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Musiktheater
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La forza del destino


Oper in vier Akten
Libretto von Francesco Maria Piave
nach dem Drama Don Alvaro o La fuerza del sino
von Angel de Saavedra y Ramírez de Baquedano
und Antonio Ghislanzoni (2. Fassung)

Musik von Giuseppe Verdi

In italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3h 45' (eine Pause)

Premiere im Großen Haus
des Oldenburgischen Staatstheaters
am 10. Juni 2004

Besuchte Vorstellung: 20. Oktober 2004

Logo: Oldenburgisches Staatstheater

Oldenburgisches Staatstheater
(Homepage)

Überraschung in der sogenannten Provinz

Von Thomas Tillmann / Fotos von Jörg Landsberg


Manchmal zieht es einen als Kritiker ja auch ins Opernhaus, wenn man nicht über eine Vorstellung berichten muss: Man setzt sich, anders als sonst, gemütlich zurück, der Block und der Kugelschreiber sind zuhause geblieben, die Angst, wichtige Details der Inszenierung oder der musikalischen Umsetzung zu verpassen auch. Etwa so ging es mir Mitte Oktober, als ich mich eigentlich nur ein paar Tage an der Küste erholen wollte. Eher zufällig fiel mir der Spielplan des Oldenburgischen Staatstheaters in die Hände, und aus gewohnter Neugier schaute ich halt doch hinein. Am 9. Oktober hatte es die Wiederaufnahme von La forza del destino gegeben, richtig - da hatte ich eigentlich schon bei der Premiere im Juni hingehen wollen. Ach ja, und Elena Nebera würde wieder die Leonora singen, deren Karriere ich seit einigen Jahren in Krefeld, Mönchengladbach und jetzt Dortmund verfolgt hatte, jene Elena Nebera, die mir als Maria Stuarda in Donizettis gleichnamiger Oper, als Verdis Lady Macbeth, als Tatjana in Eugen Onegin, als Eva in den Meistersingern oder als Liù in Turandot noch in guter Erinnerung war (vielleicht gerade, weil viele dieser Abende noch eher ein Versprechen als bereits dessen Erfüllung waren). Und wer hat inszeniert? Vera Nemirova, deren überladenen, aber nicht uninteressanten Bonner Macbeth ich noch im Kopf habe, die so hoch gerühmt wurde für ihre Fanciulla del West an der Deutschen Oper Berlin, die Anfang des Monats in Graz Premiere mit Fidelio hatte und die somit glänzend im Geschäft ist. Und am Pult Alexander Rumpf, der mit seinem Staatsorchester schon in Die Sache Makropoulos einen guten Eindruck hinterlassen hatte und dessen solide kapellmeisterliche Fähigkeiten mir aus Hagener und Dortmunder Zeiten auch noch präsent sind. Das Wetter war auch herzzerreißend schlecht, der Film im Ersten würde am Vormittag des folgenden Tages wiederholt werden, und so sprach nichts dagegen, eine Karte für diese Repertoirevorstellung zu erstehen, zumal die Preise selbst der höchsten Kategorie in Oldenburg erfreulich erschwinglich sind.

Vergrößerung Sie ist der ganze Stolz ihres Vaters: Cellovirtuosin Leonora di Vargas (Elena Nebera).

Und dann geschah das kleine Wunder. Elena Nebera war wie erwartet eine hervorragende Besetzung für die immens schwierige, bald sehr dramatische, bald wieder zarte Lyrismen erfordernde Partie der Leonora mit ihrem kraftvollen, durchschlagkräftigen, eher dunklen Sopran, der vor allem in der völlig mühelos attackierten, leuchtenden, sensationellen Höhe seine ganze Pracht entfaltet, ohne dass nennenswerte Abstriche in der freilich etwas matteren, aber immer noch durchaus präsenten Mittellage oder Tiefe hätten gemacht werden müssen - ihre Arien (für mich vielleicht die schönsten überhaupt, die Verdi für diese Stimmlage geschrieben hat!) waren die eigentlichen Höhepunkte des Abends, und das darf man dann auch während der Vorstellung mit "Brava"-Rufen kommentieren, auch wenn man damit Abonnenten verstören mag, die kaum einen Begrüßungsapplaus für den Dirigenten hinbekommen, und auch wenn man die Sängerin nicht ermuntern möchte, diese und andere schwere Spintopartien vorerst an größeren Häusern und allzu oft zu übernehmen. Nicht unerwähnt bleiben soll auch, dass die junge Russin sich inzwischen auch darstellerisch mächtig weiter entwickelt hat - das schauspielerische Ungeschick, die Befangenheit auf der Bühne scheinen wie weggeblasen, und so gelingt es der Künstlerin hervorragend, die Befindlichkeit der Figur packend umzusetzen.

