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La Fanciulla del West
(Das Mädchen aus dem Goldenen Westen)

Oper in drei Akten von Giacomo Puccini
Text von Guelfo Civinini und Carlo Zangarini
Nach dem Schauspiel von David Belasco

In italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3 Stunden (1 Pause)

Premiere am 18. September 2004
im Badisches Staatstheater Karlsruhe


Homepage des Badischen Staatstheaters Karlsruhe
Badisches Staatstheater Karlsruhe
(Homepage)

Goldrauschengel

Von Christoph Wurzel / Fotos von Jacqueline Krause-Burberg (Karlsruhe)

Erstes Bild: Goldgräbermine. Braun-staubiges Ambiente. Ein Steifbeiniger teilt Essen aus einem Bottich für die müden Arbeiter aus, die sich auf dem felsigen Boden oder auf Pritschen an der Seite erschöpft niederlassen. Kein Wunder, dass da Heimweh aufkommt. Einer singt davon: "Mein Vaterhaus am stillen Bache, werd ich dich jemals wiedersehn?". Ein anderer wird vom heulenden Elend gepackt, hält es nicht mehr aus, kann "kein Goldgestein mehr sehen", will gleich in die Heimat zurück. Die Männer kratzen ein paar Dollars für ihn zusammen und betäuben ihr Gefühl mit Schnaps.

Im Vordergrund sieht man eine junge Frau, vor einem Sofa kauernd schreibt sie Tagebuch. Zwei Puppen deuten ihre Wünsche an. Im Hintergrund schlägt die latente Aggression der Männer in ein gefährliches Gerangel um. Fast wird einer abgestochen. Diese Abenteurer sind schon arm dran: harte Arbeit, keine Frauen, alles grau in grau.

Vergrößerung in neuem Fenster Traum einer kleiner Kellnerin vom großen Liebesglück:
Barbara Schneider-Hofstetter als Minnie

Letztes Bild: Minnie hat ihren Traummann endlich gewonnen. Zweimal hat sie hart gekämpft: das erste Mal mit Tricks (beim Pokern), das zweite Mal hat sie durch fromme Überredung den geliebten Gangster Ramerrez alias Johnson vor der Lynchjustiz der Männer gerettet. Mit ihm schreitet sie nun ins Off ("Ade, mein Kalifornien!") und im hellen Spotlight leuchtet die Zukunft hervor - während im Bühnenraum die Goldgräber im dunkelblauen Nichts der rauen Wirklichkeit verschwinden.

Klangbeispiel Klangbeispiel: (Finale)
(MP3-Datei)


Ein Happy End also? Sicher für den Räuber Ramerrez, der immerhin dem Galgen entkommen ist. Vielleicht für die Protagonistin, die hier aber einer ziemlich ungewissen Zukunft entgegengeht. Sicher nicht für die Goldgräber, deren Engel hier gerade entschwebt.

Ein problematisches Ende also einer problematischen Opernhandlung. Zwischen der sentimentalen Sozialromantik des Beginns und der widersinnig heilen Welt des Schlusses liegt ein ziemlich kruder Plot, eine durch und durch widersprüchliche Kolportage, eine Geschichte, die das Triviale nicht nur streift, sondern direkt aus dem Stoff gemacht ist, den billige Western sonst über die Leinwand transportieren - eine richtige drei-Groschen-Oper eben: eine kleine Kellnerin verliebt sich ausgerechnet in den verzweifelt gesuchten Gangster, der just die Erträge der harten Arbeit der Goldschürfer rauben will, das Geld, das sie in ihrer Kammer verwahrt.

