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Musiktheater
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POE – Pech und Schwefel
Musical von Frank Nimsgern (Musik und Arrangement)
und Heinz Rudolf Kunze (Text)
Konzeption von Frank Nimsgern, Aino Laos und Frank Felicetti

Aufführungsdauer: ca. 2 Stunden 30' (eine Pause)

Uraufführung am Saarländischen Staatstheater Saarbrücken am 30.10.2004 (besuchte Vorstellung: 3.11.2004)


Logo:  Theater Saarbrücken

Saarländisches Staatstheater (Homepage)
 Nicht gerade poetisch

Von Angela Mense und Claus Huth / Fotos von Klaus Baqué

Blitz und Hölle! Was das saarländische Staatstheater da als Besetzung für ein neues Musical zusammengebraut hat: Gastsänger, ein eigens engagiertes Ballettensemble mit dem Choreographen Marvin A.Smith, den Musicalexperten Christian von Götz als Regisseur, Opernchor und Orchester des Hauses und eine eigene Band. Teufel, Teufel, ganz schön aufwändig. Und auch beim Thema hat man sich Einiges vorgenommen: Um niemand anderen als Edgar Allan Poe soll es hier gehen. Das dürfte spannend sein, bieten doch die phantastischen, grotesken Bilderwelten des englischen Schriftstellers eine Menge Stoff, an dem sich die Phantasie entzünden könnte. Wer denkt nicht an die Grube und das Pendel, an die grausliche Geschichte vom Untergang des Hauses Usher, an den „nimmermehr“ krächzenden Raben?


Vergrößerung in neuem Fenster Leichtbekleidet räkelt sich Madeline Pfaahl (Peti van der Velde) an der Bühnenrampe, Pilatus (Darius Merstein-MacLeod) schaut in grün zu.

Leider ist das neue Stück vieles, nur nicht wirklich spannend. Wieder einmal hat das Staatstheater den saarländischen Bandleader und Komponisten Frank Nimsgern beauftragt, ein Musical für das Haus zu schreiben, und wieder einmal ist dabei leider nicht mehr herausgekommen als ein dramaturgisch maues Stück mit wenig charakteristischer Musik. Der Untertitel führt gleich auf ein Grundproblem des Textbuches, für das niemand geringeres als Heinz Rudolf Kunze verantwortlich zeichnet: Pech und Schwefel. Oh ja, wieder einmal geht es so richtig um die Hölle. Und – wirklich nichts neues -  um einen faustischen Teufelspakt: „Schlag ein!“ ruft der teuflische Irrenarzt mit dem bedeutungsschwangeren Namen Doktor Pilatus dem wahnsinnig gewordenen Poeten zu. „Schlag ein!“, und schon werden all deine tollen Phantasien so richtig Realität. In der Hölle ist es nämlich entsetzlich langweilig, weil es dem Teufel an Inspiration und Phantasie mangelt – da kommt E. A. Poe ihm doch gerade recht. Und los geht ein Streifzug durch allerlei erotisch aufgeladene Bilder, die eher peripher mit dem Schaffen Poes zu tun haben. Klar, die Absteige, in der die zwei Verbündeten zuerst landen, heißt Amontillado, wie das Fass in der berühmten bösen Kurzgeschichte Poes. Natürlich spucken dann und wann Figuren aus seinen Texten herum (so etwa Psyche Zenobia, der eine Kirchturmuhr den Kopf vom Rumpf trennte), aber eher als Accessoires denn als zwingender Bestandteil der Geschichte. In der geht es nicht wirklich um die Bilderwelten Poes, sondern in erster Linie um eine typische Musicalhandlung: Poe entdeckt seine Liebe zu Virginia Usher – die Figur ist eine merkwürdige Verquickung der Ehefrau Poes, die Virigina hieß, und der lebendig begrabenen Madeline Usher aus der erwähnten Novelle. Madeline taucht auch auf, allerdings nicht als „Usher“, sondern als „Pfaahl“ – auch dieser Nachname zwar eine Reminiszenz an einen Text Poes, allerdings wiederum kaum zwingend. Und darüber wird ihm klar, dass all diese Phantasien für die Realität gänzlich ungeeignet sind. Das wird ihm so richtig bewusst, als er während einer schwarzen Messe die unschuldig weiß gewandete Virginia meucheln soll. Poe versucht, Doc Pilatus zu erschießen und erschießt sich selbst. Ach herrje! Die dunkle Seite als Teil der Persönlichkeit: Welch überraschende Wendung! Aber am Ende, damit es so richtig zum Mitgehen aufhört, sind auf einmal alle ganz fröhlich und singen davon, dass so ein bisschen Wahnsinn und die ganze Quälerei, die Poe durchgemacht hat, doch ganz toll sind, weil da so schöne Bücher bei rausgekommen sind. Alles reine POEsie. Toll.


