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Musiktheater
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Turandot

Lyrisches Drama in drei Akten und fünf Bildern
von Giuseppe Adami und Renato Simoni
Musik von Giacomo Puccini

In italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln
Aufführungsdauer: ca. 2h 25' (keine Pause)

Premiere im Opernhaus Köln
am 25. November 2004

Logo: Oper Köln

Bühnen der Stadt Köln
(Homepage)

Rätselhafter Torso

Von Thomas Tillmann / Fotos von Klaus Lefebvre

Es lag eine merkwürdige Spannung über diesem Premierenabend im November: Günter Krämer, langjähriger Generalintendant der Kölner Bühnen, war noch einmal zurückgekommen an seine alte Wirkungsstätte, um seine möglicherweise letzte Inszenierung an diesem Haus zu präsentieren, mit einigen alten Mitstreitern und vor einem Publikum, das seine Werksichten entweder geliebt oder gehasst hat, das aber selten unberührt das Opernhaus am Offenbachplatz verließ. Und auch diesmal stellte sich das typische Buhkonzert ein, das durch nicht minder hörbare Bravorufe noch verstärkt wurde und das Krämer als Beweis für freigelegte starke Emotionen bei den Zuschauern so sehr genießt, wie er dem Rezensenten vor einigen Jahren in einem Interview gestand. Mir ging es wie manchem Kollegen: Wir haben seine Inszenierungen nicht immer geliebt, wir haben uns an manchem Detail gerieben und manche Wiederholungen und Manierismen und auch den mitunter allzu streng erhobenen pädagogischen Zeigefinger getadelt, aber anders als manche Verirrungen und Belanglosigkeiten auf den Bühnen dieser und anderer Regionen hatten und haben Krämers Produktionen immer eine gewisse Größe und Kraft, auch und gerade im Scheitern.


Vergrößerung in neuem Fenster Dem alltäglichen Schrecken in Turandots Reich - wieder einmal wird ein Bewerber getötet, der die Rätsel nicht zu lösen vermochte - ...

Es ist eine diskutable Entscheidung, Puccinis unvollendetes Spätwerk in der Gestalt zu präsentieren, in der es bei seiner Premiere im April 1926 zur Aufführung kam, nämlich kurz nach der Trauermusik für die tote Liù endend: Fällt die Wahl auf Alfanos Schluss, bleibt man zwar näher an Puccinis Intentionen, hat aber mit den Schwierigkeiten einer dramaturgisch unglaubwürdigeren Version zu kämpfen (besonders angesichts der auf Toscaninis Drängen hin vorgenommenen Kürzungen), entscheidet man sich für das Berio-Finale, in der das Ende der Oper letztlich offen bleibt, greift man auf eine dramaturgisch plausiblere Fassung zurück, entfernt sich aber weiter von Puccinis Absichten. Angesichts des schwachen Protagonistenpaares indes war man am Premierenabend ganz froh über das zeitige Ende, denn vermutlich hätten beide längere Strapazen nicht durchgestanden.


Vergrößerung in neuem Fenster ... versuchen die Minister (von links nach rechts: Johannes Preißinger, Miljenko Turk und Ray M. Wade jr.) zu entkommen, indem sie sich an das Idyll ihrer Besitztümer in der Ferne erinnern.

Die Handlung spielt auch bei Krämer in China, das auf das gleichermaßen an Hörsäle wie Veranstaltungszentren gemahnende Sitzreihengerüst verteilte Volk trägt wie der unbekannte Prinz samt wiedergefundenem Vater und Begleiterin von Falk Bauer entworfene dunkelblaue Mao-Anzüge der Kulturrevolution und die typischen Hüte und wird klein gehalten in einem starren Regime der Unterdrückung und Angst, der Gleichschaltung, was durch den Regieeinfall unterstrichen wird, dass Chor und Statisterie streckenweise eine an Gebärdensprache erinnernde Choreografie auszuführen haben, die vermutlich endlose Einstudierungsarbeit notwendig gemacht hat. Im Zentrum dieses menschenverachtenden Systems steht der Mythos Turandot, und zum Thema Mythos war Günter Krämer die kühle, unnahbare Schönheit Marlene Dietrichs eingefallen, und so wird dem persischen Prinz im Kostüm eines affenartigen Ungetüms (in der Pause wurde angeregt die Frage diskutiert, ob dies eine Anspielung auf Marlenes Outfit in Blonde Venus ist und ob Männer sich nicht wirklich häufig zum Affen machen müssen, wenn sie um Frauen werben) eine magisch angestrahlte Maske der Diva entgegengehalten, wenn der Chor vom blassen Mond singt. Der Freier indes verbrennt nicht wie eine Motte im Licht, sondern wird von einem Soldaten erschossen und bekommt von den Ministern ein Schild mit dem Satz "Ecco l'amore" verpasst - dies ist freilich der einzige Moment, in dem der Verfremdungseffekt, der Ping, Pang und Pong weiße Tafeln mit ihren Namen und ihrem in italienischer, deutscher und chinesischer Sprache präsentierten Text wie in Brechtschen Lehrstücken mitführen lässt, einige Wirkung entfaltet. Die sehr ruhige, kühle, statische, ja fast rituelle Erzählweise im ersten Akt ist sicher nicht jedermanns Sache, aber der unterschwelligen Spannung dieser Bilder konnte ich mich schwer entziehen.

