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Neue Tanztheater-Perspektiven aus Stuttgart
Von Ursula Mayer / Fotos von Bettina Stöß "Blind date", das klingt nach Überraschungen. Tatsächlich hat sich bei der Premiere am 23. Oktober in der ausverkauften Saarbrücker Feuerwache gezeigt, dass der Titel des zweiteiligen Tanztheaterabends, eines Gemeinschaftsprojekts von Christian Spuck, Hauschoreograf an der Stuttgarter Oper, und Marguerite Donlon, Ballettdirektorin des Saarländischen Staatstheaters, nicht zuviel verspricht. Außerdem ist er durchaus wörtlich zu nehmen: Wahrnehmung und Blindheit sind die großen Themen, die bei den beiden Inszenierungen im Vordergrund standen. Frisch aus dem Bild gefallen: Viermal Annettein Shifting Portraits.
Dass Wahrnehmung und Erkenntnis von Wirklichkeit vor allem im Auge des Betrachters liegt, darauf möchte uns Christian Spuck, Schüler des Stuttgarter Choreografen und Mitbegründer des modernen Tanztheaters John Cranko, aufmerksam machen. Für seine Choreografie "Shifting Portraits" ließ er sich von Giacomettis Blick auf die Welt inspirieren. In dessen Bild "Portrait d'Annette" ist das Modell nur skizziert, es scheint sich dem Auge fast zu entziehen. Spuck führt diese Unruhe und Bewegtheit weiter und lässt die Frau "aus dem Bild", also vor eine leinwandartige Schiebewand, fallen. Auf dem Rücken liegend, wirkt sie völlig hilflos. Zum Ausdruck ihrer multiplen Identität, stehen bald vier Tänzerinnen auf der Bühne. Ihre Abhängigkeit vom männlichen Blick spiegelt sich darin, dass sie in den Pas de deux' hauptsächlich von männlichen Begleitern bewegt werden. Strahlt anfangs jede von ihnen eine eigene Persönlichkeit aus, gleichen sich ihre Bewegungen immer mehr an, bis sie in einer Person aufzugehen scheinen. Wiederholung und Variation bestimmen auch Martin Donners Klangkomposition, in der er Streichquartette von Brahms und Schumann verarbeitet und ihnen rein rhythmische Klangpassagen entgegensetzt. Begleitet von Monologen der Tänzerinnen, in denen diese in ihrer Muttersprache nach der Identität der Porträtierten fragen, verleiht die Musik der Inszenierung eine melancholische Grundstimmung und verdeutlicht den schwierigen Prozess der Selbstfindung. Neben den porträtierten Frauen rückt Spuck schließlich den Betrachter selbst ins Blickfeld. Die vier weißen Schiebewände werden immer wieder neu im Raum platziert. Darüber hinaus bietet der wechselnde Lichteinfall dem Zuschauer verschiedene Perspektiven auf das Porträt und sogar einen Blick hinter die Leinwand. Die unruhigen Tanzbewegungen des Ballettcorps', die der Zuschauer im aufblitzenden Neonlicht erspäht, verdeutlichen die Auflösung der Identität des Einzelnen. Gerade hier beweist das auch ansonsten überzeugende Ensemble große Präzision. Als die vier Frauen letztlich wieder ihren alten Platz "im Bild" einnehmen, hat Spuck es doch tatsächlich geschafft, dass man als Zuschauer seine eigene Wahrnehmung hinterfragt.
Blind zum Tanz aufgefordert:
Weniger klar strukturiert gestaltet sich dagegen die zweite Hälfte des Ballettabends. Bei Marguerite Donlons Inszenierung "Blind date" dreht sich im wahrsten Sinne des Wortes alles um Wahrnehmung und Blindheit. Angeregt von einer Fernsehreportage über Blinde, hat die Choreografin die scheinbar beschränkte, aber eigentlich reizvolle Sinneswelt der Behinderten verarbeitet. Das Ergebnis präsentiert sich lebensfroh und ideenreich, ist aber zum Teil weit von der Ausgangsidee entfernt. Mutig hinter den Vorhang geschaut:Ilka von Häfen in Blind Date.
Originell und spontan wirkt der auf der Bühne stattfindende Rollentausch. Nicht nur, dass das Ballettcorps zu den Instrumenten greift, mit irischer Musik zum Volkstanz aufspielt und beim Tanzen den Rhythmus mit Lauten, Pfiffen und anderen Geräuschen unterstützt. Auch Percussionist Jochen Krämer, der am Schlagzeug zum Bühnengeschehen improvisiert, schwingt das Tanzbein - oder vielmehr zwei kleine Besen. Mit denen macht er seinen eigenen Körper zum Instrument und lockt eine "Blinde" zu einem Pas de deux. Ein ebenso anmutiges wie erstaunliches Bild, da ihr Tanz allein aus der Reaktion der Schlaggeräusche entsteht. Rauschende Kostüme und duftende Rosen bieten zusätzliche Sinnesreize. In einer Videoinstallation wird der Tastsinn thematisiert. Allerdings fehlt es dem Szenenreigen an Rhythmus. Zwischen den Slapstickeinlagen und der Darstellung etwa des Blindseins vor Liebe geht der Spannungsbogen gänzlich abhanden - selbst wenn sich Toby Kassell als "Nasty Norbert" durchaus gekonnt zum Clown macht. FAZIT Alles in Allem ist die Überraschung des "Blind date" gelungen. Vergleicht man jedoch Spucks klar durchkomponierte Inszenierung mit der sehr heterogenen und kontrastreichen Choreografie von Marguerite Donlon, scheint bei letzterer trotz aller Originalität der rote Faden zu fehlen. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Shifting Portraits
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Choreografische Mitarbeit Blind Date
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