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Lebendig ist, wer das Leben liebt
Von Claus Huth
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Fotos von Bettina Stöß
Beim Schreiben dieser Kritik erreicht mich die Nachricht, dass die Zeitschrift „Opernwelt“ als Opernhaus des Jahres die deutschen
Stadttheater in ihrer Gesamtheit gekürt hat. In der deutschen Opernlandschaft ein überfälliges Zeichen. Leisten doch gerade
die kleinen Häuser oft Großes, sei’s in künstlerischer, sei’s in bildungspolitischer Art und Weise. Nicht nur, dass die kleinen und mittleren Häuser für viele Theatergänger die einzigen Bezugspunkte der Theaterlandschaft sind: Diese Häuser
leisten so auch einen nicht unerheblichen Beitrag zur allgemeinen ästhetischen und – dadurch auch – politischen und sozialen Bildung ihrer Besucher. Arbeit an der Basis, die sich auszahlen kann – wie es auch die Eröffnungspremiere des Saarländischen Staatstheaters in der Saison 2004/2005 eindrucksvoll demonstrierte.
Keine leichte Kost hatte man aufs Programm gesetzt. Und keine leichte Aufgabe für das eher kleine Dreispartenhaus, musikalisch wie
szenisch: Luigi Nonos szenische Aktion „Intolleranza 1960“. Dass die Aufführung am Ende heftig akklamiert wurde und keineswegs für türenschlagend fliehende Besucher sorgte (wie noch vor einigen Jahren am selben Haus in Bergs „Wozzeck“ erlebt!) , zeigt, wie viel die Arbeit der Theater vor Ort erreichen kann.
„Intolleranza“ ist kein unproblematisches Stück: Für das Handlungsgerüst nahm sich Nono Ereignisse aus dem Jahre 1960 zum Vorbild, durch die er seinen Protagonisten, der in Alfred Anderschs deutscher Übertragung „ein Flüchtling“ ist, jagt. Ein Bergwerksunglück in Belgien und die Überschwemmung der Po-Ebene fallen in die Zeit der Komposition und der Uraufführung;
ebenso die politischen Parolen der Demonstration, in die der Flüchtling gerät. „Morte al fascismo!“, „No passeran!“, „Down with discrimination!“, „La sale guerre“, „Libertá ai popoli!” skandiert da der Chor. Die Uraufführung in Venedig 1961 wurde aus offenbar politischen Gründen massiv gestört - „Intolleranza“ ist also ein durch und durch politisches Stück.
Wie bringt man das auf die Bühne? Regisseur Christian Pöppelreiter entschied sich dafür, das Stück nicht in einen tagesaktuellen politischen Kontext zu versetzen, sondern die Handlung als eine allgemeingültige Parabel zu erzählen. Unabhängig von konkreten politischen Bezügen zeigt die Saarbrücker Aufführung eine Geschichte, die sich in verschiedenen sozialen und politischen usammenhängen immer wieder ereignen könnte. Damit knüpft Pöppelreiter an eine Sichtweise an, die schon Christof Nel 1992 für das Opernhaus Stuttgart entwickelt hat. Konsequenter aber noch als dort vermeidet die Inszenierung in Saarbrücken die Illustration der genannten politischen Parolen. In der Demonstrationsszene des ersten Aktes bleiben die Plakate und Transparente der Demonstranten leer und schwarz
wie die restliche Bühnenwelt.
Diese Bühnenwelt ist völlig abstrahiert, weder Kostüme noch Ausstattung lassen Rückschlüsse auf eine zeitliche
Verankerung zu. Kalt und leer ist alles, schwarz die dominierende Farbe, in der das Rot, das das Unglück des Beginns symbolisiert, und die spärlichen hellen Flecken als ein deutlicher Kontrast erscheinen. Anonym sind die Opfer, anonym die Helfershelfer der Unterdrückung, beide Gruppen gleichermaßen gesichtslos agierend. Gleichwohl ist fortwährende Bedrohung spürbar, was einerseits durch einfachste theatralische Mittel, andererseits durch die Ausstattung der Bühne erreicht wird.
