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Der verdoppelte Mensch
Von Stefan Schmöe
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Fotos von Matthias Stutte Die Entschlüsselung des genetischen Codes und die sich abzeichnende Möglichkeit des Klonens von Menschen ist das auch aus ethischer Sicht beherrschende wissenschaftliche Thema unserer Zeit. Dass der Diskurs über das Machbare und das Vertretbare recht zögerlich den Kreis der Biologen verlässt und von Kunst und Literatur ebenso zögerlich aufgenommen wird, liegt sicher auch an der ungeheuren Komplexität des Themas. Wenn sich eine Oper, die als Gattung an sich weniger mit sachbezogenen Argumenten als vielmehr mit dem Transport der großen Gefühle aufwarten kann, auf dieses Gebiet vorwagt, ist das eine mutige Gratwanderung. Jörg Widmann und sein Librettist Roland Schimmelpfennig sind das Risiko eingegangen und haben eine Oper über das Klonen von Menschen geschrieben, und es ist nicht einmal eine Science-Fiction-Oper, sondern eine ganz heutige Modellsituation: Wie würden wir jetzt auf einen Klon reagieren? Der Durchbruch ist geschafft: Bruno (links). Milton (hier Richard Salter) und Patrizia diskutieren über das Klonen und Börsenkurse.
Die Handlung: Einer heruntergekommenen Biotech-Firma gelingt es kurz vor dem völligen Absturz der Börsenkurse, einen menschlichen Klon zu fabrizieren, der unverletzlich ist. Sinnigerweise wird dazu die Kopie von Firmenchefin Patrizia hergestellt. Patrizias Ehemann und Kompagnon Bruno verliebt sich in die Kopie, die auf den Namen Justine hört und die ihm erscheint wie Patrizia, wie sie einst war. Bruno verunglückt tödlich, und Patrizia hält Justine den Spiegel vor, damit sie erkennt, nur eine Kopie zu sein. Künstlicher Schöpfungsakt: Herein schwebt Klon Justine.
Nicht alles am Libretto von Roland Schimmelpfennig ist geglückt. Stellenweise ist der Text redselig und geradezu banal das soll er auch sein, wenn es um die schnöden Werte an der Börse, um Kursverluste und Patrizias Alltag als Firmenchefin geht. Dagegen soll sich die reine Gefühlswelt Justine absetzen, aber sprachlich ist das ziemlich plump. Auch verzettelt sich die Handlung, kreist um mehrere Konflikte, ohne sich für ein Zentrum entscheiden zu können. Auf der anderen Seite darf man von der Oper nicht erwarten, bioethische Fragen zu beantworten es ist bereits eine Leistung, solche Fragen im Musiktheater überhaupt aufzuwerfen. Je mehr der Text der Musik freien Lauf lässt (etwa in vielen Vokalise-Passagen, in den an Renaissance-Dichtung erinnernde Begrüßung des Morgens durch einen Chor), desto wirkungsvoller ist die 2003 im Cuvillies-Theater München uraufgeführte und in Krefeld erstmals nachgespielte Oper. Die verdoppelte Ehefrau macht das Leben allerdings nicht leichter: Bruno frühstückt mit Kopie Justine, während Original Patrizia insbesondere in sexuellen Dingen weitgehend überflüssig wird.