Wenn man nach der langen Pause vor dem zweiten Akt den Zuschauerraum wieder betritt, erblickt man eine Frau im traditionellen chinesischen Kostüm an der Rampe. Bevor diese jedoch ihren großen Auftritt hat, lauscht man noch einmal den Ministern, die im kühlen, ganz in geometrischen Formen gehaltenen Großraumbüro (oder ist es ein Klassenzimmer, das Bühnenbildner Ulrich Schulz hier im Blick hatte?) dem alltäglichen Schrecken in Turandots Reich - veranschaulicht durch die wie ein skurriler Leichenberg wirkende Gruppe fast nackter, weiß getünchter Freier, die auf den zusammengestellten Tischen kauern und mit einem Eimer Blut übergossen werden - wenigstens gedanklich entfliehen möchten und sich für ihren Traum vom kleinen Spießerglück in Freizeitkleidung und auf eine aufblasbare Plastikinsel werfen.


Vergrößerung in neuem Fenster Turandot (Nina Warren, rechts) reinszeniert das Leid ihrer Ahnin Lou-Ling (Silke Rosenbusch, links).

Und dann schreitet sie in den magischen Kreis, den Soldaten aus Bergen von roten Büchern errichtet haben, jene Frau, die man wegen der großen exotischen Robe zunächst für die dem Stück den Titel gebende Prinzessin hält, während am aus edlem Holz gefertigten Schminktisch eine der mit weißer Perücke ausgestatteten Putzfrauen Platz genommen hat. Dass sie die eigentliche Turandot ist, begreift man, wenn der Mund der anderen - Lou-Ling, die Ahnfrau der aktuellen Herrscherin, deren Schicksal diese so sehr verinnerlicht hat - in stummen Schrei verharrt (wie es übrigens im Text steht, da kann man Krämer nichts vorwerfen) und sie von der anderen in die richtigen Posen gestellt wird: Turandot selbst reinszeniert akribisch das Leid ihrer Ahnin, versucht den nachgefühlten Schmerz in Alkoholrausch, beklemmendem Zynismus, lauter und aufgesetzter Fröhlichkeit zu ertränken. Kalaf trägt nun das Affenkostüm, das Bett wird nach vorn geschoben, in dem sich Turandot inzwischen räkelt, gelangweilt von einem weiteren Bewerber, der sich allerdings von vorgetäuschter Autoaggression und auf ihm verteilten Eiswürfeln ebenso wenig beeindrucken lässt wie sie, als dieser auch das dritte Rätsel löst. Am Ende des zweiten Akts liegen beide im Bett, Turandot wehrt sich nicht, fasst in der Erkenntnis, ohnehin keine Chance zu haben, selber zu ihm rüber und ergreift seine Hand, während der jetzt arg dümmlich und selbstzufriedene Prinz sich plump in der edlen Bettwäsche breit macht - eine ungewöhnliche, verstörende, heftige Buhs provozierende, aber ungemein spannende Sichtweise auf diese zweite Szene des zweiten Aktes, ein vielschichtiger, sezierender Blick auf eine komplexe Frauenseele auch, der lange nachwirkt, während das Folgende merkwürdig konventionell vor sich hinplätschert, wenn man davon absieht, das Liù versucht, die Prinzessin zu töten, was nicht recht überzeugt. Nicht recht entschlüsseln konnte ich auch, ob Turandot und Lou-Ling Liù letztlich umbringen, um sie dann doch zärtlich wiegend in den Armen zu halten - die Foltermethode erinnert stark an das, was Lou-Ling zuvor erlebt hat -, während das abschließende Herumgeistern der Figuren auf der Bühne Puccinis nicht ausschließlich auf seine unheilbare Krankheit zurückzuführenden Schwierigkeiten, das Stück zu einem plausiblen Ende zu führen, sinnstiftend illustriert. Was man Krämer dagegen vorwerfen kann, ist der Umstand, dass er wenig Interesse für die Befindlichkeit Kalafs entwickelt, und auch das Schicksal Liùs und Timurs gerät ziemlich in den Hintergrund, die Auftritte der Minister halten die Haupthandlung in dieser Produktion fast noch mehr auf als in anderen, Altoum bekommt man erst gar nicht zu sehen.