Der Architekt Daniel Libeskind hat eine expressive, fast sprechende Bühnenskulptur entworfen, deren zeichenhafte Oberflächenstruktur sicher nicht zufällig an Libeskinds Architektonik des Jüdischen Museums in Berlin erinnert. Ein verzerrter Quader schiebt sich mit aller Gewalt in den Raum; er erdrückt unter seiner Last alles, was vor ihm ist. Die Oberfläche ist begehbar, doch auch darüber streckt sich
menetekelhaft drohend ein verzerrtes Trapez. Diese Skulptur ist so raumgreifend, dass sie die Protagonisten auf beiden Seiten der Macht, egal ob Opfer oder anonyme Helfer der Unterdrücker (die in dem Stück nie in persona auftreten), zu erdrücken droht. Als gegen Ende des ersten Teils, als es dem Flüchtling gelingt, aus der Folterhaft auszubrechen und in die Freiheit zu entkommen, das Bühnenbild in die geöffnete Hinterbühne zurückfährt, empfindet man die weichende Bedrohung nachgerade körperlich mit. Und am Ende, wenn die Skulptur als „Flutwelle“, die den Flüchtling und seine Gefährtin verschlingen wird, langsam wieder nach vorne rollt, will der Zuschauer unwillkürlich zurückweichen.
Christian Pöppelreiter nutzt den durch die Skulptur zunächst deutlich begrenzten Raum geschickt, indem er einen Bewegungschor (Statisterie des Saarländischen Staatstheaters) neben den Protagonisten auftreten lässt. Schwarz gewandete, charakterlose Gestalten, die sich unter der Unterdrückung beugen, die zwar einerseits die Toten des offenbar geschehenen Unglücks beweinen, andererseits aber selbst nicht ähig werden, zu agieren, einzugreifen, die Geschehnisse zu ändern. Der singende Chor sitzt links und rechts über dem rchestergraben; auf diese Weise wird seine Position als teils kommentierendes, teils aber auch agierendes Kollektiv unterstrichen. Pöppelreiter konzentriert die szenischen Aktionen schnell auf den Protagonisten und seine Konflikte, verwendet viel Aufmerksamkeit auf die Begegnungen mit der Frau, die er auf seiner Flucht zurücklässt und die Gefährtin, die er auf seiner Reise, die auch eine Reise zu sich selbst ist, findet. Immer wieder
nimmt Pöppelreiter die szenische Aktion zugunsten der Musik zurück, etwa wenn der Protagonist zu Beginn seiner Reise alleine
im Bühnenvordergrund steht und aus der Tiefe der Bühne ein zart hoffnungsvoller a-cappella-Chor ertönt, fast wie einer der
„Himmelschöre“ aus Wagners „Parsifal“. Dadurch entsteht bisweilen ein fast ritueller, starrer Charakter, wie eine Reminiszenz an Bachs Passionen, die Pöppelreiter als eine musikalische Quelle des Stückes nennt.
Die Reise des
Protagonisten durch die verschiedenen Stationen der
Intoleranz erinnert sicher nicht von ungefähr an den Kreuzweg
Jesu, mit dem Unterschied, dass Nonos Protagonist nicht wie Jesus die
Allgemeingültigkeit für sich in Anspruch nimmt. Nicht einer
alleine trägt hier die Last aller auf den Schultern, sondern einer
übernimmt bewusst seine eigene Last, stellt sich ihr und geht
letztlich daran zugrunde. Das Ausbrechen aus der anonymen Gesellschaft,
aus dem schwarz-schwarz der Gemeinschaft, wird durch Kostüme
symbolisiert, die sich schleierhaft über die Grundkostüme der
Figuren legen. Man kann Vogelfedern erkennen. Der Wunsch in die
Freiheit zu fliegen – ein Traum?