Vergrößerung

Don Carlos di Vargas (Paul Brady, links) und Don Alvaro (Seung-Jin Choi, rechts) schwören sich ewige Freundschaft, ohne zu wissen, wer der jeweils andere eigentlich ist.

Nicht nur Nettes hatte man über die übrigen Protagonisten gelesen: Dass Seung-Jin Choi die Stimme in der Höhe wegbliebe als Don Alvaro etwa, was an diesem Abend keineswegs der Fall war, auch wenn man das eine oder andere Mal instinktiv die Daumen drückte. Sicher, der Koreaner übertreibt es hin und wieder mit dem Schluchzen, das er wohl prominenten italienischen Tenören der vergangenen fünfzig Jahre abgelauscht hat (auch das war mir bereits bei einer Vorstellung des Trittico aufgefallen), man hat auch netter timbrierte Stimmen mit weniger Nebengeräuschen gehört, aber etwa seine große Arie bewältigte er tadellos mit gutem Legato und erstaunlicher Identifikation, und das dunkle Fundament ist auch richtig für diese dramatische Rolle. Paul Brady gab alles als Don Carlo, aber bei ihm war die Überforderung viel eher zu hören, nicht nur an wegbrechenden Einzeltönen in der Höhe, sondern auch an der strapaziert und sehr metallisch klingenden, in offenbar ungewohnte Phonstärken gezwungenen eher lyrischen Stimme an sich; an solche Vergewaltigungen sollten diejenigen eben auch denken, die undifferenziert unkritisch immer wieder das Lob des Ensembletheaters singen. Die patriotische Kriegstreiberin Preziosilla ist in dieser Produktion nicht nur eine schrille Genrefigur, sondern erheblich aufgewertet, wenn sie zunächst als lüsterne Blondine mit Cowboyhut und Cheerleading-Outfit, später dann mit Totenkopf-Make up und mit Sense auftreten darf und so allegorisch zur Personifikation des Krieges an sich wird; die vor allem darstellerisch überzeugende Gundula Schneider kam mit der fiesen Tessitura und den bewegteren Passagen insgesamt ganz gut zurecht. Großen Eindruck hinterließ auch Fritz Vitu mit seinem reifen, aber noch immer weitgehend intakten Bass, und wirkliche Ausfälle gab es auch in den kleineren Partien nicht. Dafür freute man sich über einen von Thomas Bönisch hervorragend einstudierten Chor, der auch darstellerisch die nicht einfachen Aufgaben gut bewältigte, und auch das Oldenburgische Staatsorchester hatte einen guten Abend, denn es spielte nicht nur erstaunlich präzis und diszipliniert, sondern unter Leitung seines aufmerksamen, die Sänger gut begleitenden und ein sicheres Gespür für Stimmungen und "richtige" Tempi besitzenden Generalmusikdirektors auch voller Glut und unter die Haut gehend. Dass die berühmte "Pace"-Arie sehr breit genommen wurde, irritierte zunächst, schien aber beabsichtigt zu sein, denn so wurde auch musikalisch ein Kontrapunkt gesetzt zu der Hektik des Krieges und dem aufgewühlten Gemütszustand der Kontrahenten Carlos und Alvaro.

Und damit sind wir bei der klugen, berührenden, einfühlsamen, einfallsreichen, im besten Sinne modernen, aber keineswegs platt aktualisierenden Regie der Konwitschny-Schülerin Vera Nemirova, die das vielgescholtene Stück sehr ernst nimmt und die wahrlich problematische Handlung durchaus nachvollziehbar macht, was an sich schon eine große Leistung ist.

Vergrößerung "Hoch die Pappteller!" beim spektakulären Auftritt der kriegstreibenden Preziosilla (Gundula Schneider, bewundert vom männlichen Ensemble des Oldenburgischen Staatstheaters).