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Poe (Henrik Wager) ist von der sich leicht bekleidet räkelnden Virginia Usher (Aino Laos) ganz fasziniert.

Die Geschichte hat leider keinen so rechten Faden, und das lässt auch den sonst so versierten Regisseur Christian von Götz ziemlich alt aussehen. Viel eingefallen ist ihm, der in Saarbrücken schon eine freche Inszenierung von Johann Straussens „Wiener Blut“ vorgelegt hatte, nicht gerade. Dass die Geschichte gnadenlos in der Jetztzeit spielt, ist wohl dem Textbuch anzulasten – da darf Poe seinen Widersacher, den Duc de L’Omelette schon mal in einer echten Gameshow, in der gepokert wird, erschießen. Da sieht die Spelunke „Amontillado“ mindestens so schnieke aus wie die neueren Szenekneipen der Saarbrücker Altstadt. Und dufte Typen laufen drin rum: Die Damenwelt ist grundsätzlich knapp bekleidet und dient in erster Linie als Lustobjekt für die entsprechend lüstern schauende Herrenriege. Sonst ist die Bühne oft ganz leer, aber immerhin variabel. Und Christian von Götz macht, was man da eben machen kann: Er arrangiert das alles irgendwie nett, schafft ausreichenden Platz für das Ballett, setzt auf den ein oder anderen Lichteffekt - und belässt es dabei. Wirklich einprägsame Szenen, wie die Verdopplung der Virigina Usher durch die Krankenschwester aus der Vorgeschichte, sind selten. Und wird da so schön angedeutet, dass die gesamte Handlung vielleicht nur ein Alptraum gewesen sein könnte – kurz vor Schluss findet die Szenerie zurück in das Krankenzimmer des Anfangs – so wird dies nicht in der Schwebe gehalten, sondern durch die neuerliche Wandlung des Arztes zum Teufel sogleich wieder zunichte gemacht.


Vergrößerung in neuem Fenster Auch bei einer schwarzen Messe wird man lieber leichtbekleidet geopfert. Oberpriester Pilatus ist eben mit dem Flugwerk eingefahren (Mitte).

Szenischer Tiefpunkt ist unbestrittenermaßen die Schwarze Messe, in der die als Mönche verkleideten Tänzer mit Fackeln im Arm um die auf dem Opfertisch aufgebarte Virginia eine Art indianischen Kriegtanz aufführen, während der Chor im Playback verschwörerisch „Dominus“ knödelt und Pilatus alias Teufel als Zeremonienmeister aus dem Flugwerk steigt. Interessant wirkt hier die surreal anmutende Kulisse mit aufgemalten Häuserschluchten und einem weiblichen Christus am Kreuz mit Vogelkopf. Aber auch hier rückt die Frage nach dem „was will uns der Regisseur damit sagen“ für den Zuschauer in den Hintergrund, der ob der im negativen Sinne surrealen Szenerie einfach nur den Kopf schütteln kann. Abgesehen von dieser etwas anderen Choreografie bedient das Tanzensemble den Geschmack eines MTV- bzw. Fernsehballett-Publikums, inklusive Dauergrinsen und spektakulärer Akrobatik.

Im Rahmen ihrer beschränkten Möglichkeiten können die Darsteller die Figuren kaum entwickeln. Die Rollen beschränken sich auf Klischees und sind zudem den Darstellern wenig auf den Leib geschrieben. Henrik Wager, dem die Ketten des Entfesselungskünstlers in „Arena“ besser stehen als die Kluft eines zerstreuten Poeten, darf immer wieder unter der Last seiner Phantasien mit dem Handballen gegen die Schläfe pochen. Peti van der Velde als Madeline Pfaahl kann das Gehabe einer lasziven Diva immerhin mit einer handfesten Soulstimme wettmachen, während Aino Laos als junge, unschuldige Virginia Usher ihre rauchig explosive Stimme in endlosen Balladen zähmen muss. Frank Felicetti als rasender Reporter Thingum Bob glänzt vor allem im schnellen Aufsagen nichtssagender Moderationen. Einigermaßen solide steht Stefan Röttig als lüsterner Richter Griswold („Das Gericht zieht sich zur Begattung zurück.“ Hah!) und Duc de L’Omelette seinen Mann und darf dem szenischen Chaos schließlich als Leiche vorzeitig entkommen. Wesentlich dankbarer erscheint die Rolle des Pilatus, aus der Darsteller Darius Merstein-MacLeod dann auch die unartigste Bösartigkeit herausholt. Ein Darsteller mit Ausstrahlung und einer prachtvollen Stimme: Wegen ihm lohnt der Besuch vielleicht. Immerhin etwas.