Zum Höhepunkt
dieser sehr stark auf das Subjekt bezogenen Sicht
gerät das Aufeinandertreffen des Protagonisten, seiner
Gefährtin und seiner Frau zu Beginn des zweiten Aktes; in
Pöppelreiters Sicht offensichtlich eine Kernszene. Gänzlich
verzichtet wird auf die „Projektionen des Schreckens und des
Fanatismus“, die im Textbuch in dem Satz „Arbeit macht frei“ gipfeln,
das dazu komponierte Schlagzeugintermezzo deutet Pöppelreiter
szenisch als Auseinandersetzung der beiden Frauen, die um den Mann, den
sie lieben, kämpfen. Der Ausruf des Protagonisten „Nie! Nie
wieder!“ ist nicht mehr nur politisch als Fanal gegen die
Unterdrückung der Nazis zu verstehen. Vielmehr schleudert der
Flüchtling ihn seiner ehemaligen Frau entgegen - ein
endgültiges Zeichen der Trennung, das in seiner Grausamkeit
fatalerweise im privaten ebenso unterdrückend und bösartig
wirkt wie die öffentliche Unterdrückung von außen. Ist
der Unterdrückung und der Intoleranz überhaupt zu entgehen?
Holt sie uns nicht immer wieder ein, ist sie nicht zwangsläufig
Folge des Zusammenlebens von Menschen? Unangenehme Fragen stellt die
Inszenierung nicht zuletzt auch Nonos Stück, das als Fanal gegen
Ungleichbehandlung, Unterdrückung, Intoleranz und Grausamkeit
gemeint ist. Und Nonos Stück – das ist in der Saarbrücker
Aufführung das letztlich überraschende, hält diese
Befragung aus, ja, gewinnt durch sie am Ende ganz neue Aspekte.
Doppeldeutigkeiten finden sich immer wieder, so auch am Ende, wenn der
Flüchtling und seine Gefährtin zunächst auf der Skulptur
der Unterdrückung tanzen, bevor die Gefährtin stirbt. Der
Flüchtling bleibt am Ende allein zurück, sein Schicksal wird
szenisch nicht besiegelt.
Dazu passt, dass
man – gleich der erwähnten Stuttgarter
Aufführung – auf die „Absurditäten des heutigen Lebens“
verzichtet, die das Textbuch an den Anfang des zweiten Teils stellt.
Stattdessen, wie in Stuttgart, wird Heiner Müllers Text „Sisyphus“
eingespielt. Die Geschichte des Sysiphus als Bild für das
Schicksal des Protagonisten: Unmöglich ist es, die Aufgabe zu
schaffen; der Stein rollt den Berg immer wieder hinab und zwingt
Sisyphus, erneut zu versuchen, den Stein auf den Gipfel zu rollen. Das
Streben des Menschen kann nie von endgültigem Erfolg gesegnet
sein. Letztlich eine bittere Erkenntnis. „Gedenkt unser mit Nachsicht“,
fordert der letzte Satz des Stückes mit Worten Berthold Brechts.
Sind wir schon an dem Punkt, an dem wir „gedenken“ können?
Neben den
theatralischen und dramaturgischen Schwierigkeiten hat Nonos
„Szenische Aktion“ erhebliche musikalische Hürden: Die
a-cappella-Chöre des Anfangs und des Schlusses galten zur Zeit der
Uraufführung als so unsingbar, dass sie für die
Bandeinspielung während der Aufführung aus einzeln
aufgenommenen Tönen, Silben und Akkorden montiert werden mussten.
An Orchester und Sänger werden durchweg hohe Anforderungen
gestellt. Erstaunlich und bemerkenswert ist daher, was der junge
Dirigent Constantin Trinks mit Opern- und Extrachor des Staatstheaters
und dem Saarländischen Staatsorchester musikalisch vollbringt. Der
zweite Kapellmeister des Hauses hat die Chance, sich nachhaltig zu
profilieren, gekonnt genutzt. Er nimmt sich viel Zeit für Nonos an
sich nur etwa einstündige Partitur, horcht immer wieder den
Klängen nach, lässt gerade die leisen Stellen fein
differenziert erklingen. Der Chor
entledigt sich der sicher ungewohnten Aufgabe sensationell gut, ein Lob
an die Choristen, die zuverlässig wie lange nicht mehr von Andrew
Ollivant einstudiert wurden. Das Staatsorchester folgt Trinks
animierendem Dirigat mit dem denkbar größten Engagement,
geizt nicht mit starken Kontrasten zwischen zarten und heftig brutalen
Momenten. Zwar ist der Saarbrücker Orchestergraben zu klein
für die geforderte Instrumentalbesetzung, so dass die 14
Schlagwerker ausgelagert und über Lautsprecher oberhalb des Chores
eingespielt werden. Das funktioniert ohne Koordinationsprobleme, und
bietet an der Stelle des „Schreckens und Fanatismus“ die
Möglichkeit, für ein imposantes, durch den Saal „wanderndes“
Schlagzeugintermezzo. Völlig zu Recht ist Constantin Trinks mit
seinen Musikern und Sängern am Ende der Premiere der meiste
Applaus gegönnt – noch vor Pöppelreiter, dem statt Libeskind
anwesenden Projektarchitekten Thore Garbers und den Sängern.
