (beim Einführungsvortrag im Foyer sprach der Mitarbeiter der Kölner Bühnen allen Ernstes von antiker Aufführungspraxis, wegen der man Geoffrey Lancaster für den Klavierpart verpflichtet habe) - heraus kommt ein artifizielles Klanggemisch, das mehr nach Lancaster-Stenz als nach Mozart klingt. Mozarts innere Dramatik bleibt dabei oft auf der Strecke, zumal Stenz zwar mit Furor dirigiert (und das Gürzenich-Orchester dem durchaus folgt), aber viel zu oft die rhythmische Härte fehlt, Arien unkontrolliert auslaufen, plötzliche Wendungen nur so irgendwie gespielt werden. An ungenauen Abschlüssen, an den Momenten, die es zu lange dauert, ein neues Tempo zu finden, krankt die Aufführung. König sein ist eben auch nicht mehr das, was es einmal war.
Starke Bilder, starke Sänger nur die eigenwillige Klangvorstellung des Dirigenten trübt eine Aufführung, die sich auf hohem Niveau mit einem großen, schwierigen Stück auseinander setzt. Ihre Meinung ? Schreiben Sie uns einen Leserbrief |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Mitarbeit
Bühne
Kostüme
Licht
Dramaturgie
Chor
Solisten* Besetzung der rezensierten AufführungIdomeneo Thomas Mohr / * Roberto Saccá
Idamante
Elettra
Ilia
Arbace
Oberpriester
Die Stimme
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- Fine -