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Eine Oper, deren Autoren keine Opern mögenVon Christoph Wurzel
Weder noch: dies ist keine Oper im eigentlichen Sinn, aber auch kein Konzert. Eine "Handlung" in der Form bestimmbarer Aktionen gibt es ebenso wenig wie einen fixierten Ort, an dem etwas geschieht. Figuren als handelnde Subjekte treten nicht auf. Es gibt zwar einen Text, aber der ist weder semantisch noch strukturell erfassbar, sondern bleibt nur als Idee der gedankliche Überbau von rund einer Stunde Musik. Die Klänge werden durch keinerlei Zeitgefüge strukturiert, sondern nach dem Willen des Komponisten ist es umgekehrt: Zeit konstituiert sich aus dem musikalischen Material. Dieses kennt keine Motive oder thematisch bestimmbare Elemente, sondern besteht aus "patterns", Mustern, stofflichem Tonmaterial, aus dem der musikalische Fluss sich entwickelt. In diesem abstrakt unbestimmbaren Text-Klang-Geflecht irrt fluktuierend die Phantasie des Zuhörers herum und wer sich darauf einließe, würde bald mit dem Atmen dieser Klänge verschmelzen, diese Musik erzählt nichts, bedeutet nichts, sondern ist "nur" anwesend als eigene Erscheinung. Als eine Negation der Welt versteht Morton Feldman (1926 - 1987) seine Musik, als ästhetische Verselbständigung. Er hat dies seine "Kunstrevolution" genannt - denn: "Die Welt hat keinen Sinn, es ist nutzlos, den Sinn der Welt zu diskutieren".
In diesem existenziellen Nihilismus begegnet der amerikanische Komponist dem europäischen Schriftsteller Samuel Beckett, den er 1976 bei Proben zu einem seiner Stücke in Berlin traf und um ein Libretto zu einer Oper bat. Es dürfte eine der merkwürdigsten Entstehungsgeschichten des Musiktheaters überhaupt sein. Denn bereits einige Monate zuvor hatte Feldman dem Opernhaus in Rom ein Werk von ihm in Zusammenarbeit mit Samuel Beckett versprochen, wovon jener zu diesem Zeitpunkt aber noch gar nichts wusste.
Ganze 16 Zeilen umfasst dieses wohl kürzeste Opernlibretto der Musikgeschichte und ist ebenso wie Feldmans Musik gebaut als fließender Gedankenstrom, dessen Bausteine zwar Gegenständliches bedeuten, die aber Chiffren für existenzielle Fragen sind: Schatten, Türen, Schritte, Laute, Licht und Heimstatt. Aber dieser Text wird völlig zu Phonemen atomisiert und auf Melismen reduziert vorgetragen und so in das klangliche Geschehen der Instrumente integriert.
Doch zur Oper gehört auch der visuelle Aspekt und hierzu hat das Studio AZURRO mittels Videoprojektionen beigetragen. Anders als die in eine von jeder Konkretion freie Phantasie hinweg tragende Musik führen die Bilder in einer konkreten Sehweise zu bestimmten Gegenständen hin , die als existenzielle Symbole dem Bekettschen Werk entnommen zu sein scheinen, also als die Quintessenz seines dichterischen Schaffens verstanden werden können: eine Maus oder Ratte, ein Bett, ein Schaukelstuhl, ein brennender Regenschirm, ein Koffer, ein paar ausgetretene Schuhe, eine sich öffnende und schließende Tür, die brechenden Sprossen einer Leiter, schließlich ein kahler Baum. Schwer für das Publikum - zum Subjekt der Geschichte wird jeder selbst kraft eigener Vorstellungskraft. Keine Deutung der Welt wird geboten, kein Weg zum Verstehen gebahnt. Nur ein Ausschnitt aus dem Fluss des Lebens zieht vorüber. Für das Verstehen wird jeder auf sich selbst zurückgeworfen. Dieses Werk verlangt ein Publikum, das anders zu hören, zu sehen vermag als in der Oper gewohnt. Und das war leider in der besuchten Vorstellung nicht allen gegeben: in störender Weise verließen Besucher den Opernsaal, vereinzelt nur, doch unachtsam in höchstem Maße. Dabei hätten sie sich nur einzulassen brauchen, denn provoziert konnte man sich nicht fühlen. Aber das Werk zu verneinen, ist ja auch eine Möglichkeit, sich dazu zu verhalten. Und so bewies dieses Opernprojekt auch in der Verweigerung den singulären Rang von Feldmans und Becketts radikal auf Freiheit insistierender Kunst. Offensichtlich hatte die Dramaturgie mit Verständnisbarrieren gerechnet. Akademisch, trocken und steif begann denn der Abend mit dem "Prolog", einem Halbstunden-Gespräch zweier Experten in der Manier eines Spezialistentalks auf der Bühne über die Entstehung des Werks und die Kunstphilosophie seiner Autoren. Als ein Zugeständnis an den gängigen Opernbetrieb wirkte dann noch die Pause mit Häppchen und Sekt, bevor das Eigentliche begann - und das war eine Stunde von höchster künstlerischer Anspannung.
Ein Meilenstein der innovativen Stuttgarter Opernarbeit. Besonders wertvoll, weil nicht ausgelagert ins Reservat für Modernes, sondern wie selbstverständlich einbezogen in den täglichen Opernbetrieb. Ihre Meinung ?Schreiben Sie uns einen Leserbrief |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Regie
Fotografie und Licht
Technische Realisation
Bühne
Kostüme
Dramaturgie
SolistinSopranAnu Komsi * / Petra Hoffmann * Premierenbesetzung
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- Fine -