Auch diese
können sich hören lassen: Allen voran Stefan
Vinke, der in der vergangenen Spielzeit schon als Andrea Chenier in
Giordanos gleichnamiger Oper und als Erik in Wagners „Holländer“
für sich einnehmen konnte. Spielt er den Flüchtling bisweilen
etwas täppisch und derb, so stürzt er sich andererseits mit
Verve in die tenoralen Höhenflüge, die Nono vorschreibt. Und
das mit Erfolg: Wenige Sänger dürften diese Rolle derzeit auf
vergleichbarem Niveau singen können. Ihm zur Seite stehen mit
Manou Walesch (Frau) und Donna Ellen (Gefährtin) zwei intensive
Singschauspielerinnen: Walesch mit expressivem Mezzosopran, Ellen mit
stupender Beherrschung der außergewöhnlich schönen
Stimme und einem sehr eindringlichen Auftritt. Aus dem Restensemble
ragt schließlich noch Hiroshi Matsui heraus, der den kurzen
Auftritt des Gefolterten zu einem eindringlichen, berührenden
vokalen Höhepunkt zu machen weiß (Volker Philippi singt als
Zweitbesetzung etwas weniger ausdrucksstark).
In
Saarbrücken war dies eine weitere Gelegenheit, sich dem
Komponisten Luigi Nono anzunähern: Der Verein Netzwerk Musik Saar
e.V. hatte im Jahr vor der Premiere ein feines Programm über den
Italiener gestaltet, viele Werke des Komponisten in Saarbrücken
vorgestellt, außerdem mit Vorträgen und einer
Veröffentlichung ermöglicht, auch auf theoretischer Ebene
viel zu lernen. Arbeit, die sich ebenso wie das Engagement des Theaters
für die zeitgenössische Oper (in den letzten Jahren gab es
etwa Gerhard Staeblers „Madame La Peste“ und Alfred Schnittkes
„Gesualdo“), jetzt auszahlte. Zum Erfolg der Aufführung
beigetragen hat sicher auch das an sich hervorragend gestaltete
Programmbuch, das als zweiter Teil einer Schriftenreihe über Luigi
Nono, herausgegeben vom Saarbrücker Pfau-Verlag und dem Netzwerk
Musik Saar, auch über den normalen Buchhandel erhältlich sein
wird (ISBN 3-89727-270-9). Es verwundert nur, dass der musikalische
Leiter Constantin Trinks neben dem Regisseur und dem Bühnenbildner
darin nicht ein einziges Mal zu Wort kommt. Schließlich ist ihm
mindestens so wie jenen zu verdanken, dass diese Saarbrücker
Aufführung ein mehr als beachtlicher Erfolg wurde.
Luigi Nonos „Intolleranza 1960“ ist in der auf ihre Art radikalen Sicht von Constantin Trinks, Christian Pöppelreiter und Daniel Libeskind im Saarbrücker Repertoire angekommen. Die Aufführung, heftig beklatscht, zeugt auf erfreuliche Weise davon, was ein "Stadttheater" zu leisten im Stande ist.
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ProduktionsteamInszenierungChristian Pöppelreiter
Musikalische Leitung
Bühnenbild und Kostüme
Projektarchitekt
Dramaturgie
Choreinstudierung
Solisten* Besetzung der PremiereEin Flüchtling Stefan Vinke
Seine Gefährtin
Eine Frau
Ein Algerier
Ein Gefolterter
Volker Philippi
1. Gendarm
2. Gendarm
Johannes Bisenius
3. Gendarm
Elmar Böhler
4. Gendarm
weitere Gendarmen
Jochen Wilhelm Ludwig Stroux Weitere Informationen erhalten Sie vom Saarländischen Staatstheater (Homepage) |
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