Angeblich war dieser Uraufführungserfolg ( mit Emmy Destinn und Enrico Caruso unter Toscaninis Leitung) Puccinis liebste Oper, seine beste sicher nicht - jedenfalls, wenn man das Libretto betrachtet.
Vor allem die Hauptfigur erscheint alles andere als glaubhaft: fromm (und arm) wie eine Kirchenmaus zockt sie gleichzeitig mit gezinkten Karten; einerseits hält sie sich selbst für dumm und naiv, andererseits ist sie ziemlich ausgekocht, im Goldgräberlager ist sie die gute Seele der liebebedürftigen Männer, aber immer noch ungeküsst und unberührt und trotz aller Frömmigkeit zögert sie nicht, den Gangster zu lieben, der sie eigentlich berauben wollte. Ein Biograf hat diese Figur Puccinis als "Hybride" bezeichnet, als eine Mischung zwischen der eigenwilligen Tosca mit den kindlichen Zügen der Mimi, den hingebungsvollen der Butterfly und den heroischen der Brünnhilde. Ein anderer hat die ganze Oper als Ausdruck der bekanntlich ziemlich neurotischen Persönlichkeit des Komponisten bezeichnet, vor allem auch die notorische Vorliebe Puccinis für Goldgräber- und Indianergeschichten.

Wie dem auch sei- den Komponisten (der auch weitgehend Librettist dieser Oper war) kann man heute nicht mehr auf die Analytikercouch legen. Ein Regisseur und Dramaturg könnte dagegen schon mit einem solchen Werk kritisch umgehen, dessen Widersprüche freilegen und entschlüsseln und die Oper sinnerhellend auf die Bühne bringen.
Doch diese Karlsruher Produktion - übrigens ein Remake aus Wiesbaden von 2002 - nimmt die Geschichte allzu sehr für bare Münze. Der Regisseur Georg Köhl nimmt Puccinis Räuber-Pistole so wie sie eben konstruiert ist. Das kann per saldo wenig überzeugen.
Dabei gelingen manche Szenen gar nicht schlecht., so die sentimentale Milieuschilderung des Anfangstableaus und der aggressive Lagerkoller der Männer. Doch warum die harten Männer so urplötzlich lammfromm den Bibelsprüchen ihrer Predigerin Minnie lauschen, bleibt auf der Bühne ungeklärt und unglaubwürdig.
Als die Oper 1910 an der Met aus der Taufe gehoben wurde, mag es noch nicht anstößig gewesen sein, Indianer radebrechen zu lassen ("Domani chiesa cantare") und sie als Wilde auszustellen ("Ugh, ugh"). Dass dies aber so stehen bleibt, sollte einem Regisseur heutzutage nicht unbedingt passieren. Das ließe sich mit etwas Ironie doch lösen.

Vergrößerung in neuem Fenster

Die Schöne und der Schurke:
Minnie (Barbara Schneider-Hofstetter)
und der Sheriff Rance (Walter Donati )

Die Personen haben zumeist klares Profil, wenn es auch zu eindimensional angelegt ist. Das geht bei bei dem eindeutigen Charakter des Sheriff Rance auch auf. Er hat ein Auge auf Minnie geworfen, blitzt aber mit seinen gewaltsamen Annäherungsversuchen bei ihr ab ("Liebe ist etwas anderes."). Viel Mühe gibt sich Walter Donati dabei, einen echten Bösewicht zu mimen, wenn es offensichtlich auch nicht zu seinen täglichen Beschäftigungen gehört, mit dem Revolver zu fuchteln. Dafür singt er die Rolle dieses Scarpia im Westernverschnitt ganz passabel und bringt mit scharfem Bariton eine Farbe von Zwielichtigkeit in das Geschehen; denn einerseits soll er der Hüter des Gesetzes sein, andererseits heizt er die Lynchjustiz ganz kräftig an.
Wenig glaubt man der Figur des Johnson, dass er der berüchtigte Straßenräuber Ramerrez sein soll. Auch das Rollenprofil von Mauro Nicoletti kann darüber nicht hinwegtäuschen. Er schlägt sich gut im Singen, sein offenes, helles Organ verströmt den Schmelz von Puccinis Tönen, vor allem in der Abschiedarie im 3. Akt, doch einen psychologisch einleuchtenden Charakter vermag man dahinter nicht zu erkennen.
Schließlich Minnie: von der Regie ist sie festgelegt auf die Träumerin vom persönlichen Glück und daher auf Ramerrez / Johnson ganz von Anfang an. Dieses Profil füllt Barbara Schneider-Hofstetter bravourös aus, ihre Zielstrebigkeit im Verfolgen des persönlichen Ziels ist packend und kann, so wie sie es spielt, wohl überzeugen. Vor allem aber ist sie eine sängerische Begabung ersten Ranges. Einen solch energischen und zugleich lyrischen Sopran findet man nicht oft. Ihre Stimme ist beeindruckend groß: in der Höhe strahlend, voll und kräftig in der Mittellage und in der Tiefe warm und körperreich. Die Venus hat sie schon in Bayreuth gesungen, in Wien die Senta. Hier wächst eine viel versprechende Wagner-Heroine heran, von der man noch hören wird. In sich also gut gemacht, aber über die Widersprüche dieser Figur kann selbst eine solch hervorragende Sängerin nicht hinwegtäuschen, wenn ihr die Regie nicht hilft.
Unter den Darstellern der Nebenrollen ragt wieder einmal Hans-Jörg Weinschenk als Kellner Nick heraus, der auch in schwachen Regiekonzepten immer eine deutliche Bühnenpräsenz beweist. Und Tero Hannula glänzt als Jake Wallace mit der sehnsuchtsvollen Heimwehballade im 1. Akt. Wohl zur trostlosen Stimmung, aber wenig zur Spannung trägt das Einheitsbühnenbild von Peter Werner bei: bis auf das Sofa vermeidet es jede Gemütlichkeit, nur Fels mit Grube und die Pritschen sind zu sehen. Die einzigen Lichtblicke im wörtlichen Sinne sind die Szenen der erwachenden Liebe zwischen Minnie und Johnson, wenn das Paar in unwirklich helles Licht getaucht wird.