Die beliebte Sinfonia wird auf der Bühne von der Statisterie gedoubelt, am Pult steht dort der Marchese di Calatrava, ein Stardirigent, der sich in Kriegszeiten die Auftrittsorte nicht aussuchen kann, sondern an diesem Abend in einem mit Plastikfolien notdürftig dicht gehaltenen Schulgebäude gastiert (Ausstattung: Klaus Werner Noack), das später auch als Psychiatrie und Lazarett genutzt werden wird. Augen hat der reife Herr vor allem für seine Tochter Leonora, die im selben Orchester beseelt Cello spielt. Dass sie neben der Musik eine weitere Leidenschaft im Herzen trägt, versteht der Zuschauer, wenn Don Alvaro auftaucht, ein Musiker auch er, aber eben mit Saxophon, Lederkluft, langer Rockermähne und verdächtig fremdländischen Gesichtszügen, was solchen Eindruck auf die Tochter gehabt haben muss, dass der überstrenge Vater jeglichen Kontakt verboten hat. Da hilft nur fliehen, Alvaro hat modische Männerkleidung für die Geliebte dabei und stopft deren kleines Schwarzes samt den Pumps noch schnell in seinen Rucksack (wichtig für die Erinnerung in späteren düsteren Soldatentagen!), bevor der Marchese die beiden erwischt. Hier setzt die Regisseurin einen einleuchtenden Akzent: Leonora ist es, die Alvaro die Pistole wegreißt, als dieser sich selber töten will, und so trägt sie unmittelbar Schuld an der unglücklichen Ermordung des Vaters, der von der sich lösenden Kugel getroffen wird. Der Einfall hingegen, Leonora nicht ins Kloster respektive die Einsiedelei flüchten zu lassen, sondern in die Psychiatrie, ist zwar nachvollziehbar, aber nicht durchgängig schlüssig, selbst wenn man die frommen Sätze des Guardian als einfühlsame Reaktion auf Leonoras religiöse Neurosen zu interpretieren bereit ist.

Vergrößerung

Leonora (Elena Nebera, Bildmitte) hat Zuflucht in der Psychatrie gefunden, deren Insassen (männliches Ensemble des Oldenburgischen Staatstheaters) sie zur "Vergine degli angeli" stilisieren.

Überzeugend herausgearbeitet wird indes das von Verdi so sehr in den Vordergrund gestellte Verhältnis zwischen Alvaro und Carlos, der ein trauriges Beispiel dafür ist, dass Hass zum zentralen Antrieb eines Menschen für sein gesamtes Handeln und Tun werden kann. Im letzten Akt sind die beiden, deren Leben ohne den jeweils anderen nicht mehr auskommt, gleichsam wie siamesische Zwillinge aneinander geschweißt, aber trotz diverser Verletzungen gehen sie erneut aufeinander los und können auch von der um Frieden bittenden Leonore nicht mehr von ihren selbstzerstörerischen Plänen abgebracht werden.

Überhaupt ist diese Inszenierung ein bedrückendes Nein zu jeder Form von Krieg, und so geraten auch die mitunter unterschätzten, aber als Folie für die Haupthandlung so wichtigen Lagerszenen keineswegs langweilig: Cheerleader treiben das Volk zu weiterem Kämpfen an, Kriegslust schlägt plötzlich in erotische um, das ganze Bühnenpersonal fällt übereinander her und kopuliert im Zeitlupentempo, Fra Melitone besprüht das degenerierte Pack schließlich mit Pflanzenschutzmittel - das ist provozierend und böse, aber nah am Stück (in keiner anderen Oper äußert sich der politische Mensch Giuseppe Verdi so deutlich gegen den Krieg) und an der Realität des Krieges bis heute. Und dann ist man auch gern bereit, über einzelne Einfälle hinwegzusehen, die weniger überzeugen (etwa die vom Bühnenhimmel herabgelassenen Geigen beim letzten Auftritt Leonoras) oder übers Ziel hinausschießen (wie die angedeutete Vergewaltigung Preziosillas durch Don Carlo).



FAZIT

Was für ein spannender, aufrüttelnder und auch musikalisch ordentlicher Opernabend!

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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Alexander Rumpf

Inszenierung
Vera Nemirova

Bühne und Kostüme
Klaus Werner Noack

Chor
Thomas Bönisch

Dramaturgie
Anke Hoffmann



Chor und Extrachor des
Oldenburgischen
Staatstheaters

Das Oldenburgische
Staatsorchester

Statisterie


Solisten

* Alternativbesetzung



Marchese di Calatrava
Henry Kiichli

Donna Leonora
Elena Nebera/
* Ks. Marcia Parks

Don Carlos di Vargas
Paul Brady

Don Alvaro
Seung-Ji Choi

Preziosilla
Gundula Schneider

Padre Guardian
Ks. Fritz Vitu

Fra Melitone
Ks. Bernard Lyon

Mastro Trabuco
* Martin Koch/
Thomas W. Kuckler

Curra
* Annekatrin Kupke/
Sharon Starkmann

Alcade
Anthony Gardner/
* Leonard Katarzynski

Chirurgo
* Udo Bormann/
Douglas Linton


Weitere
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