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Alle sind ganz fröhlich, weil Poe so wahnsinnig war: Gruppenbild mit gesamten Ensemble (und Andy Warhol ist auch dabei).

Frank Nimsgern legt mit diesem Stück seine nunmehr vierte Arbeit für das Staatstheater Saarbrücken vor. Mit „Paradise of pain“ gelang ihm zum Start ein überraschend frischer Erfolg, aber die nachfolgenden Stücke, „SnowWhite“ und „Arena“ waren schwach, wenngleich große Publikumserfolge. Und neu ist der Sound für „POE“ auch nicht: Es klingt irgendwie alles so bekannt – wie Nimsgern eben. Sicher, die Musik ist nicht anstrengend und an manchen Stellen sogar gar nicht so übel, aber man meint, das alles doch in den anderen Stücken jedenfalls fast genauso schon mal gehört zu haben. Einzig die Gerichtsszene, die mit Gospelklängen aufwartet, fiel ein wenig aus dem Rahmen des Wohlbekannten. Und auch die Arrangements, die an den rechten Stellen mit dem satten Streichersound  des Staatsorchesters (mit stoischer Gelassenheit dirigiert der designierte 1.Kapellmeister Constantin Trinks den Clicktrack vom Kopfhörer nach) aufwarten, sind zweifellos effektsicher, aber stereotyp ausgefallen. Dass das Ganze erst in der letzten Nummer so an Fahrt gewinnt, dass das Publikum wirklich begeistert mitgeht (zuvor war der Applaus jedenfalls für Musicalverhältnisse eher verhalten), ist genauso bezeichnend wie dass man nicht mit einem einzigen Ohrwurm aus dem Theater geht. 

Just während des Entstehens dieser Rezension hat die Saarländische Landesregierung beschlossen, die Subventionen des Landes bis 2010 um 25 % zu kürzen – die Maßnahmen würden voraussichtlich das Ende des Dreispartenhauses bedeuten. Auch wenn POE ein rechter Reinfall wurde, wäre das ein herber Verlust für die Region, in der das Saarländische Staatstheater sicher das qualitativ beste Haus ist. Fraglich vor dem Hintergrund dieser Debatte, in der nun darum gekämpft wird, dass alle drei Sparten erhalten bleiben, ist am Ende aber doch eines: Warum engagiert man für dieses Musical so gut wie ausschließlich Gäste, inklusive dem kompletten Ballet, und speist die wenigen Ensemblemitglieder mit Wurzenrollen ab? Denn auch das Ensemble kann gutes – sogar besseres – Musical machen. Man denkt mit Wehmut etwa an Tom Waits „Black Rider“, oder an „Blutsbrüder“ in der Alten Feuerwache.


FAZIT

Pech hatte das Theater mit diesem Stück, das an den hohen Ansprüchen seines Sujets kärglich scheitert. Das Publikum wird sicher trotzdem kommen. Es gibt ja sonst nur wenig Vergleichbares in der Region.


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Produktionsteam

Inszenierung
Christian von Götz

Musikalische Leitung
Frank Nimsgern und
Constantin Trinks

Choreographie
Marvin A. Smith

Bühne
Detlef Beaujean

Kostüme
Thore Garbers

Dramaturgie
Matthias Kaiser

Choreinstudierung
Andrew Ollivant


Die Frank Nimsgern-Group

Gitarre/Piano
Frank Nimsgern

Drums/Percussion
Hardy Fischötter*/
Stefan Schuchardt

Keyboards
Rainer Scheithauer*/
Achim Schneider

Bass
Marius Goldhammer*/
Stefan Engelmann


Opernchor des Saarländischen
Staatstheaters

Das Saarländische Staatsorchester

Besetzung

* Besetzung der besuchten Aufführung

Pilatus
Darius Merstein-MacLeod

Edgar Allan Poe
Henrik Wager

Virginia Usher
Aino Laos

Madeline Pfaahl
Peti van der Velde

Ein Gefolterter
Hiroshi Matsui* /
Volker Philippi

Thingum Bob/Reynolds
Frank Felicetti

Duc de L’Omelette/Richter
Stefan Röttig

Psyche Zenobia
Barbara Dunkel

General A.B.C.Smith
Sepp Scheepers

Baron Metzengerstein
Fred Woywode

Double der Viriginia
Desiree Becker * /
Bettina Stiller Weishaupt

Kameramann u.a.
Alexander Wittmann

Tänzerinnen und Tänzer
Kevyne Haile
Franziska H.Ballenberger
Paul Clees
Anne Hamenn
Lucy Hickey
Julia Köhler
Kordula Kohlschmitt
Dave Mandell
Carla Oya
Daniela Rausch
Will Sky
Korina Zecirovic



Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Saarländischen Staatstheater
(Homepage)



Da capo al Fine

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