Vergrößerung in neuem Fenster Noch wehrt sich Turandot (Nina Warren) gegen den neuen Verehrer (Sidwill Hartman).

Viel problematischer geriet die sängerische Seite des Abends: Nina Warren war in den letzten Jahren eine gesuchte Interpretin besonders von Rollen wie Salome und Fidelio, aber auch eine imponierende Küsterin in Jenufa und Minnie in La Fanciulla del West, in Köln erinnert man sich an die gleichfalls mit Krämer erarbeitete Nyssia in Der König Kandaules, an Marietta in Die tote Stadt und an ihre Emilia Marty in Die Sache Makropoulos, zumal die Amerikanerin eine faszinierende, charismatische Actrice von großer Bühnenwirkung ist. Die Stimme indes klingt inzwischen bedauerlich flach, unflexibel und hart, weiß und müde, sie hat jeden Glanz und die nötige Kraft für solche Rollen verloren, und auch die Intonation war stellenweise bei grundsätzlicher Bewältigung der mörderischen Tessitur eher approximativ als exakt.


Vergrößerung in neuem Fenster So ganz kann Turandot (Nina Warren) es noch nicht fassen, dass Kalaf (Sidwill Hartman) ihre Rätsel gelöst hat.

Wenig Freude kam auch auf angesichts Sidwill Hartmans zwar legatostarken, aber viel zu hellen und farblich eindimensionalen, einige kehlige Nebengeräusche aufweisendem Tenor auf, für den die Partie des Kalaf deutlich eine Nummer zu groß ist, zumal der Künstler dieses Handicap kein bisschen durch eine durchdachte Interpretation oder überzeugende Darstellung überspielen konnte, was manche so störte, dass sie Buhrufe nicht zurückhielten. Viel zu viel Applaus bekam Iride Martinez, die für die Liù auch erheblich zu wenig Stimme und Farbe in derselben besitzt (und ich habe in dieser Partie nicht nur Renata Tebaldi, Leontyne Price, Galina Wischnewskaja oder Leona Mitchell im Ohr), da hilft der schönste Pianoeffekt und die größte Phrasierungskunst in den Arien nichts. Arutjun Kotchinians Bass hat in wenigen Jahren viel von seinem ursprünglichen Klangreichtum verloren, wobei der reife, schüttere Ton zur Rolle des Timur natürlich passte. Den besten Eindruck hinterließen somit die Interpreten der drei Minister (Miljenko Turk, Johannes Preißinger und Ray M. Wade jr.) und Alexander Fedin als Altoum, während Opernstudiomitglied Timm de Jong ein für sein Alter bereits erstaunlich fad klingender Mandarin war. Dagegen befand sich der von Albert Limbach einmal mehr gut vorbereitete Chor in glänzender Verfassung, und auch das Gürzenich-Orchester habe ich schon schlechter gehört, auch wenn dessen Spiel trotz manch atmosphärischer Momente und schönen Details unter Jun Märkls umsichtiger, kluger, aber vielleicht ein bisschen zu sehr auf die kleinstimmigen Solisten Rücksicht nehmender Leitung mich nicht wirklich mitreißen konnte.





FAZIT

Günter Krämer verabschiedet sich mit einer optisch starken, mancherlei Assoziationen ermöglichenden, bemerkenswerten Inszenierung aus der Domstadt, die irritiert, die manches Rätsel offen lässt und seltsam unfertig wirkt, was bei einem Stück, in dem es nicht zuletzt um Rätsel und deren Lösung geht und dass vom Komponisten nicht beendet werden konnte, durchaus Sinn macht. Dass das nicht jedem gefällt, kann ich nachvollziehen. Beeindruckender als die musikalischen Eindrücke war das Gesehene aber allemal.



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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Jun Märkl

Inszenierung
Günter Krämer

Bühne
Ulrich Schulz

Kostüme
Falk Bauer

Chor
Albert Limbach

Choreografie
Otto Pichler

Licht
Guido Petzold

Dramaturgie
Steffi Turre


Chor der Oper Köln
Statisterie der Bühnen Köln
Mädchen und Knaben
der Chöre am Kölner Dom
Einstudierung: Eberhard Metternich,
Oliver Sperling

Gürzenich-Orchester Köln


Solisten



Turandot
Nina Warren

Altoum
Alexander Fedin

Timur
Arutjun Kotchinian

Kalaf
Sidwill Hartman

Liù
Iride Martinez

Ping
Miljenko Turk

Pang
Johannes Preißinger

Pong
Ray M. Wade jr.

Mandarin
Timm de Jong *

Lou-Ling
Silke Rosenbusch

Der persische Prinz
Dirk Mand


* Mitglied des Kölner
Opernstudios


Weitere Informationen
erhalten Sie von den
Bühnen der Stadt Köln
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Da capo al Fine

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