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Musiktheater
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Otello

Oper in vier Akten
von Giuseppe Verdi
Text von Arrigo Boito
Nach "The Tragedy of Othello, the Moor of Venice"
von William Shakespeare

In italienischer Sprache mir deutschen Übertiteln

Dauer der Aufführung: ca. 3 h (1 Pause)

Premiere am 22. Januar 2005
im Staatstheater Stuttgart

Homepage Staatstheater Stuttgart

(Homepage)

Das entsetzlich normale Mobbing

Von Christoph Wurzel


Kein Mohr, kein Meer, kein zypriotischer Hafen, keine venezianische Renaissance, sondern ein kahler, nackter Bühnenraum. An drei Seiten und oben sind auf einem Holzlattengerüst Plastikplanen ausgespannt, sonst ist die Bühne leer: eine extrem unwirtliche Welt. Auf dieser Baustelle Alltag handelt das Drama. Doch die Trennlinie zwischen der Fiktion und dem realen Sein des Publikums verschwimmt vom ersten Moment an. Auch kein 16. Jahrhundert. Noch vor dem Einsetzen der Musik bevölkern Menschen wie du und ich die Bühne, schlendern herum, suchen, schauen, nur die Alltagskleidung unterscheidet sie von den Zuschauern in den Theatersesseln. Gleich wird es wie eine Naturkatastrophe über sie hereinbrechen: die ersten Takte dieses denkbar packendsten Opernbeginns. Das Donnern und Pfeifen der Sturm- und Gewittermusik aus dem Graben und das Krachen und Blitzen der Theatermaschinerie erzeugen erst einen Schock und dann einen Sog, aus dem Otello nach so gewaltigem Gewitter und Sturm zuerst physisch errettet hervorgehen, in dem er am Ende aber dann psychologisch vernichtet untergehen wird. Und der einen auch im Parkett den ganzen Opernabend über nicht wieder loslässt. Das ist das Thema von Martin Kusejs Sicht auf Verdis Oper: das plötzlich hereinbrechende Böse, gegen das es kein Entrinnen gibt und das so entsetzlich normal und alltäglich ist.

In starken Bildern mit wenigen dinglichen Elementen lässt Martin Kusej Otello ins Bodenlose fallen, provoziert und gelenkt von dem diabolisch kalt kalkulierenden Jago, der dabei so undämonisch wirkt, dass es einem Angst werden kann. Die Inszenierung lebt von einer äußersten Sparsamkeit der Mittel und einem körpersprachlich und darstellerisch präzisen Realismus, wodurch sich Bühnenfiktion und Alltagserfahrung vermischen und zu einer beklemmenden Erkenntnisrealität zusammenfließen.

Dreh- und Angelpunkt ist Jagos Credo, diese Zutat des anscheinend auf Teufel spezialisierten Arrigo Boito zum Shakespeareschen Drama. Plötzlich erscheint dieser Künstler der Hinterlist als einer von uns: Die Bühne wird zur Mitte des Handlungsraums, weil an der Hinterwand in einem Spiegel der Zuschauerraum sich verdoppelt. Unwillkürlich sucht man sein eigenes Bild, seinen eigenen Platz in diesem zur Manege gewordenen Raum. Jago singt sein Credo , "Sono scellerato perché son uomo" - "Ich bin ruchlos, weil ich ein Mensch bin", nicht nur ans Publikum gerichtet, sondern inmitten der Menschen, die seinem Treiben ebenso taten- wie fassungslos folgen müssen.

Dass dies so packend gelingt, geht auch vor allem auf das Konto des exzellenten Sängerdarstellers Marco Vratogna, der seit seinem Bühnendebut 2000 in Triest so manch schwarzen Verdi-Charakter verkörpert hat, ob Luna, Nabucco oder Macbeth. Bestechend ist sein darstellerisches Talent und sängerisch bleibt er der Partie nichts, aber auch gar nichts schuldig. In seinem Outfit aus einer Mischung von arroganter Gewöhnlichkeit und latenter Brutalität, dem zur Schau gestelltem Machismo und seiner berechnenden Kumpelhaftigkeit ist er zweifelsohne die dominante Figur der ganzen Aufführung. Als Regisseur lenkt er die Prügelszene im 1. Akt ins Chaos, bis nur noch die Scherben zerschlagenen Flaschen den ganzen Bühnenboden bedecken. In fast anwidernder Pose zwingt er Otello am Schluss des 2. Aktes zur Verschwörung im verlogenen Racheschwur, den Oberkörper entblößt beide Männer wie ein vorkulturelles Männlichkeitsritual. Dann im 3. Akt spinnt er mit Emilia (mit erotischer Ausstrahlung: Maria Theresia Ullrich), die ihm wie hörig zu folgen scheint, das Netz seiner Intrige um das verlorene Paar Otello und Desdemona, bis er sein Opfer am Aktschluss als erlegtes Wild präsentiert - "Ecco il leone!..."