Auch in der Musik sind es nicht die eher oberflächlich lärmenden Passagen des Börsenalltags, sondern die tastenden Klänge, in denen sich Dissonanzen langsam, aber oft unerhört schön übereinander schieben, die nachhaltigen Eindruck hinterlassen. Vom Verhauchen bis zur Clusterbildung bauen sich die Klänge auf; in seiner sinnlichen Wirkung erinnert das mitunter an die (frühen) Klangexperimente von Ligeti oder Penderecki, dabei kammermusikalisch filigran gearbeitet. Das Orchester ist auf rund 30 Musiker reduziert, aber trotzdem in eine Vielzahl von Klangfarben aufgesplittet. Unter der Leitung von Kenneth Duryea erweisen sich die Mitglieder der Niederrheinischen Sinfoniker und Gastmusiker als ausgesprochen kompetent und meistern die Partitur mit großer Sicherheit und viel Sinn für die Klanglichkeit dieser Musik. Selbst die wilden Tiere fehlen nicht: Tamino trifft vor dem Weisheitstempel auf Pamina
Als besondere Klangfarbe fügt Widmann einen Mädchenchor hinzu Voci bianchi, also weiße Stimmen ohne Vibrato, die eine objektivere Klangfarbe haben als ein Frauenchor. Vielfach geteilt und solistisch geführt meistert der Mädchenchor der Chorakademie Kempen den anspruchsvollen Part glänzend. Und auch die vier Solisten singen ausgezeichnet. Kerstin Brix als Patrizia und Isabelle Razawi als Justine ergänzen sich stimmlich wie optisch perfekt fast gleich, aber in Klang und Ausdruck eben so unterschiedlich, wie es die Partitur verlangt. Frau Razawi besticht durch ihren ätherischen, schwebenden Klang in der hohen Lage; Kerstin Brix ist als Karrierefrau und später fast wie eine antike Tragödin leidende verlassene Gattin irdischer und dramatischer. Christoph Erpenbeck legt Ehemann Bruno vielleicht eine Spur zu bieder an, auch musikalisch die Regie überzeichnet ihn mit allzu bravem Pullunder als Spießer, der er eigentlich nicht sein müsste. Wegen einer Erkrankung in der letzten Probenwoche hatte Simon Pauly, der den Bioingenieur Milton (der Name verweist auf den englischen Renaissance-Schriftsteller John Milton und dessen Hauptwerk Das verlorene Paradies ein etwas plakativer Querbezug zum Thema Klonen) singen sollte, die Premiere absagen müssen. Kurzerhand war Richard Salter, der Milton der Münchner Uraufführung, für die Krefelder Aufführungsserie eingesprungen. Weil nun seinerseits Salter erkrankt war, kam der (noch nicht vollständig genesene) Simon Pauly in der hier besprochenen Vorstellung zu seinem Debüt und schlug sich tadellos. Leider ist auch seine Rolle von der Regie überzeichnet das Klischee vom weißbekittelten Wissenschaftler, der vor rauchenden Glaskolben agiert, wird konsequent durchgezogen. Das Gesicht im Spiegel: Justine realisiert, dass sie eine Kopie Patrizias ist.
Solche unnötigen Übertreibungen überlagern die ansonsten eindrucksvolle Inszenierung von Andreas Baesler. Dank der Übertitel ist der Text immer nachzuvollziehen; die Regie hätte da ruhig weniger überdeutlich vorgehen können, ohne das Verständnis des Stückes einzuschränken. Die Stimmung ist aber gut eingefangen. Was nach Baeslers Angaben einen konventionell gebauter Theaterraum einer heruntergekommenen italienischen Villa, die mit Designermöbeln ausgestattet ist darstellt, kann man auch vielschichtiger interpretieren: Im Bühnenbild von Harald B. Thor, das an den Wänden die Fresken der Sixtinischen Kapelle zitiert (ironisch überlagert von schäbigen Heizkörpern), lässt sich ebenso die Fabrikhalle wie einen Bunker assoziieren, aber natürlich auch einen Kirchenraum. Die großen Fenster lassen sich für Videoprojektionen nutzen, und wenn Klon Justine von der Decke heruntergelassen wird, dann ist dieser Schöpfungsakt beklemmend theatralisch realisiert. Das Gesicht im Spiegel, von Kritikern zur wichtigsten Uraufführung des Jahres 2003 gewählt, gehört sicher trotz der genannten Einwände zu den interessantesten Werken der jüngeren Operngeschichte. Die Vereinigten Bühnen Krefeld und Mönchengladbach haben beeindruckend gezeigt, zu welchen großen Leistungen auch ein Stadttheater fähig ist mit dieser Produktion brauchen sie sich auch vor großen Häusern nicht zu verstecken.
Oper mit hohem Aktualitätswert - nicht alles funktioniert, aber Das Gesicht im Spiegel ist eines der aufregensten Werke des neuen Musiktheaters nicht nur der letzten Zeit. Die Krefeld-Mönchengladbacher Produktion bewältigt diese erste Inszenierung nach der Uraufführung beeindruckend. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Choreinstudierung
Dramaturgie
Solisten* Besetzung der rezensierten Aufführung
Patrizia
Justine, ihre Kopie
Bruno, Patrizias Mann
Milton, Bioingenieur
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