Vergrößerung in neuem Fenster Der Mann, den sie haben muss:
Johnson/Ramerrez (Mauro Nicoletti, Mitte), der argwöhnische
Sheriff Rance (Walter Donati, links) und Minnie (Barbara Schneider-Hofstetter).

Uwe Sandner widmet sich mit viel Elan der farbenreichen Partitur Puccinis. Mit viel Liebe zum Detail lässt er den zahlreichen Facetten des Orchesterklangs viel Raum, bringt die vielen solistischen Valeurs im Orchester schön zur Geltung. Man hört die feinsten Nuancen von den hervorragend disponierten Bläsern bis zum leise singenden Vibrafon auf das Genaueste. Und diskret im Hintergrund vermag der Dirigent zu halten, wenn Puccinis Musik an manchen simplen Stellen auch die Grenze zum Kitsch berührt.


FAZIT

Bei allem Engagement der Beteiligten ist das Unternehmen nur teilweise geglückt. Puccinis Westernspektakel kann wörtlich genommen auf der Bühne wenig überzeugen. Ein bisschen mehr Regietheater dürfte es in diesem Falle halt schon sein.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Uwe Sandner

Inszenierung
Georg Köhl

Bühne und Kostüme
Peter Werner

Dramaturgie
Margrit Poremba

Chor
Carl Robert Helg



Statisterie des
Badischen Staatstheaters

Herren des Badischen
Staatsopernchores
und des Extrachores
des Badischen Staatstheaters

Badische Staatskapelle


Solisten

Minnie
Barbara Schneider-Hofstetter

Dick Johnson (Ramerrez)
Mauro Nicoletti

Jack Rance, Sheriff
Walter Donati

Nick, Kellner
Ks. Hans-Jörg Weinschenk

Ashby, Agent einer
Transportgesellschaft
Christof Fischesser

Jack Wallace, Bänkelsänger
Ks. Tero Hannula

Goldgräber: Sonora
Klemens Sander

Trin
Ks. Klaus Schneider

Sid
Edward Gauntt

Bello
Ulrich Schneider

Harry
Bernhard Berchtold

Joe
Cenk Biyik

Happy
Doru Cepreaga

Larkens
Luiz Molz

Billy Jackrabbit, Indianer
Peter Lobert

Wowkle, Indianerin,
Billys Geliebte
Sabrina Kögel

José Castro,
Mestize aus Ramerrez` Bande
Lázló Hegedüs

Postillon
Günter Nowak



Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Badisches Staatstheater Karlsruhe
(Homepage)



Da capo al Fine

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