Es sind die auf präzise Aktion konzentrierten Szenen, die die Spannung in dieser ansonsten sehr reduzierten Inszenierung erzeugen. Und auch der Schlussakt lebt im Prinzip von einer einzigen szenischen Idee: Zu Desdemonas Barbara-Lied und dem (gemeinsam mit Otello) zelebrierten Nachtgebet breitet Emilia langsam und mit äußerster Akribie ein großen weißes Tuch über dem ganzen Bühnenboden aus. In diesem Tuch, Symbol ihrer Unschuld, wird Otello dann seine Frau ersticken, erdrosseln, töten. Desdemona ist Eva-Maria Westbroek, die in Stuttgart schon einige große Rollen mit ihrem darstellerischen Talent und ihrem warm strömenden fülligen Sopran glaubhaft verkörpern konnte - Carlotta in Schrekers Gezeichneten, Marie, die verkaufte Braut und die Emilia Marty der Sache Makropoulos. Hier als Desdemona fällt es allerdings etwas schwer, die starke Persönlichkeit dieser enorm guten Darstellerin mit dem Rollencharakter aus naiver Gläubigkeit und unbedingter Unterwürfigkeit zu identifizieren. So überzeugend wirklich Jago in seiner alltäglichen Gemeinheit auch wirkt, so fremd erscheint die fast engelsgleiche Desdemona in dieser ansonsten auf kompromisslose Modernität setzenden Inszenierung.

Gabriel Sadé ist ein gejagter, gepeinigter, aber auch kämpfender Otello. Anders als im Tristan des vergangenen Sommers kann er jetzt seine stimmlichen Qualitäten ausreizen - in der Höhe nicht ganz frei und leicht, aber mit zahlreichen expressiven Untertönen, die dem dramatischen Aspekt der Musik zugute kommen. Ganz Hauptperson, wie so oft und bezwingend, ist auch hier wieder der Chor der Staatsoper - als Kollektiv zwar auftretend, aber beim näheren Hinschauen darstellerisch individuell durchgeformt und stimmgewaltig, wie es Verdis Musikdrama ansteht. Furor und Feuer schließlich schürt im Graben mit Energie und Empfindung der italienische Dirigent Nicola Luisotti, der schon die Premiere des Troubadour so glänzend geleitet hatte. Da entfalten sich lyrische Klangmomente, spannen sich dramatisch aufgeladene Bögen, und blitzen scharf akzentuiert Klangfarben auf. Was Luisotti aus dem ohnehin exzellenten Stuttgarter Orchester herausholt, verdient das Prädikat hochdramatisch.

Der Schluss überrascht und holt zugleich aus der bedrückend echt wirkenden Bühnenrealität heraus: Nein, Desdemona ist nicht tot, sie kommt durch die Tür auf die Bühne zurück, ebenso Otello. Dann gehen beide in andere Richtungen hianaus aus dem Drama. Das war tatsächlich nur Spiel. Was so echt wirkte, war Traum, Albtraum. Anders hätte man sie vielleicht auch nur schwer ausgehalten, diese entsetzlich normale Gemeinheit.


FAZIT

Unter den Premierenjubel mischten sich ein paar Buhs, die aber nicht den Regisseur, sondern mit Chordirektor Michael Alber versehentlich den vollkommen Falschen trafen. Doch selbst etwas intelligenter geäußerter Unmut hätte dieser packenden Neuproduktion keinen Abbruch getan.

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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Nicola Luisotti

Inszenierung
Martin Kusej

Bühne
Martin Zehetgruber

Kostüme
Heide Kastler

Licht
Reinhard Traub

Chor
Michael Alber

Dramaturgie
Klaus Zehelein


Staatsopernchor Stuttgart

Staatsorchester Stuttgart


Solistin

Otello
Gabriel Sadé

Jago
Marco Vratogna

Cassio
Johan Weigel

Rodrigo
Daniel Ohlmann

Lodovico
Roland Bracht

Montano
Mark Munkittrick

Ein Herold
Nam Soo Kim

Desdemona
Eva-Maria Westbroek

Emilia
Maria Theresia Ullrich






Weitere Informationen
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Staatstheater Stuttgart
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Da capo al Fine

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